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»4 LMMU W AWt» ZtlilitszkiiW 9?^. 170. zu Nr. 143 des Hauptblattes. 1928. Beauftragt mit der Herausgabe Regierungsrat Brauße in Dresden. LandtaMerhaMunM. (Fortsetzung der 81. Sitzung von Dienstag, den 19. Juni 1928.) Abg. Frau vr. Mich-BeU (Dem.): Herr Abg. Rötzscher hat fchon die jetzige Fürsorgeerziehung ausführlich kriti siert. Ich kann mich dieser Kritik nur weitgehend an schließen und möchte nur noch unterstreichen, daß un- bedingt doch die Ausbildung für die Erzieher und Pfleger oder Erziehungspfleger, wie sie jetzt heißen, eine andere werden muß. Die jetzige Ausbildung ist so, daß die Pfleger genau die gleiche Ausbildung für die Kranken und die Irren wie für die Erziehungs arbeit erhalten. Man kann nicht für Irre und schwer erziehbare Kinder das gleiche Verfahren anwenden. Wir fordern an die Stelle der bisl>erigen Ausbildung eine Ausbildung, die vor allem auf die erzieherische Kraft nachdrücklichst Wert legt. Ich würde glauben, daß es beispielsweise für die weiblichen Kräfte jetzt möglich wäre, den Weg über die soziale Frauenschule zu nehmen, und zwar in der Abteilung Volkswohlfahrts pflege, die wir auch jetzt schon haben, noch eine beson dere heilpädagogische Ausbildung zu geben und viel leicht auch eine psychiatrische hinzuzunehmen. Dann noch ein Wort zu der weiblichen Abtei lung. Ich habe vor längerer Zeit, als ich einmal in Bräunsdorf war, von der weiblichen Abteilung den Eindruck gehabt, daß es sich hier um ein altes voll ständig überholtes Bildungs- und Erziehungsideal han delt, welches bis jetzt hier bestanden hat. Man war dort eigentlich der Meinung, die Mädchen das Flicken zu lehren und sie vom Montag bis zum Freitag von früh bis abends dauernd flicken zu lassen — daun sei für ihre häusliche und geistige Ausbildung genügend getan. Auch muß bei den Mädchen eine strasse körper liche Erziehung, die auch ein gewisses Schönheitsbedürf- nis des Mädchens berücksichtigt, zur Geltung kommen. Darunr glaube ich, die Regierung würde sich ein großes Verdienst erwerben, wenn sie mit frischem Mute einen weiblichen, modern geschulten Menschen an die Spitze dieser weiblichen Abteilung setzen würde. Cs müßte aber wirklich ein moderner, frischer, erzieherisch befähigter Mensch sein. Ich habe den Wunsch von der Fraktion bekommen, Vlltz die Regierung alles tun möchte, um die Ausbildung dieser Kräfte zu ändern und für die weibliche Abteilung einmal etwas zu tun. Hierauf wird die Aussprache geschlossen. In der Abstimmung werden die Mehrheitöanträge mit Ans« nähme deö nnter 1,2 (Streichung der Ans altsgeistlichen) angenommen. Dieser sowie der kommunistische Minder heilsantrag auf Beseitigung der Zwangsfürsorge und der Entschließuugsantrag Schilling: Bei 8 27 in Abs. 3 der Ausführungsverordnung des Wohlfahrtsgesetzes einzufügen: „den Minderjährigen und seine Eltern zu hören," werden abgelchnt. Nächster Punkt: 13. Zweite Beratung über die Vorlage Rr. 41, den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ziegenbockkörgesetzcs betr. (Mündlicher Bericht des RechtSausschnsseS, Drucksache Rr. 828.) Der Antrag Nr. 826 lautet: «Lie MinderhtMantrLge sind durch » besonder» bezeichnet.) Der Landtag wolle beschließen: I. » das Gesetz, die Körung von Ziegenböcken