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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.09.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-09-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020905026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902090502
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902090502
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-09
- Tag 1902-09-05
-
Monat
1902-09
-
Jahr
1902
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Als am Sedantage das Kaiserpaar und der Kronprinz in die deutsche Stadt Posenseinzogen, mag Wohl im Stillen hier und dort die Befürchtung gehegt worden sein, von polnischer Seite werde der Versuch zu einer Demonstration gemacht werden; aber diese Besorgniß hat sich als unbegründet erwiesen und überhaupt muß anerkannt werden, daß die polnische Be völkerung, so weit sie sich nicht am Empfange deS Kaiserpaares betheiligte, wenigstens einer klugen Zurückhaltung sich befleißigte. Was den Kaiser betrifft, so hat er nichts unter lassen, waS dem Zwecke seines Besuches förderlich sein konnte. Insbesondere scheint die Aufhebung deS Rayongesetzes, die er der Stadt als fürstliches Reisegeschenk mitbrachte, die Bevölkerung PosenS in Hellen Jubel versetzt zu haben. Nicht minder bedeutsam ist die fast auffällig nachdrückliche Art, in der er die Freundschaft mit Rußland betonte. Der Trink spruch auf den Kaiser von Rußland als den obersten Kriegs herrn, der mit dem preußisch-deutschen Heere in treuer Waffen brüderschaft verbundenen russischen Armee, der Hinweis auf die überaus freundschaftlichen und herzlichen Worte, unter denen der Zar die Fangschnüre mit ihm getauscht, und schließlich die Verleihung deS Schwarzen Adlerordens an den Warschauer Generalgouverneur Tschertkoff, sind überaus markante Zeichen einer Freundschaft, die sicherlich nicht nur an der Seine, sondern auch im — polnischen Lager wohl beachtet werden wird. Anfänglich schien es der Kaiser vermeiden zu wollen, sich direct an die Polen zu werden; als er es bei der Antwort auf die Hulvigungs- ansprache deS ProvinziallandtagSmarschalls v. Wilamowitz- Möllendorff doch that, verband er in wohlerwogener Weise Aufklärung und Verheißung mit nachdrücklicher Betonung dessen, was er zu fordern immerdar entschlossen sein werde. Er zerstörte den doppelten Jrrthum, daß die Confession der katholischen Polen angetastet und ihre Stammeseigen- thümlichkeiten ausgelöscht werden sollen, erklärte es aber zugleich als seine klar erkannte Pflicht, die Provinz unauflös lich mit der preußischen Monarchie verknüpft zu erhalten und sie zu einer gut preußischen und deutschen zu machen. Den polnischen Agitatoren wird durch diese kaiserliche Aufklärung und Verheißung ein wesentlicherTheil ihreSAgitationsstoffeS verdorben undzugleich einenachdrückliche Warnung ertheilt,dem preußischen Beamtenthume bei der Erfüllung seiner schweren Pflicht ein mächtiger Rückhalt gegeben. Auch die Worte herzlicher An- erkennung, die der Kaiser diesmal speciell für die Kriegervereine gehabt hat, sind sicherlich mit dazu be stimmt, die treuen Elemente in der Provinz zu stärken und zu ermuthigen, den feindseligen aber nochmals die Machtfactoren vor Augen zu führen, mit denen sie es zu thun haben werden. Nach alledem darf man am Schluffe der Posener Tage von ihnen eine