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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.07.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-07-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950711023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895071102
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895071102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1895
-
Monat
1895-07
- Tag 1895-07-11
-
Monat
1895-07
-
Jahr
1895
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Heute erzählt die „Post" von seinem Ver hallen auf der ,^Colpmbia" an einem per Kieler Festtage Folgendes: „Auf der „Columbia", der die Ehre z» Theil geworden war, alle Präsidenten zu beherbergen, brachte an der Mittagstafel am Donnerstag zuerst der ReichStagSpräsipxnt Freih. v. Buol-B erenberg einen Toast auf den Kaiser aus, worin er über den Kaiser-Wilhelm-Canal nur daS eine Gut? zu sagen wußte, daß er den „internationalen B er lehr" zu fördern geeignet wäre. Dann forderte der erste Vizepräsident Schmidt auf, Derer zu gedenken, die auf der Reise in so liebenswürdiger Weise sich der Gäste angenommen hätten. Jeder dachte, eS würden nun die Namen des Mi nisters Thielen und des Staatssecretairp Hollman», die gut dem Schiffe die Honneurs gemacht hattep, genannt werdet); aber statt dessen erging die Aufforderung, doch nicht der — Kellner und sonstigen Bedienung zu vergessen. Diese Rede rief allseitig, namentlich auch bei den anwesenden hanseatischen Gästen, eine große Entrüstung hervor. Darauf toastete der zweite Vicepräsident Spahn auf die Hamburger Packetfahrt- Gesellschaft und deren Leiter und. nachdem er nur den letztern gedankt und die Gäste hatte leben lassen, hielt Freiherr vonHeereinanes doch noch für nöthig, die Kaiser; n leben zu lassen." We»n quch djese taktvolle Leistung zum Theil auf die vereinten Wirkungen der Verpflegung und deS Wellenganges zurückzufübren sein mag, so ist doch nicht hxkgpnt geworden, daß jemals einer der Vorgänger der jetzigen Inhaber der Präsidentenposten — Herrn vr. Baumbach nicht ausgenommen — selbst unter den erschwerendsten Umständen seine Reprä sentationspflichten als Bratenredner in so kläglich Mangel basier Weise erfüllt hätte. Jeder dieser Vorgänger würde, wenn er durch jene vereinten Wirkungen seine rednerische Leistungsfähigkeit ui bedrohlicher Weise beeinträchtigt gefühlt hätte, des Schweigens Silber dem Golpe solcher Red? vpr- gczogen haben. Aber eS ist auch nicht verwunderlich, wenn die Helden und Sieger vom 23. März vo» AnstandSpstjchten eine andere Auffassung haben, als andere Leute. Wenn hei der Windthorst-Feier, bei der das jetzige NeichStagS- präsidium unter gleichfalls erschwerenden Umständen Proben seines TacteS und seiner Repräsentationsgabe ablegen wird, ähnliche Redeblütben wachsen, wird die „kleine ExceUenz", die in keiner Lebenslage, nicht einmal bei Uebergießung mit Bismarck'scher Bowle, die Gegenwart des Geistes verlor, sich im Grabe herumdrehen. Sehr befremdliche Nachrichten kommen von der Universität Breslau. Hier sollte nach dem Vorgänge Leipzigs gestern Abend die constituirende Versammlung zur Gründung einer akademische» Ortsgruppe des Vereins zur Förderung des Deutschthums in den Ostmarken stattsinden. Die Versammlung dürfte laut einer Anordnung des Rectors Geheimen RegierungSrathö Prof, Or. Meyer nicht in den Räumen der Universität abgehalten werden, weil die polnischen Studenten in einer Vorversammlung gegen die Gründung der akademischen Ortsgruppe pro lestrr t hatten. Ist schon dieses Verfahren des Rectors nebst der ausdrücklich angegebenen Begründung höchst eigenthümlich, so verblüfft geradezu die nachstehende Meldung, die uns von unserem Breslauer L.