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KikdmfferNgeblÄI Fernsprecher Wilsdruff Nr. 6 Wochenblatt fÜs Wilsdruff UNd ^lMgegLN- Postscheckkonto Dresden 2640 Inf«rtton»pr«>» MI. für die 6 gespaltene K»cpu»,-lle oder deren Naum, Reklamen, dl» r st>«M«e «»rpuö^il, IM. Bel Wiederholung und Iahregaustrag entsprechender prelanachlaß. Bekanntmachungen lm amtlichen Teil <nur »»« Behörden) die r gespaltene Korpu»zr!lr DI». Nachwelsunga-Gedühr pfg. Anzeigenannahme dl« »ormittag« 1« Uhr. Für die Rlchtigkeli der durch Fernruf übermittelten Anzeigen übernehmen wir keine Garantie. Feder Rabatt anspruch erlischt, wenn der Betrag durch «läge -Inge,»gen werden muß »der »er «uftra„rb»r in «»nkur« «er«. IahreiS4i Dieses Blatt enthält die amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft Meißen, des Amtsgerichts zu Wilsdruff, des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nassen. Berl-aer »ud Drucker: Arthur Zschunke in Wil-drnff. Verantwortlicher Schriftleiter: Herman« Lässig, für de« Inseratenlell: «r«h»r Ssch««»,. »eid« t« WU-dr-ff. 82. Jahrgang. Nr. 91. Dienstag / Mittwoch 7. / 8. August 1923 Erscheint seit arscheln» bi» auf wetirre« nur Montag», Miiiwoch» u. Frrllag« nachmittag» r Uhr für den felgenden Tag. 2-zug«prei« bei «elbstabholung monailich Ml., durch unsere «u»lr<Iger zugettagen in der «iadi monatlich Mk., auf dem Land« MI., durch die Post bezogen viert-ljührlich Mk. Mil Iustellung»gebühr. »Ne Postanstalten und Postboten sowie unsere Austräger und Sekchästssteste nehmen jederzeit Bestellungen entgegen. Fm Falle häherer Sewall, Krieg oder sonstiger Betriebsstörungen hat der Bezieher leinen Anspruch auf Lieferung der Zeitung oder Kürzung de» Bezugspreise». Kleine Zeitung für eilige Leser. * Die Gewerkschaften und die Eisenbahner des Ruhrgebiets haben in neuen Kundgebungen abermals erklärt,-aß sie auf den passiven Widerstand unter keinen Umständen verzichten wollen. * Die kleinen Stücke der Goldanleihe sollen nach 12 Jahren nicht mit 50 A, sondern mit 70 A Aufschlag zurückgezahlt werden. * Das englische Kabinett will angeblich noch einen aller letzten Versuch machen, die Alliierten zur Absendung einer ge meinsamen Note an Deutschland zu veranlassen. * Wie verlautet, hat sich Mac Kenna entschlossen, das Schatz- kanzleranit nicht auzunehmen, sondern seine Tätigkeit in der City bcizubchalten. * Die belgische Regierung gibt ein Graubuch über den letzten Schriftwechsel mit den Alliierten seit dem Januar heraus. * Der neue amerikanische Präsident Coolidge erklärte, daß er die Politik Hardings in allen Stücken fortfetzen werde. Das wirkliche Ziel. Warum hat eigentlich Poincar 6 , hat Frankreich sich so heftig gewehrt gegen eine Veröffentlichung der englisch- französischen Verhandlungen? In seinen zahlreichen Reden, vor allem in seinen Befehlen und Taten hat Poincard doch deutlich genug gezeigt, was er will, welche Ziele er sich ge setzt hat. Darum bieten die Veröffentlichungen, die nun in Paris eine nach der anderen als Gegenschlag gegen die englischen Anfragen erfolgen, gar nichts wesentlich Neues, nicht ein mal das Neue, daß aus ihnen die Ablehnung jedes eng lischen Versuches aufs klarste sichtbar wird, das Reparations problem und speziell die Ruhrfrage von der Stelle zu brin gen. Am 14. Juni, also acht Tage nach Eintreffen der deutschen Note, hatte der französische Botschafter in London von seiner Negierung Instruktionen erhalten, die er am 6. Juli abschriftlich Lord Curzon als Antwort auf den englischen „Fragebogen* überreichte. Sie werden jetzt ver öffentlicht von Paris aus. Ebenso die französische Antwort note vom 30. Juli. Wie gesagt, wesentlich neues enthält diese Antwortnote nicht. Ausgangspunkt ist die Erklärung, daß — eigentlich — jede Erörterung der Ruhrfrage überflüssig ist, weil der belgisch-französische Standpunkt klar sei: Räumung nur nach Maßgabe verdeutschen Zahlungen. Und jede Verhandlung hierüber erst nach Einstellung despassi - oen Widerstandes. Dann werde Frankreich „bereit