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Nummer 213 - 25. Jahrgang Smal wöch. Bezugspreis für Sepkbr. 3.00 einschl. i-e,leUqelo. Anzeigenpreis«: Die Igesp. Petitzeil« »0L, sleltenpeiuche SO Die Petitredlamezeik. 8S Mills« neier breii. 1 Ui Offertengedühren für Selbstabholer :t> bei Uebersendung durch di« Post außerdem Vortozuscklag. Einzel-Nr. 10 Sonnlags-Nr. 15 H. üeschüftlicher Teil: I. Hillebrand in Dresden SSne»»s«Isn Ourie Zeilervsren O Lebe. iieukingsr leileisrnükdrüiiliiiii lllssllen-A. 2sImS8S886 10 blemmingstr 4. Legs. ISS? kemrsUklir > SMslsctie Sonntag, 19. September 1926 Im Falle höherer Gewalt «ritscht jede Verpflichtung «ruf Lieferung sowie Erfüllung v. Anzeigenausträgeri u. Leistung o. Schadenersatz. Für undeutl. u. d. Fern« ruf übermitt. Anzeigen übernehmen wir kein« Ver antwortung. Unverlangt eingesandte u. m. Rückport» nickt versehene Manuskripte werd nicht aufbewahrt. Sprechstunde der Redaktion 2—3 Uhr nachmittags. Hauptschriftleit.: Dr. Joseph Albert. Dresden. 5L Juwctier , ^ Lart ^ Frötschner Schicbg. s Lresse' vi«lN>»tlsfteUe, Trun »»d 'Verla,,: Laloina- Buchdrulkcrc! GmdH.. Drksk>en-'Ä. I. Policrslratze l?. 7er»rm Lieie. Pl'lqchrislüiiui Dresden >1797 Bmikknuto: Dresdner Bank, Dresden Für christliche Politik uns Kultur Medaktio» der Dresden. Altstadt 1. Lnchsitchen Volkszeitunn Patierstrahs 17. Femrnt LOIU nnd 2IVI2. Äre uralte Idee Die Idee eines Völkerbundes ist nicht erst seit gestern, sondern schon Jahrhunderte alt. Als Deutschland noch in ein paar hundert Kleinstaaten zerfal len ivar, als die Fehden von Fürst gegen Fürst kein Ende nehmen wollten, als das deutsche Reich im 6. Jahrhun dert nur eine lose Vereinigung autonomer Staaten nnd Städtchen war, war der Schiedsgerichtsgedauke bei uns schon in scharf ausgeprägter Form anzutreffen. Als die Rot der Zeiten um die Wende des 16. Jahr hunderts (Napoleonische Kriege) die deutschen Staaten auf den Weg neuen Zusammenschlusses wies, das völker rechtliche Gebilde des deutschen Bundes unter den deut schen Fürsten zustande kan, zur Wahrung ihrer eigenen Unabhängigkeit und zur Sicherung Deutschlands, da trat sür die Regelung von Streitigkeiten zwischen den untereinander unabhängigen Bundesstaaten der Schiedsgerichtsgedanke in neue Erschöl lt u ng , in dem Selbsthilfe und Krieg untereinander aus geschlossen sein sollten. In Streitfällen war die Bundes versammlung anzurufen, die die Aufgabe hatte, Frieden zu stiften. Bis zum Jahre 1845 wurden nicht weniger als 25 Streitigkeiten von der Bundesversammlung in Güte er ledigt. In früheren Zeiten hätten diese Streitfälle fast durchweg zu kleinen Kriegen geführt, in denen nicht das Recht, sondern die Macht und Gewalt entschieden hätten. Auch in der alten Reichsverfassung vom Jahre 1871 treffen wir den S ch i e d s g e r i ch ts g e d a n k e n an. Sie übertrug dem Bundesrat die Aufgabe, zwischenstaat liche Verfassungsstreitigkeiten zu erledigen uno zu schlich ten. Ein kurzer geschichtlicher Ueberblick zeigt, das; DeutschlandvonjehereinHortdesSchieds- g e r i ch t s g e d a n k e n s war. Deshalb kann ihm auch der Schiedsgerichtsgedanke in der Welt nichtfremd sein. Die Entwicklung zur Bindung im Recht die von der Familie, von losen Fmnilienverbänden, Stämmen zu Staaten und Staatsverbünden geführt hat, wird auch über den Staatsverband hinaus- führen zu einem Gemeinwesen der ganzen Menschheit, zum Völkerbund. O Reben der