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Mittwoch Nr. 96. s Julius 1843. DUM Deutsche Allgemeine Zeitung. MU Ausland««. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» UeVevbtick. Deutschland. * * Rus Mitteldeutschland. Die Literatur als Aus druck des Volksbewußtseins. * Freiburg. Der Landtag. Trennung der Justiz und Verwaltung. Die MittelbehLrden. Luxemburg. Ver tagung des Landtags. Oldenburg. Das oldenburgische Contingent will keinen Branntwein. * Frankfurt a. M. Graf Cancrin. Die belgischen Gesandten. Rothschild. Die Brottaxe. Die Aernte. * Frank furt a. M. Eine neue Judensekte. Ehen zwischen Juden und Chri sten. vr. Kuhlmann. ** Hamburg. Jastram Snitger. Politische Indifferenz. Preußen. ** Berlin. Dankadresse der Juden an den rheinischen Landtag. Die Charite. Das Jntelligenzblatt. Das Fest des Lehr bataillons. Verordnung wegen der Silbergroschen. * Posen. Gene ral v. Grolmann. Die polnischen Juden. Der Panslawismus. Nach richten von Warschau. Oesterreich. "Wien. Personalien. Adelsgesuche, (-Wien. Verlegung der Börse. Spanien. * Frankfurt a.M. Die Königin Isabella soll nach Saragossa geführt werden. * Paris. Der Aufstand in Aragonien scheint um sich zu greifen. Er ist auch in Sevilla durchgcdrungen. Barcelona fürch tet ein Bombardement. Zurbano ist bedrängt. In den baskischen Provinzen sind die Versuche zur Aufwiegelung der Truppen gescheitert. Großbritannien. Unterhaus: die Waffenbill. Das Armengesetz. Re bekka und ihre Töchter. Briefwechsel mit dem Könige der Sandwichinseln. Frankreich. Pairskammer: Zuckergesetz, Bewilligungen. Deputirten- kammer: Emancipation der Sklaven, -h Paris. Die Emancipation der Sklaven. — Paris. Die Vertagung des Eisenbahnprojects. Die Ge schäfte der Kammern. Das Zuckergesetz. Niederlande. * Amsterdam. Das Herzogthum Limburg. Neue Wah len zu den Generalstaaten. Der Finanzminister. Serbien. * Von der serbischen Grenze. Schlechte Aussichten für Milosch. Handel und lFnbustrie. * Frankfurt a. M. Börsenbericht. — Sächsisch-Baiersche Eisenbahnfrcqucnz. "Mains. Getreidewucher. «Ankündigungen. D rutsch kand. ** Aus Mitteldeutschland, 2. Jul. In neuester Zeit ist es vielfältig zur Sprache gebracht worden, inwiefern der alte Lehrsatz' „in jeder Literatur, welche eine Nation ausübt, sei das Bestreben der selben enthalten, ihrem Bewußtsein den entsprechenden Ausdruck zu verschaffen", sich auf die politische, namentlich auf die Tagesliteratur, den Journalismus, anwenden lasse, und ob und inwiefern dieser als Organ der „allgemeinen Meinung" betrachtet, als Repräsentant derselben anerkannt werden müsse. Die Antworten hierauf sind sehr verschieden ausgefallen, je nachdem die Streiter die Leistungen und präsumtiven Wirkungen des Literatur-Organismus, oder die individuel len Einflüsse der dabei bethätigten Werkmeister und Gesellen ins Auge faßten, je nachdem sie bei der industriellen Partie betheiligt oder nicht bctheiligt waren, oder: je mehr oder weniger sie ihre Partei, ihre An sichten, ihre Interessen, ihre Wünsche und vor allem Andern ihre Ab sichten darin vertreten fanden. Zwischen den beiden äußersten in Be treff jenes Fragepunktes sich schroff einander gegenüber erhebenden Gegensätzen trieben sich eine Menge Meinungsnuancen, thcils verstock ten, theils versöhnlichen Gcmüthes, um ein Justemilieu herum, wel ches in Mitte dieses Zeters vor der Hand die klügste (?) Partie er griff und — schwieg. Um die Versöhnung dieser Nuancen kann es nicht zu thun sein; ohnehin erweisen sich die kleinsten Differenzen oft grade als die hartnäckigsten, denn je weniger gewisse Potenzen, ihrer Natur nach, die Kraft besitzen, sich entschieden abzustoßen, um so we niger kann man auch bei einem Wechsel der Verhältnisse auf ihre Zähigkeit rechnen, sich auf die Dauer anzuzichen. Bei Gegensätzen handelt cs sich dagegen schon nicht mehr um Abweichungen; hier ist Polarität und Entschiedenheit, das Kind hat einen bestimmten Namen, und was sich drüben Wahrheit nennt, heißt diesseits Jrrthuür, wird wol auch vom Parteihaß Lüge genannt. Solche Extreme sind in der po litischen Literatur die fast unentbehrlichen Wegweiser und Meilenzeiger, während die schwächern Nuancen wie die Streifsteine zuschneicn oder wie Schutzpfähle, wenn die Nacht hereinbricht, gänzlich unsichtbar, und so nicht selten dem arglosen Wanderer gefährlich werden. -.Aber grade die entschieden sich widerstreitenden Richtungen sind es, welche allermeist die Behauptung