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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.03.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-03-26
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000326010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900032601
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900032601
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-03
- Tag 1900-03-26
-
Monat
1900-03
-
Jahr
1900
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Tie Mvrgen-IuSgab« scheint «» '/.7 Uhr, di, Abend-AnSgab« Wochentag» um b Uhr. NeLactio« und Erpeditto«; Johannis,afie 8. Di« irprdition ist Wochentag» ununtrrbroch« «,öffnet von früh 8 di» «brnd» 7 Uhr. Filiale«: Alfred Habt» vorm. v. klemm'» Lorti«. Unioersitüttstrahe 8 (Paultnum), LontS Lösche, »atharkuenpr. 14, Part, »nd König-Platz T Bezugs-Preis Dtz d« vanpUMdttton »der den lni Bücht« de,trt nnd den Vororten errichteten An»« -avestellen adgeholt: vierteljLhrltch^l-^O, vei zweimaliger täglicher Lnftellnng tn» Han» b^O. Durch di« Post bezogen für Liutfchlmch und Oesterreich: vierteljährlich S —. Direet» tägliche Krruzbaadirudung in» Ausland: monatlich 7.L0. Morgen-Ausgabe. MxzMr TllKMM Auzei^ett-Pr-r- . die e gespaltene Petiizeik ry Pstz. ' Reklamen unter demSüdactionsftrtch (tzpo» spalten) Üv^j, vor den Familien aachrii^ea (Sgefpaltra) 40/4. Großer« Schriften laut nufere» Preis- vrrzeichnlß. LadrÜarifcher und Zissernsa» nach höhere» Tarif. tzxtra-veilage» (grsalzt), nur uüt der borgen-Uasgabe, »ha« Postbesöcdenmg ^l SO.—, mit Poftbesv0«rnng 70.-. Anzeiger. ÄmLsvlatt des Königlichen Land- nnd Ämtsgerichtes Leipzig, des Mathes «nd Volizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. An»«h»eschl»ß fiir Anzeige«: Ab end-Ausgabe: vmanittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgab«: Nachmittag» »Uhr. vei den Filialen und Anuahnreft^l«» je «in« halb« Stund« früher. An-eigen find stet» an di« Ggpetztttnn Druck und Verlag von «. P»l, in Selpzttz. Montag den 26. März 1S00. 94. Jahrgang. SMtebil-er aus Sachse». vrimma. Nachdruck verdotrn. HI. Um die Mittr des 18. Jahrhunderts ward die Fabrikation von thönernen Tabakspfeifen in Grimma einge» führt. Den dazu geeigneten Thon fand man in der wüsten Mark zwischen den Dörfern Zeunitz, Kukeland, Groß- und Klein- Pöhig, sowie in der Nähe von Rochlitz. Von welchem Umfange die Fabrikation war, ersieht man daraus, daß von 1793 bis 1797: 1075 900 lange und 339 000 kurze Pfeifen gefertigt wurden; 1820 fertigten vier Fabrikanten 138 000 Stück; von 1821 ad wurden auch Schmelztiegel für Gold- und Silberarbeiter hergestellt, 1822 sogar 18 000 Stück. Die Pfcifensabrikation ward um 1850 eingestellt. AlS ältesten Nahrungszweig vieler Bürger muß man das Braugewerbe bezeichnen. Daffelbe muß ziemlich umfäng lich gewesen sein, denn beim Brande 1556 wurden 52 Brauhäuser ein Raub der Flammen, auch die noch vorhandenen zahlreichen Bierkeller um Grimma her weisen auf den ansehnlichen Umfang diese» Gewerbes hin. Zum Blühen ve» Braugewerbes trug bei, daß die in einem Umkreise von einer Meile gelegenen Dörfer und Städte vom 8. September bis 24. Huni ihr Bier aus Grimma entnehmen mußten. Dor dem Dreißigjährigen Kriege hatte dieses Gewerbe seinen größten Umfang, 1608 wurden 332; 1614: 315, 1618 : 303, 1623: 157 Bier« zu je 80 Tonnen gebraut. Während und nach dem unheilvollen Kriege verfiel das lohnende Gewerbe. 