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WLchemüch erscheinen drei Nummern. Pränumerallonö- PreiS 22; Sgr. (j Thlr.) vierteljährlich, 3 Lhlr. für da« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. für die Man pränumerirt aus diese« Literatur-Blatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. Staats-Zeitung (Fricdriäisslr. Nr. 72); in der Provinz so wie im AuSlande bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 103 Berlin, Montcig den 31. August 1840. Belgien. Gent und seine Merkwürdigkeiten. Von Alex. Dumas. Wir waren nicht wenig verwundert über das Menschengewühl, das wir bei unserer Ankunft in Gent fanden. Das Räthscl war nicht schwer zu lösen: die Lokomotive, mit welcher wir, ohne es zu wissen, die Probefahrt gemacht hatten, hieß der „Artcvelde". Die Verehrung, welche die Genter dem Vertheidigcr ihrer Frei heiten noch immer weihen, machte mir Lust, die etwaigen Ueberreste des plebejischen Hauses zu betrachten. Ich ließ mich daher vom Marktplatze nach der Kalands-Straße führen. Aber statt der ehr würdigen Ruinen, die ich zu finden erwartete, stand auf der Stelle, die sie hätten cinnchmcn sollen, ein niedliches kleines Haus, das neu angestrichen war, wie alle Häuser in Belgien. Ich würde dasselbe gewiß nicht so leicht als den Abkömmling seines ehrwürdigen Ahnen anerkannt haben, wenn nicht Jakob's wohlbekanntes Wappen und das etwas zweifelhaftere seiner Frau am Balkon geprangt hätten. Wäre mir trotz dieser Beweise noch ein Zweifel geblieben, so hätte er vor der Inschrift weichen müssen, welche mit großen Buchstaben über einer niedrigen Thür angebracht war: „In Imc >iu>8 van äne- velü« verlioupt men ürunk." Wenn indeß das Haus zerstört ist, so eristirt doch noch das Gäßchen, durch welches Artcvelde zu ent fliehen versuchte; es heißt le 'I'ruu krapau,!». (das Krötenloch). Diese Benennung ist unverständlich, wenn man nicht weiß, daß die Franzosen damals von den Belgiern mit dem Spottnamen vrnpsu- üiers beehrt wurden, wie fie jetzt von ihnen i'rim.->gu,Ilon8 genannt werden. Dieser Name ist daher entstanden, daß die Belgier die Französischen Lilien, welche die Franzosen als Lanzcnspitzcn erklären, nur als Kröten gelten lassen wollten. Man wird hiernach wohl vcrmuthen, weshalb das Gäßchen le 1>on genannt wurde: Artcvelde wurde hier von den Anhängern des Königs von Frankreich gctödtet. Als ich aus der Kalands-Straße kam und, wie cs meine Ge wohnheit ist, in die Kreuz und Quere umherstrcifte, traf ich auf einen dreifarbigen Hut, welcher, wie der Eeßler's, auf einer Stange schwebte. Da ich mich nicht der Gefahr aussetzcn wollte, einen Apfel abznschießen, so fragte ich, was dieses Zeichen bedeute, um ihm die gebührende Ehre erweisen zu können. Ich erfuhr, daß cs ein Erinnc- rungszeichen des Patriotismus scp, den die „Kinder des Fürsten" im Jahre 1830 entfaltet hatten. Dieser Name bedarf einer Erklärung. Karl V., der trotz der Akademie und des „Konstitution»«!" sich mehr als einmal in einem Schranke verborgen hat, ehe er Kaiser wurde, und selbst noch später, hatte eine zärtliche Neigung für eine hübsche Schlächterin gefaßt, die er als populärer Monarch öfter besuchte. Die Frucht dieser Besuche war ein munterer pausbäckiger Junge. In seiner Vaterfrcude versprach Karl V. der Mutter, ihr eine Bitte zu erfüllen. Die Mutter forderte, daß die Nachkommen ihres Sohnes allein das Recht erhielten, zu schlachten und in der Stadt das Fleisch zu verkaufen. Die Bitte wurde bewilligt. Der Sohn des Kaisers hatte zwei Söhne, von denen die beiden Corporationen abstammcn, welche noch jetzt in Gcnt unter dem Namen der große» und kleinen Schlächter cristircn. Als Napoleon im Jahre 1818 Flandern be suchte, nahmen die kleinen Schlächter das Vorrecht in Anspruch, ihm als Ehrenwache zu dienen. Von ihnen geleitet, zog der Kaiser durch den Triumphbogen, den sie ihm errichtet und mit der Inschrift ge ziert hatten: „Napoleon dem großen die kleinen Schlächter von Gent." Als ehemaliger Artillerie-Offizier, stattete Napoleon am Tage nach seiner Ankunft der großen Kanone einen Besuch ab. „Die tolle Margarethe", so heißt die Kriegsmaschine, verdiente diese Ehre in hohem Grave, denn, wie Froiffart sagt, hörte man fie, wenn sic losfeuertc, füll! Meilen weit bei Tage und zehn Meilen weit bei Nacht, und fie machte einen solchen Lärm, daß es schien, als ob alle Teufel los wären. Was die Abstammung des Namens an- betrifft, so sind die Gelehrten nicht darüber einig. Die Einen be haupte», er fchrcibe sich bloß von dem Lärm her, den sie mache; die Anderen sagen, sic habe ihn von Margarethe von Flandern, welche die schwarze Dame genannt wurde, erhalten. Wo nun aber auch der Name hergekommen scp, so steht doch so viel fest, daß er schon im Jahre 1482 vorkam, als die Genter sich derselben tm Kriege