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chönliuM Tageblatt Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. und Waldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr ¬ lich 1 Mk. SV Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteurs dieses Mati.L nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Dienstag, den 3. October 1882. 230. "Waldenburg, 2. October. 1882. Die Unabhängigkeit der Presse- Ueber dieses Thema äußert sich die „Staatsb.- Ztg." folgendermaßen: „Jeder politisch gebildete Mensch," so wurde neulich in Freundeskreisen geäußert, „habe sich einer Partei anzuschließen, und zwar derjenigen für die er am meisten Sympathien habe." Diese Ansicht steht nicht vereinzelt da; sie wird getheilt von allen denen, welche sich derart in das Parteitreiben hinein gelebt haben, daß sie ihren politischen Halt zu ver lieren glauben, wenn sie der Partei entsagen, welcher sie bis dahin angehörten. Wie liegt nun aber die Sache, wenn der Führer der Partei sich immer mehr von dem Grundgedanken entfernen, welcher den Kern der Partei bildete, umdeswillen der Betreffende sich derselben Umschloß? Was bleibt ihm weiter übrig, als mit der Partei durch Dück und Dünn zu gehen oder als „Abtrünniger" be zeichnet zu werden. Man nennt das die Partei- disciplin, welcher der Einzelne Opfer zu bringen habe, wenn das Ganze gedeihen solle. Wir nennen es Sklaverei, und zwar die schlimmste, weil sie die von der Rechtsanschauung des Einzelnen geleitete Ueberzeugung in Fesseln schlägt, da er nicht mehr schwarz nennen darf, was schwarz ist, oder weiß, was weiß ist. Mag nun auch zugegeben werden, daß Derjenige, welcher politisch im Hintergrunds steht, sich durch eine derartige Sklaverei nicht allzusehr beengt fühlt, so bleibt doch immer eine sehr große Anzahl von Personen, welche ihrer Ueberzeugung nach verschiedenen Seiten hin Rechnung tragen müssen, welche die Sklaverei doppelt fühlen. Dws trifft ganz besonders zu bei den Vertretern der Presse. Die Parteidisciplin auf der einen, der Verlust seiner Brotstellung auf der anderen Seite, so steht er da, der Nedacteur, um niederzuschreiben, was ihm fremd ist, was mit seiner inneren Ueberzeugung im directen Gegensatz steht. Mag es ihm zuerst auch sauer ankommen, schließlich geht es, wie unzählige Bei spiele von plötzlicher Wandlung zeigen, doch. Das erste Unrecht, die erste Sünde wider besseres Wissen und Wollen ist gethan, und unaufhaltsam geht es vorwärts, bis das Unrecht seine Scham verloren hat. Daß dadurch eine Corruption der Presse ent stehen mußte, liegt auf der Hand; sie ist die Frucht jener furchtbaren Parteisklaverei, welche der freien Meinungsäußerung keinen Raum läßt. Mit fett gedruckten Lettern kündigt der Verleger seine Zeitung als Organ dieser oder jener Partei an, ohne daran zu denken, wieviel Gesinnungstüchtigkeit und Ueber- zeugungStreue er durch diese Affiche geradezu todt- fchlägt, welche Fesseln er Denjenigen anlegt, die sich vielleicht anfangs aus Neigung, später des lieben Brotes wegen zur Mitarbeiterschaft an dem be treffenden Organ berufen fühlen. Mit dem Titel „Organ der . . . Partei hat das betreffende Blatt das Recht seiner Unabhängigkeit zu Grabe getragen; es darf seinen Lesern nur das auftischen, was die Partei wünscht, wenn es seine von derselben ab hängige Existenz erhalten will. Es wird so oft von „officiösen Soldschreiben" gesprochen, man sollte mit diesem Ausspruch etwas vorsichtiger sein, namentlich seitens Derjenigen, die fest geknebelt und gefesselt in der Parteifklaverei