1646 wurden nur 147, 1694 : 87, 1710 : 94, 1740: 64, 1770: 37 und 1800: 53 Biere gebraut. Um dem ver fallenden Gewerbe aufzuhelfen, setzte der Rath mit den Brau berechtigten eine Brauordnung fest und berief einen fach kundigen Braumeister; aber eine gedeihliche Entwickelung in Folge dieser Maßnahmen ließ sich nicht erkennen; aus diesem Grund« entschloß sich 1821 die Braugenoffenschaft zur Ver pachtung ihrer Brauerei. Unterm 27. März 1838 ward der Bierzwang ausgehoben, dafür erhielt die Braucommune vom Staate eine Entschädigung von 1025 Thalern 11 Gr. In Folge der Aufhebung de» Bierzwangrs ward der Bierumsatz geringer, daher mußte auch die Pachtsumme ermäßigt werden; die fort gesetzten Reparaturen verschlangen fast die gejammte Pacht summe, so daß für die Brauberechtigten nur ein sehr bescheidener Betrag übrig blieb. Dieser Umstand bestimmte die Braugenoffen schaft, die Brauereigerechtigkeit nebst Brauerei zu verkaufen. DieS geschah am 2. Januar 1854, der Kaufpreis betrug 23 500 Thaler, dir Schankgerechtigkeit erkaufte der Rach für 1200 Thalrr. Jeder Brauberechtigte erhielt von den Braudeputirten für jedes auf seinem Hause ruhende Bier eine einmalige Ent schädigung von 40 Thalern. Von den Industriezweigen des Mittelalters und der neueren Zeit haben sich nur wenige bis zur Gegenwart erhalten; die Alles umgestaltende Zeit hat diese Nahrungszweig« mit umgestaltet oder sie sind verfallen. Die gegenwärtige Industrie Grimmas ist in folgenden Branchen vertreten. In erster Linie steht die Maschinenfabrikation, zwei Firmen beschäftigen sich mit Herstellung von Maschinen, und zwar Otto Hentschel, Maschinenfabrik, Kupferschmiedcrei und Kesselschmiede; dieses Unternehmen beschäftigt über 300 Arbeiter und ist neuerdings in den Besitz der Maschinenbau - Aktien - Gesellschaft Golzern- Grimnra übergegangen, ferner C. Neuberg, Maschinenfabrik und Kupferschmied«rei. Andere Industriezweige sind: Handschuh- und GlacHlederfabrikation von M. L P. Händel, Korbwaaren- fabrikation von Julius Tretbar, Seifenfabrikation von Paul Hahn. An bedeutenderen Betrieben sind noch zu nennen die Cartonnagenfabrik von Hermann Weißing, die Papierwaaren- fabrik von Julius Schiertz, Schirmstockfabrik von Rudolf vom Hau, Wäschereien von Mohr und von Dauer und zahlreiche kleinere Wäschereien, die Brauerei von Robert Frohberg und die umfängliche leistungsfähige Großmühle von Hermann Gleisberg. Von recht ansehnlicher Bedeutung sind die Handelsgärtnereien, die sich rings um Grimma her ausbreiten; die Landwirthschaft bildet noch heute einen guten Theil der Erwerbsthätigkeit bei der Bürgerschaft. An größeren städtischen Betrieben sind zu nennen die Hochdruck-Wasserleitung, welche nach den Plänen des Regierungsbaumeisters Gleitsmann 1898 erbaut ward. Die Pumpstation befindet sich zwischen Grimma und Groß-bardau an der Parthe, durch acht Rohrbrunnen wird das Wasser aus demselben Grundwasserstrome entnommen, dem auch Leipzig sein Wasser entnimmt. Mittels zweier Dampfpumpen wird das Wasser in den im Klosterholze circa 185 Meter hoch gelegenen Hochbehälter gehoben, von wo es bis zum höchsten Puncte der Stctdt fließt mit circa fünf Atmosvhären-Druck. Die Bausumme betrug 346 000 <F. Der Schlach.tzös, 