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IlLrr? erLigo Lsfev. D« Präsident des Reichstags. Abg. Dr. Lp ahn. hat in der Fralktionssttzung des Zentrums mitgetcilt. er werde nächste« Montag das Amt als Präsident des Reichstags n ie de r l e gc n. Es macht sich demnach eine Neuwahl ersordcrlich. Zum Vorsitzenden des Vereins Deutscher Zeitungsverleger wurde Dr. Kader von der „Magdeburgischen Zeitung" gewählt. Das Reichsgericht verurteilte den wegen Spio nage angcklagten Italiener Parsanti zu 10 Monaten Gefängnis. In der Berliner Renen Garnisvnkirche fand heute die Trauerscier für den Gencralseldmarschall v. Halinke statt, der auch der Kaiser beiwohnte. Der italienische Botschafter in Berlin. Älberto Pansa, wird demnächst in den Ruhestand treten. Das italienische Kabinett Giolitti hat seine Demission gegeben. vie psätitlententvadl im sieicdKag. Vn. Spahn legt fcin Amt nieder. Der »eugcwähltc Prä-sidcnt des deutschen Reichstages hat die Konsequenzen aus den bisherigen Beschlüssen der Zentrumspartei gezogen und erklärt, sein Amt am Mon tag niederlegen zu wollen. Das Zentrum hatte deutlich zu verstehen gegeben, das; es an keinem Präsidium teil- nehmen werde, dem ein Sozialdemokrat angehörcn würde. Tie jetzige Haltung Spahns ist aus diesem Beschluß zu er klären. Es wird also eine Renwahl stattsinden müsse», an der vermutlich die Rechte und das Zentrum sich nicht be teiligen werden. Da die Rationalliberalen und die Lazlaldemokraten bereits im Präsidium vertreten sind, so ist es wahrscheinlich, daß die Linse einen Fortschrittler zum Präsidenten wählen wird. Damit würde der deutsche Reichstag also tatsächlich ein G r o ß b l v ck p r ä s i d i n m erhalten haben. Im Interesse einer reinlichen Scheidung der Geister wird man den Schritt Dr. Spahns nur billigen können. Wie sich die Verhältnisse weiter entwickeln wer den, ist zur Stunde noch gar nicht abzusehe». Da übrigens »ach 8 11 der Geschäftsordnung das Präsidium zu Anfang einer Legislaturperiode nur ans vier Wvchen gewählt wird, so ist eine Aenderung an der Zusammensetzung des Präsidiums immer noch möglich. Die Gründe der Amtsniederlegung. Berlin. Der Entschluß des Abgeordnete» Dr. Spahn, sein Amt als R e i ch S ta g s p r ä s i d e n t n i c d e r z u l e g c n, beruht, wie wir hören, nicht auf einem Entschluß der ZcntriimSsraktio». Diese war viel mehr gerade im Begriff, in die Besprechung der Krage rin zutreten, als ein Abgeordneter erschien »nd die Mitteilung brachte, daß eine Beratung gegenstandslos sei, da er Mit teilen könne, daß Abg. Spahn sich entschlossen habe, am Montag sein Amt niederznlegen. Die Mitteilung wurde mit allgemeinem Beifall ausgenommen, und die Fraktion sprach dem Abg. Dr. Spahn ausdrücklich ihr Vertrauen ans. Berlin. sPriv.-Tel.s Abg. Tr. Spahn, der im Ein verständnis mit seiner Fraktion, dem Zentrum, das Reichs- tagsprüsidtum niedergelegt hat. wird den Reichstag von diesem Entschluß durch ein Schreiben in Kenntnis setzen, das am Montag beim Bureau eintrefsen wird. In der nächsten Sitzung am Dienstag wird dem Hause davon r-ssizicll Mitteilung gemacht und von den beiden Vizeprä sidenten dann das Weitere wegen der notwendigen N c u - wähl veranlaßt werden. Was die Gründe des Rück tritts anlangt, so kommen hauptsächlich zwei dafür in Betracht. Die Geschäftsordnung des Reichstages schreibt vor. daß die Wahl des Präsidiums nach vier Wochen zu wiederholen ist. Die Parteien der Linken kündigen bereits jetzt an. daß dann der gestern unterlegene Prinz zu S ch ü ii a i ch - C a r o l a t h mit Hilfe der sozialdemokrati schen Stimmen, die ihm gestern versagt waren, zum Prä sidenten gewählt werde» würde. Auf der anderen Seite kam dem Zentrum und der Rechten die Wahl eines Sozial demokraten zum zweiten Vizepräsidenten unerwartet. Da durch ist die parlamentarische Lage sür die beiden Par teien so sehr geändert, daß neue Entschließungen nahc- gelegt