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Mittwoch, SS. September IW». V»N S»00 »Umti MiiMnl «r. 2SO. Vierter Jahrgang. 5luer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge verantwortlich«» Redakteur: rett, Rntddia. Für dir Inserate verantwortlich: Äülltk tzr,«,. Beide in Ao« i. Lrzzeb. mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Sonntagsblatt. Sprechstunde d« Redaktion mit Ausnahme der Sonntag» nachmittags von «—S Ahr. — Telegramm. Adresse: Tageblatt Ao«. — Fernsprecher ». Für unverlangt »ingesandt» Manoskripi« kann Gewähr nicht geleistet werden. Druck mid Verlag Neer Den» >. v»rIi«»-8»«IIeaiN m. b. ff. in Aoe i. Erzgeb. Bezugspreis: Durch unser» Boten frei in» Bao, monatlich ro pfg. 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Hptbl.) * Der Zeppelin III ist gestern von Düffeldorf nach Frank furt a. M. zu rück gekehrt. Die Fahrt verlief ohne jeden Zwischenfall. Die Landung in Frankfurt erfolgte 5»/. Uhr nachmittags. (S. Sport.) * Der neuerbaute Parseval IV hat gestern von der Bitterfelder Ballonhalle aus seine ersten Probe fahrten unternommen, die ein vorzügliches Resultat ergaben. (S. Sport.) ch Wie aus Neuyork gemeldet wird, ist der Nordpolent- decker Cook in Brooklyn eingelroffen, wo ihm ein festlicher Empfang bereitet wurde. UM" Mutmaßliche Witterung am 23. September: Ostwind, heiter, trocken, starke Temperaturschwankungen. Die Ausgaben des neuen sächsischen Landtags. i. T Seit allen Zeilen schon, soweit das politische Leben zu rück»?,cht, haben sich zwei Weltanschauungen gegenüber gestanden, nämlick die liberale und die konservative. Von beiden bestehen freilich viele Uebe'gänge und Mischungsformen. Der einzelne Staatsbürger denkt — wie in einer im Nationalliberalen Vereinsblatt veröffentlichten Landtagswahlrcde ausgesührt wird, in einzelnen Beziehungen konservativ, in anderen liberal. Für liberal gilt ein Mann, der vorwiegend liberale Anschauungen vertritt, für konservativ, wenn er in den meisten Beziehungen konservativ denkt und fühlt. Der ganz starre Konservatismus hat ja in unseren Tagen keinen Raum. Freilich gibt cs auch heute noch einzelne Männer, die der Meinung sind, daß unsere, Gesellschaftsordnung gottgewollt und daruni unabänderlich sei, daff vulmehr sündige, wer sie ändern und fortbilden wolle. Diese Männer scheinen ihre Weltanschauung aus dem Eddaliede Rigsinal gebildet zu haben. In diesem Liede, das etwa im dreizehnten Jahrhundert aus der Insel Island ausgezeichnet ist, wird ge schildert, wie die altgermauischen Götter die Stände entstehen lassen. Drei Stände gab es damals: Adel, Bauern und Knechie. Sie haben also in jenem Eddaliede die Lehre von der göttlichen Weitordnung in reinster Form, in so reiner Form, wie >>e heutigentags nur noch bet osteltnschen Junkern vorkommt. Die Liberaien haben aus der Geschichte gelernt. Sie wissen, daß der griechiiche Wcltweise Heraklit recht hatte, wenn er sagte: Alles fließt. Auch unsere StaatSetnrichtungen, unsere Gesellschafts ordnung sind in steter Entwicklung und Fortbildung begriffen. Welche Aeuderungen schließt allein das verflossene Jahrhundert in sich! Welche Umbildungen und Neuerungen hat uns die Zeit gebracht, seit Napoleons Heere durch die deutschen Gaue zogen und den brandenburgisch-preußischen Staat zertlümmertenl Die Bauern, die damals Frohnarbeitcr von niedriger Lebenshaltung wäre», wurden aus der Leibeigenschaft, Schollenpflichtigkeit und