gegen ihren guten Herzog Philipp zur Belagerung von Oudenarde bedienten. Als sie die Belagerung aushcbcn mußten, ließen sie dieselbe mit dem groben Geschütz zurück, und sie fiel in die Hände ihrer Feinde, welche den Namen des Herzogs darauf cin- graben ließen. Im Jahre 1878 holten die ersten Eigenthümer sie sich zurück und stellten sie auf dem Freitags-Markte auf, wo sic noch jetzt still und ruhig auf ihrcn drei steinernen Füßen steht. Sie isi 18 Fuß lang und hat w Fuß V Zoll im Umfange. Der Durchmesser der Mündung beträgt 2j Fuß und das Gewicht 33,606 Pfund, also 16,101 Pfund mehr als die große Petersburger Kanone, welche mit Unrecht für die größte in Europa gilt. Nachdem ich drei oder viermal um die „tolle Margarethe" herumgegangen war, ohne mich indeß, wie die Engländer zu thun pflegen, hineinschieben zu lassen, besuchte ich die Kathedrale von Saint-Bavon, eine der reichsten der Christenheit, lieber dem Portale sicht man den Heiligen, der einen Falken aus der Hand hält; hiernach könnte man glauben, der Heilige scp, wie St. Hubert, jagend in den Himmel gekommen, man würde aber irren: der Falke soll bloß an- dcuten, daß er adelig war. In der That war er einer der vor nehmsten Herren, Namens Allowin. Nachdem er eine Predigt St. Amand's gehört, warf er sich diesem zu Füßen und fragte ihn, was er thun müsse, um in das Himmelreich zu kommen. Als der fromme Bischof hierauf erwiedcrt, daß er Buße thun müsse, verthciltc der Reuige einen Theil seiner Habe an die Armen und schenkte den Rest dem Kloster St. Peter's. Um indeß ganz mit dem weltlichen Leben zu brechen, legte er den Namen seiner Bäter ab und nannte sich Bavon, unter welchem Namen er gegen Ende des 8tcn Jahrhunderts heilig gesprochen wurde, nachdem er im Walde von Malmcdine bei Gcnt ein musterhaftes Leben geführt. Sechzig Edelleute folgten seinem Beispiele und bauien an der Stelle, wo früher ein Tempel Merkur's gestanden, die alte Abtei von St. Bavon, von der sich noch einige Ueberblcibsel erhalten haben. Die Kathedrale ist die frühere St. JohanncSkirche, welche im Jahre 041 von TransmarnS cingewciht wurde und im Jahre 1840 den Namen Bavon's erhielt, in Folge einer Entscheidung Karl'S V., welchem der Platz, wo der Tempel des Heiligen stand, geeigneter zu einer Citadelle schien. DaS Kollcgiat- Kapitel wurde also nach der Kirche verlegt, wo cs noch jetzt ist; die Kirchs wurde im Jahre 1880 zur Kathedrale erhoben. Saint-Bavon enthält 24 Kapellen, von denen einige mit aiiSgc-. zeichneten Gemälden geschmückt sind. Die zweite rechts ist der heiligen Colette geweiht; hier findet man das Rcliquienkästchcn dcr Heiligen mit der Inschrift: viiwis aneilln vei, rosa vernslis, slvllu üiurns (Gottes süße Magd, Frühlingsrosc, Tagesstcrn). Die sechste in der selben Reihe enthält eines der besten Gemäldc von Franz Pourbus; cS stellt Christus unter den Schriftgclehrten dar. Nach der Sitte dcr Zeit sind fast alle Köpfe dcr Schriftgclehrten Portraits damals lebender Personen. Der Schriftgelchrtc, welcher im Vorgrunde links vom Beschauer steht, ist Karl V'., der hinter ihm Philipp und dcr Dritte, der eine Inschrift auf seiner Mütze trägt, der Künstler selbst. Die elfte Kapelle enthält den kostbarsten Schatz dcr Kirche: das Gemälde der Brüder van Epck, welches das Lamm Gottes darstcllt, das von den Heiligen des alten und neuen Bundes umgeben wird; rechts stehen die Patriarchen und Propheten des alten Testaments, links die Apostel und Märtprcr des neuen. Den Hintergrund füllen Heilige zweiten Ranges, Bischöfe und Jungfrauen, welche in der Hand Palmcnzweige halten. Die Maler, welche doch die Wahl hatten, haben sich mit einem Platze unter den Märtprcr» begnügt. An dieses große Bild schließen sich drei andere, deren Basis cs gleich sam bildet. Das mittlere stellt Christus, auf dem Throne sitzend, dar; mit einer Hand segnet er alle Personen auf dem großen Bilde zu seinen Füßen, in der anderen hält er ein Sccpter. Zu seiner rechten steht die Jungfrau, zur linke» Johannes der Täufer, und im Hinter gründe sieht man die Thürmc Mastrichts, welche die Stadt Jerusalem verstellen, sich von dem blauen Himmel ablösen. Dieses Gemäldc, wclchcS dcn bcwundcrnswürdigstcn Schöpfungen aller Schulen an die Seite gestellt werden kann, wurde bei den Ge brüdern van Epck von Ione de Vits und seiner Frau bestellt, welche cS der Kirche von St. Bavon schenkten. Da cs das zweite in Ocl auSgesührtc Gemälde in Europa war, so verbreitete sich schnell dessen Ruf, und cs entstanden Kalo Wallfahrten zu demselben. Zwei der fromme» Pilger waren Albrecht Dürer und Jean von Maubcugc; sic knieten demüthig vor dem Gemälde nieder und küßten inbrünstig dessen Einfassung. Ein großer Bewunderer des Gemäldes war auch Philipp II. und er that Alles, um sich in dcn Besitz desselben z» sitzen. Aber