1898/99 vom Baurath Bartholomö in Rummelsburg für circa 300000 c-^ erbaut, Umfaßt ein Kühlhaus, Anlagen zur Eis fabrikation, zur Sterilisirung nicht bankwürdigen und zur Ver nichtung verworfenen Fleisches. Die verschiedenartigen gewerblichen Anlagen bedingen inner halb der Stadt einen regen Verkehr, derselbe hat sich von Jahr zu Jahr gesteigert. Dies erkennt man recht deutlich, wenn man di« VeriehrSziffern des Postamtes Grimma vergleichsweise gegenüberstellt. Als Vergleichsjahre dienen die Jahre 1897 und 1888, die BerkehrSzsffern für 1888 sind in Klammern gesetzt. An Briefsendungen wurden 1887 aufgegeben 869900 (3557001; gingen ein: 954 200 (484 600); an Packe ten ohne Werthangabe wurden aufgegeben: 44 717 (21 944); Briefe und Packete mit Werthangabe: 4545 (3904); gingen ein ohne Werthangabe: 64 147 (40 399), mit Werth angabe: 4177 (3656); an Postanweisungen wurden ein gezahlt 43 583 mit 2 317 600 ctt (28 942 mit 1646000 -M, wurden ausgezahlt: 34 668 mit 1830 900 (21881 mit 961 200 <^). Die etatmäßigen Posteinnahmen beliefen sich auf 95 673 gegen 58102 im Jahre 1888. Faßt man die Verkehrsziffern der städtischen Spar kasse ins Auge, so geben auch diese ein recht erfreuliches Bild. Im Jahre 1888 betrug das Einleger-Guthaben von 13 325 Ein legern 5 914 615,97 1898 bei 15 057 Einlegern 6 549 472,30 Mark, -di« Summe der Aktiven 6000 923,27 gegen 6 958 832,40 im Jahre 1898. Der Reservefonds betrug 1888 : 282 389,59 <^, 1898 : 327 473,62 -F, außerdem noch ein Specialreservefonds von 32 989,76 in Summa: 360 463,38 Mark. Nach den Haushaltplänen von den Jahren 1888 und 1899 betrug vasVermögenderStadtGrimmaam Schluffe des Jahres 1886 : 2 072 707,81 ckt, 1898 dagegen 3 794 710,76 Mark. Ueber die Zahl der Einwohner liegen zuverlässige Nachrichten erst seit Anfang des 18. Jahrhunderts vor. 1701: 2123; 1772: 2627; 1791: 3008; 1801: 2971; 1810: 3311; 1820: 3544; 1830: 3933; 1840: 5037; 1852: 5438; 1864: 5982; 1875 : 7273; 1890 : 8957; 1895 : 9819, gegenwärtig aber über 10000. Ein Gang durch die Stadt und deren reiz volle Umgebung bietet deS Interessanten gar viel. Hier und da erblickt man noch die Ueberreste der ehemaligen Stadt mauer, die Weinbergsgasse erinnert daran, daß vormals um Grimma Weinbau getrieben ward, Grimmaer Wein wurde an den turfii.Etlichen Hof geliefert. Rings um die Stadt her führt eine schattige Allee, die ältesten Linden stammen aus dem Jahre 1755. Die Hauptkirche von Grimma ist die Frauenkirche, sie „ist ein einfacher Bau aus frühgothischer Zeit, an welchem aber di« Hauptsormen des damaligen Stiles recht deutlich zu ersehen sind". Im Jahre 1888 ist sie nach den Plänen von Möckrl und Schramm erneuert worden, seitdem bildet sie mehr noch als früher eine Zierde der Stadt. Wann sie erbaut ward, ist unbekannt, an ihre beiden schlairken Thürme knüpft M folgende Sage, die die Veranlassung zum Bau meldet. Die Sage wird von Crell also erzählt: „Es hat -mich ein wahr haftiger Mann, ein alter Rathsherr, berichtet und darneben on- gozeigt, wie zur Zeit, da der KaufmannShandel ist zu Grimma gawe;cn, zwei Kaufherrn allhier gewesen, nämlich zwei Brüder. Dieselben haben auch ihre Waare zu Grimma gehabt und sind hernach einst ausgereiset nach anderer Waare und Gütern. Da hat sic der Wind auf dem Meere verschlagen, daselbst sie ein Ge- löbniß gethan und