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Mittwoch den 18. Lltober 1VI1 Nr. *»8 - Itl. Jahrgang »gch^nt ISsIt« ««»«. mit NuSnahme der Emm- und Fcll»a«e. Die Heit In Wort und Bild' vierieljdhrlich Dresden durch Bolen 2 40 In ganz Haus 2 82 in Oesterreich 4 4!» n. » ohne tllusirierte «eilnae dicrleliührlich 2». In Dresden durch Bolen 2,10 In ganz Deulschland frei Hau« 2,22 2<i in Oesterreich 4 07 L - Ltnzei Br. «0 4 »>saab« t mi» . Lu» I» Deutschland frei Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit. Recht und Freiheit Inserate werden die Ngespaltene Pelitzeile oo-r deren Nnun :pg >8 4, Reklamen Mil SO 4 die.-seile berechnet, bet Wiedelhoiun,», entsprechende» Rabatt, Buchdrnisrrei. Redaktion »>,d «ieschastSftelle, Dresden, PiNnitzer Strafte 4!t. ssernsprecher tistpk» AiirRiitkgnbe nnvertanat.echriststiichr keine tverdindlichkeU Redaktious-Lprechtiundet >1 bis >2 Uhr, !!»,,> ».. ... » , -> n n. 8porial-polr«kli'ön- unü IVlüir«ngö8l:käft vcsscjön-^., ^iri^sipasZs 26 Unhold Lekv Vikbok'irtütk'asso, ^6t»enüber' den l,snc1s1.snc1isoiivn kepsl'ril.ul'en unct ^lsu-^nssi's.tgunßkn ^Christentum und Arbeiterkampf.- n. Bon den» Expastor Göhre hat unser ?brtikelschreiber ge- wist schon gehört. Nun, Göhre führte einmal ans, dos; die sozialdemokratische Stellung zu der »vissenscliastlichen For- jchnnss über dar- Christentum und seine (Geschichte ungeheuer rückständig sei, und dns;, »volle ninn der Wissenschoft und ihreiik Stunde gerecht »verden, nichts übrig bleibe, cilS dns; ninn Christum eine Ausnahme von dem historischeil Mute- »ialiSinuS einräume! Bekanntlich must die rote Wissen- scl)ust »vegeu ihres historischen Muteriulisnins die »veltbe- herrschende Stellung (Lhristi leugnen, cOn liebsten gleich seine geschichtlick^ Existenz, und schreibt sie duher ullen mög- lichen Unsinn znsuniinen über die „Entstehung" des Ehristcntnnis - inun denke un .Kantskhs Muchlverke! - Du über ist dem Erpastor der Genvsse Mehring mit deii! Winke entgcgengetreteu, dast, »venn uran eine einzige Aus- nuhme znlusse, der ganze historische Muteriulisnins preisge geben sei, nnd dus gehe nicht un! DeShulb stellen »vir dem oberflächlichen Geschwätz unseres Munnes die Tutsuche ent gegen. dus; sserude »vegen deS historischi-n MuteriulisnulS und in dessen Holm' die Soziuldemokrutie zur Verwersung und Bekämpfung der Grundwahrheite» des Christentnins geztvungen ist! Schon zu »viederhollen Malen Huben »vir gesagt, dnst der historische MuteriuliSmnS, in dem die Genossen ein Licht zur Erforschung der Geschichte sehen, ein Irrlicht sei, dus sie in den Sumpf der Blamage und des törichtste» Ge schwätzes locke. Auch unserem Artikelschreiber begegnet die ses Malheur. Nicht der Religion, so sulbudert er, gelte der .(dumpf der Soziuldemokrutie, sondern den .Kirchen. WuS er nun von einer Kirche weist, ist »vunderbur. „Die Kircl>en sind historisch entstundene Organisationen, »vorin diejeni gen, die — sei es durch Wohnort, durch Abstammung oder als Klusse lü) zusummengehörten und gemeinsume In teressen hatten, zusainmengefasst »vurden." Offensichtlich hat dieser groste Gelehrte noch nicmuls dus Wort „katho- Iiscl>e" (tirche gehört oder gelesen, sonst wüsste er, das; du eine Kirche in dem Strom der Weltgeschichte steht, die un abhängig ist von dem Wohnorte, der Abstammung und der Klusse ihrer Angehörigen, sondern eine Weltkirche ist für die Menscljen aller Zeiten und Zonen, aller Russen nnd aller Klassen, und das; die Grundlage dieser Einheit nicht wirt schaftliche Klusseninteressen sind, sondern dus Evangelium Christi, dus sie aller Welt zu verkünden Hut. Aber den Gipfel der Weisheit erklimmt unser Mann, wo er seine Leser belehr» über den Kulturkampf. „Weil im Kulturkämpfe die Kirche als Organ des Arbeiterkumpses gegen die liberalen Kapitalisten anftrat, deshalb Huben ihr die Arbeiter so lange die Treue bcwuhrt." So wörtlich zn lesen am Anfänge des 20. Jahrhunderts fast l>0 Jahre nach dem Knlturkumpfe, wo