-Correspondenten zugeht: L. Breslau, 11. Juli. (Privattelegramm.) Nachdem der Rector der Universität ein Auditorium verweigert, hielt die akade mische Ortsgruppe des Vereins zur Förderung des Deutschthums in den Oslmarke» gestern Abend im Hotel „König von Ungarn" die Versammlung ab. Plötzlich erschien der Oberpedell und forderte in; Namen des Rectors die sofortige Auflösung der Ver- äminlung. Großer Lärm zwang den Vorsitzenden, die Versamm lung zu schließen, da spnst der überwachende Polizeibeamte die Ver- ammlung aufgelöst haste. Die Universität Breslau wird von den Studirenden, die auS Ostdeutschland, d. h. aus den vom Polonismus bedrohten Provinzen Schlesien, Posen, Ost- u;>d Wcstpreußen sta;nmen, mit Vorliebe ausgesucht. Wenn es aber dabei sein Bewenden hätte, daß aus Rücksicht aus die polnischen Studenten die deutschen von Amtstpegen geHindssrt wurden, den; nationalen Verein zur Abwehr des Polonismus beizutreten, so würden wir uns nicht wunder», falls die deutschen Studenten den allgemeinen Exod us aus Breslau für geboten hielten. Wir würden das im Gegentheil für die richtige Antwort auf diese Herausforderung des nationalen Bewußtseins halte», die um so tiefer verletzt, je eindringlicher uns jetzt jeder Tag predigt, mit allen Kräften an der Erhaltung des in großer Zeit Errungenen festzuhalten. Im Fürstentbum Waldeck-Ptirinont bat bekanntlich am Dienstag die Ersatzwahl zum Reichstag stattgesunden, welche dadurch nöthig wurde, daß eine Mehrheit am 7. Mai das Mandat des nationalliheralen Abgeordneten I)r. Böttcher für ungiltig erklärte. Letzterer erhielt vorgestern, wie schon gemeldet, 2398 Stimmen, während aus den freisinnigen Candidaten vr. Schütting 1778, auf den Antisemiten Müller-Nutzkorn 3452 und auf den Socialdemvkraten Garde- Cassel 703 Stimmen entfielen. Demnach ist eine Stich wahl nöthig zwischen dem bisherigen Vertreter, vr. Böttcher, und dem Antisemiten Müller-Nutzhorn, der auch von der Leitung des Bundes der Landwirthe unterstützt wurde. Die Wahlbetheitigung war mit 73 Proc. etwas stärker als 1893 (etwa 70 Proc.). Die Antisemiten haben, wie sich zeigt, alle diejenigen Stimmen gewonnen, über welche vor zwei Jahren ein selbstständiger Candital des Bundes verfügte. Damals zählte »lau 2109 Antisemiten und 1235 Stimmen für den „reinen" Caudidaten des Bundes, also zusammen 3344, jetzt in der Vereinigung beider Gruppen etwa 120 Stimmen mehr. Andererseits hat aber diesmal, eine Scheidung auf der Linken stattgefundcn. Als Canoidat aller Liberalen hatte I)r. Böttcher vor zwei Jahren 4062 Stimmen, jetzt hat er 2398 und der Linksliberale ^kr. Schücking 1778, das sind zusammen 4176, also etwas über 200 Stimmen mehr. Hier wie dort kommt der Zuwachs von der stärkeren Wahlbetheiligung her. In der Vereinigung wären übrigens die Liberalen diesmal doch wieder die Sieger im ersten Wahlgange gewesen. Der Wahlkamps ist mit einem Aufwand von Kräften geführt