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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumcrationS- Prcis 22^ Sgr. THIx., vierteljährlich, 3 Lhlr. sür das ganze Jahr, ohne Er, Höhung, in alle» Theile» der Preußischen Monarchie, Magazin für die Man pränumerirt auf dieses Beiblatt der Wg. Pr. Staals - Zeitung in Berlin in der Expedition iMohren - Straßen Ro. 34,; in der Provinz fo.» wie im AuSlandk bei deW Wohllöbl. Post- «-intern. Literatur des Auslandes. 18. Bertin, Mittwoch den 11. Februar 183A Frankreich. Die Galeeren-Sklaven Aly und Solymau. Bon M6rp. Die Geschichte dieser beiden armen Algierer ist sehr traurig, und ist unglücklicherweise eine wahre Geschichte. Die Hoffnung auf de» Trost: „Es ist nur eine Dichtung", findet hier nicht statt. Wir haben Algier eingenommen; es ist eine sehr schöne Eroberung für den südlichen Handel; wir stehen am Atlas in Garnison; die Civi- lisalion, nach Algier übcrgeführt, verbreitet sich außerhalb der Mauern, in nächster Nähe über die Beduinen. Um die Sitten der Eingcdornen zu mildern und zu vergeistigen, befolgen wir die Spanische Methode; wir liefern den einzelnen Stämmen eine endlose Schlacht, schießen sie mit .Kanonen zusammen, lassen Tagesbefehle und Bulletins ergehen; unsere Kundschaft und Kcnnlniß des Nordens von Afrika ist so weit vorgeschritten, wie die Levaillant's vom Süden. Alles zu Allem ge rechnet, fürchte ich sehr, daß als Facit für uns auch nur ein «usge- stopftes Thier hcranskommen wird, wie für ihn. .ssunihaiis spolra ot vicli monument» Lipbueis. Einstweilen schlägt man sich einander todt, um die Zeit todtzu- schlagcn. Die Cholera ist bei deu Beduinen ausgebrochen; jeder Tag versetzt neue Familien in Trauer. Dieser CivilisationS-Vcrsuch, der un ter jeder Bedingung durchgesetzt werden soll, hat den völligen Ruin der Menschen zur Folge, die sein Gegenstand sind, Menschen, die wir, wir, als Barbaren betrachten — und die umgekehrt sich zu unserer Civilisi- rung anschicken würden, wenn sic leichte Artillerie und ordentliche Kriegs schiffe hätten. Wir zählen unsere Todte, beweinen sie, das ist ganz in der Ordnung, löblich und gerecht; aber die Barbaren, die in diesen Kämpfen fallen, beachten wir nicht. Und diese Barbaren haben doch auch Frauen, die sie lieben, Kinder, die sie in Gottesfurcht und Cbri- stenhaß erziehen, Familien, die sie von ihrer Jagd oder durch sonstige Arbeit ernähren. Wenn in irgend einem Stamme am Abend diese ar men Menschen einen Vater beweinen, so ist es nicht ein Löwe des Atlas gewesen, der ihn zerrissen hat, sondern eine christliche Kugel hat ihn iiiedcrgestrcckt. Und nun will man, die Wittwe» Und Waisen sollen etwa folgen dermaßen sprechen: „Allah sch gesegnet! Nur zu unserem Wohle sind die Christen gekommen; vereinigen wir uns unter dem Paniere der Christen. Sic tödten uns unsere Väter, unsere Männer, unsere Kin der; aber sie civilisiren uns. Schwören wir die Vorurtheile unserer Väter ab. Seit vier Jahrhunderten und noch länger liegen wir im Argen und im Irrthum. Die Cbristenhunde sind unsere Brüder. Ehe mals, als wir sie nur dem Namen nach kannten, empfanden wir einen Abscheu vor ihnen; aber gegenwärtig ist es eine Pflicht