man über denselben doch allmählich erientiert sein dürste! Wir Huben bisher gemeint, der Kul turkampf sei geführt worden, »in eine deutsche National- kirche uufznrichten, und die Katholiken hätte» diesen Kumpf geführt, »veil sie Eingriffe in ihr Gelvissen nicht dulden konnten, seht erfuhren »vir es anders! Nu» ist diese Dar stellung nnch nicht ohne Scherz. Und »vir möchten den Man», der sotunen Unsinn verbrochen, mul fragen, »venn nach seiner Schilderung die Kirche duinuls als Vorkämpfer gegen die kapitalistischen Unternehmer unstrut. warum sagen die roten Agitatoren dann dieser .Kirche stets nach, das; sie nichts für den Arbeiter gegen das .Kapital getan? Wir »vollen den» Manne für seinen Unsinn mildernde Umstände zubilligen, er hat offenbar die Geschichte betrachtet mit der Brille des historischen Materialismus auf der Nase und er hat nicht gemerkt, das; er ein dickes Brett vor dem Kopfe hatte. Schliestlich kommt aber nnch bei diesem Uebertüncher des sozialdemokratischen Religions- nnd Kirchenhasses der Pferdefnst znm Vorscheine. Denn auch er hetzt gegen die .Kirche. Dabei hat er einen glorios klugen Einfall. Man höre die unerhört weisheitsvollen Worte: „In jeder Kirche befinden sich jetzt Kapitalisten, Bauern und Proletarier nebeneinander. Tie Kirche kann nicht entgegengesetzte In teressen zugleich »vahrnehmen: sie tritt in den Dienst der einen Klasse gegen die andere, und fast ansnah»»sloS tritt sie für den Kapitalisten gegen die Arbeiter ein." Man merkt die Absicht!! Die .Kirche soll denunziert »verden als Schutztruppe des .Kapitalismus! Mau sieht aber auch, welche Verwüstungen in diesem Hirn der historische Mate- rialismuS angerichtet hat, das; der Mann meint, eine Ki>'- chengenieinschaft sei eine Vereinigung wirtschaftlicher In teressen! So sei ihm denn bedeutet, das; die Kirche eine religiöse Heilsanstalt ist und nicht eine Organisation zur Wahrung wirtschaftlicher Interessen! Das; damit sein gan zer Traum dahin fällt, liegt aus der Hand. Wenn er aber diese Kirche als Feindin des Volkes hinstellen will, so sei ihm das Studium der Kulturgeschichte empfohlen, damit er sehe, dah diese Kirche im Laufe ihrer Geschichte sich als die beste und erfolgreichste Vorkämpferin für das Wohlergehen des Volkes betätigt hat. Und nun zum Schlüsse, wie auch dieser rote Beschwich- tigungsrat zum Hast nnd zur Bekämpsnng der Kirche bläst. Mit der Miene des den tiefsten Problemen mit der aröst- ten Harmlosigkeit gegenüberstehenden Ignorante»' sagt er: ,Die christliche Religion, die sie (die Kirche) gegen uns ver teidigt, ist nichts als die Lehre der Solidarität der Aus gebeuteten mit den Ausbcn »er», ist die Lehre des Duldend, der Demut, des Bettels >n-d des Klassenverrates." Nein, Verehrtestvr, jo mag talmndistische Rabulisterei sprechen, nimmer Kennt»!, der Tatsachen. Die christliche Religion, sagt diese, ist dir Lehre der Solidarität des gan zen Menschengeschlechte., -er allgemeinen Menschen »ad Nächstenliebe, der starken, charakterfesten Persönlichkeiten, der Selbstbehauptung und der echten .Kultur, die sie vertei digt gegen die Barbani, die in der sozialdenwkratisclien Korruption der Massen »ich gegen sie in schmutzigen Wogen heranwälzt. Der italienisch-türkische Krieg. Bis jetzt sah es fast aus, als ginge die Türken, speziell in Konstantinopel, der ganze Krieg überhaupt nichts an. Eine geradezu charakterlose Apathie beherrschte die Menge, nnd wäre nicht die stolze nationale Haltung der Offiziers gewesen, man hätte glaube» können, der ganze einstige Na tionalstolz der Osmanen sei in die Brüche gegangen und ci» dem Untergänge geweihtes Volk erwarte slninpssinnig seine Anslösnng. Nur das Ofsizierkorps nnd mit ihm dis gebildeteren Kreise behandeln den italieniichen Porstos; mi» drin Ernste, der der Sache ja tatsächlich zukommt. Be kanntlich misst »am der Negierung nnd besonders dem letz ten Ministerium die Hauptschuld bei, nnd es wird das ent lassene Kabinett Hakki Pascha wegen