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Dresdner Journal : 19.02.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-02-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-189702197
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-18970219
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-18970219
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Journal
-
Jahr
1897
-
Monat
1897-02
- Tag 1897-02-19
-
Monat
1897-02
-
Jahr
1897
- Titel
- Dresdner Journal : 19.02.1897
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v«-»,-Kret«: Für Drr«de« vtt«rlj«hrllch: » Marl KV Ps., bei des Kaiser, »ich deutschen Postuuffuiicu Viertelsahilich»Mart; außer» Haid des Deutschen Reiche» Luft, und Stempeljuschlaa. Ein-eln« Nummern: 10 Pf Erscheine»: Täglich mit Lus nahm« der Sonn» und Feiertag« abends. Fernspr.»«»schluß: NrlLSL Nitsdnti LH Mnrnal. «nlündtgungSgrbühren: ^ür den Raum iner gespal» tenen Zeile keiner Schrift rv Ps Unter „Eingesandt" die Zeil« KV Pf. Bei Tabellen» und Ziffernsatz entsprechender Ausschlag Herem-geber: Königliche Expedition des Dresdner Journal- Dresden, Zwingerstr. rv Fernspr »Anschluß: Nr129L 1897. M4I. Freitag, den 19. Februar, abends. Ämtlicher Teil. Dresden, 19. Februar Ihre Majestäten der König und die Königin sind gestern abend 10 Uhr 40 Min. nach Mentone abgereist. Bekanntmachung. Die am 24. Juni 1837 verstorbene Witwe des Geheimen Registrators Gräfe, Frau Sophie Dorothee verw. Gräfe geb. Körnig, hat in ihrem am 10. Juli 1834 errichteten, am 25. Juni 1837 vor dem vormaligen Justizamte Dresden publicierten Testamente ein Kapital von 24 000 M., welches infolge eines am 19. Juli 1834 von der Erb lasserin errichteten Kodizills auf die Summe von 58 693 M. 2 Hf. vermehrt worden ist, mit der Be stimmung ausgesetzt, daß die nach Verlauf eines Jahres, von ihrem Todestage an gerechnet, erwachsen den Zinsen dieses Fonds zu gleichen Teilen an sechs durch das Los zu bestimmende eheliche Kinder, Enkel, Ur- oder Ururenkel ihrer Geschwister oder der Ge schwister ihres obengenannten Ehegatten, welche noch nicht das 14. Lebensjahr erfüllt haben, verteilt werden sollen. Die zur Perception Gelangenden bleiben nur zwei Jahre nacheinander im Genüsse, können aber in der Folge, wenn keine anderen Interessenten vorhanden wären, nochmals und nach Befinden mehrere Male durch das Los auf die gleiche Zeit in den Genuß dieser Zinsen treten. Da nun im laufenden Jahre die 30. stiftungs mäßige Verteilung der Zinsen des Stiftungsvermögens auf die Zeit vom 24. Juni 1896 bis dahin 1898 vorzunehmen ist, so werden die Eltern und Vor münder aller nach obigen Bestimmungen zur Perception mehrerwähntcr Stiftungszinsen Berufenen hierdurch aufgefordert, ihre Kinder und Pflegebefohlenen bei dem unterzeichneten Ministerium mit Beibringung der er forderlichen Legitimation baldigst und längstens den 12. Juui 1897 schriftlich anzumelden, unter der Verwarnung, daß diejenigen, welche bis dahin nicht angemeldct, oder nicht ausreichend legitimiert würden, zu dem Losungs termine nicht zugelasfen und bei der Verteilung der betreffenden Gelder nicht berücksichtigt werden sollen. Zu der unter Leitung des Justizrats Rechtsanwalts und Notars Or. Zerener in Dresden stattfindenden Verlosung selbst ist der 29. Juui 1897 anberaumt worden, an welchem Tage die Eltern, rcsp. Vormünder der angemcldeten und legitimierten Per- cipieuten Vormittags 10 Uhr im Gebäude der Dresdner Kaufmannschaft, Ostra-Allee Nr. 9 pari., zur Losung entweder in Person oder durch gehörig legitimierte Bevollmächtigte sich einzufinden haben. Für die im Verlosuugstermine AußeiLleibcnden wird durch eine hierzu beauftragte Persou gelost werden. Eltern beziehentlich Vormünder, welche vom Erfolg der Verlosung keine Nachricht erhalten, haben anzunehmen, daß ihre Kinder bez. Mündel, keinen Gewinn erlangt Haden. Dresden, am 12. Januar 1897. Ministerin m des Kultus nnd öffentlichen Unterrichts. 