namhafte Stärkung deö DeutschthumS im Kampfe gegen den vordringenden Polonis- mus erhoffen — wenn nicht Rücksichten auf das polen freundliche Centrum wieder verderben, was die Kaiser tage gut gemacht haben. In den Berichten der preußischen Gewerbeauf sichtsbeamten für das Jahr 1901 finden wir die wenig erfreuliche Tbatsache derZunahmeder jugendlichen Arbeiter bei gleichzeitiger Abnahme der beschäftigten Personen über haupt festgestellt. Manche Fabriken haben in den Zeiten der ungünstigen wirthschaftlichen Lage leider zu dem bedenk lichen Auskunstsmittel gegriffen, die Unkoitcn durch Ent lassung erwachsener Arbeiter und Heranziehung jugendlicher Arbeiter herabzusetzen. Liegt schon auf der Hand, welche verhängnißvollen Folgen für die allgemeine Volkshygiene die Hineinziehung jugendlicher Arbeiter in das gewerbliche Leben mit sich führt, so erscheinen sie noch viel verderblicher vom Gesichtspunkte der Moralität. Die stetig anwachsende Crimi- nalitätder jugendlichen Personen bei gleichzeitiger Abnahme der Verbrechen überhaupt steht im engsten Zusammenhänge mit dem früh- und vorzeitigen Hineinströmen jugendlicher Personen in die Fabriken und Werkstätten. Es ist schon wiederholt auf die erschreckende Zunahme der Criminalität der jugendlichen Civilbevölkerung und auf die Vorschläge zur Beseitigung dieser traurigen Erscheinung hingewicsen worden. So dankenSwerth der Gesetzentwurf über den Schutz der Kinder in Gewerbebetrieben ist, mit dem der Reichstag sich noch in dieser Session eingehend zu beschäftigen haben wird, so berührt er doch nicht den wundesten Punkt, der zuvörderst Abhilfe er heischt: eben die Criminalität der jugendlichen Personen. Ihr widmet unser geschätzter Mitarbeiter Arthur Dix in seiner lesenswerthen Schrift: „Die Jugendlichen in der Social- und Criminalpolitik" (Verlag von G. Fischer, Jena) eine eingehende Betrachtung. Nack Er örterungen über die Nothwendigkeit besonderer Bestimmungen für die Jugendlichen, den Stand der einschlägigen Gesetzgebung im Auslande, den Umfang der gewerblichen Be schäftigung Jugendlicher und den Ausbau des Schutzes der Jugendlichen gelangt der Verfasser zu dem Schluffe: Eine all gemeine Forderung muß in dem Verlangen nach Erhöh ung der Sckutzaltersgrenze auf daS18. Jahr bestehen, wie sie in den Vereinigten Staaten schon besteht. Die Altersgrenze der Jugendlichen ist in der bisherigen Gesetzgebung überhaupt stark schwankend. Im Allgemeinen wird die natürlichste Be grenzung nach unten in der Erfüllung der Schulpflicht, nach oben in der Erreichung der Großjährigkeit zu juchen sein Heute wird die untere Grenze der Jugendlichen von der Justiz auf das 12-, von der Arbeiterschutzgesetzgebung theils auf daS 13., theilS auf das 14. Jahr festgesetzt, die obere Grenze vom Criminalrecht und für die Fürsorge erziehung auf daö 18., vom Privatrecht auf das 21., in den Fabrikgesetzen auf das 16. Ueber die Berechtigung dieser Schwankungen wird sich streiten lassen; wenn auch eine ein heitliche Festsetzung der oberen Grenze bedenklich wäre, so liegt doch kein ersichtlicher Grund vor, die untere nicht durchweg auf den Augenblick zu verlegen, in dem die Schulpflicht ihr Ende nimmt. Namentlich birgt die Vollziehung von Freiheits strafen vor dem Verlassen der Schule ernste Gefahren. Aber auch der socialpolitische Schutz muß, wie im Grundsätze ja