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Morgen-Ausgabe. UpMer TaMaü Anzeiger. AmlsUatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes nnd Nalizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Nr. 313. Montag 23. Juni 1902. 9«. Jahrgang. Aus Anlaß der heute Abend stattfindenden Beisetzung Seiner Majestät des Aönigs Albert werden unsere Geschäftsräume bereits rrin S Ahv geschlossen. Die Expedition des leipziger Tageblattes. König Albert und die Musik. Von F. A. Geißler- Dresden. , Wenn für andere Herrscher die Künste nur zu oft ledig lich Dienerinnen fürstlichen Prunkes sind und die Musik als die tönende, festliche Begleiterin höfischer Pracht gilt, so ist dem, nunmehr in das Land der ewigen Harmo nie eingegangenen König Albert von Sachsen die Tonkunst von Jugend auf eine liebe, segnende Begleiterin gewesen, und das ganze Volk hatte Ursache, sich dessen zu freuen, da ihr wohl in erster Linie jene schöne, edle Milde zu danken war, welche sich mit der Würde seiner königlichen Majestät und dem Glanze seines kriegerischen Ruhmes zu einem so schönen Ganzen vereinigte. Der Vorgänger Albert's auf dem sächsischen Throne, König Johann, war ein künstlerisch fein empfindender Mann, dem die Beschäftigung mit Kunst und Wissenschaft Lebensbedürfniß war, und der sich mit seiner, unter dem Decknamen Philodetes erschienenen Damtc-Uebersetzung den rückhaltlosen Beifall der Kenner erworben hatte. Es war also selbstverständlich, daß in dem Erziehungsplane seiner Söhne Albert und Georg die Kunst nicht das letzte Wort sprach. Da sich bei dem Prinzen Albert eine mit seinen ausgesprochenen militärischen Neigungen seltsam contrastirendc Vorliebe für die Tonkunst frühzeitig be merkbar machte, so liest man es nicht an der sorgsamen Pflege dieser glücklichen Begabung fehlen, und so wurde der Prinz ein vortrefflicher Clavicrspieler, dem sich bald die Schätze unserer klassischen Musik in ihrer ganzen Fülle und Schönheit erschlossen. An ihnen bildete er seinen Ge schmack, und der Vorliebe für sie blieb er während seines ganzen, langen Lebens treu. Mit den Meisterwerken der Klassiker auf s Innigste verwandt, fand der König in ihnen immer neue Freude und Anregung, ja, er genoß sie mit einer andachtsvollen Sammlung, die man manchem anderen Concertbcsucher wünschen könnte, und an der jeder Beobachter seine innige Freude haben mußte. Schon eine Acußerlichkeit zeigte die hohe Wcrthschätzung dieser Werke durch den König an: er saß während des ersten Theiles eines Sinfonieconeertes im Opernhause lund dieser enthält meist eine klassische Sinfonie) stets allein in der kleinen Hofloge auf der linken Sette des Hauses: nur die Königin oder ein besonders geehrter Gast theilte bisweilen diesen intimen Genuß des Herrschers, der sich erst im zweiten, gewöhnlich mit moderner Musik ausge füllten Theilc des Concertcs zu den in der großen Mittel loge versammelten Mitgliedern seines Hauses begab. Die moderne Musik entsprach der Veranlagung des Königs weit weniger, als die der Klassiker und Nachklassiker, aber er bat niemals auch nur den leisesten Versuch gemacht, für seine Geschmacksrichtung die ausschlaggebende Bedeu tung bei der Aufstellung der Programme für die Sinfonie- concerte seiner Capelle zn beanspruchen. Im Gegentycil, er wohnte den Vorführungen modernster Tonwcrke, wie der Strauß'schcn sinfonischen Dichtungen und der Mahler'schen Sinfonien mit größtem Interesse bis zum Schlüsse bet: er respecttrte das neuzeitliche Kunstschaffen, wenn auch seine Liebe den Klassikern galt. Und diese Liebe gründete sich auf eine genaue Kenntniß der Werke unserer alten Meister, die der König zum größten Theile