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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumerativns - Preis 22 > Silbergr. (^ Mr.) vierteljährlich, Z Thlr. für daS ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der PrcnßisMen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Iägerstraße Nr. 23), so wie von allen König!. Post-Aemlern, angenommen. Literatur des Auslandes. 2. Berlin, Donnerstag den 4. Januar 1844. England. Ueber den heutigen Zustand des englischen Theaters. Die Klagen über den Verfall des englischen Theaters sind fast so alt wie die Existenz desselben, waren aber zu keiner Zeit gegründeter als im gegen wärtigen Augenblick. Religiöses Borurtheil von einer Seite, die allmächtige b'sMan von der anderen, haben in England ihren Ausspruch gegen das Drama gefällt, und während ersteres alle theatralische Vorstellungen mit dem Anathema belegt, würdigt letztere nur die italiänische Oper ihres Schutzes, den sie, das Beispiel der Königin und ihres Gemahls unbeachtet lassend, der deutschen Oper versagt und dem rezitirenden Schauspiel schon längst entzogen hat. Die Zierden der Londoner Bühne — eine Sibdons, ein Kean, ein John und Charles Kemble — sind eine nach der anderen ins Grab gesunken, und ihre Nachfolger — wie Macready, Vandenhoff und Ellen (Helene) Tree — werden genöthigt, sich vor der Kälte des vaterländischen Publikums nach dem neuen Britanicn zu flüchten, das sich im vergrößerten Maßftabe jenseits des atlantischen Oceans entwickelt. Ob in der That, wie einige Schriftsteller behaupten, der Geist unseres Zeitalters dem Drama ungünstig sey, oder ob irgend eine andere Ursache, wie z. B. der augenblickliche Mangel an hervorragenden Talenten, diese Stockung verursacht, wagen wir nicht zu entscheiden; daß aber der Zustand der englischen Bühne ein höchst ent- muthigcnder sep, ist eine Thatsache, die sich nicht bestreiten läßt. An Vor schlägen, um diesem Uebel abzuhelfen, hat cs keineSweges gefehlt; Sir Edward Lytton Bulwer, der den ursprünglichen Grund desselben in der Un sicherheit des literarischen Eigcnthums zu finden glaubt, hat den Gegenstand sogar vor das Parlament gebracht, ohne daß die sprüchwörtliche Allmacht des letzteren sich in diesem Falle bewährt hätte. Andere messen das drama tische Misere den Hemmungen der Censur bei, die in England nur für das Theater und zwar nach altem Herkommen unter der Aufsicht der Lord-Obcr- kammerherrn besteht; noch Andere — wie der Verfasser eines im Oktobcr- Heste der küinbuegb Uvview enthaltenen Artikels — schreiben es dem Mono pole zu, das von den großen Londoner Theatern — Laveur - Oarüen und ttrnrx-I.ane — ausgeübt wird. Wir wollen hier einige Auszüge aus diesem Artikel mittheilen, die ein um so größeres Interesse für unsere Leser haben dürften, als sich darin manche Nutzanwendung für die deutsche Bühne findet, die — obwohl wir uns keineS weges zu ihrem Dertheidiger aufwerfen wollen — in der neueren Zeit Angriffe erfahren, welche wir als unbegründet bezeichnen müssen. So hat es z. B. der geschätzte Herausgeber der „Zeitung für die elegante Welt", I)r. Hein rich Laube, dem Berliner Theater zum Vorwurf gemacht, daß es seine Kräfte auf das Einstudiren antiker Dramen, wie „Antigone" und „Medea", oder Shakspearc'scher Phantasiestücke, wie der „Sommernachtstraum", ver schwende. Wir müssen gestehen, daß wir diesen Vorwurf nicht begreifen. Hat etwa das deutsche Theater in den letzten zehn bis zwanzig Jahren irgend eine auf deutschem Boden erwachsene Neuigkeit gebracht, die diese erotischen Gewächse an innerer Kraft und äußerem Schmuck überträfet Alle Ehre den jungen, anstrebenden, dramatischen Talenten, aber die Lust an den Alten und an dem ewig jungen Briten sollten sie uns doch eben so wenig verübeln, als sie ihren eigenen Schöpfungen, falls diese nur ins Gewicht fallen, Eintrag thun wird. Oder hat etwa das damals noch mehr als zu irgend einer späteren Zeit in Deutschland vorherrschend gewesene Gefallen an Shakspeare den dra matischen Erfolgen des jungen Goethe, des jungen Schiller geschadett Etwas Anderes freilich wär's, wenn unsere deutschen Bühnen-Direktionen glaubten, mit jenen Ausfuhr,älterer Dramen Alles gcthan zu haben, was sie dem besseren Geschmack, dem edleren Kunstsinne schuldig find. Haben doch gerade diese Darstellungen erst recht anschaulich gemacht, wie mangelhaft unsere Bühnenkräfte find. Wahrlich, es gehörte die ganze, nur von einzelnen Dar stellern würdig ausgefaßte Poesie jener Dramen dazu, um das Gefallen daran rege zu erhalten- Also wenn die Kritik den Zustand der deutschen Bühne fast eben so trostlos nennt, wie den der englischen, sind wir damit völlig einver standen; nicht aber, wenn jene sich gerade an solche Erscheinungen hält, die uns noch einigen Trost gewähren können. Dagegen geben wir ihr wiederum Recht, wenn sie die Trennung des deutschen Drama's von Oper und Ballet fordert, in ähnlicher Weise wie sic in Paris und zum Theil auch noch in Wien stattfindet. Wir find der Meinung, daß, wenn z. B. in Berlin ein nicht allzu großes Haus ausschließlich