sein, in unserer Besetzung die Abänderungen zu treffen, die wir mit der Sicherheit unserer Truppen und der Ingenieure, sowie mit der des Pfandes, das wir in Händen hatten, ver einbaren können*. Wir sollen also unseren Widerstand auf geben, für die Franzosen und unter ihnen schuften und er halten dafür — nichts. Denn bekanntlich wird ja auch jetzt alles, was an Raub, Mord und Plünderung im Ruhr gebiet geschieht, mit der Sorge für die „Sicherheit der Truppen* usw. begründet. Das dürfe auch wohl dem ver- stänvigungssüchtigsten deutschen Auge den Star stechen. Aus drücklich sagte auch jene französische Note, daß „die Ein stellung des passiven Widerstandes im voraus erfolgen müsse und mit ihr keine gleichzeitigen Vorteile verbunden werden können* und noch deutlicher, „daß Frankreich mit der deutschen Regierung erst in Verhandlung treten werde, wenn diese zunächst die notwendigen Anweisungen erteile, damit der passive Widerstand aufhöre*. Das habe man eben in Brüssel beschlossen, und England dürfe nicht darauf Hof- fen, ja nicht einmal verlangen, daß man davon abgehe. Man fordert von uns also einfach, rund und nett: glatte K a - pitulation — um sich aber auch für die Zeit hernach zu gar nichts zu verpflichten. Nur ein doch immerhin wertvolles Zugeständnis ent hält die Veröffentlichung. Bekanntlich hat Frankreich hun dertmal versichert, es sei ins Ruhrgebiet einmarschiert, um sich „produktive Pfänder zu holen", um sich bezahlt zu machen. Jetzt wird das Ziel deutlicher gezeigt: es handele sich nicht darum, die sofortige und vollständige Reparations zahlung zu suchen. Man habe sich nicht darüber getäuscht, daß man mittels der Besetzung die notwendigen Summen nicht herausholen könnte. Nein, vor allem habe man durch die „Pfandnahme* endlich in Deutschland „den Willen zum Zahlen schaffen*, habe „den wirtschaftlichen und politischen Organisationen des Deutschen Reiches eine solche Verlegenheit bereiten wollen, daß sie die Aus führung des Versailler Vertrages schließlich den Behinde rungen vorziehen würden". Und daß dies bisher nicht ge lang, daran sei die Uneinigkeit der Alliierten schuld. Aus gut Deutsch — denn Französisch sprechen ist gleich mit lügen, um ein Shakespeare-Wort modern zu variieren — heißt's also: „Wir sind ins Ruhrgebiet eingedrungen, um alles, wirtschaftlich und politisch, durch- einander zu bringen, im besetzten wie im unbe setzten Deutschland, es aus den Kopf zu stellen, gleichgültig, ob wir dabei etwas für unsere Reparationsforderungen bekommen. Das kommt erst in zweiter Linie. Die Haupt- kgche ist, Deutschland politisch und wirtschaftlich in die «ine zu zwingen, vts es uns „aus der Hand frißt", wie sich — allzu deutlich, aber richtig — einer unserer Generale in Bochum ausdrückte." Bei diesem eigentlichen Ziel Frankreichs ist es auch gar nicht absonderlich, daß es alle Wünsche und Vorschläge Englands über eine vernünftige Regelung der Nepara tionsfrage glatt ablehnt, soweit sie von wirtschaft lichen Erwägungen ausgeht. Der Reparationsplan vom Mai 1921, das sogenannte Londoner Ultimatum mit seiner Neparationssumme von 132 Goldmilliarden bleibt, irgend eine Neuregelung wird zurückgewiesen, es sei denn, mau erlasse Frankreich seine eigenen Kriegsschulden, di« es übrigens gleichfalls nicht bezahlt. Abgelehnt wird ferner die englische Anregung, eine unabhängige inter nationale Sachverständigenkommission zur Prüfung dei deutschen Wirtschaftslage und Zahlungsfähigkeit einzu setzen. Das könne die Reparationskommission, bzw. dai Garantiekomitee, ebensogut besorgen. Von der Ler süd afrikanische Ministerpräsident Smuts neulich sagte, das sie nichts anderes fei als ein Ableger des französischen Aus wärtigen Amtes. Das alles war schon vorher bekannt; neu ist also nu die freiwillige Enthüllung des Zieles der Ruhrbesetzung Wir kannten es, geben uns darüber keiner Täuschung hin Baldwin „wollte nicht daran glauben", daß Frankreich nicht wegen der Besitznahme von „produktiven Pfändern« ins Ruhrgebiet marschiert