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Dresdner Journal : 11.10.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-189710110
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-18971011
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-18971011
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Journal
-
Jahr
1897
-
Monat
1897-10
- Tag 1897-10-11
-
Monat
1897-10
-
Jahr
1897
- Titel
- Dresdner Journal : 11.10.1897
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Vei«A«»ret»: Dresden vierteljährlich: 2 Mark öSPf., bei den Kaiser lich deutschen Postanstalte» vierteljährlich S Mark; außer halb der Deutschen Reiche« Post- und Stcmpelzuschlaa. Einzelne Nummern: lv Pf. Srscheine«: Täglich mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage abend«. Fern pr -Anschluß: Nr 1LS5. Dresdner M Mmnnl. Sakündtgungs«rbühre>: FLr den Raum einer gespal tenen Zeile kleiner Schrift rv Pf. Unter „Eingesandt" die Zeile SV Pf. Bei Tabellen- und Ziffernsatz entsprechender Ausschlag. Herausgeber: Königliche Expedition de« Dresdner Journal« Drcsdcn, Zwingerstr. 20. Fernspr.-Anschluß: Nr. 1LVL W236. Montag, den 11. Oktober abends. 1897. Amtlicher Teil. Dresden, N. Oktober. Se. Majestät der König sind heute Vormittag 7 Uhr 25 Min., von Wien kommend, hier wieder eingetrosien. Dresden, 5. Oktober. Se. Majestät der König haben Allergnädigst geruht, dem Bürgerschul-Oberlehrer Gustav Adolf Löser in Zwickau das Verdienstkreuz zu verleiben. Dresden, t>. Oktober. Se. Majestät der König haben Allergnädigst geruht, den Kirchschullehlern und Kantoren Friedrich Hermann Schneider in Nieder schöna und Karl Julius Jünger in Naundorf das AlbrechtSlreuz zu verleihen. Dresden, 9. Oktober. Se. Majestät der König haben Allergnädigst geruht, dem Botenmeister und Gerichtsvollzieher beim Landgerichte Leipzig August Louis Weber bei seinem Uebertritt in den Ruhestand daS Albrechtskreuz zu verleihen. Se. Majestät der König haben Allergnädigst ge ruht, dem Straßenwälter a.D.Schönherr inGeycrs- dorf das Allgemeine Ehrenzeichen zu verleihen. Se. Majestät der König haben Allergnädigst zu genehmigen geruht, daß der in Sachsen staatSange- hörige Professor vr. Wolfgang Helbig in Rom das ihm von Sr. Majestät dem Könige von Schweden verliehene Kommandeurkreuz des Nordstern-Ordens I. Klasse annehme und trage. <^ruenvu«se«, Versetzungen rc. im öffentlichen Dienste. Im strschiftSbereichc des Ministeriums derFinanzen. Dem juristischen Hülssarbeiter bei dem Bcrgamte Referendar v Wolf in Freiberg ist nach erfolgter Ablegung der zweiten juristischen Staatsprüfung das Dicnstprädilat „Assessor' bei gelegt worden. Nichtamtlicher Teil.' Ter sozialdemokratische Parteitag ist am Sonnabend geschlossen worden. Unter dem Ge sänge der Marseillaise ist das angebliche „Arbeiter parlament" auseinandergegongen, nachdem ihm noch der Vorsitzende Proletarier und Rentier Singer ein hohes Loblied gesungen hatte, wegen der Einigkeit und des brüderlichen Tones, der in der Versammlung geherrscht haben sollte. Und der „Vorwärts" setzt heute das Geschäft des Selbstlobes, in dem er es zu einer großartigen Meisterschaft gebracht hat, fort, indem er schreibt: „Proletarierparteien kennt die Welt seit den Sklaven- aufständen des Altertums, auch die Namen einzelner hervorragend, r Männer aus den „untersten Volks schichten", wie den des Spartaeus, hat uns di; Ge schichte überliefert; aber rin Arbeiterparlament, in dem so vul Talent, Intelligenz, soviel Selbständig keit und sachliche Ueberlegung zum Ausdruck kam, wie auf unseren Parteitagen, wie in Breslau bei der Agrardebatte und jetzt wieder in Hamburg bei der Debatte über die Beteiligung an den preuß ischen Landtagswahlen, kennt die Geschichte wcht." Sein