politisch-geschichtlichen Ent wicklung zum Völkerbund sehen wir auch die wirtschaftlichen Vorläufer des Völker bundes. In den letzten Jahrzehnten zwangen die gro ßen wirtschaftlichen Fragen zur Bildung von Zweckver bänden der Staaten mit internationalem Charakter. Dem Uebereinkommen des internationalen Eisenbahn- srachtverkehrs schlossen sich 13 Staaten an; der am 1. Juli 1878 auf Deutschlands Antrag geschaffene Welt postverein umfaßt mit Ausnahme einiger kleiner un bedeutender Staaten fast alle Staaten der ganzen Erde. Dem „Internationalen T e I c g r n p h e n v e r - ein" schlossen sich 1875 fast alle Staaten der Erde an. Es sei weiter erinnert an dir internationalen Abkommen znm Schutze der menschlichen Gesundheit, zur Bekämpfung des Mädchenhandels, über den Arbeiterschutz nsw. Von allergrößter Bedetnng sind die internationalen Abkommen über das Kriegswesen zu Wasser und zu Laude, die Haager Friedenskonferenz vom Jahre 1907. Allen diesen internationalen Bereinboningen fehlte jedoch der verpflichtende Zwang für alle Staaten, ihr gegenseitiges Verhalten auf die Basis der Rücksichtnahme auf die Allgemeinheit zu stellen. Ein ge schichtlicher Rückblick beweist, daß die ge schiältliche Entwicklung der Staaten selbst es ist. die zur Zusammen fassung der Staaten in einem allgemeinen Völker bund drängt. Die Notwendigkeit des Völkerbundes ergibt sich aus dem unter Blut und Tränen erfolgten to talen Zusammenbruch der menschlichen Zivilisation und Kultur im Weltkrieg. Das Bündnissystem, das Prinzip vom „Gleichgewicht der Mächte" beherrschte die Weltpoli tik bis zum Jahre 1914. Die Triebfeder des alten poli tischen Systems im Zusammenleben der Völker war G e - walt. Alle einzelnen Bindungen der Staaten unterein- Keriker Die reichhaltige Beilage: „AnterhaNung «nö Wissen in Wor« und Bild" und „Die Literatur" 1 Der wichtigste Augenblick der Genfer^Tagung — Räumung gegen wirtschaftliche Juge>randmsse — Kerab etznng und Kommerzialisierung der Reparalionsschuld? Paris, 18. September. Vriand, der gestern von Genf abgereist ist, hat scherzhaft die Besprechung, die gestern zwischen ihm und Stresemann in dem kleinen Städtchen Thoirh am Genfer See stattgefunden hat, „Das Geheimnis von Thviry" genannt, lieber Vieles Geheimnis zerbricht sich heute ganz Paris den Kvpf. Die Morgeupresse spricht die Vermutung aus, das; die Verhandlungen in Paris zu. Ende geführt werden. Das „Echo de Paris" schreibt, Stresemann werde bei seinen Landsleuten den Ruhm ge nießen, daß er der Mann der R ä um u n gS p »l i t i k gewesen sei und daß er sie gut durchgeführt habe. Gestern abend habe man erklärt, daß die deutsch-französischen Be ziehungen unter dem Gesichtspunkte der industrielle» Zu sammenarbeit stehen müßten. ES würoen Frankreich gegen die Räumung des Rheiulandrs beträchiliche wirtschaftliche Vorteile angebaien iverde». In Gens gehr das Gerücht, daß sich der deutsche WirtschaftSminister Dr. Curtius zu einer Besprechung mit Lvuchenr nach Genf begeben werde. „Oeuvre" sagt, in der Frage der Verminderung der Besatzung-Struppen könne Frankreich einem Deutschland grö ßere Zugeständnisse machen, da-Z sich zu einer wirtschaft lichen Zusammenarbeit mit Frankreich zusammenfinde, als einem Deutschland, das es lediglich darauf abstelle, einen sofortigen Vorteil aus den Loeariwverträgen zu ziehen. — Die „Volonte" ist der Ansicht, die Zurückhaltung, die sich Briand auscrlege, lasse vermuten, daß