allein oder vierhändig oder im Ensemble vierhändig gespielt hatte. Bon seiner staunenswerthen Kenntniß der Musikliteratür kann ich selbst ein Beispiel mittheilen. Es war in einem der vom Concertmeister Petri und seinen Quartettgenossen veranstalteten Kammermusik abende, die der König oft und gern besuchte. Da spielte der Cellist der Vereinigung eine der selbst unter Musikern ver- hältnißmäßig wenig bekannten Beethoven'schen Sonaten für Violoncell und Elavier. Die bei angesagtem fürstlichen Besuche in einer Ecke des schlichten Musenhaussaales im- provisirte Loge erhebt sich nur etwa zwei Stufen über das Parkett des Saales, und mein Platz war unmittelbar unter der Loge. Ich konnte also deutlich hören, wie die neben ihrem königlichen Oheim sitzende Prinzessin Mathilde an diesen die Frage richtete, ob Beethoven nicht noch andere Cellosonaten geschrieben habe. König Albert sann ein wenig nach und nannte dann ohne Weiteres die richtige Zahl fünf, ja, er fügte sogar von einigen Sonaten die herrschenden Tonarten hinzu. Ich glaube nicht, daß unter den zahlreichen Concertbesuchern zehn zu finden gewesen wären, die eine so sachverständige Antwort hätten geben können, als der Sieger von Beaumont. Als Kronprinz hatte der hohe Herr sogar seine eigene Kammcrmusikvereinigung, in der er selbst den Klavierpart vertrat, während die Herren Concertmeister und Pro fessoren Lauterbach und Grützmacher seine Ge nossen waren. Ueber diese regelmäßigen Trioabende machte mir Herr Professor Grützmacher folgende inter essante Mittheilung: „Er ldcr damalige Kronprinz) hat uns sogar aufgcfordert, ihm noch unbekannte Werke mit zubringen, welche er dann, ohne einen Blick vorher hinein- gethan zu haben, ohne jedes Schwanken und mit vollster Sicherheit im Zusammenspiele zu Ende führte, was ihm viele Pianisten von Fach nicht nachmachen dürften." Nach seiner Thronbesteigung hat König Albert sich nicht mehr ausübend betheiligt, aber die Tonkunst und ihre Jünger erfreuten sich nach wie vor seiner besonder» Gunst. Stündiger Gast war der Monarch, wie schon gesagt, in den Sinfonieconcerten der königlichen Capelle: sodann er freute sich der Dresdner Tonkünstlerverein seiner beson deren Sympathie und selbst unter den erschwerendsten Um ständen besuchte er dessen Aufführungsabende, welche in der That zu den Höhepuncten der Musiksaisvu in Sachsens Hauptstadt zu zählen sind. Auch in anderen Concsrten in strumentaler oder vocaler Art sah man den königliche« Musikfreund oft, welcher sich um Unterstützung einer musi kalischen Veranstaltung nie vergebens bitten ließ. Die Oper besuchte der König verhältnistmäßig selten ter bevor zugte auf diesem Gebiete Mozart, Weber, Nicolai, das komische Genre und die Italiener), aber er erhielt seine Hofoper durch Gewährung eines sehr großen Zuschusses auf ihrer in ganz Deutschland anerkannten Höhe. An der Kunst seiner hervorragendsten Opernmitglieder erfreute er sich am liebsten in einem jener berühmten Hosconcerte, in denen mitzuwirken für jeden Künstler die höchste Aus zeichnung war. Wenn der König der Stadt Leipzig seine regel mäßigen Besuche abstattcte, so versäumte er cs nie, eines der berühmten Gewandhausconcerte zu besuchen, in wel chem dann meist auf seinen besonderen Wunsch der Tho manerchor mitwirkte, für welchen der Herrscher allezeit eine große Vorliebe an den Tag gelegt hat. Welches Ansehen bei König Albert die Tonkünstler ge nossen, das beweisen die zahlreichen Verleihungen von Orden und Titeln an hervorragende Musiker seines Lan des, die Förderung der königl. Konservatorien zu Dresden und Leipzig, die Theilnahme des Königs an dem vor jährigen ersten Preissingen sächsischer