verheißen, wenn sie ickieder frisch und gesund zu Lande und auch daheim kommen wurden, so wollten sie bei ihnen in unser lieben Frauen Ehre oder Namen eine Kirche bauen. Das ist hernach von ihnen auch geschehen, nach ihrer beider Ge- löbniß, wie noch die Kirche zu unser lieben Frauen zu sehen, und ist ihrer beider Name zum Gedächtniß auf einen Peraamentbrief geschrieben und zur Nachrichtung gestanden, aber er ist auch vor etlichen Jahren FeuerS halben verbrannt, wie denn die Frauen» kirche auch etliche Brände überstanden." Vor der Frauenkirche er hebt sich das Lu t h e rd e n k m a l, die Büste A nach der von Rietschel entworfenen bearbeitet und von Bierling in Dresden in Bronze gegossen. In neuerer Zeit ist -Grimma die „ Schulstadt d e S Muld enthalt»" geworden. Seine prächtige Lage, seine reizvolle Umgebung machen es in besonderer Weise Herzu ge eignet. DieS erkannte auch der scharfblickende Schulrath Köhler; er schrieb zu Ende der Dreißiger Jahre: „Die günstige Lage im romantischen Thal« des Mukdensirome» machen «inen mehrjähri gen Aufenthalt in Grimma mit seinen anmuthigen Lindenalleen, seinem reichen Quellboden, seinen Teichen, seinem großen Wald parke mit vielen romantischen Fernsichten, seiner gesunden Lust wohlgeeignet zur leiblich-geistigen Erfrischung nud Phantasie belebung der hier aufwachsenden jugendlichen Geister. Während auf der anderen Seite ein stilles, gewerb»thätigeS Leben der Stadt, das mit den Schattens«iten eine- großstädtischen Fabrik- wesenS nichts gemein hat, vor manchen schädlichen Einflüssen be wahrt." An Schulen besitzt Grimma zur Zeit eine Höhere Bürgerschule, sine mittlere und eine einfache Bürgerschule; an diese Volksschulen reiht sich dir Fortbildungs schule für Knaben an. Diejenigen^jungen Leute, die sich dem HaUdelSstande widmen, sind verpflichtet, dir vom Kaufmännischen Vereine unterhaltene Handelsschule zu besuchen; ferner besteht für junge Landwirthe eine private landwkrth- Die Löwenbändigerin. Novellette von M a r i e I m m i s ch. Nachdruck vlrbottn. Miß Ellinor, die Lrühmt«, vielbewunderte Dompteuse, iah in ihrem Salon träumerisch im Schaukelsttchl, als die Zofe Or. WrllS meldete. U-eberrascht fuhr die junge Dame auf. Einen Augenblick zögert« sie unschlüssig; Röche und Bläffe wechselten auf ihrem Antlitz. Sie nahm nie Besuche an, aber den Träger diese» Namens abzuweisen, vermochte sie doch nicht. „Ich lasse bitten", sagte sie; es klang ruhig und gefaßt, aber ihr Herz pochtesstitrker, und ihre Wangen waren wie von Rosen- gluth übergossen. Hastig erhob sie sich aus ihrer nachlässigen Stellung und raffte behutsam ein dickes, wollenes Tuch zusammen, das auf ihrem Schoß gelegen, und aus dem der Kopf eines kleinen, erst einige Wochen alten Löwen schläfrig hervorsah. Sie lächelte, als vr. Well» beim Anblick der gelben .Katze erstaunt zurückfuhr, und ihre schlanken Finger fuhren kosend über Stirn und Nase des seltenen Spielzeuge». „Ein reizendes Baby, nicht wahr?" sagte sie, das Thier in einen Korb legend und dem jungen Mann dann ihre schlanke, weiß« Hand zum Gruß bietend. „Lou ist mein Liebling, und er verkürzt mir manche Stunde. . . . Aber wie ernst Sie aussehen! . . . O, die herrlichen Rosen, wie köstlich sie duften! . . . Vielen Dank!" Sie beugte da» Antlitz Uber -die zaetrothen Blüthcn, die er ihr überreichte, und