sei. Es steht doch aber in der sranzösifchen Note in klaren, dürren Worten drin! — Der „Manchester Guardian" hat wirklich recht, wenn er schreibt, daß die englische Regierung „überhaupt keine klare Politik habe". Beschlagnahme von Ruhrwerken. Eine neue Verordnung Degouttes- Gcneral Degoutte hat eine neue Verordnung über die Beschlagnahme von Industrien,erken herausgegeben. Wenn das Deutsche Reiche seine Lieferungen von Brennstoffen nicht ausführe, dann könne die Jnterallierte In- genieurkom Mission von den Gruben und den ange schlossenen Werken Besitz ergreifen, desgleichen von Roh stoffen und Vorräten. Letzteres ist ja schon im reichsten Maße geschehen, neu in dieser Verordnung ist jedoch, daß die be- schlagnahmten Werke von der Interalliierten Jngenieurkom- mission selbst oder von Konzessionierten betrie- ben werden könne. Es scheint, daß die Franzosen auf Grund dieser Verord nung zunächst die Betriebe über Tage, die Kokereien und fo weiter, in Betrieb nehmen wollen. Sie werden dabei aber auf große Schwierigkeiten stoßen, da vor allem die nötigen Kohlen fehlen. Ferner droht Degouüe, im Weigerungsfälle würde das deutsche Personal durch Franzosen ersetzt werden und die Wohnräume bezogen, die das deutsche Personal be wohnt hat. Weitere An "rssungen. Angehörige der Reick)!.-Post- und Telegraphenver waltung wurden von den Besetzungs- und Einbruchs truppen bis Ende Juli verhaftet in 421 Fällen, aus gewiesen in 448 Fällen, aus den Wohnungen verdrängt (ohne Ausweisung) in 33 Fällen, mißhandelt in 26 Fällen und verurteilt in 204 Fällen, und zwar zu zu sammen 81 Jahren 1 Monat 9 Tagen Gefängnis sowie zu 246 582 300 Mark und 2150 Frank Geldstrafe. Ein belgisches Graubuch. Um den passiven Widerstand. Wieder einmal sind wir, wie es vor dem Kriege üblich war, in eine Periode der bunten Bücher eingetreten, in denen offizielle politische Dokumente veröffentlicht zu werden pflegen. Nach dem Beispiel Poincarss hat die belgische Regierung die beiden wesentlichsten Dokumente aus den letzten Reparationsverhandlungen, nämlich ihre Antwort auf den englischen Fragebogen vom 13. Juli und die belgische Entgegnung auf den englischen Antwort entwurf vom 30. Juli, veröffentlicht. Sie hat gleichzeitig die Veröffentlichung eines Graubuches beschlossen, das alle diplomatischen belgischen Dokumente und Studien seit dem letzten Januar enthalten soll. Die belgische Me morandumantwort aus den 13. Juli beschäftigt sich in der Hauptsache mit der Frage des passivenWider- stand es. Sie entwickelt vier Bedingungen, die erfüllt sein müßten, damit der passive Widerstand nach der Auffassung der belgischen Regierung als eingestellt gelten könne: 1. Sei eS hierzu notwendig, -aß die Reichsregierung all« Verordnungen, Erlasse und Instruktionen zurück ziehe, die nach dem 11. Januar ergingen. Die belgisch« Negierung erklärt in diesem Memorandum, sie sei nicht ge neigt, die Reparationsfrage zu besprechen, während die Bewohner oder Gruppen von Bewohnern des Ruhrgebietes oder anderer besetzter Gebiete sich weiterhin weigern, für die Besatzungsbehörden zu arbeiten. 2. Die Einstellung des passiven Widerstandes darf nicht ijlei^oeocurenv ars aritve Mitarbeit der deut schen Bevölkerung an den Maßnahmen der Besatzungsbchör-cn betrachtet werden. Es ist genug, wenn -ie Bevölkerung dir genannten Maßnahmen nicht hindert. 3. Die belgische Regierung ist der Ansicht, daß die Folgen der Einstellung des passiven Widerstandes die sein werden, daß eine gewisse Anzahl Gefangener oder ausgewiesener Per sonen begnadigt oder zur Rückkehr ermächtigt würden. Die verschiedenen Fälle würden individuell nachgeprüft werden und dürsten niemals zu einer Amnestie für Gewalt- oder Sabotageakte gegen die Besetzung führen. 