Volltext Seite (XML)
Amtsblatt für die königlichen und städtischen Behörden zn Freiberg und Brand. Verantwortlicher Redakteur: Julius Brauu iu Freiberg. 25t. Erscheint jeden Wochentag Nachmitt. V,6 Uhr für den andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 2ü Ps., zweimonatlich l M. SO Ps. und einmonatlich 7S Pf. »S. Jahrgang. Donnerstag, den 28. Oktober. Inserate werden bis Vormittag 11 Ubr angenom- men und beträgt der Preis für die gespaltene Zeile oder deren Raum IS Pf. 1886. Nachbestellungen uns die Monate November und Dezember »erde« zum Preise von 1 Mk. 5« Pf. von alle« kaiserlichen Poftanstalte» sowie von den be kannte« Ausgabestelle« «nd der unterzeichnete« Expedition a«ge«omme«. Lkprdilio» de« Freiberger ÄPeigir. Das russisch-türkische Bündniß. Trotz des dringenden AbrathenS des Vertreters der Pforte in Sofia, Gadban Effendi, sind die Mitglieder der bulgarischen Regentschaft nach Tirnowa abarreist, wo die Eröffnung der Sobranje nahe bevorsteht. Wenn Rußland wirklich nichts weiter anstrebte als die Wiedergewinnung feines früheren Einflusses in Bulgarien und die Beseitigung des jetzigen Regierungssystems, das dm Russen als bloßes Parteiregiment gilt, so hätten die letzteren keinen Grund, der Eröffnung der Nationalversammlung in Tirnowa etwas in den Weg zu legen. Da sich die Mächte bisher noch über keinen Kandidaten für den bulgarischen Thron einigten, ist die Sobranje gar nicht im Stande, sich mit der von Rußland zunächst noch verpönten Fürstenwahl ernsthaft zu beschäftigen. Außerdem wollen Stambulow, Mutkurow und Radoslavow ihre Vollmachten sofort in die Hände der Sobranje zurücllegen, was den angeblich in Bulgarien so , ahlreichen und nur gewaltsam unterdrückten Freunden Ruß- ands die beste Gelegenheit bieten würde, eine Vertagung »er Nationalversammlung und die Einsetzung eines riffsen- reundlichcn Ministeriums zu erreichen. Mehr dürste für Ruß- and bei der jetzigen StimmunaderMächte gar nicht zu erlangen ein, da die letzteren keine Okkupation des Bulgarenstaats Mben würden. Die bisherige moralische Unterstützung >er russischen Politik durch die Pforte dürfte bei dem Pro tests gegen die Theilnahme der ostrumelischen Abgeordneten an der Fürstenwahl ihre Grenze gefunden haben. Nach dem von der Pforte streng festgehaltenen Berliner Vertrag können die Ostrumelier sich an der Wahl des Bulgaren fürsten nicht betheiligen, der für sie nichts Anderes sein darf, als der vom Sultan eingesetzte türkische General gouverneur. Bei der Unterredung Gadban Effendis mit Stambulow meinte der Erstere, es könne leicht zur Be setzung Ostrumeliens durch türkische Truppen kommen, falls die rumelischcn Deputaten an der Sobranje theilnehmen sollten. Der bulgarische Regent Stambulow erwiederte aber sehr kaltblütig: „Dies können Sie nicht thun. Uebrigens besetzen Sie nur auch Bulgarien, dann werden wir zu sammen nach Asien flüchten müssen." Gadban weiß auch sehr gut, daß der Pforte von Rußland größere Gefahren drohen, als von irgend einer andern Seite und deshalb wandte er auch nichts weiter gegen die Wahlen und gegen den Zusammentritt der Sobranje ein und bewies durch nichts, daß er Vollmacht besitze, sich mehr für die russischen Ansprüche zu erwärmen, als irgend ein Vertreter der euro päischen Mächte. An Versuchen der russischen Diplomatie, die Türkei ganz für ihre Interessen zu gewinnen und die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen, mag es nicht gefehlt