477 v. Seydewitz. Götz. Srueuuungen, Versetzungen re. im öffentlichen Dienste. Im Geschäftsbereiche des Ministeriums der Atuanxen Bei der fiskalischen Straßenbau-Verwaltung sind er nannt worden: Grunert, zeither Straßenbauauffeher, als Arm-straßenmeister in Lichienstcin; Weiße, zeither Oberfeuer- werker, als Straßenbauausseher. Im Geschäftsbereiche des Ministeriums des Kultus und öffentlichen Unterrichts. Es wurden an gestellt: der Milttäranwärter, Feldwebel Richter alt Expedient bei dem NniversüStS-Rentamte zu Leirzig; — befördert: der Bureau assistent Vorsatz und der Expedient Bauer bei dem Univer- sitätS Rentamt« zu Leipzig zum Sekretär beziehentlich zum Bureauassistentr» bei dieser Dienststelle, der Expedient bei der Kanzlei der Technischen Hochschule zu Dresden Claus zum Bureauaisistenten bei dieser Dienststelle; — versetzt: der Bureauassistent Steinert bei der Ministerial-Buchhalterci, Kassen- unk Rechnungs Expedition in gleicher Eigenlast an das Universitats-Rentamt zu Leipzig, der Burcauassistent Richter bei der Mimsterial-Kanzlri als WirtschastSbeamter mit dem Dienstprädikate „Uureauassistent" an die Fürsten- und LandeSscdule zu Grimma. MMnntlichtr Teil. Zur griechisch-krtlcnsischtu Fräste sind heute wieder zwei beachtliche Preßstimmen zu verzeichnen. Neben einer Berliner Mitteilung der „Köln. Ztg.", wonach die deutsche Regierung unter völkerrechtlichem Gesichtspunkt vor allem anderen die Räumung der Insel seiten der griechischen Truppen und Schiffe als notwendig erklärt, finden Auslastungen des „Hamb. Corr." und der „Nat.-Ztg", die sich mit Englands Stellungnahme beschäftigen, besondere Auf merksamkeit. Ersteres Blatt schreibt: „Die Entwickelung der Dinge im Orient nähert fick dem Punkie, wo e- sich entscheiden muß, ob England seiner Politik besser durch Förderung eines Konfliktes unter den Kontinental staaten als durch einträchtiges Zusammengehen mit diesen dienen zu können glaubt. Es dars erwartet werden, daß von dem Augenblicke an, wo die Abtrennung Großbritanniens von dem europäischen Konzert erkennbar wird, die festländischen Mächte um so mehr ihre Bemühungen vereinigen werden, um unter Hintansetzung der für Griechenland gehegten Sympathie oder Antipathie die kretensischen Schwierigkeiten in einer Form zu löfen, daß Berwickclungen unter den Mächten selbst vermieden werden und der Friede erhalten bleibt." Und in der „Nat.-Ztg." ist gesagt: „Jin Orient deuten verschiedene Anzeichen auf eine neue Verschiebung der Lage hin, und schon die allernächste Zeit muß Klarheit darüber bringen, ob die bisher so gewissenhaft be wahrte Einigkeit unter den Großmächten durch das Hervor- treten englischer Sonderinteressen eine Störung erleidet. Wir sagen absichtlich: eine Störung; denn ein eigentliche- Abbrechen der gemeinschaftlichen FriedenSarbcit unter den Kabinetttn der festländifchen Staaten möchten wir nach wie vor für aus geschlossen hallen Treibt England jetzt wieder einmal Sonder politik, so liefert e« nicht nur einen neuen Beweis für die Unzulänglichkeit einer auf die Vereinigung britischer und euro- päiicher Interessen gerichteten Politik, sondern es lüftet auch mir eigener Hand den Schleier, der den Ursprung des so höchst eigentümlichen griechischen Abenteuers um- giebt. Wir haben, als die ersten Nachrichten darüber eintrasen, sogleich die Auffassung vertreten, daß cs sich dabei nicht sowohl nm