Männerchörc in Dresden und vor Allem die große Zuneigung, welche er für seine musikalische Capelle bethütigte. Kein Theil- nehmer des im Jahre 1898 gefeierten 850jährigen Jubel festes der königl. Capelle wird es vergessen, wie er jedes Mitglied durch eine eigens auf das Fest geprägte Medaille ehrte und wie er seinen Kammermusikern beim Betreten des Bankettsaales durch die schmetternden Fanfaren der Hoftrompeter seinen Willkomm entbieten ließ. Das Gedächtnis; König Alberts wird im weiten und im engeren Vaterlandc in Segen bleiben: mit besonderer Liebe und Dankbarkeit aber werden seiner allezeit die Musiker gedenken, denn ihre Kunst verlor in ihm einen feinsinnigen Kenner, treuen Freund und mächtigen Be schützer. Rothenburg und Kyffhäuser. Nachdruck verboten. Zwischen der Wipper und Helme, die beide der Unstrut zufließen, breitet sich der Kyffhüuser aus. Er ist ein kleines dichtbewaldetes Massengebirge von elliptischer Gestalt, das nach Norden hin steil zur Goldenen Aue ab fällt, nach Süden hin sich aber allmählich abdacht. Im Westen dieses herrlichen Waldgebirges erhob sich die jetzt in Trümmern liegende Rothenburg, am östlichen Aus gange, trotzig auf die alte Kaiserpfalz Tilleda herab schauend und ihr Schutz gewährend, leuchtete in das ge segnete Land hinein die stattliche Kaiserburg Kyffhäuscr. Das wunderbar schöne Stück Erde haben Sage, Geschichte, Dichtung und patriotisches Empfinden zum Ziele vieler Wanderer gemacht, besonders aber sind es die Rothenburg und der Kyffhäuser mit seinem Kaiser Wilhelm-Denkmal, die alljährlich viele Tausende anzichen. Die Rothenburg erhebt sich über dem freundlichen Städtchen Kelbra auf einem 880 Meter hohen Kegelberge. Von großem Umfange kann die Burg, den Ruinen nach zu urtheilcn, nie gewesen sein, aber trotzig und drohend muß sie von dem Borsprunge des Berges hinabgeleuchtet haben. Im Jahre 1823 richtete ein gewaltiger Orkan auf der Rothenburg großen Schaden an, besonders litt der Bergfried, von -em heute nur noch ein 12 Meter hoher Stumpf übrig ist. An den übrigen Resten der Burganlage entdeckt man hier und da Ueberbleibsel von künstlerischen Steiumctzarbeiten, wodurch der Besuch der Ruine einen höheren Reiz erhält. In den Trümmern der Burg fand man in der Mitte des 10. Jahrhunderts eine seltsame Metallfigur, die einen pausbackigen Knaben barstellter dieser Fund, der Püstrich der Rothenburg, den die Gelehrten für ein uraltes slawisches Götzenbild hielten, stellte sich später als eine physikalische Spielerei heraus. Ueber den Namen der Burg ist man verschiedener Ansicht: am wahrscheinlichsten ist, daß sie denselben von dem rothen Gestein erhielt, aus dem sie erbaut ist. Der Baustil weist auf die Zeit hin, in der man von dem romanischen zum gothischen Stile überging. Das ist der Anfang des 12. Jahrhunderts. Urkundlich wird die Rothenburg zum ersten Male 1128 erwähnt, es wird da eines Edlen Christian von Rothenburg gedacht. Dieser Christian von Rothenburg entstammte dem Ge schlechte Derer von Beichlingen, die in der Umgebung der Burg ausgedehnte Besitzungen hatten. Gegen 100 Jahre saßen die Edlen von Rothenburg auf der Veste, dann kam sie in Besitz der Grafen von Beichlingen, die sie 1268 um 150 Mark Silbers an das Kloster Walkenried verkauften. Zu diesem Verkaufe wurde Graf Friedrich von Beichlingen dadurch gezwungen, weil cs ihm an Löscgeld fehlte, um Geiseln auszulösen, die er hatte stellen müssen, als er als Gefangener seine Freiheit wünschte. In Folge eines Formfehlers im Kaufbriefe kamen die Beichlingen wieder in den Besitz der schönen Rothenburg, aber da die Geldverlegenheit der Grafen von Beichlingen von Jahrhundert zu Jahrhundert