haben; auch ist den türkischen Ministern keine solche Vorliebe für England zuzutrauen, daß sie sich deshalb den russischen Anerbietungen verschließen sollten. Man ist sich aber in Konstantinopel vollständig klar darüber, daß das Bekannt weiden einer türkisch-russischen Abmachung Oesterreich-Ungarn nothwendig zu einem Schutz- und Trutzbündniß mit England treiben und Deutschland gegen das fernere Geschick der abend ländischen Türkei völlig gleichgiltig machen würde. Jeder Schritt, den die Pforte über die Vertheidigung der Be stimmungen des Berliner Vertrages hinaus thun würde, müßt in Wien als eine böswillige Bedrohung des öster reichischen Besitzes von Bosnien und der Herzegowina an gesehen werden. Ebenso wenig Vortheil würde es der türkischen Regierung bringen, wenn sich das in Paris viel fach veibreiiete Gerücht bewahrheiten sollte, daß die Pforte im Euwelständwß mit Rußland und Frankreich von Eng land eine Räumung Egyptens zu verlangen beabsichtige. Nach den in den letzten Jahren gebrachten großen Opfern an Gut und Blut ist England ein Verzicht auf die in dem Nillande errungene einflußreiche Stellung im Ernst nicht zuzutrauen, vielmehr würde jede dahinzielende Zumuthung nur die Folge haben, England zu einer förmlichen Okku pation Egyptens zu treiben, gegen welche bei den jetzigen Verhältnissen die mitteleuropäischen Mächte ebensowenig Einwendungen machen würden als seinerzeit gegen die Be setzung der Insel Cypem. In den deutschen Regierungskreisen traut man den klugen türkischen Staatsmännern weder die Unvorsichtigkeit zu, sich zwischen Rußland und Bulgarien zu werfen, noch diejenige, sich bei einem französisch-englischen Streit um Egypten zwischen zwei Feuer zu bringen. Der „Köln. Ztg." wird aus gut unterrichteten Kreisen in Berlin ge schrieben, man wisse dort, daß die von anderen Mächten vertraulich mit Rath unterstützte Pforte gegen bedenkliche Anerbietungen und Zumuthungen Rußlands große Vorsicht gebrauche. Bezüglich der wegen Egyptens von einzelnen Pariser Blättern angezettelten Hetze gegen England drücken die offiziösen „Berl. Pol. Nachrichten" ihre Urberzeugung aus, daß die französische Regierung dem ganzen Lärm fern stehe und daß aus den beregten Anzapfungen der Pariser Presse kein emster Konflikt zwischen den Kabineten von London und Paris entstehen werde. Ueberhaupt sieht man in Berlin der Entwickelung der Ereignisse im Orient mit weit größerer GemüthSruhe zu als in Wien und Pest. Dort hat man sich nach der Kasserbegegnung in Skiernie- wicze eine weit größere Rücksichtnahme Rußlands auf die Orientinteressen Oesterreich-Ungarns versprochen, als die Ereignisse mit sich gebracht haben. Diese unangenehme Erfahrung verstimmt weite politische Kreise ernstlich gegen den österreichisch-ungarischen Minister des Auswärtigen, Grafen Kalnoky, der als ehemaliger Botschafter in St. Petersburg stets Vertrauen zu Rußland predigte. Darüber wird Graf Kalnoky in den sich demnächst versammelnden Delegationen manche bittere Wahrheit hören müssen. Sollte sich auch noch daS Vertrauen, welches das österreichische auswärtige Amt bisher der türkischen Politik zollte, als ungerechtfertigt erweisen, so bliebe dem Grafen Kalnoky nichts weiter übrig, als sein Entlassungsgesuch einzureichen. Die völlige Unsicherheit, welche über die weitere Entwickelung der Balkankrise herrscht, erzeugt in Wien und Pest ein stark fühlbares Unbehagen, das auf die Dauer dem Leiter der auswärtigen Politik