betreffend, vom 31. Juli 1916 (GVBl. S. 102) in der Fassung des Ergänzungsgesetzes vom 7. März 1923 (GBl. S- b5) aufzuheben; Renner, Roscher. II. die Vorlage Nr. 41 mit folgenden Änderungen an zunehmen: a) in Artikel 1 1. unter Streichung der Anführungsstriche hinter dem Worte „befreien" anzufügen: 8 16. Die Beamten und Beauftragten der Landwirtschaftskammer können zwecks Überwachung der Bockhaltung die Ziegen ställe sowie die Weide- und Tummelplätze der Ziegen betreten., 2. dem Abs. 2 folgende Fassung zu geben: „8 Io wird 8 Io, und 816 wird 8 H"; d) in Artikel 2 die Worte „bis zu" durch die Worte „von 5 bis" zu ersetzen. Ber.-Erst. Abg. Tchreiber-Mischwitz (Dnat.): Ich habe dem Bericht des Rechtsausschusses sachlich nichts hinzuzufügen. Abg. Renner (Komm): Wir haben einen Antrag gestellt, das gesamte Gesetz aufzuheben. Wir Haber schon beim Rinderzuchtgesetz die Schwierigkeiten dieser Körgesetze gesehen und ersuchen deshalb, unfern Antrag im Interesse der Ziegenbockhalter anzunehmen. Der kommunistische Minderheitsantrag wird ab» gelehnt, der Antrag unter II angenommen. I« Erledigung der Punkte 1t. Zweite Beratung über Kap. 59 — Hochban» wese« — de» ordeutliche« riaatShauShaltplau» für das Rechnungsjahr 1928. (Mündlicher Be» richt des HauShaltauSschusseS Drucksache Rr. 829) und 15. Zweite Beratung über Kap. 69 — Bermessungs» wesen — des ordentlichen StaalShauShaltplanS für das Rechnungsjahr 1928. (Mündlicher Be» richt des HaushaltauSschusseS Drucksache Rr. 837) werden ohne Bericht und ohne Aussprache die Ein» stellungen bei den Kap. 59 und 6« des ordentlichen HauShaltplanS für 1928 einstimmig nach der Vorlage genehmigt. Die Punkte 16—19 der Tagesordnung werden in der Aussprache verbunden. 16. Zweite Beratung über Kap. 22 — Ministerium der Justiz — des ordentlichen Staatshaushaltplans für das Rechnungsjahr 1928. (Mündlicher Bericht deS HaushaltauSschusseS Drucksache Rr. 831.) Der Antrag Nr. 831 lautet: «Die Minderhe>Uantrüge sind durch M besonder» bczeichnel., Der Landtag wolle beschließen: I. »1. in Tit. 4 die Summe von 30000 RM. Gehalt für einen Staatsminister zu streichen; 2. den unter Tit. 9» angesetzten Betrag für Dienst aufwandsentschädigungen zu streichen; 3. die dadurch eingesparten Beträge von 60000 RM. für die Aufbesserung der Bezüge der schlecht bezahlten Beamten zu verwenden; Siewert, Rötzscher, Flammiger. II. die Einstellungen bei Kap. 22 des ordentlichen Staatshaushaltplans für das Rechnungsjahr 1928 nach der Vorlage zu genehmigen; III.»die Negierung zu ersuchen, die gesetzlichen Be- stimmungen über die Prüfungen der Beamten dahin abzuändern, daß die Prüfungen gebühren frei vorgenommen werden. Neu. 17. Zweite Beratung über Kap. 23 — Gerichte, EtaatSanwaltschasten und Gefaugeneuaustakt^n — (ausschließlich Dit. 17) des ordentlichen StaatShauS. Haltplans sür das Rechnungsjahr 1928 sowie über die hierzu vorliegende» Eingaben. (Mündlicher Be richt des HaushaltauSschusseS Drucksache Rr. 833.) Der Antrag Nr. 833 lautet: «Die Minderhcit»anlrLge sind durch > besonder» bezeichnet.) Der Landtag wolle beschließen: I . bei Kap. 23 des ordentlichen Staatshaushaltplans für 1928 (ausschließlich Tit. 17): 1 .» in Tit. 5a: die Position „3 juristische Hilfs arbeiter" als „künftig wegfallend" zu bezeichnen; Neu. 2 . « inTit.bo: die Zahl der Ärzte bei den Gefangenen- anstalten von 8 auf 20 zu erhöhen und den dafür notwendigen Betrag einzusetzen; Siewert, Rötzscher, Flammiger. 