athmrte mit einem reizenden Lächeln ihren Duft rin. vr. Well» hatte sich auf ihre Aufforderung ihr gegenüber in einem Sessel niedergelassen, und sein Blick verfolgt« mit einem Ausdruck von Trauer und Entzücken jede ihrer graciöfen Be wegungen. Wie schön sie war! Ein einfache?, weißes Hauskleid umschloß ihre elegante, biegsame Figur; die röthlichblonden, seidigschimmern-den Haarmassen wurden am Hinterkopf mit einer Spange -auS Lapislazuli zusammen gehalten, und auf dem feinen, vdelgeschnittenen Antlitz lag -der Zauber froher Erregung. Auch vr. Well» war ein schöner Mann, groß und schlank, brünett, mit einem charaktervollen Antlitz und dunklen, ernsten Augen. Er war achtundzwanzig Jahre alt und das Leben hatte ihn bi» jetzt äußerst sanft und wohlmeinend behandelt. Er hatte Chemie studirt, und seine ZukunftShvffnungen gipfelten in der Uebernahme der großen Fabrik seine» verstorbenen VaterS, die ougrnbllcklich noch seiner Mutter gehörte und von tüchtigen Direk toren verwaltet und geleitet wurde. Er war «tn Sohn des Glücks und heute zum ersten Male war «r geneigt, da» Schicksal anzu klagen, da» ihn -wang, sein Herz mit starker Hand loSzureißen von einem süßen, nie zu erfüllenden Traum. Er liebte daS schöne Mädchen, da» ihn mit großen, glänzenden Augen erwartungsvoll ansah, leidenschaftlich; aber er war der einzige Sprössling seiner reichen, -angesehenen Familie, und die junge Löwenkönigin stand doch gänzlich außerhalb de» Kreise», in -dem ein Mann seine» Stande» sich eine Lebensgefährtin zu holen pflegt. Mit äusserster Selbstübrrwindung hatte er sich daher entschlossen, diese Liebe seinem StandeSgefühl zu opfern. „Ich bitte tausendmal um Entschuldigung, daß ich mir er laubte, Sie zu stören", begann er mit unsicherer, vibrirender Stimme, „ich vertraute darauf, daß man einem Scheidenden manche» derzrrht, und ich bin nur gekommen, um Abschied zu nehmen und Ihnen zu versichern, daß dir Stunden, die ich in Ihrer Näh« verleben durfte, mir unvergeßlich sein werden." Miß Ellinor war zusammengezuckt und die Roftnfarbe ihrer Wangen war einer auffallenden Blässe gewichen. „O, hoffentlich kehren Sie bald zurück, wenigstens, ehe ich selbst wieder weiter wandern muß", erwiderte sie dann. „Ich würde es tief bedauern, -wenn ich Sie nicht wiodcrsähr." Es war kein« Phrase, das verri-eth das leichte Zucken der rothen Lippen, der verschleierte Blick der sonst so klaren, tiefblauen Augen. Er sah es und sein Herz schlug heftig dabei. »Ich fürchte, es ist ein Abschied für immer, Miß Ellinor", sagte er gepreßt; „ich reise morgen nach Hause, nach einer kleinen Stadt im Gebirge, die völlig abseits von ver großen Ver- gnügungSstrassc liegt, wo man berühmte Künstler kaum dem Namen nach kennt und wo das Leben Tag für Tag gleich mäßiger, spiessbürgerlicher Arbeit gewidmet ist." Sie schwieg ein Weilchen. Es war ganz still im Zimmer, und Jeder glaubte, der Andere müsse seinen Herzschlag hören. Miss Ellinor, di« heimathlose Fremde, die nie das Trennungsweh gekannt, weil sie nirgends etwas Theures zurückließ, begriff auf einmal den Sinn des Wortes „Scheiden", und sie hätte nie ge glaubt, daß er so schmerzlich wäre. „Wissen Sie auch, daß ich Sie um -die Ruhe und den stillen Frieden eines solchen Lebens beneiden könnte", entgegnete sie endlich leise. Sie -hatte ihre Fassung Widder