all der offenkundigen Unterlassungssünden vor dem Form» des Parlamentes zur Verantwortung gezogen »verden. Man spricht ganz offen davon, das; es nnr aus zwei Gründe» in Tripolis so weit kommeil konnte. Entweder war die Regierung total un fähig und mit ihr der türkische Botschafter in Rom. denn sonst hätte man doch dort unbedingt von den italienischen Vorbereitungen Kenntnis haben müssen, oder aber es hat das alte Zauberwort „Baclschisch" »nieder einmal gewirkti und der türkische Geschäftsträger in Rom und mit ihm Hakki Pascha haben es vorgezogen, mit italienischen „Sub ventionen" für ihre finanzielle Zukunft zu sorgen . . . . Wen» das Volk so denkt, so ist es kein Wunder, das; die Er legung immer höher steigt; aber es ist so gut wie sicher, das; eine parlamentarische Untersuchung wenig Erfolg zeiti gen wird, denn das jnngtürkische Komitee wird seine Werk zeuge nnd das waren die Männer des letzten Kabinetts kaum der Bestechlichkeit nnd des Staatsverrates über führen lassen In diesem Moment zeigt sich »nieder einmal ganz deut, !ich die Verwerslichkeit der gegenwärtig herrschendeil Dop- pelregiernng. Tie bisherigen Ministerien waren alle nichts weiter als Marionetten des Komitees, die entfernt wurden, sobald sie einen eigenen Weg gehen wollte». Und das Volk lvurde mit hochtönenden Phrasen eingetnllt. In den letzten Tagen »nächst aber die Erregung riesig und sie wird ge schürt durch Versammlungen in allen Teile» des Reicl>es. Der Umstand, das; verschiedene Städte Freiwilligenkorpsl angeboteil haben, das; einige Nomadenstämine den Ruf nach dem heiligen .Kriege ertönen lassen nnd das; schliestlich immer mehr gekaperte italienische Schriffe eingebracht »verden hebt das Selbstbewusstsein des türkischen Volkes und jetzt ver langt man wie ei» Main» von der widerstrebenden Negie- :nng die Answeisung der Italiener. Teni Königreiche soll mit allen Mitteln Schaden .zugefügt »verden. Aber auch gegen Deutschland kehrt sich der allgemeine Unmut, denn inan wirst ihm eine zweideutige Politik vor, die der Türkei gegenüber heute nur deslnrlb Freundschaft heuchle, damit die deutschen Handelsinteressen nicht beeinträchtigt »verden. In hiesigen europäischen Gejchästskreisen verhehlt inan sich sich nicht, das; die nächste Zukunft weiiig Gutes bringen werde. Diese Kreise wissen ihrem heimischen Diplomaten wenig Tank dafür, das; die Diplomatie ihnen eine Suppe eingebrockt hat, die die Geschäftswelt nun ausesse» must. Ist doch die Situation heute eine solche geworden, das; man Europäermassakres wie etwas Unabwendbares erwartet. Der heilige Krieg scheint in der Tat im Hintertairde von Tripolis erhebliche Fortschritte '»> machen. Der Kon- stantinopeler „Sabah" zufolge sind der Mnssetaris von Fezzan, sowie Hauptmann Dschami mit Mann in Marokko. Tripolis und die deutsche Zukunft?) lRachdrua Verdvleii-I Das deutsche Volk von heute befindet sich in einer ganz eigenartigen Lage. Die deutsche Zerrissenheit, das alte Erbübel ist geheilt, die deutsche Frage ist also gelöst. Und doch, wohin wir sehen, eine tiefgehende Unzufriedenheit mit den bestehenden Zuständen, eine Miststimmung, ein hochgradiger Fieberzustand des ganzen Volkskörpers, wie das alles in der deutschen Geschichte »och kaum dage wesen ist. Es ist hier nicht meiile Aufgabe, alle» de» Ursacl>en dieses Krankheitszustandes nachznforschen, ich will nur die Tatsacl>e seines Bestehens feststellen und darauf Hinweisen, dast zweifelsohne in dem Umstande, das; im Deutscl)en Reiche eine zu groste Menscl»enzahl wohnt, die sich drängt und schiebt und von der oft der eine dem andern das liebe tägliche Brot streitig macht, eine der am meisten ins Auge fallenden Ursachen liegt. Man bezeichnet diese» Zustand als Uebervölkeruug. Und auch ich gebe zu. dast das Deutsche Reich übervölkert ist. Wenn ich nun aber doch die Folgerungen ablehne, die andere aus diesem Zustande ziehen und heute an allen Strasten und Enden predigen, so hat das seinen Grund darin, dast ich