Lesepubtlkum, das kein anderes Blatt in die Hände bekommt, vermag ja das sozialdemokratische Zentralorgan vielleicht mit solchen thörichten Redereien gefangen nehmen. Andere vernünftige Leute und sogar die „leitenden" Herren der Umstnrzpartei selbst wissen natürlich ganz genau, wie die Dinge wirklich liegen. In Wahrheit hat gerade der jetzige Parteitag auf das Deutlichste gezeigt, daß die Einigkeit, die früher alle Genossen als festes Band umschlang, längst schon dahingeschwunden ist. Nicht eine einzige Frage ist in den Verhandlungen angeregt worden, ohne daß sofort die grundverschiedensten Anschauungen sich entgegen- getr.ten wären. Und das war genau so bei rein taktischen, wie bei grundsätzlichen Fragen. Überhaupt ist an sich schon das Ueberwiegen der Fragen der „Taktik" charakteristisch für die Zu stände in der Partei. Für die alten , Ideale" er wärmt sich nremand mehr. Wenn sich ihre wirtschaft liche Lage bessern würde, würde die große Mehrzahl der Genossen mit wehenden Fahnen zur Bourgeoisie übergehen! Das hat den hierüber anscheinend gar nicht einmal besonders überraschten Genossen Bebel in eigener Person zugerufen Und der mag wohl kompetent sein zur Beurteilung der Gesinnung seiner Parteifreunde. In der That handelt es sich heute bei der Sozial demokratie fast nur noch darum, durch n ue taktische Mittel die Genossen zusammcnzuschmieden, ihre nach allen möglichen, den leillnden Männern nicht ge nehmen Richtungen abirrenden Interessen wieder zu sammenzuleiten. Auch die wichtigste Frage des Kongresses, die der Beteiligung der Sozialdemokratie an den preußischen Landtagswahlen, scheint uns mit in erster Linie vom taktischen Gesichtspunkte aus beurteilt werden zu müssen. Unruhe und Agitation ist daS Lebenselixir der Sozialdemokratie und eine schönere Gelegenheit zur Agitation als bei allgemeinen Wahlen giebt eS bekanntlich nicht. Allen ruhmredigen Wendungen, aller Groß sprecherei zum Trotze ging durch die Reden der maß gebenden Genossen auch wie ein roter Faden die Angst vor einem energischen Einschreiten des Staates gegen ihr revolutionäres Unternehmen und nicht minder die Furcht vor einem Zusammengehen der Ord nungsparteien, vor einem „Kartell, etwa nach sächsischem Muster". Die Erfolge der sächsischen Ordnungsparteien bei den letzten Wahle« lagen den Herren insgesamt noch in den Gliedern, wenn sie es auch natürlich nicht zugeben wollten. So könnte den Genossen natürlich nicht- angenehmer sein, als wenn sich etwa bei den Staatsregierungen und bei den bürgerlichen Parteien die Annahme festsetzen könnte, die Sozialdemokratie sei im Begriffe, sich zu einer „gut bürgerlichen Reformiertet" umzuwandeln. Daß es Leute giebt, denen die tägliche Kost von freisinnigen Phrasen die Sinne schon so verwirrt hat, daß sie an die gute, harmlose Sozialdemokratie glauben und ihr als „freigesinnte", für die Wahrung der „Volksrechte" begeisterte „Bürger" die Hand reichen, das ersieht man aus der nachstehenden Betrachtung, die gestern das „Berliner Tageblatt" enthielt: Jetzt maß auch der blindeste Gegner dcr Sozialdemokratie zugcben, daß dieselbe nicht eine rein revolutionäre Partei mehr ist, sondern eine Partei, die sich auf den Boden der Thatsachen stellt und auf gesetzlichem Wege Mitarbeiten will am Wohle der Gesamtheit — natürlich so gut und so schlecht, wie sie cs versteht. . . . Wenn man offen und ehrlich nusspricht, daß bei der Sozialdemokratie die internationale revolutionäre Partei immer mehr in den Hintergrund ge drängt wird, und daß sie sich immer mehr auswächst zu einer Partei, genau so national wie alle anderen — keine blutige Persammlungsphrase kann darüber hinwcg- täiischen —,zu einer Partei, die ehrlich und eifrig mit arbeitet an unserer Gesetzgebung, so