worden, der außerhalb des Landes kaum verstanden wird. Indessen er mangelt der Wahlkreis jeglichen Mittelpunktes, wohin die Wähler zusammengefaßt werden könnten. Die Freisinnigen und die Antisemiten hatten denn schon vor 6 Wochen ihre Hilfskräfte in das Land gerufen, um in jedem einzelnen, auch dem kleinsten Dorfe, reden zu taffen u»d eine intensive Agitation zu entfalten. Die National- liberalen durften hinter einer solchen Betriebsamkeit nicht zurückstehen, wenn sie es nicht geschehen lassen wollten, daß die bekannten Schlagworte älteren und neueren Datums auch im Waldecker Land eine völlige Verwirrung der Begriffe erzeugten. So sind die hundert und etlichen Gemeinden des Wahlkreises zu dem zweifelhaften Genuß gelangt, je drei bis vier Wahlversammlungen in ihren sonst so friedlichen Mauern zu erleben, die Städte natürlich kamen auf den doppelten und dreifachen Satz! Zwischen England und Italic» scheinen sich nach dem Regierungsantritte des Ministeriums Salisbury wieder engere Beziehungen knüpfen zu wollen, als solche zu Lord Rosilerys Heilen vorhanden waren. Wenn auch das vor Kurzem zurnck- qetretcne Cabinet im Allgemeinen an dem althergebrachte» Curse der auswärtigen Politik Großbritanniens festhielt, so betrieb eS doch die auswärtigen Fragen mit einer gewissen Lässigkeit, die anzudeuten schien und auch vielfach so gedeutet wurde, daß die liberalen englischen Staatsmänner durch wichtigere Dinge in Anspruch genommen würden. Auch die Beziehungen zu Italien geriethen während der Dauer des liberalen Regiments etwas ins Hintertreffen. Das fou nun anders werde». Das Anlaufen Portsmouths von Seiten der aus Kiel nach den heimischen Gewässern zurua- kehrenten italienischen Flotte mit dem Herzog von Genna an Bord hat zu einem Austausch von Freundschaftsbezeigungen zwischen den britische» und den italienischen Flottenbesatzutigen geführt, denen auch unter de»i politischen Gesichtswinkel eine gewisse symptomatische Bedeutung nicht ganz abzusprechen sein dürfte. England geräth in Ostasien und in der -evante in einen sichtlich an Schärfe zunebmeuden Interessengegensatz gegen Rußland, dessen Blätter Gift und Galle gegen^das perfide Atbion speien, während Italien auf Schritt und -rrill sich der französischen Gehässigkeiten und Jntriguen zu er wehren hat. Italiens europäische Stellung -Meint ,a hinreichend gedeckt durch seine Zugehörigkeit zum Dreibünde. Aber seine Position im Mittelmeer »nd in Afrika, welche es zur Unterhaltung einer starken Kriegsflotte nöthigt, macht eS den italienischen Staatsmännern im höchsten Maße wünschenSwerth, noch eine zweite Sehne aus den Bogen ihrer Allianzpolitik spannen zu können. Aehnlich steht cS mit England, das. mit Rücksicht auf seine in Egypten und Indien engagirlen Lebensinteressen, den Werth einer Bundesgenossenschaft, wie die italienische, für maritime Zwecke gar wohl z» schätzen weiß. Rußlands Cooperation in der armenischen Frage, mit dem unvermeidlichen Frankreich zur Seite, ist der englischen Diplomatie mehr lästig als angenehm, und die italienische Colonie Eritrea wäre ebenfalls bester daran, wenn nicht russische und französische „Forscher" ihrer Thätigkeit in Abesinie» nachgingen. Kurz, die gegenwärtige Constellation der Weltpolitik führt mit Nothwendigkeit zu einer größeren Annäherung zwischen England