einen Angriff aus die Türkei, als um einen Streich gegen den Frieden Europas handelt. Diese Gefährdung tcs Friedens müßte notwendig noch verfchärft werden, wenn eine dec Groß mächte das loyale Zusammenwirken mit den anderen ausgcben zu können glaubt. Es würde in dieser Hinsicht auch keinen Unterschied machen, ob das englische Kabinett die Maske fallen läßt und offen auf die griechische Seite tritt, oder ob man eS in London für angemessener erachtet, sich in eine pseudo neutrale Stellung zu begeben In jedem Falle bleiben die Interessen der Festlandsmächie identisch in der Richtung, daß sie den Versuchen, Europas Frieden zu stören, rn voller Einmütigkeit cntgegcntreten werden." Gegenüber diesen Auslastungen fei daran erinnert, daß bisher keine Thatsachcn bekannt geworden find, welche eine zweideutige Haltung und eigennützige Ab sicht Englands vermuten oder erkennen ließen. Zwar hat sich in einem Teile der öffentlichen Meinung Großbritanniens von vornherein die lebhafteste und einseitigste Teilnahme für das rechtswidrige und ge fährliche Vorgehen der Griechen geltend gemacht, aber die Regierung hat diese B lligung des hellenischen Unternehmens sofort mit dem Anschluß an die von den Großmächten gegen Griechenland geplanten bez. unternommenen Schritte beantwortet, und erst vor wenigen Tagen noch ist im britischen Parlament, wo die Opposition die unmündige Politik der Hellenen- schwärmer zu bekräftigen suchte, vom Regierungs vertreter betont worden, daß Griechenland kein Recht zu eigenmächtigem Handeln zustehe und daß der Bestand des europäischen Friedens von der Dauer des „europäischen Konzerts" abhänge. Man weiß also ohne weiteres nicht, auf welche Mo mente jene deutschen Blätter ihr Mißtrauen gründen. Nun liegt heute eine angeblich von gutunterrichteter Seite stammende Pariser Meldung vor, der zufolge die englische Regierung den Blokade-Vorschlag Deutsch lands abgelehnt haben soll, lediglich weil er ihr ver früht erscheine — eine Meldung, welche sich ohne die letztere Motivierung auch in den Berliner „Neuesten Nachrichten" vorfindet. Sie erscheint sehr geeignet, mit den Andeutungen des „Hamb. Corr." und der „Nat. Ztg." in Verbindung gebracht und als eine Bestätigung derselben hingenvmmcn zu werden, nament lich wenn man die zweite Fassung der Nachricht, die bedingungslose Ablehnung Englands, als die richtige ansieht Aber einmal sieht ihre Verläßlichkeit noch nicht fest, obwohl sie in der ersten Form nicht un glaubwürdig klingt, und sodann wäre auch durch die verneinende Antwort Englands das Einvernehmen der Großmächte keineswegs schon zeistört. Kommt es doch nicht darauf an, daß gerade dieser Vorschlag Deutschlands angenommen wird, sondern darauf, daß man sich überhaupt über eine zweckmäßige Maßregel einigt Erst wenn dieses nicht zu erzielen ist, fällt das Konzert auseinander. Hat die britische Regierung gegen die Blokade nur im gegenwärtigen Augenblick Bedenken geäußert, dann verliert der In halt der Meldung so wie so an Bedeutung, hat sie dieses Vorgehen aber im Prinzip verworfen, dann ist es an ihr, cü n anderen passenden Vorschlag zu machen oder wenigstens in der ihr genehmen Richtung onzuregen Man ist außerdem auch ohne Kenntnis von der Stellungnahme der anderen Mächte; es Hal nur verlautet, daß „mehrere Regierungen" die Initiative Deutschlands unterstützten. Wenn man einigen italienischen Preßstimmen — darunter sogar mehrere dem Kabinett Rudini nahe stehende Blätter, die einen türkisch-griechischen Krieg für immer wahrfcheinlicher halten und im Falle von Repressiousmaßregeln gegen Griechenland den Rück zug „einiger Mächte" vorauSschen — vertrauen wollte, müßte man den Vorschlag