des Kaiserstaates verhängnißvoll werden muß. Gerade die Thatsache, daß ein weiteres Zusammengehen der Türkei und Rußland das jetzige englische Tiny-Kabinet zu einer gewagten Aktion in Egypten verleiten und die schon erschütterte Stellung des vertrauensseligen und fried fertigen österreichisch-ungarischen Ministers des Auswärtigen ganz unhaltbar machen würde, dürfte die deutsche Reichs regierung veranlassen, die Pforte zur größten Vorsicht zu ermahnen. Ein russisch-türkisches Bündniß wäre nicht nur eine Gefahr für den Fortbestand der jetzigen Verhältnisse auf der Valkanhalbinsel und in Egypten, sondern auch wenig geeignet, eine befriedigende Entwickelung der bul garischen Krise zu fördern, die bei einem ruhigen Gewähren lassen der Sobranje keineswegs ausgeschlossen ist. Tagesschau. Freiberg, den 27. Oktober. Als Beweis für die Rüstigkeit des greisen Oberhauptes des deutschen Reiches führt das „Braunschweiger Tageblatt" die Thatsache an, daß der Kaiser am Sonntag Abend nach Besuch des Theaters in Blankenburg noch eine Weile mit dem Prinzen Heinrich von Preußen und dem Fürsten von Schwarzburg-Radolstadt Billard spielte. Der Prinz-Regent Albrecht hatte hierbei daS Markiren übernommen. — Gestern Nachmittag ist der Kaiser, begleitet von dem Prinzen Heinrich wieder wohlbehalten in Berlin cingetroffen. Prmz Friedrich Leopold von Preußen tritt am 29. d. M. von Potsdam aus eine etwa sechs- bis siebenmonatliche Reise nach Indien an. — Für die nächste Session des deutschen Reichstages erwünscht die gouveinementale „Konserv. Korresp." dringend die Anbahnung einer regierungsfreundlichen Mehrheit und schreibt deshalb: „Wir glauben, daß es richtig ist, wenn sich die Parteileitungen innerhalb einer bestimmten, zur Unter stützung der Regierung grundsätzlich bereiten Gruppe zum Beginn eines jeden Abschnittes der parlamen tarischen Thätigkeit unter einander und mit der Regierung darüber verständigen, welche Ausgaben in der betreffenden Zession oder längeren Kampagne nicht blos energisch in An griff zu nehmen, soudcrn auch unbedingt zu erledigen sind, und zugleich dasjenige Programm auf dem Gebiete diese Aufgabm ermitteln, über welches zwischen allen den genannten Faktoren ein Einverständniß herrscht. ES ist nun selbst verständlich sehr wohl möglich, daß diese Borberathungen in einzelnen Punkten zu keinem Ergebniß führen, daß beispiels weise die Nationalliberalen so viel von unseren Forderungen abmarkten wollen, daß wir ein Kompromiß auf solcher Grund lage ablehnen müssen; wir glauben aber, daß dieser Fall, wenn man sich erst daran gewöhnt hat, überall zunächst da- überhaupt Erreichbare in'S Auge zu fassen und daS andere, Writergrhende allmählich ansreisen zu lassen, sich nicht allzu häufig wiederholen wird. Ist aber ein Einverständniß erzielt, so muß dieses die Grundlage für jede Wahlaktion innerhalb de- betreffenden Zeitabschnitts abgeben; kein Kandidat darf aufgestellt werden, welcher diese- Programm nicht wenigstens als die Minimalgrenzt seiner Bestrebungen anerkennt, der Streit um andere Punkte, welche, sie mögen an sich so bedeutsam sein, wie sie wollen, doch keine aktuelle Bedeutung und keine Aussicht aus ihre unmittelbare parlamentarische Erledigung haben, muß wenigstens während dieser Wahl kampagne ruhen, und von dm an der Vereinbarung be- thriligten Parteien muß jrdeSmal diejenige, welche in dem betreffenden Wahlkreise die stärkste ist, von den anderen rück haltlos und ohne