Volltext Seite (XML)
«7« ÄMKilU zur AWm AmtzkÜW Nr. 176. zu Nr. 151 des Hauptblattes. 1928. Beauftragt mit der Herausgabe Regierungsrat Braube in Dresden. Landtaftsverhandlunften. (Fortsetzung der 82. Sitzung vo« Dienstag, de« 29. Juni 1928.) Abg. Dobbert lSoz.): Bei dem Kapitel Gewerbe ist e- selbstverständlich am Platze, gegen die Auswüchse der Kartelle, Syndikate, Trusts und Konzerne einige Worte zu sagen. Es ist zu verzeichnen, daß gerade der Landesausschuß des Sächsischen Handwerks das Wirt schaftsministerium mehrfach ersucht hat, gegen den Miß brauch der Kartellgewalt einzuschreiten, und in der Denkschrift, die die Regierung uns übermittelt hat, wird in immerhin vielen Fällen gezeigt, daß tatsächlich ein Mißbrauch der Machtstellung der Kartelle Vorgelegen hat und daß es gerade die Handwerker gewesen sind, wie die Proteste des Landesausschusses beweisen, aber auch kleinere Fabrikanten und Genossenschaften, die sich gegen den Mißbrauch der Kartellgewalt zur Wehr gesetzt haben. Es würde zu weit sühren, heute eingehend diese Denkschrift zu behandeln, es genügt wohl festzustellen, daß eine allgemeine Tendenz jetzt und in Zukunft ob walten muß, daß vom Staat gegen den Mißbrauch der Kartelle eingeschritten wird. Jeder Staat muß heute dafür sorgen, daß die Monopolstellung der Kartelle und Trusts nicht dazu benutzt wird, die breite Masse der Verbraucher zu schröpfen. Zu dieser breiten Masse gehören nicht nur die Arbeiter, Angestellten und Be amten, sondern auch die Handwerker, Gewerbetreibenden und in Sachsen vor allem die Fertigwarenindustrie. Was in bezug auf Kartelldiktatur von der erzeugenden In dustrie geleistet wird, spottet vielfach jeder Beschreibung. Wir Sozialdemokraten richten als Kampfziel in bezug auf die wirksame Bekämpfung der Kartelldiktatur unser altes großes Ziel auf: Sozialisierung der dazu reisen Schlüsselindustrien. Allein die Sozialisierung von Kohle, Eisen und Stahl und der Grundstoffindustrien wird es ermöglichen, wirksam die Kartelldiktatur zu brechen; und wenn wir auch heute noch nicht stark genug sein sollten, gegen die Monopolgewalt dieser großindustriellen Kar- telle, Syndikate und Konzerne anzukämpfen, einmal wird doch der Tag kommen, wo wir stark genug sind, um mit wirklich durchgreifenden Mitteln mit Hilfe der Sozialisierungsmaßnahmen gegen die Kartelldiktatur vorzugehen. Aber die Kreise, die ebenso wie die breite Masse der Verbraucher von der Kartelldiktatur bedroht sind, die Kreise des Handwerks, des Handels und des Kleingewerbes, ja sogar auch die deutsche Fertigindustrie, leisten heute politisch der kartellierten und vertrusteten Schwerindustrie Gefolgschaft, sie sorgen dafür, daß politisch die Herrschaft dieser Trusts und Konzerne mehr und mehr gestützt wird, und Sie müßten eigentlich, meine Herren vom Handwerk, von der Wirtschaftspartei, vom Landbund, mit uns Hand in Hand gehen, um die Kartelldiktatur zu bekämpfen. (Lachen b. d. Dnat.) Uber Ihr Lachen wird die wirtschaftliche Entwicklung zur Tagesordnung übergehen. Mit uns ist die Entwick lung! Nur durch die Sozialisierung werden wir die Kartelldiktatur ernstlich bekämpfen können. (Lebhaftes Bravo! b. d. Soz. — Zurufe rechts) Ber.-Erst. Abg. Kuntzsch (Dnat. — Schlußwort): Ich möchte darauf Hinweisen, daß wir mit den Ausführungen des Herrn Abg. Dobbert, die sich gegen die Auswüchse des Kartellwesens richten, voll und ganz einverstanden sind. (Sehr richtig! rechts. — Bravo! b. d. Soz.) Wenn er aber darin einen Grund steht, daß wir für die Soziali sierung der Betriebe eintreten, so irrt er sich. Wir haben mit der Sozialisierung die Erfahrung gemacht, daß dort noch schlimmere Auswüchse gerade gegenüber dem Handwerk und dem Gewerbe bestehen. (Sehr richtig! b. d. Dnat.) Auf Antrag des Abg. Vr. Blüher (D. Vp) beschließt der Landtag, die Abstimmung ebenso wie die über die folgenden Punkte erst in der nächsten Sitzung am Donnerstag stattfinden zu lassen und bei Punkt- 11 der Tagesordnung die Sitzung abzubrechen. Nächster Punkt der Tagesordnung: Zweite Be ratung über Kap. 43 Dit. 19 — Förderung des Luft- fahrwefenS (künftig wegfattend) — des ordentlichen StaatShanShaltplanS für das Rechnungsjahr 1928 (Deilbericht). (Mündlicher Bericht des HauShaltanS- schusseS v, Drucksache Rr. 85S) Der Antrag Nr. 855 lautet: Der Landtag wolle beschließen: die Einstellung bei Kap. 43 Tit. 10 des ordentlichen StaatShauhaltsplanS für 1928 nach der Vorlage zu genehmigen. Der Herr Berichterstatter verzichtet. Abg. Börner (Dnat): Bereits am 26. April habe ich eine Angelegenheit hier zur Sprache gebracht, die ich In Verbindung mit dem Tit. 10 deS außerordentlichen StaatshauShaltplanS noch einmal berühren muß. Es handelt sich darum, daß das Reich zusammen mit Preußen und der Lufthansa A.-G. den Flughafen in Leipzig-Mockau stillegen will. Wir müssen dagegen ent schieden Stellung nehmen. ES handelt sich aber nicht nur darum, den Mockauer Hafen lahmzulegen, sondern auch darum, die nordbayerische Berkehrsflug A.-G., die allein den Mockauer Hafen befliegt, zu schädigen. Dabei arbeitet gerade die Nordbayerische VerkehrSflug A.-G. billiger als die Lufthansa A -G. Es handelt sich vor allen Dingen darum, daß die Linie Plauen—Leipzig- Mockau—Berlin heute noch immer nicht vom Neichs- verkehrsministerium genehmigt ist. Ich hatte bereits am 26. April darum gebeten, daß sich die Staatsregierung darum kümmern möge. Aber die sächsische Regierung ist anscheinend noch nicht mächtig genug, um das Reich zu beeinflussen, richtig zu handeln. (Hört, hört! links.) Ich muß daher fordern, daß erstens einmal die Be sprechung, von der am 26. April Herr Geheimrat Just gesprochen hat, nun bald statlsindet, und daß zweitens die Genehmigung zum Betreiben der Linie von Leipzig- Mockau nach Berlin endlich vom Reiche eingeht. Ministerialrat Köpcke: Die Besprechung, die Herr Abg. Börner eben erwähnt hat, wird in der nächsten Zeit stattfinden, sobald der neue Neichsverkehrsminister ernannt ist. Der bisherige Herr Reichsverkehrsminister hat sich in dieser Sache derartig festgelegt (Abg. Börner: Für Schkeuditz!) — ja für Schkeuditz und auch für die Ansicht des Reichsverkehrsministeriums als ganzen, so daß ihm nach uns zugegangenen Nachrichten nicht zugemutet werden soll, seine Meinung zu revidieren. Daß sie revidiert werden muß, davon sind wir voll kommen überzeugt. Wir haben fast jede Woche in Berlin von neuem angefragt und haben gedrängt, und das Interessante ist, daß sich nun zur Unterstützung der Nordbayrischen Berkehrsgesellschast auch Bayern und Thüringen uns angeschlossen haben. Sie haben beide darum gebeten, an der Besprechung teilzunehmen, und nun hoffen wir, daß unsere Anträge und unsere be rechtigten Wünsche — wir stehen den Wünschen Leipzigs vollkommen sympathisch gegenüber — erfüllt werden. Tie ganze Aufrollung der Bedürfnisfrage war außer- ordentlich — ich möchte einmal sagen — ungeschickt. Während im vorigen Jahre auf der Linie Leipzig—Beilin 5 Flugzeugfahrten genehmigt wurden, hat jetzt der Neichsverkehrsminister nur 4 genehmigt — alle über Schkeuditz — und dies in einem Gebiet, die wie keine andere Stelle in Deutschland geeignet ist, den» Verkehr zu dienen und auch der Luftfahrt neue Freunde zuzu führen. Das ist einer der wesentlichen Gründe, die uns veranlassen, für Mockau einzutreten. Es ist ja so, daß Schkeuditz fürs nächste für den Fernverkehr die Haupt- rolle spielen wird, aber die Ansprüche Leipzigs, für den Nahverkehr sich einzusetzen und im Nahverkehr — nament lich für die Messe — etwas Individuelles zu leisten, sind