verherrlicht man damit keineswegs diese Partei, sondern man betont nur eine Thatsache, an der, wenn die bisherige Entwickelung so weiter geht, in wenigen Jahren kein Mensch mit gesunden Sinnen mehr zweifeln wird Man unterstützt aber auch nicht die Sozialdemokratie, wenn man sie den anderen Parteien gleich stem im Gegenteil, man entkleidet sie jenes Nimbus, dcr nun einmal von jeher den Märtyrer umgab. . . Denn nichts ist so sehr geeignet, einer Partei die Sympathie aller anständigen und gerechten Leute zuzusühren, wie ungerechte Verfolgungen, die man gegen sie ins Werk setzt, wie die konsequente Verleumdung, mit der man sie schlechter zu machen sucht, als sie ist, und die Brutalität, mit der man sie zu unterdrücken trachtet Daß dadurch auch viele Leute sich mit einer solchen Partei enger liieren, als eS der Fall wäre, wenn sie nicht so ungerecht behanleit, nicht so schamlos verdächtigt, nicht so brutal vergewaltigt würde, ließt aus der Hand . . Dieselben Sozialdemokraten, die sich eifrig an den Reichstagswahlen beteiligten und deren Vertreter eine emsige Thätigkeit im Reichsparlament entwickelten, machten bei den AbgcordnetenhauSwahlen nicht mehr mit. Sie demonstrierten gegen das „elendeste aller Wahlsysteme", wie die Sozial demokraten ebenso wie Bismarck nnd ebenso wie wir sagen Nun sie aber cinsehen, daß diese Politik der Enthaltsamkeit dem Junker und dcr Reaktion zu gute kommt, den Arbeiter und Bürger ab r schädigt, ändern sie ihre Taktik Das ist vom Standpunkte des Bürgers, der auf dem Boden der Verfassung steht, um so mehr anzuerkenncn, als die Sozialdemokratie, darüber ist sie sich durchaus klar, für sich selbst kaum ein Geschäft dabei machen wird Und deshalb muß jeder Bürger, dem dicAuircchterhaltung der VolkS- rechte am Herzen l egt, diesen Hamburger Beschluß mit aus richtiger Genugthuung begrüßen Aber als ehrliche Leute machen wir auch bei diesem Anlaß kein Hehl daraus, daß wir die Utopien der Sozialisten und ihre ungerechtfertigten Forder ungen nach wie vor aus das Energischste bekämpfen werden (?!> Dieser Kamps wird, wenn die Waffen gleich sind, ein ehrlicher sein und zum Wohle des Vaterlandes ausschlagen. Wenn solche lächerliche Anschauungen in den Köpfen des deutschen Bürgertums Platz grei'en sollten, dann könnte allerdings der Hamburger Be schluß der Sozialdemokratie in der Zukunft zur Freude gereichen. Aber wir fürchten dies nicht. Für alle wahren Vaterlandsfreunde wird und muß die in Aussicht stehende Verbrüderung der nach wie vor revolutionären, umstürzlerischen Sozialdemokratie mit der bürgerlichen, freisinnigen Demokratie nur der Anlaß sein zu immer engerem, festerem Zusammen- schließen gegen diese Feinde unseres Vaterlandes. ^nropa am Lchluffe der griechisch-türkischen Verwickelung. Eine bemerkenswerte Betrachtung über die gegen wärtige europäische Konstellation enthält heute die „Post". Da eS uns scheint, als ob die von dem Berliner Blatte gegebene Darstellung eine zutreffende und die Absichten der deutschen Politik richtig wieder- gegeben seien, geben wir im nachstehenden den Aufsatz wieder. DaS genannte Blatt schreibt: DaS Ministerium Zaimis ist von der Mehrzahl der Griechen, die gleich den Franzosen in jedem Wechsel des Mini sterium- den Anfang einer neuen verheißungsvollen Ära sehen, mit größte Genugtuung begrüßt worden, wenngleich von den 7!