3 .» in Tit. 5 k: die eingesetzten Beträge für 4 Geist liche zu streichen; Neu, Siewert, Rötzscher, Flammiger. 4 .« in Tit. 11: den Betrag von 350000 RM. auf 250000 NM. zu ermäßigen; Neu. 5 .» die in Tit. 15 vorgesehenen Beträge für Dienst aufwandsentschädigung für den Präsidenten des Oberlandesgerichts und die Präsidenten der Landgerichte Dresden, Leipzig, Chemnitz, Zwickau und Bautzen zu streichen; Siewert, Rötzscher, Flammiger. 6 . in Tit. 15 in der Spalte Erläuterungen unter d eineDienstaufwandsentschädigung von 1200 NM. auch für den Generalstaatsanwalt auszuwerfen; 7 .» in Tit. 16: den Betrag um 23000 RM. auf 50000 RM. zu erhöhen; Neu. 8 . die Einstellungen nach der Vorlage zu ge nehmigen; II »I. die soziale Gerichtsbilfe kann nur als staatliche Organisation in der Rechtspflege und im Strafvollzug der von ihr zu erfüllenden Auf- gaben gerecht werden. Es sind deshalb Maß- nahmen für ihre Einrichtung unter Angliede- rung an die Gerichte zu treffen. Die erforder- Uchen Mittel sind unter Tit. 15 mit zu ver schreiben; 2. die Kündigung von Tarifangestellten, soweit sie nicht das 65. Jahr überschritten haben, hat nur dann zu erfolgen, wenn organisatorische Maßnahmen dies erfordern. Befähigten An- gestellten ist der Übertritt in die Beamtenlauf, bahn zu erleichtern; 3. das im Dezember 1927 durchgepeitschte Besol dungsgesetz weist zahlreiche Härten für einzelne Beamtenkategorien der mittleren und unteren Laufbahnen auf. Eine baldige Überprüfung des Gesetzes ist deshalb vorzunehmen. Zur Abstellung von Härten sind insbesondere ») die Rechtsverhältnisse der Kanzleibeamten schaft denen in Preußen und Anhalt an- »ugleichen; , - d) die Strafvollzugsbeamten und Wachtmeister befserzustellen; v) die sondergeprüften Sekretäre, mindestens soweit sie Rechtspflegerfunktionen ausüben, den übrigen Justizbeamten mit gleichem Arbeitsgebiet in der Besoldung gleich zustellen; 4. die Regierung zu ersuchen: a) künftig die Einnahmen aus Kosten und Gelvstrafen getrennt zu führen und bei den Kosten nachzuweisen, aus welchen Quellen sie im einzelnen stammen; 6) aus den Einnahmen an Geldstrafen für das laufende Jahr den Betrag von 500000 RM. für die Strafentlassenenpslege bereitzustellen; o) dem Landtag eine Vorlage dahin zu unter breiten, daß in Abänderung des Wohlfahrts pflegegesetzes die Strasentlassenenfürsorge dem Strafvollzug ungegliedert wird; 6) die für den „Arbeitsbetrieb" in Frage kom menden Verwaltungen auf die kaufmännische Buchführung umzustellen; Neu. III. die Eingaben: ») Nr. 1205 (Prüfungsausschuß) des Gewerkschafts bundes der Angestellten, Leipzig; 5) Nr. 1054 (Prüfungsausschuß) des Reichsver- bands der Justizbmeaubeamten und deren An wärter, e. B., Charlottenburg, e) Nr. 2016, 2061, 2062 und 2063 (Prüfungs- ausschuß) des Bundes Sächsischer Staats beamten, e. V., Dresden, 6) Nr. 2052 (Prüfungsausschuß) des Landes verbands der höheren Beamten Sachsens, e. V-, Dresden, der Negierung zur Erwägung zu überweisen. Der Berichterstatter zu diesen beiden Punkten, Abg. Göttling, verzichtet auf ciue mündliche Bericht erstattung. 