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38. Jatzr^a» Sonntag, den 9. Mai. kommen, wäre die Auflösung der ReichsratheS. Die Re gierung würde eS vielleicht thun, wäre sie irgendwie des Erfolges sicher. Neuerdings veranlaßte die Verordnung wegen Gleichberechtigung der deutschen und czechischen Sprache in Böhmen große Mißstimmung. Selbst das stets mif dem Grafen Taaffe in Verbindung stehende „Fremden blatt" wagt seine Bedenken dagegen zu äußern, indem es schreibt: „Das Deutsche und das Czechische find keine gleichberechtigten Sprachen und können zu solchen auch nicht durch ParlamentSbeschlüffe deklarirt werden. Die Superi- orität des Deutschen über die andere Landessprache ist eine so erdrückende, daß, wer hier eine Gleichberechtigung an streben und durchführen wollte, mit den Thatsachen in den grellsten Konflikt käme. ... In den deutschen Gebieten von Böhmen das Deutsche mit dem Czechischen gleichberech tigt zu machen, ist eine unlösbare Aufgabe und könnte in seinem letzten Resultate dahin führen, daß auch die hier wirkenden deutschen Beamten das czechische Idiom sich an eignen oder auf die Theilnahme an den Aemtern verzichten müßten." Das Alles lese» wir in einem Organe, welches dem Grafen Taaffe unbedingt anhänglich ist. Die italienische Deputirtenkammer mit ihren zer klüfteten Parteiverhältniffen ist vom Könige Humbert auf gelöst und die Frist für die Neuwahlen ungemein kurz be- meffen worden; schon der 16. Mai ruft die Wähler an die Urne Selbstverständlich konzentrirt sich jetzt alles Interesse auf die Wahlthättgkeit und alle Depeschen aus Rom bringen ausführliche MIttheilungen darüber. Man darf auf den Ausgang dieser Wahlen um so mehr gespannt sein, als davon auch die Haltung der auswärtigen Politik abhängen wird. Vorläufig find die einzelnen Parteiführer bemüht, durch schöne Programme ihren Anhang zu erweitern. Der Drang, die Schule von der Kirche zu emanzipiren, ist in Frankreich in dem Maße stärker geworden, als man die Zahl der Schulen vermehrt und das Volksbildungs- Wesen höher dotirt hat. Die Republik erkennt genau ebenso wie der Klerus die Wahrheit des Wortes: „Wer die Schule hat, dem gehört die Zukunft!" Sie hat aber auch den Willen und die Macht, die althergebrachte Vormund schaft der Kirche zu brechen. Das „allerchristlichste" Volk hat Glied um Glied die ultramontane Kette gesprengt, die Frankreich fesseln half, und dadurch befestigt sich die Repu blik; gerade die Energie bei der Einführung der neuen Unterrichtsgesetze wird das Lano vor den Erschütterungen bewahren, welche seit einem Jahrhundert Frankreichs Ge schichte machten. Der französische Staat stürzte aus einer Reaktion und Revolution in die andere, aber stets erhielt sich der Klerus in seiner Position, die er auch jetzt noch selbst mit ungesetzlichen Agitationen sich zu erhalten bemüht. Das Kaiserreich hatte jährlich nur etwa 300 Schulen er richtet, die Republik hat in vier Jahren mehr Unterrichts stätten neugeschaffen als das Kaiserreich in sechs Jahren, und dies geschah in einer Zeit, wo Frankreich die fünf Milliarden Kriegskontribution zu zahlen hatte, wo es ein neues Heer ausrüstete und alle Kämpfe mit dem gestürzten und wieder nach Herrschaft strebenden kaiserlichen und royalistischen, mit klerikalen und radikalen Elementen durch führen mußte. In England ist das Ministerium Gladstone nun kon- stitutrt und hat durch