«uen Männern irgend welche wesentlichen Änderungen am Friedenswerke ebensowenig wie vom Kabinett Ralli durchges.tzt werden können. Immerhin lassen einzelne Persönlichkcilen der jetzigen Regierung, wie der Finanzminister, die neubelebten Hoffnungen auf eine Reorganisation in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht wenigstens verständlich erscheinen Trotz alledem muß vor übertriebenen Erwartungen in letzterer Hin sicht auch heute noch gewarnt werden Der in allen Listen parlamentarischer Taktik erfahrene Delyannis hat zwar das Feld vorläufig geräumt, dürste aber unzweifelhaft jede Ge legenheit benutzen, um sich wieder in den Besitz der Macht zu setzen, die er so lange zum Schaden Griechenlands inne gehabt hat. Bereits werden Stimmen laut, die den neuen Ministerpräsidenten Zaimis, einen Ncffen Delyannis', als den Platzhalter des letzteren bezeichnen und in dcr jüngst vergangenen Krisis nur eine höchst künstlich ins Werk gesetzte Komödie sehen wollen. Wie dem auch sein möge — dem deutschen Kapital kann der ganzen Angelegenheit gegenüber zunächst nur die größte Vorsicht empfohlen werden So lauge Griechenland in Sachen der Finanzkontrolle nicht endgiltig volle Sicherheit gegeben hat, vermag auch der beste Finanzmmistcr nicht die Kreditfähigkeit des Landes nicht zu erhöhen. Ob im lextcn Momente noch Versuche zu dem Zwecke gemacht werden sollen, um diese Kontrolle mög lichst herumzukommen, läßt sich heute noch nicht übersehen und muß daher bis auf weiteres bezweifelt werden. Jedenfalls würden sich die Griechen im Irrtum befinden, wenn sie glauben sollten, daß im Ernste irgend eine Macht ihnen die nötige Summe ohne feste Garantien verschaffen werde. Man ha! von dcr Eifersucht Frankreichs und Rußlands ge sprochen, die den Engländern in dieser Hinsicht nicht über den Weg trauen. Eine lolche Besorgnis scheint jedoch unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht gerechtfertigt zu sein Man fürchtet in Berlin solche Jwrigucn nicht, weil man jetzt ans Kunst und Wissenschaft. Nesidenztheater. — Am 9 und 10. Oktober: „So doms Ende", Schauspiel in fünf Akten von Hermann Sudermann. (Zum ersten Male.) Das Residenztheater fährt in seinem Bestreben fort neben der Operette und dem Schwank auch den Teil des modernen und modernsten Dramas zu pflegen, der aus einem oder dem anderen Grunde hier bisher keinen Ein gang gefunden hat. Sudermanns zweites Stück „Sodoms Ende" gehört zur Gruppe dieser Schauspiele, die einen geineinsamen Typus durch den bevorzugten Hinter- und Untergrund, man kann nicht sagen der Reichshauptstadt, aber einer gewissen reichshauptstädtischen Gesellschaft er hält, einer Gesellschaft, die sich gern als ganz Berlin an sieht und aufspielt Ueber Berechtigung und Bedeutung der Sittenschilderung, aus der sich die dramatischen Kon flikte einer ganzen Reihe von Stücken ergeben, unter denen „Sodoms Ende" immerhin eines der bedeutendsten ist, tobt seit Jahren ein leidenschaftlicher Kampf. Wenn die Forderung abgeschmackt und kleinlich oder engherzig akademisch war, daß in einer von den gewaltigsten Käm pfen erfüllten Zeit das bürgerliche Schauspiel Idyll bleiben solle, wenn eS ganz unerträglich erschien, daß „in dieser Blütezeit der Schufte" (wie Theodor Storm sagt) lauter brave Gesellen mit kleinen, liebenswürdigen Schwächen und Angewöhnungen an den Lampen herum - gaukelten, so wurde ein gewaltsamer Durchbruch zur Wirklichkeit zuletzt unvermeidlich Nur schloß die Art, mit der man bisher vernachlässigte oder scheu zurück gedrängte Lebenserscheinungen und Lebenswahrheiten auf die Bretter riß, eine neue Vergewaltigung des Lebens in sich ein Die auf theatralische Wirkung berechnete Gesell schaftsstudie, die noch dazu unter dem Truck modischer Philosophie und Phraseologie steht, beeinträchtigt die freie, echt poetische Lebensdarstellung nach anderer Seite hin nichl" w.'niger als das üb-rucserte Bühnenbild, in dem sich die Tugend zu Tisch setzt, wenn sich das Laster erbricht. Die Aufführung von „Sodoms Ende" hinterläßt nach einer Reihe von Jahren keinen andern Eindruck als den zur Zeit der ersten Aufführung in