und ein Ver gnügen, sie zu lieben. S>e haben die heilige Stadt zerstört, haben viele von den Unsrigcn getödtct, haben das Gold der Casauba in Be schlag genommen, haben den halben Mond vom Thore Babazo» her- untcrgerisseu; o! cs ist gerade der rechte Moment, aus unsere alten Vor- urthcile zu verzichten. Es leben die Christen!" Eines Abends wandelte» zwei dieser Waisen, die wir dazu gemacht, um einen Schlag mit einem Fliegenwedel zu rächen, melancholisch in einem Thale am Abhang des Atlas, Beide noch Kinder, Alp und So- lyman mit Namen, der Eine vierzehn, der Andere fünfzehn Jahr alt. Sie dachten an ihren vernichteten Stamm, an die Plünderung und Wegtreibung ihres Viehes, an ihre getödtcten Acllcrn, und vergossen reichliche Zähren, wie civilisirte Kinder; sie sprachen zu einander mit Gründen der Vernunft, die ihnen als die richtigen erschienen. Aly sagte zu Solpman: „Aber, was haben wir diesen Christen gethan, die von der Welt Ende hcrgckommen sind, die Mutter zu tödten, die uns genährt hat, unseren Vater, der so gut war? Es heißt, der Dev habe einem Christen einen Schlag mit einem Fliegenwedel gegeben; das ist eine Angelegenheit, die nur den Christen betraf, der den Schlag bekam, nicht so? Wir waren zwei Tagereisen von Algier entfernt, als dies vorging; haben nie, weder den Dey, noch den Christen, gesehen: warum hat man uns unser Vieh weggeuommcn, unseren Vater gelobtet und unsere gute Mutter, und unseren Stamm zerstört? Begreifst Du das, Solpman?" Der Bruder antwortete: „Ich glaube, die Christen sind der Ver nunft beraubt. Die Vernunft ist »ur den Kinder» des Propheten ge geben; man muß die Christen beklagen, wie wir die Narren beklagen, die Unglücklichen, die Gott verlasse» hat." „Ja, wenn diese Narren in ihrer Heimalh blieben, so wollte ich sie beklagen, um dem Gesetz des Propheten nachznkommen; sie kommen.: aber zu uns, um uns zu tödten, und wie willst Du sic dann noch be klage» ? Wäre ich »ur groß und stark und hätte ein Pscrd, wie wollle- ich mich mit diesen Chrlste» herumschlagen und meinen Vater rächen ? Hier ist das Blut unseres Vaters, siehst Du es? Es ist »och roth, wie diese Granaten." Die beiden Kinder weinten vor Wuth, und Aly schloß seine rechte Hand fest um das Heft eines kleinen Messers. In diesem Augenblick gewahrten sie einen Christen-Knaben, der in einem Grauatcubusch Früchte pflückte. Aly war außer sich vor innerer Aufregung. — „Sieh' dort", schrie er, „einen jener Hunde! Ich steche ihn mit diesem Messer nieder!" Solyma» fiel seinem Bruder in de» Arm. — „Es ist ein Verbre che», was Du begehe» willst", sagte er zu ihm. „Er ist allein, dieser Knabe, und wir sind zwei; er ist waffenlos, wir sind bewaffnet: Bru der, denk' an Gott, gegen den Du Dich vergehst." „Und als sie kamen, sie", schrie Aly wüthcnd, „waren sie etwa nicht zwei gegen einen, hundert gegen einen, mit ihre» Schiffen, ihren- Kanonen, ihren Kriegs-Maschinen, ihrer höllischen VcrnichtungS- und ZcrstörungSkuust? Glaubst Du, daß sie gekommen wären, uns anzu- grcifcn, wen» sie picht ihrer Sache sicher gewesen wären? Sie habe», uns getödtct, ohne Gcsahr sür sich selber, wie ich diesen Christen jctzr tödtc, ohne Gefahr für uns." Und er stach