Deutschlands auch ohne Englands Weigerung als aussichtslos ansehen. Aber am besten thut man, über die ganze Angelegenheit genauere Nachrichten abzuwartcn, wie man sich denn überhaupt wohl auf eine nicht allzu rasche Weiterent wickelung und Lösung des Konflikts gefaßt machen muß. Auf dem kretensischen Schauplatz selbst hat sich nichts Beunruhigendes zugetrogen; im Gegenteil richten sich die Griechen dort sozusagen in Gemütlich keit ein, treffen schon allerlei Verwaltungsmaßregeln und werden, wie Oberst Vassos gestern erklärt hat, jede feindliche Berührung mit den Marinetruppcn der Großmächte sorgsam meiden, auch die Türken, falls sie sich ohne Kampf ergeben würden, liebenswürdig be handeln nnd die Okkupation der Insel in möglichst friedlicher Weise vollenden — natürlich bis auf die vier die Nordfeite beherrschenden, im Besitz der ver einigten Marine-Streitkräfte befindlichen Plätze. Tie Diplomatie gewinnt also, wenn die Dinge sich nicht kriegerischer entwickeln, noch mehr Zeit, die sie hoffentlich zu einem guten Werke verwendet. Das beste Werk wäre freilich das rascheste gewesen, ganz im Sinne der für ein herzhaftes Auftreten stimmenden deutschen Reichsregierunq. Der Begriff der Börse und die Zulässigkeit freier kaufmännischer Bereinigungen sind der Gegenstand einer von Professor I)r Gustav Cohn in Göttingen in der „Deutschen Juristenzeilung" veröffentlichten Abhandlung. Ausgehend von der That sache, daß es selten ein neue- Gesetz gegeben habe, dessen experimenteller d. h. abenteuerlicher Charakter so schnell zu tage getreten fei, wie beim Börfen- gesetz, weist der Verfasser zunächst darauf hin, daß man in der Börsen-Enquete-Kommission sich zwar keinen Jllussionen über die unfehlbare Wirkung des Gesetzes hingegeben habe, kaum aber auf den Ge danken gekommen sei, daß die Börse selber zum Gegenstand der Umgehung gemacht werden könnte. Allerdings sei die Frage, was eine Börse sei, gestreift worden bei einer der stenographisch nicht aufgczeich- nettcn Debatten in der Enquetckommission, welche nach teilweisem Abschluß des Sachverständigenverhörs die Reformvorschläge vorbereiten sollten Bei einer dieser Beratungen, in der man sich mit der Organi sation der Börsen beschäftigte, hatte — wie Professor Cohn auf Grund der Sitznngsprotokolle weiter aus führt der Referent geh. Öberregiernngsrat Gamp an die Spitze seines Referats den Satz gestellt. „Die Börse ist eine Veranstaltung des Staates zu dem Zwecke, den Handelsverkehr zu erleichtern und die allgemeinen wirtschaftlichen Interesse zu fördern." Die Mehrheit der Kommission beanstandete diesen Satz, verwarf mehrere andere Vorschläge für eine Definition der Börse und verneinte schließlich die Frage, ob überhaupt ein solcher allgemeiner Satz vorangestellt werden solle, mit allen (d. h 15) gegen 3 Stimmen. Dagegen wurde betont, daß die Börse ein Markt sei, dessen Aufhebung aus marktpolizei lichen Gründen der Regierung unzweifelhaft zustehe, eine Auffassung, der sich auch der Vorsitzende, Reichs bankpräsident vr. Koch, anschloß. Den vorbereitenden Beratungen entsprechend und in Übereinstimmung mit einem früheren Kommissionsbefchlusse, reichsgesctzlich festzulegen, daß den Landesregierungen die Genehmig ung der Errichtung von Börsen und das Recht und die Pflicht der Aufsicht über diese zustehe, bestimmt nun 8 1 des Gesetzes, daß die Errichtung einer Börse der Genehmigung der Landesregierung bedürfe, letztere aber auch befugt sei, die Aufhebung bestehender Börsen anzuordnen, während eine Definition des Begriffes der „Börse" in dem Gesetze fehlt. An den neuesten Ereignissen hat sich gezeigt, daß die Befolgung des Satzes omnis ckvünitio