gewisse Einflüsse, die nicht vom französischen Außenministerium auSgingcn, versuchten, der Locarnopolitik Zügel anzulegen. (Gemeint ist Poineare. D. Red.) Eine solche Einschränkung könne nicht zngclasscn werden. Der „Matin" schreibt, die dmischen Forderungen seien znm Teil verständlich, zum Teil diskutabel. Es handele sich im Grunde nur darum, die Entscheidungen zu beschleu nigen, die der Versailler Vertrag früher oder später, auf jeden Fall aber vor 1935 vorausgesehen habe. Die Politik der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich sei nur dann nützlich, wenn sic in ihren logischen Kvnse- suenzen fortgesetzt werde. An vcm Tage, an dem dciitscl»« und französische Bevollmächtigte in Amerika erklärten, die beiden Länder hätten unter sich die Frage des Weltkrieges liquidiert nnd Frankreich sei bereit, sich mit einer ge ringere» Summe zu begnüge», als mit der, die der Dawes-Pta» vorsehc und Deutschland sei dagegen bereit, leine Schuld zn kommerzialisiere», könnten weder Washington noch London diese Anregungen zurück- weise». Das sei der Wog, den die beiden Länder ein- schlagen könnten. London. 18. September (Drahtm.s Das Friedensfrühstück von Thoiry wird in der Presse viel besprochen. Die „Westminster Gazette" bezeichnet in ihrem Gen fer Bericht die Unterredung zwischen Stresemann und Briand ale den wichtigsten Augenblick in der Genfer Zusammenkunft. Der Sonderberichterstatter des „Daily News" in Genf schreibt, es be stehe Grund zu der Annahme, daß Briand bereit sei, säst alles auf den Erfolg der neuen Vorschläge zu fetzen. Die siebente Völker» den Erfolg der nsuen Vorschläge zu fetzen. Die siebente Bölker- bundsversammiung wer-de mehr bedeuten als nur den Eintritt Deulschlands in den Völkerbund. Wie Reuter von gut unterrichteter deutscher Seite erfahren haben will, bestand der Zweck« der Begegnung in der Erörterung allgemeiner Bedingungen für ein möglichst umsassendes Abkom men zwischen Frankreich und Deutschland, das allen Argwohn und alle Differenzen der Vergangenheit beseitigen solle. Von deutscher Seite sei daran gedacht, s!„azmll. nnd wirtschaftlich mit Frankreich zusmTnnenzuarbeiten, da es im deutschen Interesse liege, ein wirtschaftlich blühendes nnd freund« lich gesinntes Frankreich als Nachbarn zn haben. (Fort;, s. Seite 2.) ander haben dieselben nicht gehindert, im gegebenen Fall nach ihren „Interessen" zu handeln. Nach dem modernen herrschenden internationalen politischen Gebrauch ist je der Staat souverän und unabhängig: alle beschreiten, wenn sie sich stark genug fühlen, den W e g d e r G e w a l t. Es herrschte ein Zustand d e r N n a r ch i e i m N e b c n c in an d e r d e r V ö l k e r. In nichts kämmt diese interna tionale Anarchie so zum Ausdruck als in der Tatsache, daß Staaten gegen ihren Willen in die Greuel des Krieges hineingestürzt wurden. Im Weltkriege erlebten wir mit Erschütterung den Zusammenbruch dieser Gewaltanarchie. An die Stelle der Gewalt muß das R e ch t in den Beziehungen der Völker untereinander treten. Das Neckt hat im innerstaatlichen Leben sich schon längst sieg reich durclzgesetzt. Ohne gesetzliche Ordnung gibt es kein Staatswesen, ohne inter n a tionale ReÄtsard - n u n g kein gesichertes freies Weltwesen. Der Völkerbund ist nur die sinnentsprechende Uebertragung der inne- r e n Staatsordnung auf die äußere Staaienordmmg. Er ist die Organisation der Gemeinschaft im Recht. Der Völkerbund