schon anerkannt ist, bis zu dieser Grenze reichen. Was die obere Grenze anlangt, so wird sie allerdings mehr von Fall zu Fall zu ermessen sein. Für die gewerbliche Fortbildung der männlichen Jugend wird man sie Wohl am besten mög lichst nahe an den Zeitpunkt heranziehen, an dem die Schule des HeereS einsetzt: das wäre, da die Hälfte der eingestellten Rekruten im 20. Jahre steht, bis gegen dieses Alter hinauf. In nächster Woche steht im Mittelpunkte der Berathungen des Deutschen Juristeutageö die Reform des Straf rechts, letzterem fällt im Wesentlichen die Behandlung der jugendlichen Verbrecher zu. Konnte man sich auch regierungs seitig bis vor Kurzem noch nicht dazu entschließen, die Altersgrenze für die Strassähigkeit jugendlicher Verbrecher hinaufzurücken, so werden doch die Vertreter der verschiedenen criminalpolilischen Richtungen in ihrer überwiegenden Mehrzahl für eine solche Maßregel sprechen, die im Zu sammenhänge mit einem wirklichen socialen Ausbau des Schutzes der Jugend dazu beitragen kann, das düstere Bild der Criminalität der jugendlichen Personen weniger sorgen erweckend für die Zukunft und Lebenskraft unseres deutschen Volkes umzugestalten. Die Entrüstung, mit der die französischen Royalisten sich gegen die Behauptung verwahren, daß sie bei den Vor gängen in der Bretagne die Hand im Spiele gehabt, scheint auf die Gerichtsbehörden im Finistöre-Departement keinerlei Wirkung auSzuüben. Auch die bitteren Klagen, in die mit den Royalisten der gemäßigt-republikanische Senator einstimmt, die Behörden hätten ihr Ver sprechen, wegen der Vorgänge in der Bretagne keine gerichtlichen Verfolgungen einzuleiten, nicht gehalten, erweisen sich als wirkungslos, da die bezeichneten Beamten mit aller Entschiedenheit versichern, sie hätten ein derartiges Versprechen um so weniger geben können, als sie hierzu von ihren Vorgesetzten keineswegs ermächtigt waren. Da die Regierung und deren Organe den festen Willen bekunden, die revolutionären Umtriebe der Royalisten mit aller Energie niederzudrücken, haben diese ihren Feldzugsplan geändert und ihre intensive Propaganda, die auf offener Straße nicht mehr geduldet wird, anderswohin verlegt. Gegen wärtig wird, wie dem „Hamb. Corresp." geschrieben wird, mit Aufwendung aller Kräfte an der Gründung neuer royalistischer Gruppen in den Pariser Arbeitervierteln und auf dem flachen Lande gearbeitet, wobei natürlich der royalistische Charakter des Unternehmens sorgfältig verheim licht wird. Man muß den Royalisten die Anerkennung zu Theil werden lassen, daß sie sich ihrer eigenen Unpopularität und namentlich der ihres Prätendenten vollauf bewußt sind, so daß man die Bescheidenheit, mit der sie ihre Pläne ver heimlichen, vollkommen zu würdigen weiß. Deshalb führen sie stets das Wort „Liberalismus" im Munde, das bei den Massen ganz anders ausgenommen wird, als der „Royalis- mus", der in Frankreich gründlich abgethan ist. Der Herzog von Orleans, der noch vor Kurzem so kühn seine „Unter- thanen" ausgefordert hatte, immer und überall die Fahne des angestammten Königthums zu entfalten, unterläßt es wohl weislich, gegen diese Manöver zu protestiren, und giebt sich der trügerischen Hoffnung hin, daß die unzufriedenen Republi kaner durch allerlei Vorspiegelungen in daS royalistische Lager gelockt werden könnten. Der ökumenische Patriarch hat in