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Dienstag. Nr. 85. 31. October 1871. Erscheint Dienstags nnd Freitags. Zn beziehen durch alle Postanstalten. Weißeritz-Zeitmlg Preis pro Quartckl 10 Ngr. Inserate die Spalten-Zeile 8Pfg. Ms- und Meige-Platt der Königlichen Gerichts-Ämter und Stadträthe zu Dippoldiswalde und /rauenstein. Verantwortlicher Redakteur: Lart Zehne in Dippoldiswalde. Monats-Bericht. Der Monat October war wesentlich ausgefüllt mit den Verfassungswirren in Oesterreich. Die czechische Majorität des Prager Landtags hatte soge nannte Fundamentalartikel ausgearbeitet und der Regie rung zur Genehmigung vorgelegt. Dieselben liefen im Wesentlichen darauf hinaus, dem Königreiche Böhmen eine ähnliche selbstständige Stellung zu geben, wie sie Ungarn hat. Da bei einer Gewährung dieser Forde rung die übrigen zahlreichen Nationalitäten des Kaiser staates gleiche Ansprüche erhoben haben würden, so wäre ein Zerfall des Staats die Folge der Bewilligung jener Artikel gewesen. Es ist eine eigenthümliche Er scheinung, daß, während in Deutschland das Streben der Nation seit einem halben Jahrhundert auf Centra- lisation der Staatsgewalt gerichtet gewesen ist, in Oesterreich umgekehrt der Föderalismus bestrebt ist, eine Auflösung der Staatseinheit in Theile herbeizu führen. Gegenüber den Forderungen der Czechen bil deten sich in den maßgebenden Kreisen zwei Parteien, von denen die eine, an deren Spitze Graf Beust und Andrassh standen, für Ablehnung, die andere, mit dem Minister Hohenwart an der Spitze, für Gewährung jener Forderungen sich aussprach. Nach den neuesten Nachrichten hat die Berfassungspartei den Sieg davon getragen, und die Czechen sind mit ihrer Forderung an den Reichstag verwiesen worden. In Folge dessen hat das Ministerium Hohenwart seine Entlassung ge nommen. Ueber diesen Verfassungsstreit brach der nationale Haß zwischen Deutschen und Czechen in der heftigsten Weise ans, und die beiderseitige Presse schlug einen so gereizten Ton an, daß man eine Zeit lang den Ausbruch eines blutigen Confliktes nicht für un möglich hielt. Seitdem haben sich die hochgehenden Wogen der öffentlichen Meinung wieder gelegt; allein nun beginnt abermals die alte Rathlosigkeit über das: „Was nun!?" Im deutschen Reiche entwickelt die Bevölkerung, im Bewußtsein der Kraft und Sicherheit des Staats wesens, eine ungemeine Rührigkeit auf industriellem Gebiete. Der Unternehmungsgeist ist in einer Weise erwacht, welche lebhaft an das Gründungsfieber des vorigen Jahrzehnts erinnert. Wir wollen wünschen, daß nicht ein ähnlicher Rückschlag erfolgt, wie damals. Daneben spielt die Arbeiterfrage ihre Nolle fort. Noch in den letzten Tagen des Monats traf die Nachricht ein von einer großen Arbeitseinstellung in Chemnitz (s. unter Tagesgeschichte). Dergleichen be dauerliche Gewaltschritte sind bisher fast regelmäßig zum Nachtheile der Arbeiter ausgeschlagen und haben zahlreiche Familien derselben ruinirt und in die Armen häuser gebracht. In politischer Beziehung war der Abschluß einer Convention mit Frankreich, welche die wei tere Räumung französischen Gebietes bis auf 50,000 Mann zur Folge hatte, bemerkenswerth. Gleichzeitig wurde die Zollfrage in Betreff Elsaß' und Loth ringens zum Abschluß gebracht. Aus den übrigen Ländern des europäischen Con- tinents ist kein Ereiguiß von besonderer Tragweite zu berichten. —r. Tagesgefchiehte. Dippoldiswalde. Ueber unseren Schulver hältnissen schwebt ein eigener Unstern. Kaum ist es uns, bei dem notorischen Lehrermangel wider Er warten, gelungen, endlich die schon längst nöthige 7. Lehrerstelle zu besetzen, als durch den plötzlichen Abgang des 5. Lehrers, Herrn Berge, der an der RathSfrei- schule in Leipzig angestellt worden, wiederum die pro- jectirte Theilung zweier überfüllten Classen, wenigstens vorläufig, unmöglich geworden ist. Alle Gemeinden, die sich nicht zu den so nothwendigen Aufbesserungen der Lehrergehalte entschließen können, werden aus den, durch häufigen Lehrerwechsel hervorgehenden Calamitäten nicht herauskommen. Dippoldiswalde. Der Bau der neuen Straße durch die hiesige Nieder-Vorstadt, dessen wir vor 14 Tagen (in Nr. 81 ds. Bl.) gedachten, ist noch immer nicht beendet, unv namentlich sind die Bewohner der tiefer liegenden Häuser, da vor denselben ein bedeutender Aufschutt erfolgte, übel daran, weil zur Zeit weder Gerinne noch Schleuße begonnen, resp. beendet ist. In Bezug auf diese Calamität erhalten wir zur Veröffent lichung von „mehreren Bürgern der niedern Vorstadt" folgende Anfrage: „Wie kommt es, daß bei der, dem Baue in letzterer Zeit überaus günstigen Witterung, derselbe nicht längst beendet ist? Warum werden, wenn die städtischen Arbeiter — von denen mehrere Tage lang nur einer hier beschäftigt war — nicht ausreichcn, nicht andere herzu ge nommen, und der Bau mit mehr Energie betrieben? Schon im Interesse der Hausbesitzer, welchen durch die starke Auf füllung vor ihren Häusern ein Nachtheil entsteht, sollte her Uebelstand so schnell als möglich beseitigt, besonders auch der einzige noch fahrbare Weg vor dem Müller'schen Hause hin, in Stand gesetzt werden, da man jetzt nur mit Mühe mit einem leeren Handkarren an die betreffenden Häuser gelangen