erschienen. Das Zentrum ist zu dem Entschluß ge kommen, daß es im Intereste der Klärung am besten sei, dem Drange der Linken nach einem ausschließlich aus ihren Reihen entnommenen Reichslagspräsidium entgcgenzn- koittmen. Die Presse über die Wahl. Das bisherige Ergebnis der Präsidentenwahl hat be greiflicherweise in ber Presse ein lebixisleö Echo gefunden. Die parteiamtliche ,Honi. Korr." schreibt sachlich: „Die Haltung der konservative» Fraktion des Reichstages ging dahin, im Präsidium des Reichstages die arbeitsfähige Mehrheit des Reichstages ans nationaler Basis zum Aus druck zu bringen. Diese Haltung -konnte bei der Wahl des ersten Präsidenten durchgefülirt werden, sie scheiterte bei der Wahl des ersten Vizepräsidenten dadurch, daß sich an scheinend die Polen der Stimme enthielten, wodurch das Mehrhettsverhältnis im Neichstaae verändert wurde »nd der linke Flügel die Mehrheit erhielt. Dadurch entfielen für die konservativen Fraktionen die Rvtivendigkeit und Möglichkeit, ihre ursprüngliche Absicht zur Ausführung zu brigcn." Die „Freikons. Korr." schließt ihre Betrachtung mit fol genden Worten: „R»r II Nationalliberale, und wenn man von Dr. Becker und dem Freiherr» Heul zu Herrnsheim, bei denen das selbstverständlich war, absteht, so haben nur !> Mitglieder der nationallibcralen Fraktion die Wahl Bebels verhindert, indem sie sür Spahn stimmten: 13 haben sich der Abstimmung enthalten, die größere Zahl der Ratto- nalliberalc» hat dem Todfeind der bürgerlichen Gesellschaft, Bebel, die Stimme zum ersten Präsidenten des deutschen Reichstages gegeben. 175, Stimmen gegen 196 sind aus Bebel gefallen! Einen traurigeren Tag hat der deutsche Reichstag noch nicht erlebt." Die freikonservativc „Post" meint: „Für die Rechts parteien hat der Ausgang der Wahl eine klare Situation geschaffen. Durch ihre von vornherein fcst- gclegte unzweideutige Stellungnahme sind ihre in Frage kommenden Mitglieder einer Wahl entgangen »nd damit der Aussicht'enthoben, neben einem Sozialdemokraten dem Reichstage präsidieren und ihn nach außen hin repräsen tieren zu müssen. Eine Aussicht, die unseres Erachtens für einen konservativen Mann vvn vornherein undisknlabel ge wesen wäre." Die liberale „Tägl. Rundschau" ist entsetzt über die Wahl Tr. Spahnü. Sie schreibt: „Auf der andern Seite trifft auch die Rationallibcralen der Pvrmnrf, sür den Ansgang der Wahl die Verantwortung zu tragen. Denn die Sozialdemokraten waren bereit, im zweiten Wahlgange ihre Stimmen aus den Prinzen Lchöiiaich-Earvlath zu über tragen, wen» ihnen die Rationalliberalen die Stelle des ersten Vizepräsidenten sicherten. Dazu aber tonnten sich diese nicht verstehen — unbegrcislicheriveise: denn wenn sich auch vom nationallibcralen -tandpunite Gründe dafür bei bringen lassen sollten, daß man das Präsidium nicht in die Hände eines Sozialdemokraten legen wollte, so stand doch der Einräumung des ersten Vizepräsidenten an die Sozial demvkrntie sür einen Liberalen absolut nichts im Wege." Befriedigt ist anscheinend die linksliberale Presse. Die „Boss. Ztg." schreibt: „In der Tat ein denkwürdiger Tag. Ein klerikal-iozialdemokratisch-nattonalliberales Präsidium ist noch nicht dagewescn. Da aber der rechte Flügel der Nationnlkiberalen zur rechten Erkenntnis gekommen ist. spät, aber doch gekommen, so soll ihm sein zeitweiliges Schwanken und Wanken nicht allzusehr verdacht und auch mit dem Abgeordneten Schisser nicht zn scharf gerechtet werden. Mit ihrem letzten Entschluß haben sie einen Mut und gegenüber den sicher vvranszuschcnden wüsten An griffen des schwarz-blauen Blockes und der berufsmäßigen Scharfmacher eine Festigkeit an den Tag gelegt, die man ihnen nicht überall zugetraiit hatte." Ganz aus dem Häuschen ist der „Vorwärts". Er schreibt jubelnd: „Daß im deutschen Reichstag, in diesem Parlament, das einst das Schandgesetz gegen die Sozial demokratie zum Beschluß erhoben hat, jetzt ein