Chamberlain, Dilke und Mundells die gewünschte röthliche Färbung erhalten. Das Ministe rium des Auswärtigen ist von Granville übernommen worden, der dieses Reffort bereits im letzten Ministerium Gladstone verwaltete. Die Gemäßigten hätten Hartington lieber auf diesem Posten gesehen, weil sie von ihm eher ein heilsames Gegengewicht gegen Gladstone'sche Unbesonnen heiten erwarten. Dieser Wunsch ist zwar nicht in Erfüllung gegangen, doch scheint das neue Kabinet den geschichtlichen Ereignissen der letzten Jahre Rechnung tragen zu wollen; in einer Zirkularnote fordert dasselbe die europäischen Mächte auf, die Ausführung der noch nicht erfüllten Theile des Berliner Friedensvertrags sicher zu stellen. Freilich weiß man noch nicht, ob Gladstone damit überhaupt nur die orientalische Frage von Neuem auf die Tagesordnung bringen will, um seine Lieblingsidee der Föderation der Balkan-Völker in Angriff zu nehmen. An Zündstoff fehlt es im Orient nicht. Die Albanesen setzen der Abtretung des Gussinje-Gebiets an Montenegro bewaffneten Wider stand entgegen und die türkische Regierung thut natürlich indirekt alles Mögliche, sie dabet zu unterstützen. Das Einschreiten der Mächte zur Beilegung der Streitfrage hat bis jetzt nichts geholfen. Auch in Ostrumelien geht's dar über und darunter; die Europäer, welche dort Ordnung in der Verwaltung schaffen sollten, ärgert man fort und treibt die alte Wirthschaft munter weiter. Wenn man den Nachrichten aus China, dem himm lischen Reiche, Glauben schenken darf, beschäftigt man fich dort mit sehr weltlichen Dinge». Der Krieg gegen Ruß land soll eine beschlossene Sache sein. Prinz Kung, der zum Frieden hinneigte, erhielt seine Entlassung und Tso- Tsung Tang, das Haupt der 'Kriegspartei, gewann die Oberhand. Die augenblicklichen Umstände erscheinen letzerer Partei günstig. Die Kriegsmacht Rußlands im nördliche» Asien ist nicht bedeutend, und es muß große Anstrengungen machen, um die Tekke-Turkmenen zu bewältigen und dse dritte Expedition gegen Merw zu gutem Ende zu führeu. China hat eine bedeutende Macht an seiner nordwestlich«» Grenze angesammelt, und es find namhafte Verstärkungen und Zufuhren von Waffen und Munition auf dem Wege dahin. Auch übt es noch einen großen Einfluß unter den Kirgisen-Stämmen und in den Khanaten aus. Der siebente Prinz Li soll zum Oberbefehlshaber der Armee auserlesen sein und auch mit einer Art diktatorischer Gewalt im Reiche bekleidet werden, so daß alle Angelegenheiten desselben seine« absoluten Willen unterworfen würden. Die Sachen in Peking haben eine so bedrohliche Wendung genommen, daß die fremden Minister ihren Admiralen die Weisung ertheilt haben, ihre Geschwader in Bereitschaft zu halten, und die in Tientsin stationirten Kanonenboote haben den Befehl erhalten, bis auf weitere Ordre daselbst zu verbleibe». China bedroht auch Siam. Man verlangt jetzt vom dor tigen König den rückständigen Tribut, der zwar nicht be deutend ist — er bestand gewöhnlich aus Elfenbein, Gold staub, Gewürzen, Stickereien u. dgl., Alles im Werthe von höchstens 10000 Dollars — aber die Entrichtung diese- Tributs, der schon seit beinahe 50 Jahren nicht mehr geleistet wurde, würde die Anerkennung der SuzeränetätS- Rechte des Kaisers von China von Sette des Königs von' Siam in sich begreifen. In Folge dieser Zumuthung soll auch der König einstweilen sein Reiseprojekt nach Europa verschoben haben. Alles deutet darauf hin, daß China entschlossen ist, als asiatische Großmacht aufzutreten und nicht nur alle seine früher besessenen Rechte und Besitzungen zu reklamiren, sondern auch einen dominirenden Einfluß auf die Gestaltung der Dinge in diesem Welttheil auS- zuüben. 