Berlin empfangenen Da diese Sittendramen keineswegs ungeheuerliche Aus nahmezustände, sondern herrschende, breit im Vordergrund stehende Verhältnisse schildern sollen, so wird bald klar, daß im poetischen Spiegel selbst ein Fehler sein muß, der die Dinge hier falsch verschönert, dort verzerrt. Um dramatische Gegensätze zu erhalten, opfert der Dichter die Wahrheit und vor allem die Bescheidenheit der Natur einfach auf. Ich darf hier nur wiederholen, was ich in meinen „Studien zur Litteratur der Gegenwart" heroor- gehoben habe „Wenn es in „Sodoms Ende" heißt, daß gar mancher brave Kerl in diesem Treiben mitschwimme, so wirft das blitzartig ein Licht aus die gewisse Unwahr heit des Lebensspiegels Es ist einfach nicht wahr, daß irgend ein braver Kerl in solcher Welt brav bleibt und gar den frechen Lasterton eines im Kern faulen Protzen- tumS mitredet, aber es ist wahr, daß es vielmehr brave Kerls giebt, die ein gewichtiges und bedeutsames Stück Leben und Wirklichkeit neben der hier geschilderten auf recht erhalten, ohne daß ein Professor Riemann von aus wärts kommen muß Ein Ausschnitt aus den wurm stichigsten und beflecktesten Blättern ist nicht daS große LebenSbuch! Die individuelle oder gesellschaftliche Abnormi tät bleibt das Recht des Dramatiker« und jedes Dichter-, darf sich aber nicht für die Wahrheit, die ganze Wahrheit, die Wahrheit ausschließlich, ausgeben In „Codom« Ende" ist die angeblich an der Verlotterung, der Frivolität, der Eitelkeit und Genußsucht einer in Grund und Boden hinein verdorbenen Gesellschaft zerbrechende Genialität des jungen MalerS von „SodomS Ende" ein ganz falscher Gegen satz zu dieser hohlen, verdorbenen Welt Wäre Willy Janikow ein Genie, ja nur ein tüchtiges, starkes Talent, so hätte das zerstörende, entsittlichende Treiben dieser Drittelswclt, dieses goldüberslrculcn Schlammes, nicht die Macht über ihn, ihn zum Nichtsthun und zur Verkommenheit zu führen. Der Fleiß, das Schaffen müssen sind notwendige Bestandteile des echten Talentes, geschweige denn der wirklichen Genialität. Genie und Talent gehen allerdings gelegentlich an der von Suder- mann dargestellten Gesellschaft zu Grunde, aber nicht weil sie mitlumpen und die Fähigkeit zum Arbeiten verlieren, sondern weil sie nicht mitlumpen, weil sie schaffen, auf Leben und Tod arbeiten, und weil besagte Gesellschaft dafür nichts hat als frechen Hohn und eisige Gleichgiltig keit stiem, der wirklich Geniale ist für sie nie genial, und wa« sie genial nennt, ist eben vom Schlage der Willy Janikow Maler Riemann hat ja ganz recht, als er scmem Freunde zuruft: „Mit dem alleinseligmachenden Laster bleib mir gefälligst vom Halse. Ich sag dir, das Laster hat einen minimalen Bildungswert" Unrecht hat er aber und mit ihm Kramer, Frau Janikow, die arme Kitty und das unselige Klärchen, daß sie an die Genialität dieses Willy glauben, Unrecht hat der Dichter, der uns glauben machen will, daß in Willy Janikow ein Genie, just der Künstler, den die Zeit braucht, zu Grunde ge richtet worden wäre. Nein anders, ganz anders sieht der Kampf zwischen Sodom und der wirklichen Volks- und Kunstseele der Gegenwart aus Im Gespräch zwischen Janikow und Riemann enthüllt sich das „Sieh mal", sagt Herr W'lly, auf die Abendsonne weisend, „sieh mal, wie sie da glühend über dem Meer von Dächern liegt. Wer das malen könnte!" „Mal's doch " „Und die wellen schlagenden Gelüste alle darunter ? Jede Rauchwolke ein Dunst von unauSgegohrener Leidenschaft. Jedes Dach ein steingewordener Frevel! Wie will man das malen?" „Merkwürdig, ich sehe nichts wie Sonnenschein " „Du bist eben ein Philister Ja, mein guter Kerl, das bist du! Oder hast du je den Sturm und Drang einer werdenden Zeit in deinem Hirnschädel brausen