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Brnmtwortlicher Redakteur Julius Braun in Freiberg. ^S54. Erscheint jeden Wochentag Abends 6 Uhr für den andern Taa. Preis vierteljährlich 2 Mark 2d Pi., zweimonatlich 1 M. SO Ps. u. eimnonatl. 7b Pf. 32. Jadrga»^ , Sonntag, den ö. MSiz. 1 Inserate werden bis Vormittags 11 Uhr angenom. OO-ck men und beträgt der Preis für die gespaltene Zeile . oder denn Raum 1b Pfennige. Die Woche. Der Festjubel in Berlin ist verstummt, die fürstliche Hoch zeit, welche von dem deutschen Volke wie ein fröhliches Familienereigniß mitgefeiert wurde, ist vorüber und unser Blick lmkt sich wieder auf jene Schaubühne, wo um der Mensch heit große Güter — Herrschaft und Freiheit — gerungen wird. Mit dem Rücktritt Eulenburgs ist ein kleines Wahrzeichen gegeben, daß eine neue Wandlung in der Politik des Reichskanzlers sich vorbereitet, weshalb wir uns auf neue Ueberraschungen gefaßt machen können. In welcher Richtung, läßt sich im Voraus nicht bestimmen. Hat doch Fürst Bismarck in einer seiner letzten Reichs tagsreden sich zum System des Fruchtwechsels in der inneren Politik bekannt, wonach heute liberal, morgen konservativ, einmal freisinnig und einmal diktatorisch re giert werden soll. Wir meinen, auch das Staatsleben wolle sich organisch entwickeln und gestalten; durch fort währende Eingriffe in dasfelbe schädige man fein Wachs thum oder impfe ihm gefährliche Krankheiten ein. An einem solchen Zustande aber laborirrn wir jetzt und er wird nicht besser, sondern schlimmer mit den Jahren. Fürst Bismarck mag es wohl anläßlich seiner letzten Reden selbst empfunden haben, daß heute sein Wort nicht mehr das nachhaltige Echo hervorruft, wie früher; daß dafür seine und des Reiches alte Gegner sich immer näher an ihn herandrängen. Es ist dies ein betrübender Anblick für jeden Freund des großen Mannes, der aber leider zu übersehen scheint, daß man wohl über Parteien stehen, nicht aber sich über Prinzipien erheben kann, denen man selbst einst Ausdruck gegeben. Die Rolle des ehrlichen Maklers mag für die äußere Politik mitunter recht gut passen; für die innere ist nur eine angemessen: jene des ruhig und emsig aufbauenden Staatsorganisators, welcher den Eckstein — die geistige Macht und das politische Gewissen der Nation — nicht verwirft. Ein Regiment der fort dauernden Krisen ist vollständig ungeeignet, das Vertrauen für diesen Weiterbau zu stärken. Die Verhandlungen des Reichstags schleppen sich ohne besonderes Interesse vor leeren Bänken hin; der Etat lieferte bisher den Berathungsstoff. In diesem Jahre tragen jedenfalls die wiederholten Unterbrechungen der Sitzungen einen Theil der Schuld an der geringen Zahl der anwesenden Reichsboten. Es kommt hinzu, daß in mehreren größeren Bundesstaaten nicht diewünschenswerthe Rücksicht auf den Reichstag genommen wurde, die Land tagsarbeiten auszusetzen, so zum Beispiel in Baiern und Württemberg. Aber das genügt wohl kaum, den über aus dürftigen Besuch der Sitzungen zu erklären. Es wurde dieser Tage im Reichstage selbst die Diäten- losigkeit als Grund der schwachen Theilnahme hervor gehoben und gewiß ganz mit Recht, zumal der Ersatz für Diäten, die Eisenbahnfrcikarte, die Neigung ab- und zu zureisen und die dauernde Anwesenheit in der Reichs hauptstadt öfter zu unterbrechen, nur befördert. In den Besitz von Diäten zu gelangen, ist vorläufig für den Reichstag keine Aussicht vorhanden. Ein weiterer Grund für den mangelhaften Besuch dürfte ferner in dem Um stande zu erblicken sein, daß eine allgemeine Abspannung und Ermüdung infolge der unerquicklichen Gesammt- Situation über die Geister gekommen ist. Wenn jetzt der Reichstag ohne weitere Unterbrechungen energisch seine Arbeiten betreibt und wichtigere Gegenstände in Berathung kommen, ist wohl zu