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Hokdene Schranken. Frei nach dein Englischen von Clara Rheinau. IS. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) fragte er leicht errötend, „das ist nicht der Rede inert. Aber wenn ich Ihnen zum Wohl unserer Mitmenschen behilflich sein kann, so dürfen Sie jederzeit auf mich rechnen. Ich weiß," fuhr er lächelnd fort, „welche Ideen junge Damen sich gewöhnlich in den Kopf setzen: verschämte Arme, tief, gesunkene Männer und Frauen, verkommene Kinder — alle sollen brav und gut und glücklich gemacht werden durch einen einzigen magischen Federzug." „Wie Sie meinem Vater gleichen, wenn Sie in dieser Weise reden!" „Ich bitte um Verzeihung, wenn meine Worte satyrisch klangen, aber ich sprach in vollen) Ernst. Bedenken Sie nur, ich meine die jungen Damen und wer möchte diese anders nässen? Es wäre in der Tat traurig, wenn nicht wenigstens die Jugend ihre stolzen Träume hätte. Leider sind sie über- dies nur von kurzer Dauer. Ich wollte ja nur sagen, daß junge Damen den Rat und die Erfahrung älterer Leute brauchten, um ihren Ideen und Plänen erst die richtige Form zu geben. Ihren Vater," fügte er nachdenklich bei, „habe ich nie gekannt, obschon ich ihm in Indien begegnete." „Ich erinnere mich, daß Sie in Furlby davon sprachen." „In Furlbh!" wiederholte Ralph in weichem Tone. „Ach ja Sie trugen damals ein rotes Kleid und bereiteten selbst uns den ivärmenden 'Tee. Was ist aus Fräulein Edwards geworden?" „Sie hat eine sehr gute Stelle in London gefunden. Wenn ich aber mein eigenes Heim habe, wird sie zu mir ziehen. Das ist fest ausgemacht." „Sie scheinen schon vieles ausgemacht zu haben. Was sagt Frau Godwin zu Ihren Plänen?" „Sie ist sehr gütig, aber ich glaube, in ihrem Herzen hält sie mich für eine kleine Närrin, weil ich beschlossen habe, ans deni Lande zu wohnen." Ralph lächelte. „Doch um wieder auf Ihren Vater zu rückzu kommen, ich hörte öfters, daß ich ihm ähnlich sehe." „Allerdings, manchmal znm Verwechseln, und doch dann auch wieder nicht." „Ich wünschte, ich hätte ihn gekannt," bemerkte Ralph sinnend, „inenn auch nur, um einige Vorurteile zu zerstreuen, die er in Bezug auf mich und die meinigen zu hegen schien." Eine kurze Pause trat ein, dann fragte Vera: „Waren Sie gerne in Indien?" „Gerne? — gewiß. Wenn meine Urlaubszeit hier um ist. werde ich wohl wieder dahin zurückkehren. Meine zahl- reiche Familie macht viele Kosten, deshalb muß ich den höheren Sold im Auge behalten." In diesen) Augenblick erhob sich Lady Sinclair, ein Zeichen für die Damen, sich in den Salon zurückzuziehen. Vera war überrascht. Wie wunderbarrasch wardieses Dinervcr- laufen. obschon die Speisekarten eine beträchtliche Länge zeigten. Auch Ralph hatte eine ähnliche Empfindung, als er im kleinen Vorzimmer bei dem behaglichen Kaminfeuer Platz nahm. Er hatte sich hierlier zurückgezogen, um ungestört seinen Gedanken nachhängen zu können. Er wollte sein Verhältnis zu Vera einmal direkt ins Auge fassen, ihre Be ziehungen zu einander ein für allemal festsetzen. Sie waren Verwandte, sie trafen einander fortwährend und sie durften nur gleichgültig mit einander verkehren. Aber uns lag daran? Wie mancher Cousin war der beste Freund seiner Cousine, ohne an eine Heirat mit ihr zu denken. Warum sollten nicht er und Vera auch gute Freunde werden und nickst mehr? Das schöne junge Mädchen, das so allein und freundlos in der Welt stand, interessierte ihn. Sollte er zugeben, daß jenes Testament, dessen Spitze hauptsächlich gegen ihn, den einzigen, heiratsfähigen Mann der Familie gerichtet ivar, einen freundschaftlichen Verkehr zwischen ihnen hinderte? Sicher nicht. Bisher hatte sein Stolz ihn von Vera ferngehalten, aber heute abend schien diese Schranke zwischen ihnen gefallen zu sein. Einfach und natürlich hatten sic miteinander gesprochen, als ob Wilfred Godwins Testa ment nrit seinem feinen Gift nie geschrieben worden wäre. Und einen Punkt gab es, der eine Annäherung seinerseits zu erleichtern vermochte: Vera konnte ihn nicht für einen Glücks jäger halten, denn bei seiner Berührung würde ihr Gold dahin schwinden! 13. Der Winter neigte sich seinem Ende zu und Bera und ihre Stiefmutter weilten ruhig in Belgrave Square. Frau Godwin war so gleichgültig geworden, daß sie mit Vera den Platz getauscht hatte. Vera war nun in WirNichkeit die Herrin des Hauses und entwickelte in ihrer neuen Würde eine Energie und Umsicht, die. da sie stets Frau Godwins Be hagen berücksichtigte, dieser sehr annehmbar erschien. Lord Allan ivar noch wie vor ein häufiger Besucher in Belgrave Square. Vera konnte bald nicht mehr im Zweifel darüber sein, daß ihre noch immer jugendlich schöne Stief mutter der Magnet war, der ihn dahin zog. Allein, sie ahnte nickst im entferntesten, daß Lord Allan zu den wenigen gehörte, ivelche die letztwiüigen Verfügungen ihres Vaters kannten und daß er mit einer gewissen BefriÄnguug die Beziehungen zwischen Belgrave Square und Queens Tate beobachtete. Es war in der Tat nicht mehr zu leugnen, der Wider- hall von Wilsred Godwins Testament wurde schwächer und schwächer, fast vergessen in der warmen Freundschaft, welche zwischen den beiden Cousinen sich entspannen hatte, und so- wohl von Cousine Jenny, als Frau Godwin, die ahnungs- los nach Lord Allans Pfeife tanzte, noch gefördert wurde. Dazu kam nach, daß Ralph infolge einer Erkältung sich ein rheumatisches Fieber zuzog und lange Wochen die Gastfreundschaft von Queens Gate in Anspruch nehmen nrußte. Als Vera eines Morgens durch Mabel hörte, daß Ralph schwer erkrankt im oberen Stockwerk liege, vermochte sie ihren Schrecken so wenig zu bemeistern, daß die Cousine augenblicklich ihr Geheimnis verriet. Mabel selbst wünschte nichts sehnlicher, als daß Ralph und Vera ein Paar werden würden und von diesem Augenblicke an stÄlte sie sich aut die Seite jener, welche daran arbeiteten, Wilfred GodwinS Testament, dessen Klauseln ihr unbekannt waren, zu einem toten Buchstaben zu machen. Es war ein glücklicher Tag in Queens Gate, als Ralph znm ersten Male wieder im Familienzimmer den Tee ein nehmen durste. Er hatte zwar das Fieber Überstunden, aber eine große Schwäche war zurückgeblieben und diese machte ihn anfangs sehr willig, die lickevollen Aufmerksamkeiten,