Mäkelei au ihrem Kandidaten unterstützt werden. Entspinnt sich ein Streit über die Frage, welche Partei von den Kontrahmtm die stärkste ist, so ist aus nahmslos zunächst von jeder mit einem eigenen Kandidatm zu operiren, aber ebenso ausnahmslos von vornherein ein loyaler Zusammenschluß bei der Stichwahl gegenseitig zu verbürgen. — Die Aufgaben nun, welche in dieser Weise zunächst in Angriff zu nehmen und zu absolvirm sein würden, ,find, so viel wir sehen, die folgenden: I) Sicherstellung unseres' Heerwesen-, 2) die Herbeiführung eine- festen Zusammenschlusses gegm die Sozialdemokratie, wozu als unerläßliches Korrelat ein weiteres Stück positiver Sozialreform gehörm würde, endlich 3) Steuerfragen, speziell eine vorläufige Er ledigung der Frage nach einer angemessenen Branntwein- oder Rohspirltus-Besteuerung. Unerläßlich er scheint unS, daß überall zunächst die Regierung zu diesen Fragen in ganz bestimmter Weise Stellung nimmt." DaS Letztere wird auch von liberaler Seite ernstlich gewünscht. Im Uebrigen schreibt die „National-Zeitung": „Neu find diese Ideen nicht - womit wir durchaus keinen Vorwurf aus sprechen; es frägt sich, ob sie jetzt bei der Regierung aus sichtsvoller sind, als zu der Zeit, da sie von liberaler Seite vertreten wurden." Weit absprechender äußert sich die „Nationalliberale Korrespondenz": „In der Presse ist in den letzten Wochen viel in allgemeinen Parteierörtcrungen geleistet worden, die vorzugsweise da- gegenseitige Verhältnis der gemäßigt liberalen und der konservativen Richtungen zum Inhalt hatten. Ein bestimmter Anlaß zu solchen E-örlerungen liegt zur Zeit nicht vor; es ist nichts geschehen, was denselben im gegenwärtigen Augenblick einen handgreiflichen praktischen Inhalt geben könnte, und sie leiden daher auch an einer ge wissen Ziellosigkeit und Unfruchtbarkeit. Was von Ber- schmelzungsplänen, von Aufstellung eines gemeinsamen Mani festes und dergleichen in den Blättern geschrieben wird, ist rin Gerede, dem keine ernste Bedeutung beizumcssen ist Wir glauben nicht, daß an irgend einer maßgebenden Stelle der konservativen oder der nationalliberalen Partei solche Pläne auch nur in Erwägung gezogen worden find. Wie ein solches gemeinsames Manifest auSsehen müßte, ist daher eine ziemlich müssige Frage." — Bei der Ersatzwahl des Kreises Bunzlau- Löwenberg zum preußischen Abgeordnetenhause wurde Graf Nostitz zu Zobten (konservativ) mit 309 Stimmen gewählt. Der Gegenkandidat desselben, Müller-Bunzlau (frei sinnig) erhielt nur 3l Stimmen. — In Finken und Gonsen heim bei Mainz kamen choleraverdächtige Erkrankungen und Todesfälle vor. Die Behörden sind mit Ermittelung des Thalbestandes beschäftigt und haben bereits alle Vorsichts maßregeln getroffen. Der Kaiser von Oesterreich ließ durch seinen Oberst- Hofmeister, Prinzen Hohenlohe, die Kaiserin Elisabeth durch ihren Obersthofmeister, Baron Nopcsa, den Hinterbliebenen deS Grafen Beust ihr Beileid ausdrücken. Im Schlöffe Attenberg trafen außerdem Kondolenz Telegramme der sächsischen Königs- amilie und des österreichischen Kconprinzenpaares ein, ferner van sämmtlichen Erzherzögen, von den Ministern Kulnoty und Taaffe und von dem französischen Konseilpräsidenten Freycinet. Die Leiche des Grafen Beust ist inzwischen nach Wien ge schafft worden, wo sie auf dem protestantischen Frievhof vor läufig beigesetzt wird. Von dort gedenkt die Familie des Grasen die Leiche nach Dresden zu sühren, wo dieselbe auf dem