4 die Wochr. Bisher war's ungemüthlich im „schönen Monat Mai", sowohl in der Natur wie in der Politik. Der graue Himmel mit seinen naßkalten Niederschlägen bewirkt eben sowenig Freude in der Menschenbrust, wie die inneren Zu stände unseres deutschen Vaterlandes. Die Reichs maschine ächzt und stöhnt und kann nicht vorwärts kommen. Die Ursachen dieser unerquicklichen Lage find nicht schwer zu finden. Sie beruhen vor allen Dingen darauf, daß wir eine rein persönliche ReichSregierung haben. Die ganze Last der Geschäfte konzentrirt sich im Reichskanzler, der seinerseits nicht die mindeste Neigung zeigt, die ihm ver liehenen Gewalten mit einem anderen politischen Faktor zu theilen. Stände Fürst Bismarck in voller Kraft in mitten der Geschäfte, so würde durch seine gewaltige Per sönlichkeit der Gang der Dinge wohl immer noch aufrecht erhalten werden können. So aber ist er leidend, kann nur einen Theil seiner Arbeiten fich selbst Vorbehalten, die anderen müssen Beamten überlassen bleiben, welche durch das Regierungssystem des Kanzlers längst jeder Selbständigkeit entwöhnt find. Im Reichstage erscheint der Fürst gar nicht — kurz es hat nichts Auffälliges, wenn eine politische Theilnahmlofigkeit in unserem Volke Platz gegriffen hat. Allerdings sorgt Fürst BiSmarck als geschickter Regisseur hinter den Kouliffen auch für Abwechslung. Wenn nichts mehr Hilst, die Geister zu beleben, dann ist's gewiß — eine neue Steuer. Während Militär-, Wucher- und Sozialistengesetz ziemlich spurlos am Volke vorübergingen, hat doch die Wehrsteuer einiges Kopfschütteln veranlaßt. Der Reichstag genehmigte allerdings das Gesetz seiner in den Motiven behaupteten auSgleichenden Gerechtigkeit wegen und es dürste in Zukunft dieses Prinzip bald auch anderwärts zur Gel tung kommen. Wenn man z. B. die alten Junafern besteuern möchte, weil fie die Sorgen und Mühen einer Mutter nicht zu tragen haben, so wäre das „auegleichende Gerechtigkeit". Eins nur macht uns irre! Muß im Interesse der „ausgleichenden Gerechtigkeit" auch der Arme, welcher dem Staate nicht so viel Steuern zahlt, als der Reiche, zur Ausgleichung der Differenz auf irgend einem Wege herangezogen werden? Uns dünkt, die Frage ist gar nicht von der Hand zu weisen. Man sagt ja, daß eine Ungerechtigkeit darin liegt, wenn der Starke und Gesunde in seinen wirthschaftlichen Ver hältnissen durch den dreijährigen Militärdienst geschädigt wird, während der Untaugliche ruhig in seinem Berufe weiter arbeiten kann, und daß also der Staat den Einen zu seinen Lasten stärker heranzieht als den Anderen. Nun, mit den Steuern verhält es fich gerade so wie mit dem Militärdienst. Der Unbemittelte lacht fich in's Fäustchen, daß er dem Staate nichts oder doch nur wenig zu bezahlen braucht, während der Reiche ganz anders herangenommen wird. Ist das gerecht? Sollte da nicht eine Vorschrift erlassen werden, daß im Interesse der „ausgleichenden Ge rechtigkeit" der Unbemittelte dem Staate wenigstens einen Theil seiner Arbeitskraft unentgeldlich zur Verfügung zu stellen hat? Doch Scherz bei Seite — der Reichstags beschluß ist ein VotUM dts Volkes