veranlassen, daß die Literatur, nament lich die politische, nicht als der Ausdruck der in der Gesellschaft zum Bewußtsein gekommenen lleberzeugungen anerkannt werden könne, daß die Gesinnung des Volks und die Tendenzen der Publicisten ganz verschiedener Natur, und die Tagesblätter eigentlich der Schallbecher wären, aus dem „ein Egoismus um den andern verlangsam heraus- spricht". Daß dies so sei, ist der Jncidcnzpunkt, in welchem beide Meinungsantipodcn einverstanden (?) sind, um über die Ursachen, wes wegen es so sei, erfolgreicher mit einander zu streiten. Die verschie denen Elemente, so sagen die Einen, aus welchen sich die politische Li teratur einer Nation nährt und gestaltet, können nur bei naturgemäßer Entwickelung, indem jedes für sich seine cigenthümliche Ausbildung er langt, endlich aus der einseitigen Vollendung in den harmonischen Einklang des literarischen Ausdrucks treten, der dann auch alle wahren Momente des Volksgeistcs in sich enthalten wird. Auf dem Wege dahin muß sich schon zeigen, auf Seite welchen Elements die Mehr zahl der Stimmen ist. Dagegen wird eingewcndct: daß, so lange eine Literatur im Bildungsprocesse begriffen, so lange sic auch befangen ist und die allgemeine Meinung, welche sie schon zu vertreten vorgibt, consequcnt bei ihr noch nicht vorausgesetzt werden könne; daß auch die Vota des Geistes nicht zählen, sondern wiegen. Die Antwort darauf ist: daß die Wage bei der Gemeinde sei, beim Publicum, und dieses zu entscheiden habe. Wer falsches Gewicht gäbe, würde keine Abnehmer finden. Es handle sich nicht um Principien, Tendenzen, Gedankenkreise, in welchen die Literatur allerdings zeitweise oft befan gen wäre, sondern um Interessen. Diese zu vertreten sei eben der Beruf der Literatur, und dies könne nicht anders geschehen, als wenn sie der Ausdruck aller Denkweisen würde, die, wenn sie die Wahrheit sind, zum Gedankenkreise durchbrechen, wenn sie Jrrthum, in ihnen untergehen würden. Das sei der natürliche Proceß. Hierauf die Duplik: daß es sich allerdings um Interessen handelt, aber eben darum die politische Literatur, wenn sic der Ausdruck der Volksüber zeugungen sein will, nicht sowol die Mannichfaltigkeit der Ideen als vielmehr die Mehrheit der Thatsachen für sich haben müsse, ge gen welche nichts aufkommt und die nicht durch die Mehrzahl der Stimmen, sondern durch das Urthcil der Verständigsten und Unbe fangensten erkannt werde. Nun tritt, zu noch größerer Verwirrung, in Frankreich, in Pa ris, ein Mann auf, gegen dessen Compctenz, so viel die Kennt- niß des Preßorganismus anlangt, Niemand, von welcher Farbe er auch sei, etwas wird einzuwenden haben: St.-Marc Girardi», und behauptet in seinen Vorlesungen über französische Literatur, daß der alte Lehrsatz: die Literatur einer Nation sei der Ausdruck ihrer Ue- berzeugungen, durchaus unhaltbar sei. Niemand widerspricht ihm, und daß cs mit ihrer Literatur, namentlich der Tagesliteratur, so stehe, geben die einsichtigsten Franzosen aller Parteien zu. Legen wir die Hand auf das Herz und fragen uns, ob es mit unserer Litera tur und insbesondere mit der politischen auch so beschaffen sei? so wer den wir wenigstens von Einem Standpunkt aus die Frage ganz an ders beantworten können. Wer nicht blos auf einige Seiten, diese oder jene Section, nicht blos auf DaS, was sich zunächst oder markt schreierisch anbietet, sondern auf das Ganze sein Auge richtet, dem wird auch kein Moment des Volksgeistcs verhüllt bleiben, der wird da alle Ideen, Wünsche, Strebungen, Absichten, Sympathien und Idio synkrasien in größter Lebendigkeit und Portraitähnlichkeit antreffen, die ganze intelligible kleine große Welt beieinander haben; aber das Ganze muß er fassen. Die Literatur eines Volks ist, wie dieses selbst, etwas Individuelles. Es wäre gleich viel, ob, anstatt der Tausend oder Hun dert Schriftsteller, alle die Hunderttausende Erwachsener schrieben: eS wäre doch immer derselbe Geist darin. (Nur das Zahlenverhältniß der Stimmen möchte sich anders vertheilen.) In der That trägt auch Je der dazu bei, selbst die Taubstummen. Niemand lebt, er lebte nicht unwillkürlich etwas hinein. Kein Tropfen Wasser, der verflüchtigt, kann über den Dunstkreis hinaus, so gehen auch keines Menschen Ge danken verloren in der geistigen Atmosphäre. Noch Niemand hat ein Geldstück seinen Weg machen sehen, wie es blitzschnell wandert und binnen wenig Stunden eine Menge Armer reich macht, wie es schafff