den Christen-Knaben nieder. Soldaten gingen des Weges, sahen den Leichnam und die Mörder- Alp und Solpman wurden ergriffen und nach der Stadt gebracht. Aly gestand sein Verbrechen ein; Solpman leugnete seine Mit schuld nicht. ES wurde ihnen der Prozeß gemacht. Man fragte sie nach ihrem Alter, ihrem Gewerbe, ihrem Wohnort. Ein Königlicher Prokurqtor entwarf die Anklage, welche mit den Worten aufing: „Wenn cs ei» Verbrechen ist, wäs. . . ." Ein Advokat verlheidigte sic zwo inrinu- Sie wurden zu lebenslänglicher Arbeit auf den Galeeren verurthcilt; für die Guillotine fand man sie zu jung. Aber es gicbt leinen Bagno in Algier; diese Stadt trägt noch die- Spure» der Barbarei an sich; sie ist »och picht mit unsere» philan thropische» Etablissements versehen, mit Ruderbänken und Sklaven- Profoßen. Aber Geduld! sie wird auch einen Bagno erhalten, wenn- die Civilisation erst weitere Fortschritte macht. Aly und Solpman sind bestimmt, den ersten Bestand abzugeben sür die künftige Pflauzschulo der Afrikanischen Galeeren, Sklave»; sie sind die lebendige Grundlage: des einstigen Monuments, die erste Basis des Etablissements. Mai« schiffte sic auf ein Dampfschiff ei», warf ihnen Bohucu vor (die Speise der Galeeren-Sklaven) und legte ihnen dreißig Pfund schwere Ketten um die Füße. So kamen sie auf Frankreichs gastfreundlicher Erde an,, in Toulon. Dort logircn sie denn im Bagno; cs wurde ihnen alsbald von ihren netten Kgmeradcn anempsohlcn, die Sitten der Gemeinde anzu- nchmcn, die Gebräuche, Gewohnheiten, Geschmack und Neigungen der Französischen Galeeren-Sklaven zu studircn, um die Civilisation des Bagno von Toulon nach dem des Allas verpflanzen zu könne». Run denn! Will man wisse», was geschehen ist? Gleich j» der ersten Nacht zeigte» sich die jungen Barbaren vom tiefsten Abscheu und Entsetzen ergriffen vor der Moralität, die sich auf den Schlafbänken entwickelte — sie schrieen laut auf und riesen den Donner des Himmels herab auf die alten Bewohner, die eine Sprache zu ihnen redeten, vor der sich all ihr Haar aus dem Haupte emporsträubtc; die Barbaren hielten dem civilistrten Laster den Spiegel der Tugend vor; ja, was noch mehr sa gen will: Aly und Solpman haben einen Damm von scheuer Achtung: wie eine Mauer um sich gezogen, der sie vor dem Verderben der allge meinen Nichtswürdigkeit schützt. Sie haben Blut vergossen, tragen den Namen Mörder mit Recht, und zeige» dennoch so viel Gelehrigkeit, Reue, Resignation, daß man ihr Verbrechen darüber vergißt. Man denkt nur an ihre Jugend, an ihr Unglüdk, a.- das bcklagenswerlhe Verbängniß, das sic in ciner Stunde wilder Verzweiflung zum Morde verleitete. Wir haben sie im Bagno gesehen; von allen Bildern dieser schauer lichen Gallerte, allen Leidens-Gestalten dieses irdischen Fegefeuers, hat uns keines so erschüttert imd ergriffen, wie die «»bewegliche Gruppe' Alp'S und SolYmaii'S. Henri Monnier und ich, wir hatten die trau rige Erlaubnis; erhalten, die geheimsten Winkel des Bagno zu durchstö bern, in die Kerker hinabzustcige», in die nie das Tageslicht fällt, die Orte der Qualen zu besuchen, wo nur Heulen und Zähnklappern ist. Wir verdankte» diese Gunst zweie» Männern, deren Namen selbst i»