der würdigen, so viel eS nur irgend in Deutschland möglich ist, musterhaft besetzten Aufführung deutscher Trauer spiele und des höheren Lustspiels — wobei wir uns sehr gern auch einige Uebersetzungen aus dem Griechischen und Englischen gefallen ließen — ge widmet wäre und dieses etwa ein Abonnement eingeführt hätte, wie jetzt das im Konzertsaal spielende französische Theater, nicht bloß an einzelnen Tagen, sondern in der ganzen Woche ein Publikum voll Empfänglichkeit und Theil- nahme dafür sich finden würde. Gerade in dieser Beziehung enthalten die nachstehenden Bemerkungen über das englische Theater, wo man ähnliche Erfahrungen wie bei uns schon seit viel längerer Zeit macht, sehr beherzigens- werthc Winke. Der Reviewer sagt unter Anderem: „Die königlichen Theater haben bekanntlich das Monopol des klassischen (legitimste) Drama's °), und cs ist den anderen Schauspielhäusern streng ver boten , sich in dieses Fach zu mischcn. Vor Abschaffung eines so lästigen Pri vilegiums ist keine Reform der englischen Bühne zu erwarten. Die Erfahrung zeigt, daß es jenen Theatern, denen allein das Vorrecht zusteht, klassische Dramen aufzuführen, unmöglich wird, dasselbe zu benutzen, weil ihre un- verhältnißmäßige Größe und die ihnen dadurch zugezogenen Regie-Kosten sie zwingen, Spektakelstücke — Opern, Ballets, Melodramen, Possen — zu Hülfe zu rufen. Um ihre Kaffe zu füllen, greifen die Direktoren begierig nach den heterogensten Neuigkeiten — von Demoiselle Taglioni bis zu den Löwen von Mysore — wodurch sie aber ihren Ruin nur um so vollständiger bewirken. Die öftere Wiederholung dieses Resultats hätte, wie man glauben sollte, zu einer Verzichtleistung auf jenes Privilegium führen müssen; aber gerade weil eS ein Privilegium ist, kann man sich nicht von der Idee trennen, daß eS ein vortheilhafteS sey. Der ehemalige Entrepreneur des Drury-Lane- Theaters, Herr Harris, erklärte in seinem Verhör vor dem Kanzlei-Gericht (t ourt ok t'bsucerv), daß er stets bei dem klassischen Drama verloren habe, und bewies aus seinen Büchern, daß nur Spektakelstücke und Pantomimen einträglich wären. Aus den Büchern seiner Nachfolger ergiebt sich dieselbe Thatsache — Erfolg hatten nur Opern, Melodramen und derbe Possen, und das klassische Drama war ihnen eine Hemmkette, deren sic sich nicht entledigen durften. ES ist zwar nicht zu leugnen, daß die Shakspeareschen Stücke, die neulich mit großem Aufwande in Scene gesetzt wurden, gefülltere Häuser machten, als früher ; dieses fand aber nur aus derselben Ursache statt, die den Andrang des Publikums bei Spektakelstücken veranlaßt, ohne einmal für den kostspieligen Versuch zu entschädigen. Durch ihre Stellung und durch die öffentliche Stimme genöthigt, klassische Dramen aufzuführen, hatten die Direktoren Recht, sie möglichst anziehend zu machen, aber es leuchtet gerade aus diesem Umstande die Thatsache hervor, daß ihre Häuser durch das klassische Drama allein nicht gefüllt werden konnten. Diese Thatsache reicht bis zu den Zeiten Garrick's hinauf, wo das Theater noch an der Mode war, wo noch keine späten Diners, keine Alles verschlingende leichte Lektüre ihm im Wege standen — selbst damals triumphirte schon das Spektakelstück auf den privilegirten Brettern. Die großen Theater können nie mit dem Drama allein gefüllt werden; denn, wie ein französischer Schriftsteller (Chamfort) bemerkt: e» general, le pnblir ne pent s'elever gu'ü «len iüees Iminen — und die Zahl derjenigen, die eines geistigen Genusses fähig sind, ist verhältnißmäßig gering. Zu Shakspcare's und Congreve's Zeiten besuchte man das Theater, um sich an poetischen Schilderungen und witzigen Ausfällen zu ergötzen; heutzutage find Decorationsmaler und Maschinisten an die Stelle der Dichter getreten, und scenisches Gepränge hat den Witz und die Poesie in die Flucht geschlagen. Die Bühne war ursprünglich ein Raum, der zur Aufführung des Drama's diente; wie man jetzt behaupten kann, ist das Drama eine Gelegenheit, um den Glanz der Bühne zu zeigen. Die Dekorationen, die ehemals für accessorisch und untergeordnet galten, sind jetzt zur Hauptsache geniorden. Man entschuldigt dieses mit der Nothwendigkeit, die historische Treue und Accurateffc des Kostüms zu beobachten, aber es rufen solche Versuche eine Kritik hervor, der sie nicht genügen können, während das prosaische Haschen nach der Wirklichkeit nur den Erfolg hat, uns den Mangel daran recht fühlbar zu machen. Je mehr sich in der Kunst ein Gegenstand der Wirklichkeit nähert, desto mehr muß man den Zwischenraum berücksichtigen, der Beides trennte. Jedes Streben nach positiver Wirklichkeit ist der poetischen Illusion verderblich. Der Zuschauer weiß, daß die Bühne nichts als eine Bühne sey „und all' die Frau'n und Männer nichts als Spieler"; er wird damit einverstanden sepn, sich ein Schlachtfeld auf ihr zu denken, aber der erste Versuch, ihm weis zu machen, daß er ein wirkliches Schlachtfeld vor sich habe, zerstört den artistischen Glau- ') Unter dem Namen: legitimste <!rin»L verstehen die Engländer dai Trauerspiel und höhere Lustspiel.