schmachten und das Licht der eigenen freien Ueberzeugung unter den Scheffel verbergen müssen. Wir könnten eine große Menge von Personen nennen, von denen wir be stimmt wissen, daß sie nicht schreiben können, was sie wollen, sondern das, was die Partei will, der das betreffende Blatt sich als Parteiorgan verschrieben hat; wir vermeiden dies aber, weil wir es hier Überhaupt mit keiner Personenfrage zu thun haben, sondern mit einer Frage, die tief in das Rechtsbe wußtsein des Volkes einschneidet. Mögen die ein zelnen Personen sich der Parteidisciplin so lange, wie sie es mit ihrem Gewissen vereinbar finden, unterwerfen; der Presse aber geziemt es, ihre' volle Unabhängigkeit zu wahren und sich von keinem Führer der Partei, so hoch derselbe auch innerhalb derselben steht, beeinflussen zu lassen. Erfüllt die Presse diese Aufgabe, so wird sie auch refirmirend auf das Parteiwesen wirken, das sich heute in dem denkbar schmutzigsten Fahrwasser bewegt. Möge die Presse das stolze Bewußtsein, die Führerin der öffentlichen Meinung, die Schuls der politischen Erziehung und die Förderin der Sittlichkeit zu sein, voll und ganz empfinden und dadurch wieder den Platz einnehmen, der ihr die Achtung des Volkes sichert! Eine unabhängige Presse! — das ist der Nothschrei, der durch die ganze Welt geht." "Waldenburg, 2. October 1882. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Die „Norddeutsche" setzt ihren Feldzug gegen die Idee der Zwangsinnungen fort. Diese Artikel des Berliner Regierungsblattes gegen die Zwangs innungen werden auf eine Weisung des Reichs kanzlers zurückgeführt, bei welchen fortwährend Petitionen für die Errichtung obligatorischer Innungen eingehen, aber größtentheils unbeantwortet bleiben. In Regierungskreisen befürchtet man nämlich, daß die Agitation für Zwangsinnungen die Ausführung des neuen Reichs-Jnnungsgesetzes aufhalten und daß dann der Regierung die Schuld aufgehängt werden wird, daß das Jnnungsgesetz mit der Bil dung freier Innungen Fiasco gemacht habe. Das Schicksal der an den Reichstag gelangten Petitionen wegen Einführung obligatorischer Innungen ist schon von vornherein besiegelt. Im Görlitz-Laubaner Wahlkreise sind/ namhafte Führer der nationalliberalen Partei mit einem Auf ruf vor die Oeffentlichkeit getreten, in welchem ge sagt wird, daß die inmitten der beiden extremen Strömungen stehenden Mittelparteien, die national liberale und die freiconservative Partei mit ihren verwandten Elementen, das gemeinsam haben, „daß sie erstens den weitergehenden Forderungen ihrer extremeren Richtungen entgegentreten, und zweitens, daß sie eine Gesetzgebung anstreben, in welcher sich die Volks- wie die Regierungsrechte das Gleichgewicht halten." „Wir wollen also," heißt es dann weiter, „getreu der alten Mission der nationalliberalen Partei, eine Mittelpartei, be stehend aus den Nationalliberalen und den Frei- conservativen nebst den ihr verwandten Elementen. Sie sollen im Landtage wie im Reichstage zu einer Union zusammentreten, das eine Mal unter dem Vorsitz des nationalliberalen, das andere Mal unter dem des freiconservativen Führers. Für jede Vor lage soll diese Partei dann Verstärkung von links wie von rechts suchen." Die Görlitzer Handelskammer ist bekanntlich vom Handelsministerium ihrer amtlichen Functionen enthoben worden. Trotzdem wird sie, wie man der „Voss. Ztg." schreibt, nach wie vor von dem Ge richte um Auskunft ersucht, erhält die Zusendungen und Aufforderungen zu Gutachten rc. und verkehrt mit den übrigen Behörden, mit Ausnahme