Sozial demokrat in das Präsidium gewählt worden ist, das ist eine von jenen Tatsachen, die zwingend und sinnenfällig von dem gewaltigen Fortschritt Zeugnis geben, die die Be wegung der Arbeiterklasse gemacht hat. Elf Genossen waren im Reichstag, als das Sozialistengesetz noch galt, als Dil Helm ll. die Regierung antrat. Fünsnnddreißig Genoss.en ivnrden 1890 gewählt, und ihre Wahl besiegelte das Ende des Ausnahmegesetzes. Heute sind wir die stärkste Fraktion, sind der dritte Teil des deutschen Volkes, und der Ver treter der Geächteten und Gehetzten sitzt im Präsidium der Volksvertretung, und Millionen Proletarierherzen iu Deutschland und in der ganzen Welt werden in froher und stolzer Genngtunng bei dieser Kunde höher schlagen, als gute Bürgschaft, daß cs vorwärts geht." Die klerikale „Köln. .Volksztg." resümiert wie folgt: „Das Zentrum war jederzeit zu einer Einigung der bürge, lichen Parteien bereit, bei der cs, obwohl eS die stärkste bürgerliche Fraktion unter ihnen ist, von vornherein aus den Anspruch, den ersten Präsidenten zn stellen, verzichtet hätte. Das Zentrum hätte bei einer Einigung der bürger lichen Parteien selbst für einen Naiionallibcralen als Prä sidcntcn gestimmt unter der Voraussetzung, daß ein Zen trumsabgevrdncter als erster Vizepräsident und ein Kon servativcr als zweiter Vizepräsident aewülilt werde. Die Nationalliberalcn aber begnügten sich lieber mit dem Posten des zweiten Vizepräsidenten und traten dabei hinter einen Sozialdemokraten zurück, als daß sie neben einem Konservativen den ersten Präsidenten stellten. Das muß in der Oesscntlichkeit immer wieder betont werden, denn das charakterisiert die Basscrmannsche Taktik." Isui«;t unä MrreimIM. Viertes Sinfoniekonzert der König!, musikalischen Kapelle. lScric B.s Der gestrige Abend brachte grvHe Werke von Bach. Mozart, Strauß und ward also sowohl den Wünschen nach klassischer wie nach moderner Musik in schönster Weise gerecht. Die zwischen den beiden verschieden gearteten Welten klaffende Kluft glich die Pause aus. Man soll freilich Bach nicht bloß ausfüliren, weil man sich ihm, dem Ricsengenie gegenüber, für dankbar verpslich- let hält: es sollen vielmehr weit innerlichere Gründe dazu veranlassen. Die sechs Brandenburgischen Konzerte ent halten ebenso wie die »och wenig beachteten sinfonischen Ouvertüren Bachs iv bedeutende Musik, sie spiegeln mehr noch als die Klavierwerke die gotische Architektonik der Bachschcn Kunst so vollendet, so erhebend wider, daß nicht Achtung allein, sonder» Liebe und Begeisterung zu ihnen hinfübrc» sollten. Und diese sechs Moniiinentalwerte wur den 1731, noch zu Bachs bester Zeit, in der Meisterhand schrtft zusammen sür 21 Groschen verschachert, wo heutzu tage die schlichte Unterschrift von Straus; unter ein sonst mit der Maschine verfertigtes Geichästsschrciben wett höher bezahlt wird! Die gestrige Aufführung des dritten Bran- denburgischen Konzerts in G-Dur, das nur sür drei Streichertrios geschrieben ist. war nicht ganz einwandfrei. Zwar fanden sich Tutti und Concertino von den Aus- führenden in ihren besonderen blinämischeil Wirkungen aufs sorgsamste beachtet und von Kutzschbach akkurat ab gewogen, aber der Streicherchor mar für dieses Mittel wesen zwilchen Kammer- und Orchestermusik um die Halste zu stark besetzt — ein Fehler, der, wte es scheint, den deutschen Orchestern nicht abdiskutiert werden kann — und aus dem Füll-Cembalo. an dem zn jener Zeit meist mitten im Orchester der Kapelldtrektor saß, war ein ganz an die Seite gequetschtes, hinter die bereits ihren Strauß er wartenden Harfen geschobenes Probcnklavier von sehr frag lichem Klangreiz gemacht worden. Dieses Instrument konnte naturgemäß mit den Streichern nickst konkurrieren, von einer akkvrdische» Füllung war daher keine Rede. Man sah wohl, daß Herr Dr. Latzko daraus spielte, aber man Hütte ebensogut eine stumme Klaviatur deriveile zn Uebungszwecken