18. Erste Beratung über den Antrag deS Abg. Böttcher u. Gen., eine ReichSamncstie betreffend. (Drucksache Nr. 761.) Der Antrag Nr. 761 lautet: Bei den gegenwärtigen Ajnnestieverhandlunaen im Reichstag haben die Vertreter der Länder sich gegen die Durchführung einer Reichsamnestie aus gesprochen. Auch die sächsische Regierung ließ durch ihren Vertreter erklären, daß sie gegen den Erlaß einer Reichsamnestie sei. Der Landtag wolle beschließen: die Regierung zu beauftragen, im Falle der Annahme eines Amnestiegesetzes im Reichstag ihren Vertreter im Reichsrat anzuweisen, für das Amnestiegesetz zu stimmen. ' Abg. Roscher (Komm. — zur Begründung): Wir haben gegenwärtig über 300 proletarische Gefangene in den Kerkern der Deutschen Republik. Als im März die Beratung im Reichstag stand, ging eine Hoffnung durch diese Gefangenen, und ebenso auch durch ihre Familien, daß die Vertreter im Reichstage endlich ein mal das an ihnen verbrochene Unrecht wieder gut- machen würden. Es schien anfänglich auch so. Im Ausschuß des Reichstags erlebten wir, daß bei der Beratung wohl eine Einstimmigkeit in verschiedenen Punkten des Amnestiegesetzentwurfes vorhanden war, aber unmittelbar darauf brachten die Vertreter des Zentrums einen Antrag ein, der nicht nur die Feme mörder ausschließen sollte, sondern ganz allgemein alle Personen, welche wegen versuchten oder vollendeten Mordes oder Totschlags sowie der Teilnahme an solchen Taten verurteilt waren. Wir müssen feststellen, daß dieser Antrag nur gegen die politischen proleta rischen Gefangenen gerichtet war, die aus diesen Gründen verurteilt worden sind, und dabei hat die Fraktion der Sozialdemokratie diesem Antrag ihre Zustimmung gegeben. Wir sind der Meinung, daß diese Zustimmung aus dem gleichen Interesse erfolgte, wie es bei den Zentrumsleuten der Fall war. Die Sozialdemokraten haben im Wahlkampfe, als die Ar beiter sie fragten, warum sie gegen diesen Antrag ge stimmt hätten, zum Ausdruck gebracht, daß sie es des halb getan hätten, um zu verhindern, daß die Feme mordbanditen wieder auf das Volk losgelassen würden. Dieses Argument ist nicht stichhaltig. Es steht doch fest, daß die Bourgeosie mit Hilfe ihres Staatsapparates es fertigbriugen wird, diesen Leuten früher oder später doch die Freiheit wiederzugeben. Wenn wir diese Dinge sehen, können wir unter keinen Umständen die Haltung der Sozialdemokratie verstehen. Die Haltung der Sozial« demokratie unmittelbar vor der Auslösung deS Reichs tages ging darauf hinaus, den künftigen Koalitions parteien zu zeigen, daß sie koalitionsfähig sind. Ich möchte hier dabei daran erinnern, daß die Stellung der Sozialdemokratie gerade in der letzten Zeit sehr viel darauf schließen läßt, daß sie sich eS sehr angelegen sein läßt, der bürgerlichen Gesellschaft ihre KoalitionS- fähigkeit zu zeigen, besonders ihre Stellungnahme nicht nur zu den revolutionären politischen Gefangenen, sondern zur kommunistischen Bewegung überhaupt. Be sonders die Sowjethetze hat in den letzten Monaten im Vordergrund der sozialdemokratischen-Presse gestanden. Ich erinnere nur daran, daß die Sozialdemokratie es ertiagebracht hat, bei jeder Gelegenheit, beim Granaten- - chwmdel usw., gegen Sowjetrußland zu Hetzen. Worauf äuft diese Stellungnahme der Sozialdemokratie hlnau»?