derartig berechtigt, daß die Regierung hier die Macht der Tatsachen einfach hinter sich fühlt und in ihren Bestrebungen nicht aufhören wird, diese berech tigten Wünsche Leipzigs unbedingt zum Durchbruch zu brmgen. Abg. Ferkel (Soz.): Wir lehnen wie im Vorjahre die 400000 M. ab, weil es sich hier um ein reines Ge schenk an die Lufthasengesellschaft handelt. Wir glauben, daß die Gelder des Staates, die im wesentlichen von den breiten Massen des Staates aufgebracht werden, besser zu anderen Zwecken verwendet werden können. Nächster Punkt: Beratung über daS Gesuch Rr. 2983 der Marlha verw. Voigt geb. Seyfert in Wachwitz um Nachprüfung ihres Todesurteils. (Münd licher Bericht des Prüfungsausschusses, Drucksache Rr. 848.) Der Antrag Nr. 848 lautet: Ter Landtag wolle beschließen: die Regierung zu ersuchen, im Falle eines erneuten Wiederaufnahmeantrages der Frau Voigt die Staats anwaltschaft anzuweisen, keineRechtsmittelzuungunsten der Frau Voigt einzulegen. Ber.-Erst. Abg. Menke (Soz.): Eine Frau Martha verw. Voigt geb. Seyfert, zurzeit in Wachwitz, früher in Chemnitz wohnend, hat ein Gesuch an den Landtag gerichtet um Nachprüfung ihrer Strafsache. Sie schreib! in dem Gesuch dem Sinne nach folgendes: Sie sei am 16. Oktober 1911 vom Schwurgericht in Chemnitz zum Tode verurteilt worden, weil sie ihre damals 12jährige Tochter Hertha vergiftet haben sollte. Sie sei dann aber später, und zwar am 12. März 1912, von der Regierung zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt und in daS Zuchthaus Waldheim eingeliefert worden, wo sie bis zum Jahre 1922 verblieben sei, obwohl sie nach ihrer Angabe vollkommen unschuldig sei. Sie weist darauf hin, daß sie sich ständig Mühe gegeben habe, mit gutem Gewissen tätig zu sein, ihre Unschuld zu beteuern. Sie versichert, daß sie daS Opfer eines Justiz, irrtums geworden sei. Sie habe sich wiederholt bemüht, eine Wiederaufnahme des Verfahrens durchzusetzen, habe aber leider keinen Erfolg damit gehabt. Schließlich sei es ihr aber geglückt, Gutachten von wissenschaftlich be deutenden Männern beizuziehen, die so sehr für ihre Unschuld sprachen, daß ihr schließlich im Oktober 1922 im Gnadenwege eine Unterbrechung der Strafvollstreckung bewilligt wurde und daß endlich auch das Justizmini sterium die Staatsanwaltschaft in Chemnitz angewiesen hat, ein Wiederaufnahmeverfahren zu ihren Gunsten zu be treiben. Sie beschwert sick darüber, daß wohl auf der einen Seite die Staatsanwaltschaft da» Wiederaufnahmever- fahren eingeleitet habe, daß aber andererseits, al» da» Ge ¬ richt einen Beschluß gefaßt habe, dem Wiederaufnahme verfahren stattzugeben und die Frau ohne weitere Ver handlung auf Grund der vorliegenden ärztlichen Gut achten freizusprechen, der Staatsanwalt gegen diesen Beschluß Einspruch erhoben habe und daß er dann, als das Gericht einen positiven Beschluß faßte, das Wieder aufnahmeverfahren einzuleiten, er dagegen beim Ober landesgericht Einspruch erhob. Das Oberlandesgericht hat dann den Beschluß des Landgerichts Chemnitz auf gehoben und hat ausgesührt, daß allerdings — die Fran soll ihr Kind mit Bitterkleesalz vergiftet haben — die Gutachten nicht einwandfrei bewiesen, daß das Kind mit Bitterkleesalz vergiftet worden sei, daß aber immer hin die Möglichkeit bestände, daß das Kind mit einem anderen Gifte in den Tod getrieben worden fei und daß deshalb das Wiederaufnahmeverfahren durch Beschluß des Oberlandesgerichts illusorisch gemacht worden sei. Die Frau weist dann darauf hin, daß sie jetzt erneut ein Gut achten von Geheimrat vr. Gadamer in Marburg habe. Sie will nun ein neues Wiederaufnahmeverfahren bean tragen, sie wünscht, daß der Landtag auf die Regierung einwirkt, daß die Regierung diesen: Wiederaufnahme verfahren keine Schwierigkeiten in den