4. Die Einstellung des passiven Widerstandes im Sinne der belgischen Negierung wird unzweifelhaft zur Folge haben, daß die Natur der Besetzung geändert wird, um ihr einen weniger militärischen Charakter zu geben und sie auf die Maß nahmen zu beschränken, die der deutschen Regierung am 10. Januar notifiziert worden sind. Die belgische Antwort auf den englischen Entwurf für eine Antwortnote an Deutschland beginnt mit der Erklä rung, daß Belgien von dem Wunsche beseelt ist, die Repa rationsfragen gemeinsam mit den Alliierten zu regeln. Die belgische Regierung suche eine praktische und vernünf tige Lösung dieses schweren Problems im Rahmen Les Versailler Vertrages zu erreichen. Es sei notwendig, daß die besonders vom Kriege heimgesuchten alliierten Länder eine Erleichterung erhalten, derjenigen entsprechend, die man eventuell Deutschland gewähren würde. Zu diesem Zweck, wird in der belgischen Note ausgeführt, müßte man zwei Mittel ins Auge fassen: 1. Die Annullierung der Ver bandsschulden und 2. die Priorität für die zerstörten Ge biete. — Nach diesen wichtigen belgischen und französischen Veröffentlichungen wird man dem englischen Blau buch mit besonderer Spannung entgegensehen. England und -ie Ruhrfrage. Die Reden Baldwins und Curzons. - In seiner ersten Rede im Unterhause hat Baldwin eigentlich nur einen historischen Rückblick gegeben, und das einzig Interessante in seinen Ausführungen waren Wohl die Angabe«! über den Entwurf einer Note, die eine gemeinsame Antwort der Alliierten auf das deutsche Angebot vom 7. Juni darstellen sollte. Aus diesem englischen Entwurf geht hervor, wie ungeheuer weit Baldwin und Curzon den fran zösisch-belgischen Wünschen entgegenkommen wollten, denn als Ausgangspunkt aller Verhandlungen über die deutsche Nole zu einem Entgegenkommen der Alliierten wird die Aufhebung des passiven Widerstandes durch die deutsche Negierung gefordert. Das werde aber nur „eine erneute Erwägung der Bedingungen der Besetzung und die allmähliche Rückkehr zu normalen Verhältnissen im Ruhr gebiet" mit sich bringen. Noch viel weichmütiger war Baldwins zweite Erklärung. Zuerst kam eine milde Kritik wegen der französischen „Unklugheit*, das Ruhrgebiet be setzt zu haben, um sofort diese Pille zu versüßen durch die Äußerung, England wolle den deutschen Widerstand ganz und garnicht stärken; denn der mache die Lage immer hoffnungsloser. Im Oberhaus hatte Lord Curzon die gleiche Er klärung abgegeben, die Baldwin im Unterhause verlesen hatte. Er fügte aber doch noch eine andere Erklärung hinzu, oie, was nun wieder bei Lord Curzon merkwürdig berührt, ooch weit antifranzösischer ist als das Gebaren Baldwins. Was Baldwin „nicht für möglich halten möchte", erslärt Curzon als tatsächlich, daß näm lich die N uhrpolitik Frankreichs die Aussich ten auf Reparationszahlungen immer mehr zerstört hätten. Die Neparationsfrage sei aber eine europäische, eine internationale Frage. In England sei beinahe jede Industrie in Mitleiden schaft gezogen, sie mache sich beinahe in jeder Hütte Eng lands bemerkbar. Inzwischen veröffentlichte das französische Ministerium des Äußern die französis^e Antwort, die man England gegeben hat. Das : der Gegenschlag. Aus dieser Antwort geht hervor, wac übrigens alle Welt weiß, daß Frankreich erst in Verhand' .ngen eintreten will, wenn ver passive Widerstand einges.ellt ist. Weiter hat dann Poincars in seiner Antwort die endgültige Regelung der Reparationsfrage davon abhängig gemacht, daß gleichzeitig auch das interalliierte Schuldenproblem ge löst wird, und hat ferner dem englischen Vorschlag, eine Sachverständigenkommission zur Prüfung der deutschen Zahlungsfähigkeit einzufetzen, ein glattes „N ein" entgegengestellt. Der erste Eindruck, den die Rede Baldwins in Berliner politischen Kreisen hervocgerufen hat, geht vor allem dahin, daß mit dieser Erklärung noch keinerlei Abschluß der bisherigen internationalen Schwie rigkeiten erzielt ist, und daß es abermals wochenlanger Geduld auf unserer Seite bedürfen wird, um ein greif bares Resultat der französisch-englischen Auseinander setzungen zu erwarten. Vor allem jedoch ruft es schwere Bedenken hervor, daß Baldwin selbst zur Frage des passiven Wider st andes eine ganz schiefe und un- haMare Einstellung angenommen hat.