und Italien, von welcher Thatsache die beiderseitige Flottenverbrüderung in Portsmouth einen sprechenden Beweis erbringt. Das spanische Cabinet Canovas befindet sich in einer eigenthümlichen Lage. Bekanntlich sind dieser Tage die Cortes nach Erledigung des Budgets geschlossen worden. Die Blätter stellen nun Betrachtungen über die Absichten der conservativen Regierung an. CanovaS verfügte in den gegenwärtigen Cortes nicht allein über keine Maforität, sondern nur über eine kleine Minderheit, war also der Gnade der gegnerischen Mehrheit preiszegeben. Man erinnert sich, daß der conservative Führer im März dieses Jahres die Mission der Cabinetsbildung nur auf die Zu sage deS liberalen Führers hin übernahm, daß die liberale Cortesmehrheit die conservative Regierung bei der Durch- berathung des Staatsvoranschlages unterstützen werde. In der Erkenntniß, daß das Budget unter allen Umständen geborgen werden muß, haben Sagasta und seine Partei genossen dieses ihr Wort mit gewissenhafter Selbstverleug nung eingelöst. Nun aber sind sie ihres Wortes ledig, und die conservative Regierung steht vor der Nothwendigkeit, die Cortes auszulösen und Neuwahlen auszuschreiben, um sich eine Majorität herzustellen, ohne welche ja ein Weitcr- regieren der Conservativen nicht denkbar ist. Trotzdem ist nach Sessionsschlnß i» Regierungskreisen die Möglichkeit eines WiederzusammentritteS der gegenwärtigen Cortes in Aussicht gestellt worden. Dies erklärt sich mit den wenig beruhigen den Nachrichten auö Cuba, wo die Dinge möglicher Weise eine ernste Wendung nehmen und die Regierung zwingen könnten, weitere Vollmachten von den Cortes zu erlangen, wozu dann natürlich die bisherigen Cortes zu einer neuen, wenn auch kurzen Session einberufen werden müßten. Tritt edoch eine solche Nothwendigkeit an die conservative Negie rung nicht heran, dann werden Wohl die Cortes im Herbst aufgelöst und die Neuwahlen für November oder December ausgeschrieben werden. Die neuen Cortes dürften dann für Januar 1896 einbernfen. werden. Das norwegische Storthing hat mit großer Mehrheit die Voranschläge für die gemeinsame Diplomatie und für das gemeinsame Consulatswesen, ohne irgend welche Bedingungen daran zu knüpfen, bewilligt, nachdem es un mittelbar zuvor fast einstimmig beschlossen batte, Schweden diejenigen Ausgaben zurückzuerstatten, die es für Norwegen aus eigenen Mitteln bezahlt batte. Bis auf Weiteres steuert also Norwegen wieder zu dem gemeinsamen Consulats wesen und der gemeinsamen Diplomatie seinen Antheil wie von jeher bei. Dieser Ausgang ist dem Umstande zu danken, daß sich die Radikalen wieder wie bei der Abstimmung lber die Tagesordnung vom 7. Juni (nach der sich das Storthing für Verhandlungen mit Schweden ausspricht) Palleten, denn der größte Theil der Radikalen wollte die Frage der Bewilligung des Consnlats- und Außenreichs budgets für 1895/96 — das neue Budgetjahr hat bereits mit dem l. Juli begonnen — bis ans Weiteres aussetzen. Mit der Bewilligung der Budgets ist eine der Schwierig keiten, die sich der Einleitung von Verhandlungen mit Schweden zur Lösung des Conflicts entgegenstellen, be seitigt. Das Ministerium Stang führt die Geschäfte Weiler, wenn es auch an seinem (am 3l. Januar eingereichten) Abschiedsgesuche festhält und sich zurück- zuzieben gedenkt, sobald ein neues