will einer neuen Auffassung von Politik zum Sieg verhelfen: er muß das ewige Recht an die Stelle der a u g e n b l i ck I i ck e u veränderli chen Gewalt setzen. Bei Konfliktssällen unterwer fen sich die Staaten dem obligatorischen Schiedsspruch des Völkerbundes. Notwendig ist als erste Voraussetzung für den wah ren Völkerbund der Verzicht auf die G e - w a I t. die allgemeine Abrüstung zu Wasser und zu Land, die Gleichheit der Staaten vor dem Völkerbund. Der Stärkere hat nicht mehr Recht, als der Schwächere, der größere Staat nicht mehr als der Kleinstaat, Recht bleibt Recht. Das Recht richtet sich auch beim Einzelmenschen nicht nach Körperfülle, Größe und Gewicht. Das Meer muß frei sein für den Weltverkehr. Wenn die Gewalt aus dem Völkerleben beseitigt wer den soll, darf nicht ein Volk allein nur Machtmittel in der Hand haben, wie es der Besitz von Meerengen darstcllt. Das Prinzip der „offenen Tür" muß internatio nal durchgeführt werden. Eine letzte Voraussetzung einer gedeihlichen Entwick lung des Problems des Völkerbundes sehen wir endlich im innerpolitischen Frieden der einzelnen Natio nen. Es ist eine Heuchelei und ein Selbstbetrug, imeige- nen Volke zum Bürgerkrieg zu rüsten und im gleichen Atemzug nach Völkerfrieden und Völkerversöh nung zu rufen. Die von der christlich-nationalen Arbei ter- und Beamtenbewegung angestrebte Verständigung zwischen den einzelnen-Klassen und Ständen ist die wertvollste Unterlage für ein Gedeihen der interna tionalen Verständigung des Völkerbundes. Im März dieses Jahres ist unsere Aufnahme in de» Völkerbund am Widerstand Brasiliens und Spaniens ge scheitert. Dabei spielte die Frage der Erteilung eines Notssitzes an Polen, hinter dem Frankreich steht, eine we sentliche Rolle. Unterzieht man jene Vorgänge im März einer kurzen Betrachtung, so kann man aus ihnen erse hen, welch großes Ansehen Deutschland im Aus land genießt und welchen Respekt, — vielleicht auch welche A n g st — das Ausland Deutschland entgegenbringt. Man stelle sich vor: Der Völkerbund zählt zehn Mitglie der, unter denen acht im Weltkrieg auf der gegen Deutsch land kämpfenden Seite gestanden haben, darunter die vier von Waffen strotzenden Großmächte. Als neuntes ist das mit Frankreich im Marokkokrieg verbündete Spanien vertreten, dessen Repräsentant der balb zum Franzosen gewordene vieliährige Pariser Botschafter Ouinones de Leon ist. Der einzig neutrale Staat ist das weltpolitisch kleine und machtlose Schweden. Man kann ruhig sagen, daß der Völkerbund im März eine Vertretung der S i c - gerstaaten war. Run kommt Deutschland und pocht an die Tore von Genf und wünscht seine Aufnahme in den Völkerbund. Da geraten alle neun Staaten in die größte Unruhe. Zah lenmäßig haben diese neun Staaten ja gar nichts zu be fürchten, sie sind und bleiben ja immer die Uebermacht — und trotzdem hielten sie es damals für notwendig, die Her einnahme Polens als Gegengewicht gegen die Aufnahme Deutschland zu verlangen. Der Ententegeist bäumte sich auf, als Deutschland in dieses Sieger st aaten, idyll des Völkerbundes seinen Einlaß begehrte. Und dieser Ententegeist muß aus dein Völkerbund verschwinden, soll er ein wahrer Völkerbund werden, wie wir ihn als Idee gezeichnet haben. Genf ist der gegebene Ort, an dem wir konsequent und mit offenem Visier un sere seit 1919 verfolgte, zielbewußte und klare Außenpoli tik mit größtem Nachdruck und mit bester Aussicht ver-