hoffen, daß auch der Besuch ein zahlreicherer wird. Darum bleibt aber doch der uner freuliche und nothwendig auch die Theilnahme des Publi kums abschwächende Eindruck, den eine Reihe halbleerer Sitzungen hinterläßt. Der österreichische Kaiserstaat wurde die ganze Woche über durch eine Katzenmusik, welche die Wiener Studenten dem Abgeordneten Lienbacher brachten, in Athem gehalten. Einer studentischen Deputation gegen über äußerte der Ministerpräsident Graf Taaffe, „noch sei 2esterreich ein Rechtsstaat," weshalb derartige Demon- trationen unberechtigt seien. Man kann nur wünschen, >aß solcher Ausspruch des Ministers überall Beachtung und Geltung finde. Dieser Wunsch drängt sich angesichts der Thatsachc auf, daß die deutschen Blätter in Oester reich fortwährend der Konfiskation verfallen, während die czechischen Organe, die sich systematische Verhetzung und Verbitterung der Gemüther zum Geschäfte machen, eine überaus große, uneingeschränkte Freiheit genießen. Graf Taaffe hat mit seinem Ausspruche übrigens wohl auch die Definition im Auge gehabt, welche neulich Professor Sueß von der gegenwärtigen Regierung Oesterreichs, welche ihre Prärogative und ihre Autorität verschleiße, im Reichs- athe gegeben hat. Nicht blos in den Studentenkreisen, deren erste Erregung gegen den Abgeordneten Lienbacher auf desfen verhängnißvolle Thätigkeit in der dm Charakter des Rechtsstaates so tief berührenden Angelegenheit der oberösterreichischcn Großgrundbesitzerwahlen zurückzuführen ist, sondern in der ganzen deutschen Bevölkerung Oester reichs würde man es mit Freude begrüßen, wenn den Worten des Grafen Taaffe nunmehr die entsprechenden Thaten folgen würden. Zur Zeit scheint jedoch keinerlei Aussicht vorhanden zu sein, die Hoffnung auf eine der artige Beruhigung der Gemüther zu rechtfertigen. Aus Frankreich sind zwei Ereignisse zu verzeichnen: der geheimnißvolle Tod des Generals Ney und die Volks feier des 80. Geburtstags Viktor Hugo s. Ueber den Tod des erwähnten Generals sind die verschiedensten Ansichten verbreitet, aber man wird schwerlich den genauen That- bestand erfahren, da die Familie alles aufbietet, um die Sache zu verschleiern. An der Viktor Hugo-Feier sollen sich gegen 200(X,0 Pariser betheiligt haben- Der greise Dichter hielt eine Ansprache, in welcher er Paris in seiner bekannten exaltirten Weise als die erste Stadt der Welt feierte. — Von besonderem Interesse für uns Deutsche ist eine Enthüllung des französischen Blattes „Estafette" die wir unsern Lesern nicht vorenthaltcn wollen. Das Blatt erzählt allen Ernstes: „Man hat sich seit einiger Zeit vielfach über die große Anzahl von Deutschen, und zwar von preußischen Unterthanen beklagt, die sich gegenwärtig in Frankreich und namentlich in Paris und Lyon aushalten, wo sie, wie in den letzten Jahren vor der Invasion, zu herabgesetzten Preisen Arbeit nebmen. Ein kleines deutsches Blatt, welches seltm nach Frankreich kommt, giebt hierüber folgende Ausschlüsse: Jeder preußische Unterthan, der in Paris ober Lyon Arbeit nimmt, zeigt in Berlin das HandlungShauö oder die Fabrik an, in denen er Beschäftigung gesunden bat, und die Höhe deS TagelohneS oder sonstigen Erwerbs, den er mit seiner Arbeit erzielen kann. Aus Grund dieser Mittheilungen läßt die deutsche Regierung jedem preußis chcn Unterthanen einen Zuschuß zahlen, mit Hilfe dessen er zu einem viel billigeren Preise arbeiten kann alö unsere LandeSange- hörigen. Im Jura- und Ain-Departement beklagt sich ferner die Bevölkerung, von Deutschen überschwemmt zu werden, welche sich in Len der Schweizer Grenze am nächsten gelegenen Ortschaften niederlassen, unter dem Borwand von allerlei Industrien sich bei den Einwohnern einschleichen und sie mit Fragen bestürmen, wobei sie sich für aus ihrer Heimath ver triebene Elsaß-Lothringer