gehört? Hast du je Giund mannigfacher Anzeichen weiß, wie die prak tische englische Kapitalistcnwelt durchaus den Standpunkt Europas teilt und trotz aller Hu manitären Redensarten der englischen philhelleni- schen Kreise gar nicht daran denkt, ihr gutes Geld sür daS Linsengericht griechischer Versvrechungen dahinzugeben. England selbst aber bat heute kein Interesse mehr daran, das Ende der griechischen Verwickelung noch irgendwie hinanSzuschieben, weil der üb rwiegend giößte Teil des englischen Volkes die in der orientalischen Frage gemachten Fehler bereits eingesehen hat. Selbst kleine Vorteile in der ägyptischen Angelegenheit vermögen den Schaden nicht aus zuwiegen, den die Fvrtdaucr dcr Unzusricdenheit der mohammedanischen Welt den englischen Interessen bereiten würde. Nicht schnell genug aber - das muß heule allen bei dieser Frage beteiligten Politikern zugerufen werden — kann das so mühsam zurechtgezimmeite Friedenswcrk in dcn Hasen gebracht werden, weil der durch die Rückgabe Thessalien- an die Griechen erregte Groll dc- Alttürkentums sich sonst in ver hängnisvoller Weise Lust machen würde. Ohnehin sind die Sorgen, die man in dieser Hinsicht in dcn leitenden Kreisen am Goldenen Horn heg», recht bedeutende. Das vereinigte Europa hat deshalb alle Ursache, mit Energie aus eine Be schleunigung der cndgiltigen Verhandlungen zu dringen. Die Griechen aber würden am bJten thnn, so schleunig als möglich in die ihnen weit entgegengestreckte Hand einzuschlagen, ohne weitere Versuche zu machen, die Sache in die Länge zu ziehen. Sieht man in den europäischen Hauptstädten erst, daß wirklich guter Wille in Athen vorhanden ist, dann muß sich auch au» den heute scheinbar unüberwindlichen finanziellen Schwierigkeitcn ein ÄuSweg finden lassen. Hält England, wie nach dcn genannten Prämissen zu er warten ist, an der Seite Europas bi» zuletzt au-, so wird auch die gegenwärtig so arg verworrene kretische Angeiegenhnt sich in Ruhe ordnen lassen. Es mag sreilich sür gewisse englische Politiker, die von der Erwerbung einzelner Häfen dieser Jnftl für England träumten, ein harter Schmerz scin, auf ihre innersten Herzenswünsche zu verzichten. Indessen mußten sie sich, seit ihre griechischen Schützlinge so schlecht im Felde bestanden, doch schon seit langem sa^cn, daß ihren Hoffnungen nach dieser Richtung hin ein Riegel vorgeschoben worden sei. ES ist auch hier höchste Zeit, mit der Einführung der Autonomie und der Regelung de- Verhältnisse- zwischen Mohammedanern und Christen dort ernst zu machen. Auch an dieser Stelle gilt es, eine Quelle beständiger Erregung des Alitürkcutums eiligst zu verstopseu — und gerade England hat, aus den bereits an- gesührtcn Gründen, alle Ursache, sich von jenen Elementen de» MohammcdaniSmus nicht einer Verschlcppungstatik beschuldigen zu lasten. Besteht somit die Hoffnung weiter, trotz mancher Besorg nisse die griechische Epiwde über kurz oder lang vollständig zu erledigen, so ergiebt sich daraus sür die nächsten Jahre die Hoffnung aus einen annähernd ungetrübten Fliedenszustand Europas. Zur Zeit de- Höhepunkte- dcr orientalischen KrisiS standen am politischen Horizonte schwere Wolken. Es hätte damals, wie man heute offen zu- gest eh en kann, nur ei ne-einzigen unbedachtenSchritte S einerdtrbeiderFrageammelsteninteressitrtenGroß- mächtr bedurft, um einen Krieg aller gegen alle zu entzünden. Die deutsche Regierung darf sich rühmen, in mitten aller Schwierigkeiten und trotz mancher Mißverständnisse selbst bei ihren Freunden, den Faden der Vermittelung treulich sestgehaltcn zu haben Ob alles erreicht ist, was zu erreichen wünschenswert war, kann heute gegenüber der Größe der über wundenen Gesahr nicht in Betracht kommen. Wein von einzelnen