den letzten Tagen an die Geistlichkeit des ErzdisthumS Konstantinopel ein Rundschreiben gerichtet, in welchem ihr eingeschärft wird, darüber zu Wachen, daß die orthodoxen Familienväter ihre Kinder nicht in fremde christliche Schulen schicken. Dieses Schriftstück erregt in der Hauptstadt deS türkischen Reiches, insbesondere durch diejenigen Stellen, welche sich mit großer Schärfe und zum Theil geradezu herabsetzenden Ausdrücken gegen die französischen Congregationen wenden, lebhaftes Interesse und Befremden. Zu den bereits bestehenden Herden kirchlicher Propaganda, so heißt es in dem Rundschreiben, ist nunmehr eine neue geist liche Invasion von Andersgläubigen gekommen, jene der Con- gregationen, welche aus dem Westen flohen, weil ihnen durch das Gesetz die oberste Führung der Geister und das Recht der Unterrichtsertheilung entzogen wurden. Da sie die Thore anderer Länder verschlossen finden, dringen sie nunmehr in unser Land ein, wie auf ein leeres und herrenloses Feld, in der Hoffnung, hier ein sreies Arbeitsgebiet zu finden, auf welchem sie unter den orthodoxen Völkerschaften fremde Lehren säen und ver breiten können. Verlieret nicht aus den Augen, daß diese geist lichen Lehrer, welche aus ihren Ländern (hier folgt eine beleidi gende Motivirung) verdrängt wurden, einmal bei uns ausgenommen, als Missionare und Proselytenmacher auftrelen werden. Die An- stalten, welche sie hier gründen werden, sowie die ganze Art ihres Unterrichts (die mit äußerst abfälligen Worten gekennzeichnet wird) sind geeignet, die Getreuen, welche dem orthodoxen Glauben anhängen, abtrünnig zu machen. „Durch Versprechungen spiegeln sie den Augen der Eltern den Zauber einer glänzenden Zukunft ihrer Kinder vor, denen sie fremde Sprach- und zahlreiche Kennt- nisse beibringen wollen, und indem sie den Aermeren die größten Erleichterungen gewähren, suchen sie mit! allen Mitteln unter den Naiven Proselyten zu werben, welche nicht gleich von vornherein die Gefahr ahnen, die ihnen durch den Verlust ihrer Seelen und ihrer Nationalität drohen." DaS Rundschreiben kündigt schließlich an, daß die Kirche Maßregeln treffen werde, damit auch in den griechischen Schulen der Unterricht in fremden Sprachen sich mehr ent wickeln könne. Deutsches Reich. A Berlin, 4. September. (Verständigungen zwischen Feuerversicherungs-Gesellschaften und Indu striellen.) Die im Anschluß an die Errichtung eines Syndikats der privaten Feuerversicherungs-Gesellschaften er folgte Erhöhung der Prämiensätze sowie der Erschwerung der Versicherungsbedingungen für industrielle Risiken hatten in der Industrie eine große Erregung hervorgerufen. Ein Theil der Industrie schloß sich zum Feuerversicherungs-Schutzver- bande zusammen, ein anderer versuchte auf dem Wege der Verständigung mit den Gesellschaften selbst Erleichterungen zu erzielen. Auf dem letzteren Wege sind verschiedene Erfolge zu verzeichnen gewesen. Einer der wesentlichsten ist der, daß der Ausschluß der Freizügigkeit auf gehoben ist. Die Gesellschaften selbst haben eingesehen, daß mit dieser rigorosen Bestimmung eine ungerechtfertigte Härte verbunden war, und haben die Freizügigkeit für Materialien, d. h. für Rohmaterialien, sowie Halb- und Ganzsabrikate im gewissen Sinne wieder zugestanden. Weiter haben sie von verschiedenen Forderungen des Versicherungszwanges Abstand genommen. Neuer