Weg legt und daß auch keinerlei Nechtseinwendungen gegen den Be schluß, das Wiederaufnahmeverfahren cinzuleiten, vom Justizministerium respektive von der Staatsanwaltschaft irgendwie eingelegt würden. Der Prüfungsausschuß hat sich sehr eingehend mit dieser Frage befaßt. Er tst — ich darf wohl sagen in seiner Gesamtheit — zu der Auffassung gekommen, daß mindestens das Todesurteil auf Grund sehr zweifelhafter oder ungenügender In dizien und sehr zweifelhafter Gutachten zustande gekom men ist. Der Ausschuß glaubt auch, daß die Regierung keine Ursache haben könne, einem Wiederaufnahme- beschluß irgendwelche Schwierigkeiten zu bereiten, und daß sie den Staatsanwalt anweisen solle, keinerlei Rechtsmittel gegen einen solchen Beschluß des Land gerichts einzuwendcn. Deshalb ist der Ausschuß einstimmig zu dem Beschluß gekommen, der in der Drucksache Nr. 848 vorliegt. Ich habe Sie zu bitten, diesem Anträge Ihre Zustimmung zu geben. Redner geht sodann als Fraktionsredner aus die Einzelheiten deS Falles ein. Er glaubt, daß sich die Regierung nichts vergebe, wenn sie nicht nur keine Schwierigkeiten bereite, sondern auch das Wiederauf nahmeverfahren fördere. Ministerialdirektor Rauschenbach: Meine Damen und Herren! Das Justizministerium muß nach seiner Ansicht davon absehen, auf die Einzelheiten des Falles hier im Plenum einzugehen. (Abg. vr. Dehne: Sehr richtig!) Dazu sind die Einzelheiten in tatsächlicher und in rechtlicher Beziehung viel zu verwickelt. Nach der Ansicht des Justizministeriums bedarf aus dem gleichen Grunde, weil die Sache eben so schwierig ist, der Fall nach der tatsächlichen und nach der rechtlichen Seite hin noch einer ergänzenden Prüfung. Deshalb bittet daS Justizministerium, heute von einer Schluß abstimmung abzusehen und die Sache an den Rechts- ausschuß zu überweisen. Es gestattet sich, dabei auf §28 Abs. 2 der Geschäftsordnung Bezug zu nehmen, und dann auf 8 45, aus dem hervorgeht, daß der An trag, den der Prüfungsausschuß gestellt hat, wirklich auch als Antrag im Sinne der Geschäftsordnung an zusehen ist. Stellv. Präsident vr. Eckardt: Meiner Meinung nach ist geschäftSordnungsmäßig dieser Weg unmöglich, denn 8 45 sagt ausdrücklich, daß der von einem Ausschuß ge faßte Antrag als Beschluß des Landtages gilt, falls nicht der Ausschuß selbst oder wenigstens 10 Abgeordnete spätestens am 8. Werktage die Beschlußfassung in einer Vollsitzung beantragen. Der Gegenstand ist dann zur Schlußberatung auf eine Tagesordnung zu bringen. Also das ist jetzt die Schlußberatung. Es steht natürlich nichts entgegen, daß wir das jetzt noch dem Rechts ausschuß überweisen, wenn sich kein Widerspruch erhebt. Wir kommen jetzt zur Aussprache. Aba. vr. Kretzschmar (Dnat.) wendet sich gegen die Darstellung des Berichterstatters, als ob man im Prüfungsausschuß einstimmig der Meinung gewesen wäre, es liege hier ein Fehlurteil des Schwurgericht» vor. Davon sei keine Rede. Er stellt den Antrag auf Verweisung an den Rechtsausschuß. Stellv. Präsident vr. Eckardt: Ich hatte vorhin an genommen, daß es sich um einen Beschluß des Prüfungs ausschusses handelt, es handelt sich aber um einen Antrag des Prüfungsausschusses. Infolgedessen ist e» vollständig zulässig, die Sache an den Rechtsausschuß zu verweisen. Abg. vr. Dehne (Dem.): Der Prüfungsausschuß hat einen Beschluß gefaßt, der in feiner Fassung so ist, daß er meiner Ansicyt nach vom Landtage nicht an genommen werden kann. Er verlangt wirklich etwa» Unmögliches von der Regierung. (Widerspruch de» Abg. Menke ) Die Regierung soll einen Staatsanwalt anweisen, von Einlegung eines Rechtsmittel» gegen einen Beschluß abzuseyen, der noch gar nicht ergangen ist. Ganz gleichgültig, wie dieser Beschluß begründet wird, soll heute schon festgestellt werden: gegen de»