drückender ward, ver kauften sie 1347 die Burg sammt Zubehör an den Grafen Heinrich V. von Hohenstein. Von Denen von Hohenstein kam sie an die Landgrafen von Thüringen, die sie 1378 um 970 Mark Silbers an Hein rich XXV. und Günther XXIX., Herren zu Arnstadt und Sondershausen, verpfändeten. Aus dem Pfandverhältniß ward ein Kanfverhältniß, dasHaus Schwarzburg wurde rechtlicher Besitzer und ist es bis auf -en heutigen Tag geblieben. Die Grafen von Schwarzburg wohnten nicht selbst auf der Burg, sondern setzten Burgmänner ein, der erste war Friedrich von Bendeleben, 1405 bekam sie pfandweise Bethmann von Tütcherode, dessen Nachkommen 1434 mit der Burg belehnt wurden. Im Jahre 1576 starb Hans Friedrich von Tütcherode, sein Erbe siedelte sich in Kelbra an. Von diesem Zeitpunkte an hörte die Rothenburg auf, ein Adelssih zu sein: da keine pflegliche Hand mehr über sie wachte, ging sie dem Verfalle entgegen, und Uhus und anderes lichtscheues Gesindel zog dort oben ein. Ihre schöne Lage brachte es mit sich, daß in den folgenden Jahrhunderten mancher Wandersmann diese Trümmer aufsuchte. Sturm und Wettergebraus hatten den Verfall beschleunigt, Moos, Gestrüpp und Blumen deckten bald das fallende Gemäuer, so daß die Ruine eine eigenartige Schönheit erhielt. Diese begeisterte auch Emanuel Geibcl: er sang von ihr: Du altes Schloß, ich kann nicht um dich weinen, Blüht holdes Leben doch aus deinen Steinen: Wie eine Leiche hab' ich dich gefunden, Der man -en Sarg mit Blumen schön umwunden. Als sich der Verkehr auf der Ruine mehrte, zog in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts der Kauf mann Friedrich Beyer aus Kelbra zur Burg hinauf und richtete sich zwischen den Trümmern behaglich ein. Er er richtete Mooshütten, Lauben und Pavillons, so daß der hier einkchrendc Wanderer Schutz und Verpflegung fand. Beyer ging in einer langen Kutte einher und nannte sich den Einsiedlervon derRothenburg. Er war aber nicht allein ein freundlicher Wirth, sondern auch e i n sinniger Naturdichter, der mit wahrem Gefühl die ihn umgebende Schönheit besang. Ihn verlangte nicht nach Schätzen, er fühlte sich in seiner Abgeschiedenheit glücklich und reich. Dies spricht er in folgenden Versen aus: Laßt -en Großen ihre Wälder, Miesen, Triften, Saatenfelder: Laßt dem Reichen all' sein Geld. Hier in meiner engen Clause Bin ich bei frugalem Schmause Doch der Glücklichste der Welt. Von dem verfallenden Kyffhäuser sang er: Alte Veste, nun auch du geborsten? Eulen, die in deinen Mauern horsten, Heulen schauerlich Vergänglichkeit. Felsenmassen, mühsam aufgerichtet, Hat der Elemente Hauch vernichtet; Unersättlich ist der Zahn der Zeit. An Stelle der ehemaligen Mooshütten sind neuerdings comfortabler eingerichtete Restaurationslocalttäten ge treten, da seit der Errichtung des Kaiserdenkmals auf dem Kyffhäuser der Verkehr auf der Rothenburg ein lebhafterer geworben ist. Von der Rothenburg führt ein äußerst an genehmer Fußweg hin zum Kyffhäuser, reiche Ab wechselung bietet diese Wanderung; eine breite, schöne Fahrstraße, die sich immer durch prachtvollen Laubwald hinzieht, führt ebenfalls zum Kyffhäuser, doch ist sic arm an landschaftlichen Reizen. Wählt man den bequemen Fußweg, so überrascht plötzlich auf steiler Höhe der alte Kyffhäuserthurm, er ist der bedeutendste Ucberrest der vor maligen Kaiserburg und heißt im Volksmundc beute noch „Kaiser Friedrich". Dieser Thurm ist der Rest -es Berg frieds, er ist noch 20 Meter hoch und in Folge seiner freien Lage ist er weithin sichtbar. Um ihn her breitete sich die Oberburg aus. Etwas tiefer liegen die geringen Reste -er Mittelburg, hier ist auch der Standort des Kaiser