dings haben sie auch einige Zugeständnisse betreffs der Prämiensätze gemacht. So ist der Prämien satz für die Trockenräume mit Dampfheizung um ein Drittel ermäßigt worden. Man sieht, daß die Feuer versicherungsgesellschaften Hand in Hand mit der Industrie zu Aenderungen der Prämien und der Versicherungs bedingungen zu gelangen suchen, die vortheilhaft für die Industrie sind. Vor Allem wird auch der Um stand in industriellen Kreisen angenehm berührt haben, daß in letzter Zeit durch Vermittelung der verschiedenen wirthschaftlichen Verbände den Versicherungsnehmern ge lungen ist, in den Besitz der Mini mal tarife für ihre Berufszweige, sowie der allgemeinen Tarife zu gelangen. Bis dahin hatten die Industriellen gar nicht einmal die Unter lagen in der Hand, auf denen ihre Versicherungsverträge sich aufbauten. Jetzt können sie sich an eine Prüfung derselben Fruilleton. b. Der Liebeshandel. Roman von Rudolf Htrschberg-Jura. Nachdruck verboten. Viertes Capitel. Käthe hatte die Antwort auf des Assessors doppel züngigen Brief keineswegs leicht oder rasch gefnnden. Als sie von den glatten kühlen Worten ihres klugen Bräutigams nach zweimaligem Ueberlesen wenigstens so viel verstand, daß sie nun wieder verlassen sein sollte, hätten sie vor jähem Schmerz beinahe die Sinne verlassen. Nur die Scham vor dem Dienstmann hielt sic aufrecht, der in bescheidener Haltung auf der Schwelle stehen ge blieben war, aber neugierig nach der erschrockenen Leserin des Briefes hinschiclte. Mit der gleichgiltigcn Miene erzwungener Fassung schickte sie ihn fort, und erst als sie allein war, ließ sie ihrer Verzweiflung nnd ihren Thränen freien Lauf. Daun aber raffte sie sich zusammen, kleidete sich an, steckte den Brief zu sich und eilte zu Fran Homann, um sich dort Rath zu holen oder doch wenigstens den Trost zu finden, sich am Herzen der Freundin still ausweinen zu können. Sie traf Frau Lotte heiter, wie immer, und arbeitsam, wie stets. Sic stopfte Strümpfe und sang ein Lied dazu. Mit einem Scherz wollte sie Käthe begrüßen, aber beim Anblick ihres bleichen, verstörten Cksichts stutzte sie, und das Lachen erstarb ihr auf den Lippen. Verwundert nahm sie den Brief und las ihn aufmerksam durch, während sich Käthe kraftlos auf das Sopha fallen ließ. „Solch eine gemeine Charakterlosigkeit!" rief die junge Frau empört. „Und dieser Mensch behauptet, Dich zu lieben! Sei froh, daß Du ihn los bist. Pfui Teufel!" Hatte Käthe der kalte Absagebrief ihres Liebsten wehe gethan, so kränkte sie sich jetzt nicht minder über die derbe Art ihrer Freundin, und sic war höchst betroffen darüber, daß diese die Lösung des Verlöbnisses als selbstverständlich und geradezu als ein Glück für sie anzusehcn schien. Zu nächst aus Widcrsprncbslust, dann aber aus Ueberzcugung begann sie, ihren Ernst zu vcrthcidigen. Es kam ihr un denkbar vor, daß sie jemals von ihm lassen könnte, und ebenso undenkbar, daß er ernstlich die Absicht haben könnte, stch pon ihr z» Irenen. „Hier schreibt er mir doch", rief sic noch nassen AugeS, „daß er mich wicderzusehcn hofft, und daß wir wenigstens gute Freunde bleiben wollen!" „Das ist ja eben die Gemeinheit", versetzte Frau Lotte, und von ihren festen Blicken cingcschüchtcrt, las Käthe die zweite Hälfte deS Briefes noch einmal und erröthetc plötz lich bis unter die braunen Locken, die sich