gewonnen, aber das strahlende Lächeln war verschwunden, und auf dem jugend schönen Antlitz lag plötzlich ein müder, trauriger Ausdruck, den Or. Wells nie zuvor bemerkt -hatte und der ihn seltsam ergriff. „Es muß schön sein, ein „zu Hause" zu -haben", fuhr sie nachdenk lich fort, „und wäre es auch auf dem entlegensten Erdenwinkel. Wir kennen diese Vorzüge des bürgerlichen Lebens nicht, und was wir dafür besitzen, ist nicht geeignet, diese Lücke auszufüllen." „DaS sagen Sie?" „WeShalb sollte gerade ich dies nicht empfinden? Oder halten Sie mich für so oberflächlich und gedankenlos, um an dem flüchtigen Beifall einer cnthusiasmirten Menge volles Genügen zu finden? O ja, es giebt Stunden des Triumphes, die schön und berauschend sind, aber die Ernüchterung folgt nur zu schnell, und dann — wenn heute mein« Kraft versagte, wer würde einen Monat später noch nach mir fragen? Ein paar kurze Wochen, uns ich bin vergessen, ohne eine Lücke zu hinterlassen. Der Strom d«S Neuen rauscht darüber hinweg. Wer fragt nach unserem persönlichen Wohl und Wehe? Genug, -wenn nur die Schaulust deS Publikums befriedigt, die Taffe de» Unternehmers gefüllt wird. DaS ist der Kern der glänzenden A«ußerlichteiten, um die nur Thoren unS beneiden." Sie -war aufgestanden und ans Fenster getreten. Auf den Simsen flimmerte der Schnee unter den matten Strahlen der Wintersonne und er schien Miß Ellinor zu blenden, denn ihre Augen hatkn plötzlich einen merkwürdig feuchten Glanz. Or. Mell» verwandte keinen Blick von ihr. O, Vie er sie liebte! Sie schi«n ihm näher gerückt durch dies« Offenbarung eine» tiefen, sonst streng verborgenen Empfinden». Er erkannte nur zu wohl die Wahrheit ihrer Worte, und zu der Liebe gesellte sich plötzlich ein tiefe» Mitleid, ein zärtliches Erbarmen. E» drängte ihn, sie an sein Herz zu ziehen und ihr dort eine Heimath zu bieten; aber «r bezwang sich, und wie zur Abwehr gegen seine Empfin- düngen rief er sich gewaltsam oll die Bedenken und Erwägungen in» Gedächtniß, die seinen Entschluß, abzureisen, hervorgerufen hatten. Neben den Lästerzungen, dem höhnischen Achselzucken der Philister, tauchte da» Bild seiner Mutter vor ihm auf, mit den streng bürgerlichen, zuweikn etwa» nüchternen Anschauungen und den Plänen, die sie in Bezug auf seine dereinstige Gattin für ihn hatte. Wa» würde die gütig», aber stolz« Frau zu einer solchen Tochter sagen? Heiß stieg e» in ihm auf. Hastig erhob er sich. „Sie dürfen nicht so denken, nicht so spr«chen, Miß Ellinor", sagte er. „Welcher Beruf hätte nicht seine Schattenseiten! Eins peinigt mich allerdings, der Gedanke an die schreckliche Ge fahr, in die Sie sich tagtäglich begeben. Ich gäbe viel darum, wenn ich Sie davor bewahren könnte." Sie lächelte schwach. „Ich -fürchte mich nicht und die Gefahr ist auch nicht so groß, als man gemeinhin annimmt. Die Thiere sind an mich gewöhnt, und ich habe immer gefunden, daß diese Freunde die anhänglichsten sind. Sie enttäuschen weniger und man lernt vor allzugroßer Empfindsamkeit auf der Hut sein, klebrigen» habe ich einen Talisman, der mich schützt." Und als er sie erstaunt und fragend ansah, fuhr sie fort: „Haben Sie nie bemerkt, daß Menschen, Vie völlig losgelöst sind von allen Banden des Herzen», die Niemand fehlen würden, wenn sie vom Schauplatz deS Lebens verschwänden, durch eine