auSgeben." Das „kleine deutsche Blatt", auf welches die „Estafette" sich beruft, besteht natürlich nur in der Einbildungskraft ihres verlogenen Gewährsmannes. Die Engländer trifft Niederlage auf Niederlage. Die Schlappen, welche sie sich bei den Boern in Süd afrika holen, sind zwar von keiner vernichtenden Wirkung für das britische Riesenreich, aber immerhin eine Mahnung an die Gebrechlichkeit seines künstlich aufgethürmten'Ge rüstes. In vielen Gefechten haben die Boern bereits bewiesen, daß sie tapfere Krieger sind und es mit den englischen Soldaten ganz gut aufnehmen können. Run hat eine entscheidende Schlacht stattgefunden und die Engländer trugen eine Niederlage davon, wie sie furcht barer nicht gedacht werden kann. Denkt man an die Ursachen des Kampfes, an den blutigen Verlauf der Schlacht, an die Bauern, welche gut geschulte und gut organisirte Truppen in die Flucht zu jagen vermochten, dann sieht man sich zu dem Urtheile gezwungen, daß'die Schlacht am Majubagebirge (Spitzkop) den Vergleich auszuhalten vermag mit den berühmten Schlachten der Schweizer, der Niederländer und der Amerikaner, wo auch die Freiheit gegen einen übermächtigen Feind ver- thcidigt werden mußte. Mögen die Engländer noch so stolz auf die Freiheit im eigenen Lande sein, in Süd afrika sind sie die Werkzeuge der Tyrannei und der Un gerechtigkeit. Die Boern aber, welche die Waffen ge brauchen, stehen auf dem Boden des Rechts, denn die erste Bedingung des Rechtes ist die Freiheit und nur dort ist ein Freiheitsstaat, wo die Freiheit ungestraft verthcidigt werden kann. Die Königin Viktoria hat un geheuere Besitzungen in den fünf Erdtheilen und die Boern konnten es sich nicht denken, daß die Königin ein Unrecht begehen werde, um auch die Hand nach ihrer Republik auszustrecken. Erst als alle Proteste sich als nutzlos erwiesen, als die Boern kein Gehör bei der Königin Viktoria finden konnten, da haben sie zu den Waffen ge griffen, wie die Niederländer unter König Philipp. Im türkisch-griechischen Grenzstreit rücken die Ver handlungen nicht vom Flecke. Die Türkei wurde schon längst von den Botschaftern der europäischen Mächte auf gefordert, ihre Konzessionen kund zu geben; allein die türkischen Diplomaten denken: „Zeit gewonnen, Mes gewonnen" und zögern mit der Antwort. Dafür wird von ihnen wie von Griechenland um so emsiger gerüstet, als müßte demnächst der Waffentanz beginnen. Na mentlich scheint Griechenland sich in seiner Thätigkeit auch durch den kalten Wasserstrahl nicht aufhalten zu lasten, den jüngst die „Nordd. Allg. Ztg." dorthin zu richten für gut fand. Man hält dort fest an den Beschlüssen der Berliner Konferenz. Praktische Staatsmänner, nicht Theo retiker, kamen im Auftrage ihrer Regierungen in Berlin zu sammen und setzten in einem internationalen Aktenstück fest, was Griechenland von der Türkei zu begehren be rechtigt sei, was die Türkei im Interesse des europäischen Friedens an Griechenland abzutreten habe. Die Türkei hatte gut reden, mit welchem Rechte denn eigentlich in Berlin über ihr Hab und Gut verfügt werde — die Griechen waren in der logischen Befugniß, die Berliner Konferenz für Ernst zu nehmen. Und nun kommen diese nämlichen praktischen Staatsmänner und sagen durch die „Nordd. Allg. Ztg." zu den Griechen: „Wir haben es uns anders überlegt, und nicht nur, daß wir Euch nicht helfen, unsere eigenen Beschlüsse anszuführen, müßt Ihr uns den Gefallen erweisen und selber nichts dazu thun — überlegen wir nur die Sache gemeinschaftlich noch einmal, denn uns scheint, daß wir, die praktischen Staats männer, damals doch ein Bischen über die Schnur ge hauen und etwas höchst Unpraktisches begangen haben." Daß dieses Raisonnement nun bei den Griechen nicht recht verfangen will, wird schwerlich Jemanden verwun dern können.