Ministerium zu Stande kommt. Üm des lieben Friedens willen wird sich der König natürlich nicht weigern, wenn er Ersatz bekommt, das Mini sterium Stang gehen zu lassen, obwohl dieses Ministerium in geschickter Weise Norwegen über alle Fährlichkeiten der Krise hinweggebracht bat und auch geeignet wäre, Verhandlungen mit Schweden, wie sie die erwähnte Tagesordnung voraussetzt, zu führen. Wie man in politischen eingeweihten Kreisen wissen will, wird in nächster Zeit ein Ministerium Bonnevie- Wedel-Jarlsberg gebildet werden. Bonnevie, eines der gemäßigten Mitglieder der Rechten und früherer Cultusminister, machte, wie bekannt, unlängst vergebliche Versuche, ei» Coalitionsministerium zu Stande zu bringen. In gewissem Sinne ist die Bewilligung des Budgets auch als eine Ver- trauenskundgebung für Stang aufzufassen. Letzterer hatte eindringlich die bedingungslose Bewilligung empfohlen, im Falle der Ablehnung würde die Negierung keinerlei Verant wortung aus sich nehmen und es ihr überbanpt unmöglich sein, die Geschäfte weiter wahrzunehmen. Im Lause der Verhandlung hatte der Radicale Blehr, Staatsminister im vorherigen Steen'schen Cabinet, den Ministerchef Stang gefragt, ob er Auskunft geben könne, wie die schwedische Regierung sich einer Verhandlung gegen über stellen werbe. Stang erklärte, zu einer solchen Auskunft nicht ermächtigt zu sein, er hätte auch keine Kenntniß darüber, er gab nur der Hoffnung Ausdruck, daß die schwe dische Negierung eine Verhandlung nickt zurückweisen werde. Der Radicale Ullmann wollte wissen, ob für den Fall, daß FeirNlet-ir Haus Hardenberg. 30j Roman von Ernst von Waldow. ' Nachdruck verdaten. (Fortsetzung.) Da ward die Thür leise geöffnet, Hardenberg'S hohe Gestalt erschien auf der Schwelle. Baleska eilte dem Gatten entgegen, sie fühlte sich in diesem Augenblick so schutzbedttrftjg, so erfreut über seine Heimkunft, Wie viel Schweres war über sie gekommen in der kurzen Trennungszeit! „O Wolfgang, wie gut, daß Du kommstI" Sie lehnte die heiße Stirn an seine Schulter, er ließ sie wohl gewähren, erwiderte aber ihre Liebkosung nicht, sondern sagte nur kurz: „Erlaube" — und schritt zu dem Lager der Kranken, an dem Friederike weilte und sich jetzt zurückzog, als sie den EiS Umschlag erneuert. Starr und verdüstert blickte Hardenberg auf daS entstellte Gesicht der Tochter, die er gestern noch lächelnd und heiler verlassen, dann sagte er mit gedämpfter Stimme: „Wenn dieses junge Leben eine Beute de« Todes wird, dann haben eS jene zu verantworten, die in sträflichem Leicht sinn den Räubern eS möglich machten, i» mein wohlverwahrtes Haus zu dringen." Ehe ValeSka eine Antwort fand, machte die Kranke eine Bewegung. Sie mußte durch die Laute der Männerstimme aus ihrer Lethargie erweckt wyrden sein, sie öffnete langsam die Augen. Doch kaum hatte Renate ihren Vater erkannt und eine» Blick auf dessen finsteres Antlitz geworfen, als sie heftig zu zittern begann und die Arme wie hilfesuchend nach ValeSka ausstreckte. Diese beugte sich über sie und suchte sie durch sanfte Worte zu beruhigen; doch mit schwerer Zunge, als koste daS Sprechen sie eine Anstrengung, lallte die Kranke: „Er soll fort — ich fürchte mich so — führe ihn fort — liebe Mama!" ValeSka machte ihrem Gatten ein Zeichen, er trat hinter die Gardine zurück, doch die angsterfüllten