seltsame Laune de» Geschicke» geradezu gefeit erscheinen? Nun wohl, ich gehöre auch zu diesen, und deshalb kann ich über die Gefahren, die Sie fürchten, lächeln." Sie sagte es ganz ruhig, ohne eine Spur von Empfindung, als wäre diese traurige Weisheit etwa» ganz Selbstverständliches; aber gerade deshalb schnitt es ihm ins Herz. Er fühlte, daß es höchst« Zeit wurde, zu gehen. „Ich kann Ihre Worte nicht ernst nehmen, Miss Ellinor", sagte er„Sie wissen wohl, daß es Viele giebt, die Sie aufrichtig lieben und verehren, und ich hoffe, Sie werden mich immer zu diesen zählen. Wo ich auch sein werde, ich weide Sie nie ver gessen. Doch jetzt leben Sie wohl, mögen Sie glücklich werden!" Er ergriff ihre beiden Hände und preßt« sie leidenschaftlich an sein« Lipp«n. „Muß es sein?" klang es leise. Wie rin Hauch, an sein Ohr. „Ja, es muß sein", gab er zurück; dann schritt er zur Thür. Marmorblaß sah sie ihm nach, einen unendlich traurigen, hoff nungslosen Au-druck in den wunderbaren Augen, deren be- zwingend«n Blick er fühlte. Zaudernd, wie -einer übermächtigen Gewalt gehorchend, wandte er sich nochmals um; ein paar Se kunden sahen si« sich schweigend an, und dann — lagen sie sich plötzlich in den Armen. Dergessen war Alles, was ihm soeben noch als unüberwind liche Schrankt erschienen. WaS -war ihm in diesem Augenblick die Meinung der Welt, was die Hoffnung, di« Pläne seiner Mutter, die Anschauungen, in -denen er groß geworden! Er sah nur da» süße Ankliß, hörte die bestrickende, lieblich« Stimm« und er wußte nur «in», daß er dieses Mädchen nie wieder lassen konnte, mochte kommen, was da wolle. Nicht umsonst nannte man sie eine Fee, «in« Zauberin; si« hatte eS erneut bewiesen, und er war entschlossen, sich fortan ihrer Macht zu beugen. „Ich kann «S noch gar nicht fassen, daß Du mein sein willst", sagte er dann, daS lockig« Haar au» ihrer Stirne streichend und sie entzückt betrachtend; „aber, weißt Du auch, daß dies für Dich ein LoLlösen bedeutet von Allem, wa» bi» jetzt Dein Leben aus füllte? Großer Gott, ich mag nicht daran denken, daß Du, wenn auch nur für kurze Zeit, immer wieder den gräßlichen Gefahren diese» unheimlichen Berufe» ausgesetzt sein sollst. Ich weiß wohl, daß Du nicht von heute auf morgen alle Deine Der- Pflichtungen einfach über Bord -werfen kannst, aber ich werd« keine ruhige Stunde mehr haben, ehe Du frei davon bist. Siehst Du nicht selbst ein, daß auch Dein angeblicher Dalikman nun seine Macht verloren hat?" „ES mag sein, ja", erwiderte sie langsam und nachdenklich, während ihr Blick wie nach innen gekehrt war. Wie durch einen Nebel hindurch stieg schemenhaft eine grauenhafte Möglichkeit vor ihr auf. Einen Moment schloß sie die Augen. Mitten in dem heißen Glvck»gefühl ihr«» Herzen» überlief e» ste wie Schauer de» Tvde». „Hüte Dich vor der Liebe", hatte ihr einst eia« Zigeu- airia gesagt und »t« «tn Unkenruf tönten ihr plötzlich dies« Wort« wieder in» Ohr. Damals hatte sie darüber gelächelt, warum konnte si« es nur in diesem Augenblick« nicht? Aber dann faßte sie sich gowaltfam. „ES wird noch einen hatten Kampf mit Mr. Roland und Signora Bevan geben", sagte sie; „sie werden mich ungern scheiden sehen. Mr. Roland hat sich meiner an genommen, al» ich noch ein Kind war; aber ich glaube, daß ich meine Dankespflichten ihm gegenüber längst «ingelöst