Organen jetzt höhnisch gefragt wird, waS denn Deutsch land sür seine Mühen in dem ganzen Handel eigentlich sür sich davongrtragen, so ist die Antwort daraus umchwer zu geben Außer dem kostbaren Gute des Friedens, den die deutsche Nation aus allen Gebietcn so nötig braucht, ist dcr Einfluß Deutschland- im ganzen Südostcn neu befestigt worden, wie au- zahlreichen Anzeichen klar hervorgeht Abgesehen davon ist das Ver trauen auf die Znverläffigkcit, Redlichkeit und Friedensliebe des Deutschen Reiches mächtig gestiegen Dieses Vertrauen, das sich schon in den eisten Stadien der Verwickelung zeigte, hat eS auch eimöglicht, wieder die alten guten Beziehungen zu Rußland herzustellen, die unter Alexander III. eine Zeit lang unterbrochen waren Diese Wied.r- herstcllung des traditionellen Verhältnisses ist, unter den mannig fachsten Gesichtspunkten betrachtet, der teste Lohn für die Ar beit dcr deutschen Staatsmänner Gewiß ist auch die russische Politik, wie natürlich, im Verlause der oriratalischcn Krise ihren, wohlbcrcchncten Vorteile nachgegangcn. Aber c- muß anerkannt ivcrden, daß sic im Widerspruch mit manchen bedenk lichen Erscheinungen ter lctztvergangcncn Jahrzehnte e ne Zu rückhaltung und Mäßigung gezeigt hat, die die besten Schlüsse aus die nächste Zukunft gestattet. Immer deutlicher tritt es hervor, wie abhold der jetzige Zar gewaltsamen Ent scheidungen in Europa und Asicn ist. DaS zügt sich wieder einmal angesichts der blutigen Kämpfe Englands mit dcn Stämmen an der afghanisch«n Gicnze. Allerdings waren in cinzelnen russischen offiziösen Organen drohende Äußerungen gcsallcn, die auf ein Eingreifen Ruflands hinzuweisen schienen; den geweihten Trotz in dir gefühlt, gegen das, was die stumpfe Masse für recht und sittlich und verehrungswürdig hält? Hast du je riskiert, dir in der Wildnis des Lasters neue Reiche der Erkenntnis zu erobern?" „Riskiert? als ob da etwas zu riskieren wäre! Nur dcr setzt Leben, Glück und Ehre aufs Spiel, der im Widerstand gegen diese Welt beharrt und des Glaubens lebt, daß der Sonnenschein mindestens so viel wert sei als der Dreck, der sich unter ihm streckt." Man empfindet aber- und abermals, daß die Weltschilderung, die hier vorwiegt, im wesentlichen Krankheitsschilderung bleibt, daß alles Gesunde, von der Fäulnis Unergriffene (wie Riemann, Kramer, das alte Ehepaar Janikow, da« junge Klärchen) einen Stich ins Blinde, Beschränkte, ErkenntniLunsähige erhält, mit einem Wort, daß die Gegensätze vielfach falsch und lediglich auf die theatralische Wirkung gestellt sind Diese Wirkung ist nicht unbedeutend, und wenn betont wird, daß sich das Stück durch einen sehr geschickten scenischen Aufbau, durch eine gewisse technische Meisterschaft auS- zeichne, braucht man gar nicht zu widersprechen. Die Wiedergabe am Nesidenztheater zeichnete sich durch eine sorgfältige Regie, durch das Bestreben aller Dar steller aus, nicht bloß einzelne Gestalten hinzustellen, sondern auch im Zusammenspiel die vom Dichter voraus gesetzte Atmosphäre des Schauspiels hervorzubringen Daß dazu vielfach stärkere Kräfte gehören, als sie hier zu Gebote stehen, braucht nicht erst gesagt zu werden. Hr. Fritz Burmester (Willy Janikow) brachte den traurigen Helden zu einer sehr lebendigen, teilweis (namentlich in den Scenen mit Klärchen und Kramer am Schluß des zweiten Akte«) sogar tieferen Wirkung. Gut gerundete, den Grundton treffende Figuren gaben die Herren I Nasch (Schulamtskandidat Kramer), Bayer (Meiereiinspektor Janikow), Carl Friese (vr. Weiße), Frau Hermany- Benedix (Marie Janikow), Frau Karla Ernst (Ada Barczinowski), Frl Else Varöny (Kitty Tattenberg), Frl. Rudi Stehle (Klärchen Fröhlich) Hr. Janda
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