losgelöst hatten und über die Stirn hervorquollcn. „Du mißtrauest ihm, weil Du ihn nicht kennst", ant wortete sie erregt; „ich aber weiß, daß ihn nichts Anderes zn diesem schlimmen Briefe an mich veranlaßt hat als Rück sicht und Liebe für mich. Versetze Dich nur einmal in seine Lage. Sein Bruder mißbilligt unsere Heirath. Ich weiß nicht, weshalb. Wahrscheinlich aus dem unklaren allge meinen Vvrurtheil gegen das Theater. Er entzieht ihm daher jede Unterstützung, so daß Ernst ganz allein auf seinen Gehalt angewiesen ist und nun fürchtet, ich könnte mit einem bescheidenen Dasein an seiner Seite nicht zu frieden sein. Das müssen wir ihm natürlich ausrcdcn. Vielleicht denkt er gar, ich habe kein Talent zur Hausfran, und er muß mir ein halbes Dutzend Dienstboten halten. Na, Lotte, da mußt Du ihnr eben erzählen, daß ich kochen kann nnd flicken und bügeln und noch eine Menge Anderes, und daß ich keine verwöhnte Theäterprinzessin bin. Dann wird der arme Mensch schon wieder Mnth bekommen. Ihr habt doch auch nur auf Deines Mannes kleinen Gehalt gehcirathct und kommt gut aus und seid glücklich. Wenn ich nun auch noch keine so gute Hausfrau bin wie Du, so kann ich ja das, was mir noch fehlt, schnell bei Dir lernen. Also kann gar keine Rede von dem Leben voll Armuth und Entbehrung sein, in das er mich hkneinzuzichcn fürchtet. Den dummen Brief hat er nur so in seiner Ver zweiflung hingcschrieben. Laß ihn nur sehen, daß ich guten Mnthes bin, und laß ihn sich ruhig mit mir aus sprechen; dann wird schon noch Alles gut werden!" Immer zuversichtlicher und hoffnungsfrcudigcr ge- staltetc sich Käthes anfangs so trübe Stimmung. Frau Lotte hingegen wollte sich von ihrem Mißtrauen gegen den sich zurückzichendcn Liebhaber zunächst gar nicht abbringen lassen. Erst nach langem Hin- und Hcrrcdcn wurde sie in ihrer argwöhnischen Auffassung von Ernst's Brief schließ lich schwankend und gab zu, daß es am besten sei, ihm noch einmal ein Stelldichein zn geben nnd dabei die Echtheit seiner Gesinnungen auf die Probe zu stellen. Etwas erstaunt war sie allerdings, daß Käthe sie nebst ihrem Manne zu Zeugen dieser ausschlaggebenden Unter redung machen wollte. „Aber, liebes Kind", sagte sie, „was Ihr Beide Euch da zu erklären und zu gestehen habt, das geht doch keinen Dritten etwas an. Das macht Ihr am besten unter vier Augen aus." Käthe seufzte ein wenig und erwiderte: „Ach Gott, ja! Hübscher wäre es ja allerdings ohne Euch Zwei . . . ." „Danke schön!" lachte Fran Lotte spöttisch. „Bitte sehr, ich spreche nur Deine eigene Meinung nach! Aber Ernst hält es für unschicklich, mit mir allein zu sein." „Nanu!" „Jawohl. Er hat mir erklärt, er sei cs meinem Rufe schuldig, mich nur in Gegenwart einer Ehrendamc zu be suchen." „So?" versetzte Frau Homann, ganz überrascht. „Na, das ist zwar ein rechter Unsinn; aber es sieht doch auch wieder wie ein Beweis von Ehrenhaftigkeit ans. Gut, ich will in Gottes Namen mit meinem Bernhard zu Dir kommen, und wir wollen hoffen, daß wir dabei zur Klar heit über die Fahnenflucht Deines Herrn Liebsten ge langen." Darauf hatte Käthe den Antwvrtsbrief geschrieben und war ins Theater geeilt, wo sie ihn vor der Vorstellung schnell noch einem Arbeiter zur Bestellung übergab. In glücklicher Stimmung hatte sie ihre Rolle gespielt und war voll heiterster Hoffnung nach Hause gegangen. Auch