habe. In jedem Falle muß sich «ine Lösung finden. Außerdem bin ich großjährig und in einigen Monaten geht mein Contract zu Ende. Doch laß uns heut« wicht daran denken. In dieser Stunde wenigstens möchte ich alle Sorgen bannen, möchte ich einzig und allein glücklich sein." Mr. Roland, der Eigenthümrr der afrikanischen Löwen, die Miß Ellinor in den VariStSS der Großstädte al» begehtttste Glanznummer dem Publicum verführte, war außer sich, al» dir junge Dame, ihn von ihrer Verlobung und -der damit ver knüpften Veränderung ihrer Lebensstellung in Kerrntniß setzte. Er hatte daS verwaiste Mädchen von ihrem neunten Jahre an systematisch zur „Löw«nkönigin" -herangebildet und wußte wlchl, daß ihre Schönheit und ihr Muth »en HauptanzwhungSpunct seines Unternahm«!,» biLdete. Er bot fein« ganze UeberrÄungS- kunst auf, um sie in ihrem Entschlüsse wankend zu machen. „Du kennst daS Leben zu wenig und weißt nicht, welchen Enttäuschungen Du entgegen gehst", s^te er. „Unser Stand ist nun einmal von dem gewöhnliche» Philistetthum durch «ine Kluft getrennt, und e» führt selten ein« dauerhaft« Brück« hinüber. Du bist viel zu stolz, um die Nadelstich«, ja, di« Mißachtung, mit der man dort möglicher Werse auf Dich h«rabsähr, «lassen zu ertragen. Und auch der Mann, der e» wagt«, ein Mädchen Deines Standes in bürgerliche Atmosphäre zu verpflanzen, würde dies büßen müssen. Ich kenne diesen KasteNdünkrl zur Genüge, er kann tödtlich verletzen." Noch m«hr als Mr. Roland war sein Neff« und Geschäft»- leiter, Signor Bevan, von Miss Ellinor'» Verlobung nieder geschmettert. Er verlor in ihr nicht nur den ersten Anziehung»-j punct, die nie versagende Goldquell« seine» Geschäfts, sondrrn' auch daS Mädchen, das er anbctete und um da» er schon lange vergeblich geworden hatte. Seine Zorn und seine Verzweiflung waren daher doppelt groß. Doch an einer starken Liebe scheitern sowohl Lockungen al» Drohungen. Wohl gelang r» Mr. Roland, mit seimn klug g«-' wählten Andeutungen, Ellinor'» glückliche Zuversicht zuweilen zu trüben und ihr Stunden der Sorg« und des Zweifel» zu bereiten, aber immer wieder überwand sie dieselben. Sie rief sich das ernste, charaktervolle Antlitz de» Geliebten vor Augen, und sie sagte sich, dass Niemand e» wagen werdr, ihn geringer zu schätzen, weil er seine Gattin außerhalb de» Kreise» bürgerlicher Ansprüche gewählt. Sie konnte stolz und frei den Blick erheben, kein Makel haftete an ihr. Sie hatte sich rein erhalten in der dunstigen Atmosphäre, in die das Schicksal, nicht ihr Wille, fi« geworfen. Hatte sie nicht ein Recht, glücklich zu sein? Richt» sollte ihr die» verkümmern. Nichts. Und doch übirritsrltr sie jrtzt oft «in leise» Beben, wenn sie daran dachte, daß ihr TockiSman nun hin- fällig geworden, dass e» Jemand gab, der für st« bangte und dem sie theurer war, als sein eigen«» Leb«n. Or. Wells war schon am Abend de» Tages, der in sein und Miss Sllinor'S Loben «in« so bedeutsame W«Ndung gebracht hatte, abgcreist. Er gehört« zu den M«nschen, die etwas Unangenehm,» nie verschieben, sondern e» so schnell al» möglich hinter sich haben wollen. Daß eS nicht ohn« Kampf abgeh«, wenn s«ine Mutter die Thatsach« seiner Verlobung erfuhr und er ihr Miß Ellinor al» Tochter zuführen wollt«, dessen könnt« er sichrr sein.
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