den Dingen tiefer nachspüre als jene Charlatane und hysteriscl-en Weiber, die ja erst vor kurzem »nieder in Dresden der breitesten Oeffent- lichkeit ihre Weisheit verzapft haben. Die Notwendigkeit einer Herabstinunung in der Ten denz der Volksvermehrung »vird aller Wahrscheinlichkeit nach auch für das deutsche Volk einmal kommen, heute aber *) wir veröffentlichen den un« zngegongenen Artikel, ohne zu dem Inhalt drssrlben Stellung nehmen zu wollen. Die Sied. verharre ich aus dem Standpunkte, das; das deutsche Volk, will es die ihm zugewiesene Stellung in der Weltkultur auch in Zukunft einnehmen, noch auf lange hinaus einen starken Bevölkeruugszuwachs braucht. Wer so wie ich jahrzehntelang in dem Weltkampfe zwischen Deutschen und Slaven mittendrin gestanden hat. der weis;, was ein Rückgang der Geburtenzahl bei unserem Volke bedeutet und der fühlt sich gedrungen, jenen leicht fertigen Reformern die Worte Fr. Lifts mit Posaunen- stinime in die Ohren zu schreien: „Dasjenige Volk, welches anderen vorwärtsschreitendcn Völkern gegenüber nicht gleichfalls wächst an Zahl lind innerer Bedeutung, ist un rettbar dem Untergange verfallen!" Ob dieser Untergang nun morgen schon i» Aussicht steht, oder ob er erst in einem Jahrhundert kommt, das spielt beim weiter schauende» Patrioten keine Nolle. Für ihn handelt es sich darum, die Zukunft seines Volkes nicht blos; auf heute und morgen, sondern auf Jahrhunderte hinaus festzustellen. Fortschrittlich von» Standpunkte der deutscl-e» Entwicke lung sind also wir allein, fortschrittlich im wahrsten Sinne des Wortes, »nährend jene bornierte moderne Gesellschaft uns zurücklverfen will in heidnisclie Zustände. Oder ist es vielleicht nicht l-eidnisch, wenn man die Heiligkeit der Ehe antastet, »venn man mit zerstörender Hand hineingreifen will in die von Gott gesetzte Ordnung?! Es ist demnach falsch, von einem Vevölkerirngsoptimis- mns »ind von einem Bevölkerungspessimismus zu reden. Wir sind nicht Optimisten, »veil »vir in einem weiteren raschen Wachsen der deutschen Bevölkerung nicht nur kein Unglück erkennen, sondern dieses rasche Wachstum als einen Segen für die Nation nnd als die naturnotwen dige Voraussetzung seines VorwärtskoinmenS unter den Völkern halte» Wir rechnen vielmehr nur mit realen Faktoren. Wir »vollen nicht, das; unser Volk den Weg »ach Frankreich wandelt, einen Weg, der die Franzosen selbst in einer kurzen Spanne Zeit vom ersten Volk der Welt in die dritte, vierte Reihe gebracht hat, so das; die Einsichtsvollere» der französischen Nation heute bereits an der Zukunft ihres Volkes verzweifeln nnd die jalschen Propheten verwünschen, die ihrem Volke die schlimmen Lehren der Neomalthnsianer gepredigt haben. Es gibt nun freilich eine Tendenz in der Entwicklung unserer reichsdentschen Bevölkerung, die den iogenannten BevölkeriingspessimiSmuS der Neomatthnsianei, der Mutter- schützler nnd wie sich diese gefährlichen Feind-- einer deutschen Zukunft sonst nenne» mögen, --inen Sct-ein des Rechtes für ihre Bestrebungen gibt. ES ist die Tendenz zur Zusammenballung der Bevölkerung in den groste» Städte» und Industriezentren; eine Erscheinung, die allerdings zn einer körperlichen und geistigen Entartung der betroffenen Volksschichten führt, welche lies bedauerlich ist und. wenn nicht schöpferische Mastnahinen dagegen ge troffen »verden, uns allerdings eine sehr trübe Zukunft irr Allssicht stellt. Im Jahre ILIO lebten ans dem Gebiete des Deutsche,» Reick>eü nach vorläufiger Schätzung rund Ob, Millionen Menschen (IKU, waren es rund 25> Millionen, 1870 4k Millionen). Diese dürre» Zahle» bestätigen also aufs offen kundigste die am Eingänge dieses Satzes mitgeteilte Tat sache, und da sich durchaus nicht annehmeu lässt, dast eine Aenderuug in dieser Entwicklung eintreten »verde, so müssen wir mit einer weiteren ständigen Abnahme dev ländlichen, mit einem weiteren »nverhältnismästigen An wachsen der städtiscl)cn Bevölkerung rechnen; d. h. also, dis