Hörigkeit befreit, die konstitutionellen Verfassungen wurden in den Bundesstaaten ge chasf.n, die Selbstverwaltung eingeführt. Der Deutsche Bund ging dahin; der Norddeutsche Bund kam und entwickelte sich zum R.iche. Das deutsche Volk wuchs um 28 Millionen. Deutschland wurde Industriestaat und ersetzte das Freidundelssyst.'m durch ein Schutzzollsystem. Ein zahlreicher Stand von Jndustri. arbeitcrn erwuchs und stellte dem Staate und seiner Gesetzgebung neue Aufgabe«. Die ganze gewaltige Entwicklung des abgelausenca Jahrhunderts ist ohne schwere innere Katastroph n und Störungen verlaufen. Das war möglich, weil nur eine stetige Fortentwicklung halten. Die StaatS etnrichtungen wurden fortlaufend in ruhiger, besonnener Arbeit den veränderten tatsächlichen Verhältnissen angcpaßt. So wurde ernsteren Störungen vorgebeu.it. Und Vorbeugung und Zuoor- toiiimcn ist ein wesentlicher Faktor in Politik und Rechtspflege. Nur die künstliche Zurückoämmung der nationalen Einheits bestrebungen lieb es 1848 und 1848 zu Katastrophen kommen. Hiernach wird man es verstehen, dass überall eine zeit gemäße Fortbildung unserer sämtlichen Staats ei n r i ch t u n g e u eine Notwendigkeit ist. Wie ein Künstler auf das rechte Verhältnis von Stoff und Form achten muß, wenn anders das Gebilde seiner Hand ein Kunstwerk werden soll, so muß der Politiker und Staatsmann darauf bedacht sein, daß die Staatseinrichtung den tatsächlichen Ver hältnissen, also den wirtschaftlichen und kulturellen Zu ständen, der wirklichen Kräfteverteilung im Volke entsprechen. Nur dann gedeiht das Ganze. Nur dann herrscht die Freude am Staate und Reiche. Alle Staatsgewalt besteht also nur um der Staatsbürger willen. Die Staatsgewalt ist nicht um der Staatsorgane willen da; nicht der Wille eines ein zelnen oder einer Klasse ist der Staatswille. Der Staatswille ist vielmehr der Wille der Gesamtheit, und die Staatsge walt ist die Gewalt der Gesamtheit, die nach bestimmten Ge setzen gemäß dem Willen der Gesamtheit ausgeübt wird- Das Ziel aller Staatstätigkeit ist die Förderung des Wohles der Gesamtheit, der jeder einzelne als Glied angehört. In diesem Sinne hat die nattonalliberale Partei stets gewirkt und ihre politische Aufgabe verstanden. Sie hat nicht einseitig einer beslimmten Berufsgruppe gedient, sie ist auch bei der Verfolgung ihrer politischen Ziele niemals in un fruchtbaren Doktrinarismus verfallen. Es ist wahrlich leicht, überspannte politische Forderungen zu formulieren und damit eine gewisse Begehrlichkeit bei solchen zu erwecken, die die Un durchführbarkeit der Forderungen nicht zu erkennen ver mögen. So bildete sich in Deutschland diese und jene poli tische Partei ihren Anhang, war aber daun wegen der Ueber- spanntheit ihres Programms genötigt, bei der eigentlichen Gesetzesarbeit untätig bei Seite zu stehen. Der Wählerschaft wegen, die auf die überspannte» Forderungen eingeschworen war mußten die Führer dieser Partei auch gegen fortschritt liche Gesetze stimmen, weil eben in diesen Gesetzen nicht alle ihre Ansprüche befriedigt werden konnten. Ueberspanntc For derungen kann nur eme Partei erheben, die keine politische Verantwortung mit zu tragen hat, nur eine Partei, ohne deren gütige Mitwirkung die Staatsmaschine fort arbeitet. Die nationalliberale Partei hat seit ihrer Grün dung im Februar 1807 sich stets tätig an der politischen Arbeit im Reiche und den Bundesstaaten beteiligt. An Ver