des Handelsministeriums. Wie verlautet, wird demnächst der König von Baiern die Moskauer Ausstellung iuooAMto besuchen. Wie die „Deutsche Petersburger Zeitung" erfährt, ge- denktsichder KönigalsdannnachPetersburg zu begeben, um dort einige Tage der Besichtigung der Eremitage und dem Besuchs der Theater speciell der russischen Oper zu widmen. Ungarn. In Preßburg ist es, wie bereits erwähnt, am Mitt woch und Donnerstag Abend zu Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung gekommen. Am Mittwoch wurden in mehreren Häusern, die von Juden bewohnt werden, durch lärmende Volkshaufen die Fenster eingeworfen; dasselbe wiederholte sich am Donnerstag Abend, nur leider in größerem Umfange. Der Preßburger Pöbel beging in mehreren von Juden bewohnten Gassen solche Excesse, daß er durch das Militär auseinandergetrieben werden mußte. Gegen vierzig Personen wurden verhaftet. Der Magistrat von Preßburg tagte die ganze Nacht hindurch und erließ einen Beruhigungsaufruf, während das Militär in den Kasernen consignirt blieb. Um der Bevölkerung, namentlich auch der aus der Um gegend, den Anlaß zu einer Wiederholung der Un ruhen zu nehmen, ist beschlossen worden, den am nächsten Montag stattfindenden Jahrmarkt ausfallen zu lassen. Bei der großen Erregung, welche der Tisza-Eßlarer Prozeß in Ungarn hervorgerufen hat, sind diese Krawalle nicht unerklärlich. Am Sonn abend ist thatsächlich der Ausnahmezustand ein geführt worden. Die Garnison ist verdreifacht, alle vom Lande nach der Stadt führenden Wege sind militärisch besetzt, Niemand kann ohne genügende Legitimation nach der Stadt gelangen, in welcher jede Ansammlung an öffentlichen Orten verboten und amtliche Ankündigung sofortige Anwendung von Waffengewaltbei der geringsten Ausschreitung an droht. Frankreich. Das Contingent, welches 1883 der französischen Armee einverleibt werden soll, beträgt 167,478 Mann, 129,150, welche fünf Jahre und 38,328, welche nur ein Jahr dienen sollen. Die 167,478 Mann vertheilen sich wie folgt auf die verschiedenen Waffengattungen: 107,032 für die Infanterie, 20,019 für die Kavallerie, 27,880 für die Artillerie, 3372 für das Genie, 3082 für das Fuhrwesen und 6093 für das Verpflegungscorps. Das künftige Contingent übersteigt das von diesem Jahre um 5287 Mann, von denen 2218 der Infanterie zuge lheilt werden. Es wird versichert, daß eine große Versammlung aller republikanischen Deputirten bevorstehe, zu welcher mehrere Pariser Abgeordnete die Initiative ergriffen. Rußland. Laut einer Meldung des „Golos" fand auf dem Rundschiffe „Popowka Nowgorod" eine Minen- Explosion statt, welche das Deck und den Eisen bau des Schiffsvordertheils zerstörte. Kürzlich erst waren von dem in Sebastopol überwinternden Schiffe die Armirung und 1000 Pud Pulver ans Land gebracht worden. Die Ursache der Explosion ist unbekannt. Ein Unteroffizier, welcher im Moment des Unglücks in der Minenkammer war, ist todt. Die Gesammtzahl der Todten und Verwundeten beträgt achtzehn, darunter fünf Offiziere, vier Ma trosen, acht Untermilitärs und ein Beamter. See- Offizier Kussin und Mechaniker Iwanow sind todt. Egypten. Die am Sonnabend stattgefundene Truppen revue vor dem Khedive dauerte etwa zwei Stunden und nahm trotz der ungünstigen Witterung einen befriedigenden Verlauf. Eine große Anzahl Einge borener wohnten dem militärischen Schauspiel bei. Es sind neuerdings noch acht Personen verhaftet worden, welche die Weiterverbreitung des Bahnhofsbrandes gefördert haben sollen. Ge rüchtweise verlautet, daß in einem Bündel Heu,