Blicke der Kranken folgten ihm und Renate beruhigte sich erst, als ihr Vater sich bis in die Fensternische zurückgezogen. ValeSka trat zu ihrem Gatte» und erzählte kurz, was Doctor Friedebach ihr gesagt und wie die ersten Krankheits erscheinungen am Morgen gewesen seien. Sie schloß mit den Worten: „DaS arme Kind muß in der Nacht überlang aufge- blieben sein, um die unfertigen Weihnachtsarbeiten zu vollenden. Jedenfalls hat Renate sich auch erkältet und ist dann durch ein Geräusch erschreckt worden. Ihre Nerven sind furchtbar erregt, sie fürchtete sich ja vorher sogar vor Dir, daß sie an allen Gliedern zu zittern begann." Hardenberg hatte seine Frau ruhig vollenden lassen, auch jetzt sagte er nichts, sondern stieß nur einen tiefen Seufzer aus. Dieser wortlose Kummer, seine Kälte ihr gegenüber sielen ihr peinlich aus. Freilich hat jeder Mensch seine eigene Art, Schmerz zu ertragen, und bisher hatte sie ihre» Gasten ja immer nur heiter und glücklich gesehen, eS war di, erste schwere Prüfung in ihrer fungen Ehe, Frau Sorge hatte an die Thür geklopft, und das ist ein schlimmer Gast, der gern lange weilt, wo er Wohnung genommen. „Wenn meine Gegenwart die Kranke erregt, werde ick mich gleich entfernen. Komm mit, ich babe mit Dir zu reden." „Aber ich möchte nicht von Renate fortgehcn", wendete ValeSka ein. „Friederike kann Dich so lange ersetze». Es handelt sich um Wichtiges." ValeSka wechselte einige Worte mit der Kinderfrau, dann verließ sie mit dem Gatten daS Gemach, um sich in ihr Zimmer zu begeben. Doch Hardenberg ließ sich nicht auf den kleinen Fauteuil, den sie ihm hinschob, nieder, sondern sagte in einem seltsam förmlichen, kalthosliche» Tone: „Nicht hier, bitte, gehen wir in Dein Toilettenzimmer." „In mein Toilettenzimmrr?" fragte die junge Frau erstaunt. „Ja, ja, entgegnete er ungeduldig und schritt voran, sie folgte ganz verdutzt. Vor dem Schranke, in welchem die Wertsachen verwahrt wurden, blieb er stehen, und sich zu ValeSka umwendend sprach er: „Du trägst ja den Schlüssel immer bei Dir, also öffne gefälligst." „Den Schrank soll ich öffnen?" „Allerdings — eS wird Dir ja bekannt sein, daß in der verflossenen Nacht ein Einbruch im Hause verübt worden ist." „Nun ja — im Cassenzimmer unten —" „Renate ist in ihrem, der Treppe näber liegenden Zimmer durch verdächtiges Geräusch erschreckt worden, auch hat Wellen berg, der allerhand Untersuchungen angestellt, Spuren von Männertritten aus dem Treppenteppich bemerkt. Friedrich will sogar in dem Glasgange rechts vom Treppen absatz, dessen Thür offen gefunden worden ist, kleine Psützcn gefunden haben, die er als zerronnenen Schnee bezeichnet, der Steinboden hat die Flüssigkeit nicht ausgenommen. Aus alledem stehst Du, daß die Idee nicht so ganz absurd ist: die Diebe könnten auch hier einen Besuch abgestattet haben." Vgleska schüttelte den Kopf: „DaS hätte ich hören müssen" — aber sie zog den Schlüssel hervor und öffnete den Schrank. „Du hast ja auch Dein Geld hier aufbefvahrt", fuhr Hardenberg fort, sie fest im Auge behaltend, „willst Du Dich nicht überzeugen, ob alles vorhanden ist?" Jähe Gluth flammte in Valeska'S Wangen aus — das Geld — das unselige Geld! Sie hatte eS in den letzten stunden völlig vergessen. Und gerade jetzt war am aller wenigsten DaS, was man einen günstigen Moment zu