UNd vor xoxuli, vox Oei! Von der politischen Theilnahmlofigkeit der vergangenen Woche müssen wir die alte Hansestadt Hamburg auS- schließen. Dort sah eS ganz so aus, als wäre ein Hecht in den Karpfenteich gesetzt worden. Und das Alles hat mit seiner Vorlage über den Zollanschluß von St. Pauli der Reichskanzler gethan. Altona und St. Pauli sollen in den Zollverband ausgenommen werden; St. Pauli, ohne daß der Hamburger Senat seine Zustimmung gegeben hat und nur aus dem Grunde, um durch den Anschluß dieses wichtigen TheileS der Hansestadt einen sanften Druck auf den Senat auszuüben, damit dieser den Anschluß der ganzen Stadt beantrage. Das aber war den Hamburgern doch zu viel. In einer Versammlung der Kaufmannschaft bekam Bismarck Dinge zu hören, welche in Berlin einen vierwöchentlichen Sommer-Aufenthalt am Plötzensee zur Folge haben würden. In den österreichischen Landen will fich noch immer kein Messias finden, der das Kabinet Taaffe von seinem unglücklichen Siechthum erlöst. Die Mehrheit im Reichs- rathe ist leider eine so unbedeutende, daß eigentlich keine Partei darauf Anspruch machen kann, die Bildung des neuen KabtnetS zu übernehmen. Das einzige Mittel, aus diesem Zustande des Hangen- und Bangens herauszu Md Tag matt Amtsblatt str die königlichen and städtischen Behörden za Freiberg and Brand Verantwortlicher Redakteur Juli»» Brau» i, Freiberg. Tagesschau. Freiberg, 8. Mai. Der heutige Reichsanzeiger publizirt einen Erlich VeS Fürste» Bismarck an die preußischen Gesandten bet de» Bundesstaaten vom 5. Mai, worin mitgetheilt wird, daß die vereinigten Zoll- und HandelSauSschüffe des BundeS- rathes in der Hamburger Frage am 5. Mai einstimmig beschlossen haben, dem BundeSrathe über die technische Seite der Anträge Preußen- und Hamburgs Bericht z» erstatten, ohne die verfassungsrechtliche Frage zur Ent scheidung zu stellen. Zu dieser Entschließung habe insbe sondere die Erwägung Anlaß gegeben, daß Entscheidungen über zweifelhafte Auslegungen der ReichSverfaffung Schwierig keiten und Bedenken darbieten und die preußische wie di« hamburgische Auslegung des Artikels 34 fich ausschließen. Entscheide fich die Mehrheit im BundeSrathe für die preu ßische Auslegung, so werde Hamburg die Verfassung z» seinem Nachtheil für verletzt halten, gewinnt dagegen die hamburgische Meinung die Mehrheit, so werde Preuße» die Ueberzeugung haben, daß diese Entscheidung gegen die Verfassung laufe. Da diese Schwierigkeiten fich bet jedem Streit über die Interpretation der Verfassung wiederholen, so sei Fürst BiSmarck fett Einrichtung des Bundesrathes mit Erfolg bemüht gewesen, zu verhüten, daß Fragen der Art zur Entscheidung gestellt werden und werde er auch in dem vorliegenden Falle in demselben Sinne jede Ge fährdung der Eintracht unter den Bundesregierungen abzu wenden suchen. Weiter heißt es, Namens Preußens ver lange die königliche Regierung die Ausscheidung Altonas und der sonstigen preuKschen Gebietstheile aus dem Frei- hafenbeztrk und sie sei zu diesem Verlangen berechtigt, weil die Zugehörigkeit dieser Gebiete zur Erfüllung der Zwecke des Hamburg gewährleisteten Freihafens nicht erforderlich sei. Ueber die Berechtigung dieses Anspruches sei im BundeSrathe allseitige Uebereinstimmung kundgegeben Inserate werden bi« Bormittag« H Uhrangenom- n men und beträgt der Brei« für die gespalten« Zeil« 1 I oder deren Raum ld Pfennige. **