bearbeiten können. Sachgemäß wäre gewesen, einen ordentlichen Flügel in die Mitte des Orchesters zu stellen. Mozarts fünftes Violinkonzert in A-Dur. eine zwischen des Meisters Jugend- »nd Reifcwcrkcn die Mitte haltende Schöpfung vom Jahre 1775, erfuhr durch Karl Fleich eine schlechthin unübertreffliche Interpreta tion. Der vorzügliche Geiger steht jetzt ans dem Gipfel einer technischen Vollendung, die ihresgletcherk^fkcht, und er ver deckt sic, macht sie, wie es sein soll, zu einer dem Hörer fast unbemerkt bleibenden a privrischen Er»chci»nng durch die künstlerische Intuition, mit der er das Kunstwerk von Anfang bis Ende erfüllt. Flehst ist ja durch seine Kammer musiken mit Arthur Schnabel bei uns bereits so geschätzt, daß eS genügt, zu sagen, er habe wieder prachtvoll gespielt. Das Mozartsche, von Kutzschbach und dem verständigerwrise auf die Hülste reduzierten Orchester famos begleitete Konzert zu höre» mit seiner afsgeklürten klassischen Formen schönhcit bereitete dem vollen Hanse reichen Genuß: Herr- Professor Flesch ward mit bcrzlichstem Beifall bedankt. Mozart, Mozart, was hat man dir angetan, das; du deinen „Don Juan" lPcrrons, deinen „Figaro", deine „Zauber flöte" uns vorenthältst? Run kam Richard Straus; und — Schuch: „D o n Luichot e", vor 15 Jahren als Op. 35 geschossen, „phan tastische Variationen über ein Thema ritterlichen Charakters". Von allen sinfonischen Werken Strauß' kann im Grunde nur die erste, die sinfonisch«,' Fantasie in G-Dur von 1886. „Aus Italien", rein musikalisch ver standen werde», obwohl gerade sie unter starkem Ein- slnß von Weimar stand sAlerander Ritter. Bülom, Lisztl. Alle späteren sinfonischen Werke, von „Macbeth" an, be dürfen eines mehr oder minder ausführlichen Programmes. Strauß setzt als Sinfoniker die Linie Verlioz-Liszt fon. Programmusik im weiteren Sinne ist ja natürlich jede Musik, die uns überhaupt etwas zu sagen hat. Bei Strauß — und in säst noch höherem Maße auch bei seinen Vor länfcrn — liegt es aber ko, daß oft ein aus allerlei bestimmte Einzelheiten selbst lokalen tt»'lchehcns eingehendes Pro gramm zur Verständlichmachiina «der Musik dringend, ja unentbehrlich notwendig ist. Es gibt Leute, die eine solche im engeren Sinne gemeinte Programnttisik überhaupt als Musik nicht gelten lasten: nun, sür die ist selbstverständlich der halbe Strauß nicht vorhanden. Aber auch bei Strauß selbst ist der Grad der Rotwendigteit eines solchen Prv- grammes nicht immer gleich hoch. Es gibt 'Werte, bei denen man ohne eine derartige Einführung immerhin poch ob des reinen musikalischcn Gehaltes zu einigem Geiinste kommt I„Tod »nd Verklärung"!, und solche, die einem sonst ein Buch mit sieben Siegeln bleiben. Vvn dieser zweiten Gruppe ist das bedeutendste die Tondichtung „Als» sprach Zarathustra": sie kann man daher den Gipset der Stranßschen Kunst lals Anhänger der programmatischen Musiki oder ihren Tiefstand lals Gegners nennen. Die Lisztsche Art der Programm»»; ist, wenn wir wenigstens an etwas ganz Bedeutendes, die Lisziiche Fanstsinsonie, denken, bei Straus; nick» nertieir. wohl eher verflacht worden, weil Strauß trotz all der Energie, mit der hie und da die gesamte poetische Idee von ihm ersaßt, seitaehatten »nd durchgefülirt wird, gar zn gern am einzelnen FaUnin hängen bleibt, bei einer isscbLiisächlichteit mit Behagen ver weilt, und es oft so scheint, als habe er den Faden ver loren und mache bloße Uebersetzungen vvn äußerlichen Handlungen ins Musikalisch-Geräuschvolle. Und dies ist eben auch für ihn als Ovcrnkomponistcn so verhüngnisvoll geworden, er illustriert, er imitiert, er übersetzt da zu viel. Der „Don Quichote" verfügt nun zweifellos über den Vorzug, daß sein Held eine tupische Figur ist, die wir schon aus unseren Schnllesebüchern oder etwa gar ans dem Cervantes selbst kennen gelernt haben. Diesen Tnpns des großen Idealisten und Phantasten, den Ritter von der trau-