nennen pflegt, um ihrem Manne eine Mittheilung über das Vorge- sallene zu machen. Eine Nothlüge also. „Ich werde Nachsehen —" stotterte sie verlege». „Wie Du meinst", sagte er mit unverhohlenem Spotte, „eS ist auch wichtiger, daß wir uns zuerst von dem Vorhanden sein des FamilienschmuckeS überzeugen." Damit trat er zu dem Schranke, entfernte bedächtig die kleinen Etuis, die oben auf dem großen Schmuckkasten standen, und zog den letzteren hervor. ValeSka beobachtete diese- Treiben mit eigenthümlichen Empfindungen. Der Mann dort — ihr Gatte — kam ihr plötzlich so ",r°"dert, so fremd vor, al« sähe sie ihn heute zun, ersten Male. Eine Welt schied sie von dem reich gewordenen Handels- Herrn, der über dem Mammon, nach welchem eine DiebeS- hand sich ausgestreckt, daS eigene, todtkranke Kind vergessen konnte — wie war das nur möglich!" Hardenberg batte indessen den Schmuckkasten geöffnet — die prächtigen Steine warfen ihre funkelnden'Strahlen. Gleichzeitig ließ ValeSka ihre Blicke darüber schweifen und lneiiitc, nicht ohne Bitterkeit: „Nun wirst Du beruhigt sein, es ist ja Alles da." „Du irrst — daS Hauptstück fehlt — sieh her, die Nadel fehlt, der Platz ist leer." Erstaunt und beunruhigt sah ValeSka auf die ihr ange deutete Stelle und dann in das Gesicht ihres Mannes. Dasselbe war von unheimlicher Blässe, ein Krampf schien die mächtige Gestalt zu schütteln und in den Augen brannte ein düsteres Feuer. „Also doch — wahr! Ach, das trifft schwer!" rang cs sich wie ein Stöhnen von seinen Lippen los. Baleska hatte Alles vergessen, was sie eben noch so be fremdlich berübrt, dem Ausdruck dieses ungeheuren Schmerzes gegenüber fühlte sie sich unwillkürlich vom Mitleid hingerissen, und ihres Gatten Arm ergreifend, bat sie angstvosi: „Aber Wolsgang, so fasse Dich doch — ist denn dieser Verlust so groß und unersetzlich?" Er wehrte ihre Berührung von sich ab, wie etwas, vor dem man Grauen empfindet, dann erwiderte er, die Brauen zusammenziehend: „Ja, groß und unersetzlich, denn cs handelt sich um mehr noch als mein Lebensglück, um die Ehre meines Namens." „Ich verstehe Dich nicht." Achselzuckend wies er auf die leere Stelle, wo die große Brillantnadel seit Jahren gelegen: „Sie ist gestohlen — das mußt Du doch zugeben." „Freilich — wenigstens fehlt sie, obgleich ich gar nickt begreifen kann, wie der Dieb bis hierher gelangen konnte, und weshalb er dann nicht den ganzen Schmuck entwendet." „Der Dieb oder die Diebin wird jedenfalls Gründe dafür gehabt haben", sagte er mit unheimlichem Lächeln. „Last Du denn sicheren Verdacht auf irgend eine Person?" „Ja — ich sträubte mich anfangs dagegen — jetzt bin ich meiner Sache gewiß." Er blickte f«e an, so haßerfüllt, so voll Verachtung, daß sie unwillkürlich einen Schritt zurückwich. War der Manu dort denn neck im Besitz seiner Vernunft? Sein seltsames Gebahren erfüllte sie plötzlich mit banger Furcht. „Wolfgang!" rief sie erschreckt, „fasse Dich, sprich zu mir, warum schaust Du mich denn so sonderbar, so böse an, was habe ich Dir denn gethan?" „WaS Du mir getban, da fragst Du noch — ? Ach. ich vergaß, Du hofftest, daß Dein Verrath mir verborgen bleiben könnte, weil in der Regel der Ehemann solche Dinge zuletzt erfährt. Nu», diesmal hat der Zufall — oder die Vorsehung r-
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