am nächsten Tage wich die Zuversicht nicht von ihr, daß sich am Abend Alles zum Besten wenden werde. Nur die weibliche Sorge quälte sie, wie sie ihren Gast, den ver wöhnten Feinschmecker, am würdigsten bewirthcn, wie sie ihrem Ernst den besten Begriff von ihrer Kochkunst und ihren sonstigen hausfraulichen Fähigkeiten geben könnte. Nachdenklich saß sic auf ihrem kleinen Sopha; sic hatte heute keine Zeit, ihren Nachmittagskaffee zu bereiten, sondern mit ihren Wirthschaftssorgcn beschäftigt, schrieb sie Alles auf einen Zettel, was für den Abend beschafft werden mnßte, nickte dann befriedigt nnd ging mit lächelnder Ent schlossenheit an den zierlichen, mir etwas alt und wackelig gewordenen Mahagvnischrcibtisch, der die Zierde und den Mittelpunkt ihres Zimmers bildete. Eifrig schloß sic einen Schubkasten auf und zog ihn trotz seines knackenden Widerstandes heraus. Das alte Möbel schwankte dabet, und die Cabinetbilder von Käthe's Kunst- Collegen und -Eollegtnnen, die neben allerhand Tand Zn dichter Zahl jedes freie Plätzchen! des Schreibtisches be standen, kamen bedenklich ins Wackeln. Jetzt nahm sie unter allerhand Schachteln und Kästchen eine kleine Blechdose hervor, die wohl einmal Stahlfedern enthalten haben mochte. Als sie den Deckel zurückschvb, zeigte sich der schmale Raum mit einigen Zwanzigmark- stücken gefüllt. Es war der wintersüber mühsam ersparte Schatz, der ihr über die schlecht bezahlte Sommerspiclzcit hinwcghelfen sollte. Mit einem glücklichen Seufzer nahm sic eine der schimmernden Münzen hinweg und steckte sic zu sich. O, sie war reich und brauchte nicht auf den Pfennig zu knausern! Ilm aber den Genuß des Einlaufens und Mer Vor bereitungen recht auskostcn zu können, mußte sie ihn mit ihrer Freundin Lotte thcilen. Nach einer Viertelstunde war sie bei ihr und fand sic mit dem Slufwaschcn des zu Mittag gebrauchten Geschirrs beschäftigt, wobei sic mit kokettem Vortrag das Lied der Lola aus der „Baucrnchrc". sang: „O süße Lilie." Käthe betrachtete heilte zum ersten Male mit einem an Mißbehagen grenzenden Staunen die rüstig schaffenden Arbeitöarme der ehemaligen Collcgin. „Du wäschst also sogar selbst auf?" sagte sie. „Das wußte ich noch gar nicht." ' „Es ist auch heute nur ausnahmsweise. Ich habe sonst immer nach Tisch zwei Stunden lang eine Aufwartefrau. Der ist aber heute Nacht das Jüngste erkrankt. Da habe ich ihr Urlaub crtheilt und mache heute meinen Kram einmal selbst. Komm her und hilf mir. Um so eher werde ich fertig und stehe dann Dir zu Diensten. Ich will Deine Finger, deren fleckenlose Zartheit natürlich für die Bühne noch erhalten werden muß, durchaus nicht dem heißen Aufwaschwasscr ausscvcn. ?lbcr abtrocknen kannst Du. Hier käst Du ein Tuch. So, nun rasch!" Käthe war weder zimperlich, noch ungeschickt und griff willig jede weibliche Arbeit an. Aber nun sie sich selbst auf der Schwelle zum Ehestand fühlte, wurden ihr auch die harten und wenig angenehmen Pflichten einer Hausfrau, zumal einer armen Hausfrau, viel deutlicher als früher. Ihre gesummte Stimmung war heute zu freudig, um ge radezu Angst vor den schweren Ausgaben einer Gattin in ihr anfkommen zu lassen; doch lag immerhin ein Ton drolliger Besorgniß in ihrer Stimme, als sie zärtlich fragte: „Meine gute Lotte, wird Dir denn das nicht viel,
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