antwortungsfreudigkeit hat es ihr nie gefehlt. Fast alle Reichs und Landesgesetze weisen Spuren nationalliberaler Mitarbeit auf; nicht wenige Gesetze und Gesetzgebungsgsdanken sind aus dem Gehirn nationalliberaler Männer geboren. Soviel über grundsätzliche nationalliberale politische An schauungen. Jetzt noch einige Worte über die Vorlagen, die der kommende Landtag zu erwarten hat. Unsere sächsische V e rfas s u n g snr kun d e ist über V« Jahrhundert alt. Ihre Sprache, dec Geist, in dem sic geschrieben ist, ist nicht der Geist unserer Zeit, sondern der Geist von 1830. Damals aber saßen Männer um Ruder, deren Tenkesweise wir alles andere, nur nicht modern heißen würden. Der Rechtsstaat war damals im Entstehen; heute ist er durchgebildet. Es gilt, diesem Umstande auch durch Umarbeitung der Verfassungs urkunde Rechnung zu tragen. Gewiß muß man Erfurcht vor dem Alter haben; das Veraltete darf uns aber nicht heilig sein, wenn uns unser Gedeihen lieb ist. Veraltet sind auch die Vorschriften über die Zusammensetzung der Ersten Kammer. Als man die Volksvertretung 1830 schuf, behielt man den alten ständischen Landtag als Erste Kammer bei. Dieser ständische Landtag stammt in seiner Zusammensetzungs weise etwa aus der Zeit vor 800 oder 000 Jahren. Man würde vor der Weisheit der Vorväter den Hut ziehen müssen, wenn diese ehrwürdige Einrichtung noch heute unseren Ver hältnissen entspräche. Es ist eine Kunst schon, sür ein einziges Jahrhundert ein immer brauchbares Gesetz zu machen. Die Männer, die dem ständischen Landtage seine Verfassung gaben, haben sicherlich bei ihren Versammlungen auf dem Oschatzer Kolm- und dem Pctersberge bei Halle nicht daran gedacht, daß heutigen Tags noch diese Organisation fortbestehcn könne. Wichtige Berufsstände sind in der ersten Kammer unvertretcn: Handel, Industrie, Handwerk, freie Berufe fehlen gänzlich darin, weil sie eben erst im letzten Halbjahrtauscnd entstanden und zu ihrer jetzigen staatlichen Bedeutung empor gestiegen sind. Ihnen muß jetzt der gebührende Platz zugewiescn werden. Für die Zweite Kammer hat der verflossene Landtag ein neues Wahlgesetz geschaffen. Es ist unter Schwierigkeiten zustande gekommen. Es ist wie alles Menschen werk von der Vollkommenheit ein gutes Stück entfernt. Es muß bekannt werden, daß es recht verbesserungsfähig ist. In sonderheit ist die Wa hl kreis ein tei lung zu verbessern. Die jetzigen städtischen Wahlkreise, denen die räumliche Geschlossen heit fehlt, sind durchaus unzeitgemäß. Man hat 1830 aus englischen Vorschriften die Scheidung zwischen Stadt und Land abgeschriebcn. Eine solche Teilung hatte Sinn in Zeiten des städtischen Zunftzwanges. Damals bestand ein wirtschaftlicher Gegensatz zwischen Stadt und plattem Land. Aber heute gibt es in Sachsen inehr Jndustriedörfer als Städte. Hier gilt bas Dichterwort: Es erben sich Gesetz und Rechte wie eine ewge Krankheit fort. Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage. Weh dir, daß du ein Enkel bist. — Wenn sich unsere Großväter auch 1830 aus erträglichen Gründen eine solche Wahlkreisein teilung gefallen ließen, so wollen wir sie doch als Enkel nicht behalten, nachdem sie infolge des Wegfalls der zureichenden Gründe sinnlos geworden sind. (Fortsetzung folgt.) Rücktritt -es Präsidenten Dr. Mehnert von -er Lan-tagskan-i-aiur. Präsident Dr. Mehnert, der auch Ehrenbürger der Stadt Aue ist, hat seit 24 Jahren den 27. ländlichen Wahl kreis (Hanichen-Oederan-RoßweinWaldheim) im sächsischen Land tage vertreten. Vor wenigen Tagen hat er nun, wie die Dresde ner Nachriten zu melden in der Lage sind, an den Vorsitzenden des Wahlkomitees seines bisherigen Wahlkreises, Herrn Teich mann in Winzendorf, folgendes Schreiben gerichtet: Hochgeehrter Herr Teichmann! Wse ich Ihnen schon im Februar schrieb, hat die landstän- dischc Tätigkeit der letzten 4 Jahre (3 Jahre Plenarversamm lungen und 1 Jahr außerordentliche Wassergesetz-Deputation) meine Kräfte in solchem Maße überanstrengt, daß ich ohne weitere Gefährdung meiner Gesundheit «in Mandat des 27. ländlichen Kreises nicht wieder zu übernehmen vermöchte. Schon vor Schluß des vorletzten Landtages, im Frühjahr 1907, habe ich die Folgen solcher Anstrengung deutlich verspürt, und schon damals dem Herrn Präsidenten der Ersten Kammer meine Absicht, nach Ablauf mein« Mandats zurückzutreten, mitzuteilen m ch verpflichtet gefühlt. Auch die sechswöchent liche Erholunpszeit, von der ich soeben zurückkehre, hat lei der mit ihrer starken Reaktion mir erst recht den Beweis er bracht, daß ich neben meiner beruflichen Wirksamkeit der für mich äußerst strapaziösen Tätigkeit, wie ich solche — gleichviel ob ich Präsident der Kammer oder nur einfacher Abgeordneter gewesen bin — nun einmal auffasse und auszuführen mich ver pflichtet gehalten habe, zurzeit wenigstens nicht gewachsen mich fühle. Daß der Entschluß, nicht wieder zu kandidieren, mir unendlich schwer geworden ist, brauch« ich Ihnen nicht erst zu sagen. Es sind jetzt gerade 24 Jahre her, daß der 27. länd liche Wahlkreis zum erstenmal mich zu seinem Vertreter ge wählt hat; seitdem hat der Wahlkreis in seltener Weise Lei jeder Wiederwahl seine Treue mir aufs neue bewiesen. Und nicht minder ist in der Kammer selbst mir ein Vertrauen ent gegengebracht wovsen, wie es in solchem Maße nur wenigen Abgeordneten beschieden gewesen ist. Ich werde immerdar in «größter Dankbarkeit der zahlreichen Beweise dieses Vertrauens eingedenk bleichen, wie ich auch meinem lieben Landtagswahl- kreise mich für alle Zeit aufrichtig verpflichtet fühle und, wenn ich auch nicht mehr sein Abgeordneter Lin, doch nach besten Kräften stets bestrebt sein werde, seine Interessen zu ver treten und zu fördern. Ihnen aber, verehrter Herr Teichmann, möchte ich besonderen Dank sagen dafür, daß Sie als Jndu- strieeller es nicht verschmäht haben, wiederholt an die Spitze der Wahlbewegung zugunsten des Mannes sich zu stellen, der so vielfach als böser Agrarier verlästert, doch nur «bemüht ge wesen ist, sein« bescheidenen Kräfte dem Wohle Mer Schichten der Bevölkerung zu widmen. Mit den aufrichtigsten BPinschen für das Blühen und Gedeihen unseres lieben Sachsenlandes und des so treu bewährten 27. Kreises insbesondere bin ich Ihr sehr ergebener Dr. Paul Mehnert. Schon vor zwei Jahren wurde mehrfach davon gesprochen, daß Dr. Mehnert, der im 58. Lebensjahre steht, erklärt habe, nach Ablauf seines Mandats aus gesundheitlichen Gründen nicht wieder kandidieren zu können. Auch seine politischen Gegner haben stets anerkannt, daß Dr, Mehnert als Kammerpräsident stin Amt stets nach bestem Gewissen und zur Zufriedenheit der Abgeordneten ausfüllte. Im übrigen wird mit dem Rücktritte von der Kandidatur Dr. Mehnert'» nicht auch seine übrige öffentliche Tätigkeit aufgehoben. Er wird nach wie vor in der konservativen Partei sein« führende Stellung beibehalten.