porie-ulos» auch ihre Schatten seiten hat und der Mangel einer Definition nicht ohne Gefahren ist. Bei der Beantwortung der vom Gesetzgeber offen gelassenen Frage: Was ist eine Börse? legt nun der Verfasser der Abhandlung mit vollem Recht besonderes Gewicht auf die aus Börsenkreisen kommenden An sichten und gelangt, anknüpfcnd an die obenerwähnten Debatten, welche die von staatlicher Genehmigung un abhängige Freiheit der Börse betonen und damit an nähernd ein deutliches Abbild der neuen freien kauf männischen Versammlungen geben, zu dem Schlüsse, daß diese Ansichten für die Gesetzlichkeit des neuesten Gebildes wirtschaftlicher Freiheit nicht gerade eine Stütze sind. So sagt auch in seinem Referat der Vertreter Hamburgs in der Enquetekommission: „Unter dem Begriff „Börse" versteht man einesteils den Ort, an dem sich Personen zu geschäftlichem Verkehr versammeln, andernteils diese Versammlungen selbst. Diese gehen hervor aus dem Bedürfnis der Geschäftsleute, persönlich mit einander zu verkehren. Um diesen Verkehr zweck mäßig zu gestalten, wird ein bestimmter Ort und eine bestimmte Zeit für die Zusammenkunft verein bart. Wird mit diesen Versammlungen einem wirk lichen Bedürfnis genügt, so werden sie sich bald zu Knuff und Wissenschaft. Die Dichtung der Gegenwart. Zu den schwierigsten Aufgaben, die sich die Litteratur- geschichte setzen kann, sofern ihre Vertreter nicht stolz darauf sind, sich nur mit den von der Gegenwart weit abliegenden Stoffen und Fragen zu befassen, gehört es, im Getümmel des Augenblickes und der Ueberproduktion Unterscheidungen und Urteile zu gewinnen, die mit dem Tage nicht hinfällig werden. Im Schlußkapitel der dritten Auflage meines Buches: „Die deutsche Nationallittcratur vom Tode Goethes bi« zur Gegenwart" habe ich diese Schwierigkeit mit den Worten charakterisiert: „Wer in das Gebiet der Wildwasser gelangt, wo Quellen, Bäche und Rinnsale jeder Art dicht nebeneinander den Boden feuchten, wo es unter jedem Tritt aufquillt und rauscht, unter scheidet auch mit scharfem und geübtem Blick kaum mehr, welche dieser Wasser zu Anfängen frischer Flüsse und Stromläufe, welche nur bestimmt sind, als glitzernde Blasen zu zerspringen oder im Sumpflande und Geröll zu ver siegen Wer nicht irren, nicht gelegentlich einen Schlamm sprudel mit einem Ursprung verwechseln will, wählt seinen Standpunkt weiter unten Die Geschichtschreiber der Litteratur und Kunst verzichten aus gleichem Grunde meist aus die Beurteilung aller poetischen Erscheinungen, die noch keinen geschichtlichen Abstand vom Tage aufzuweisen vermögen; sie lassen die tausend Gerinnsel, die sich als Quellen gebärden, sein verlaufen; sie warten, bis die Bäche blitzend zu Thal springen. Unv sicher gehören die litte- rarifchen Massenerschcinungen des vorübereilenden Augen blicke«, die weder eine Bürgschaft der Dauer in sich selbst tragen, noch auch nur die Bedeutung von Vorläufern bleibender Schöpfungen beanspruchen können, nicht in den Rahmen historischer Darstellung Dennoch soll sich auch diese nicht leichtfertig oder hochmütig de« Versuch« entschlagen, wenigsten« einigermaßen das noch wirr durchcmanserwogcnde zu scheinen, Pfade zu erhellen und Ziele zu zeigen, Gärungen und Gegensätze zu deuten Will die Littcraturgeschichte mehr sein als ein Markstein und Ehrenmal des Be schlossenen, will sie ein Wegzeiger bleiben, so darf sie nicht allzusehr die Gefahr scheuen, auch einmal ihre Ur teile und Folgerungen widerlegt zu sehen. Thorheit wäre es vollends, vor der ungeheuren Gärung auf allen Ge bieten des Glaubens und Fühlens, der gesellschaftlichen Zustände und Sitten die Augen zu schließen und die grundverschiedenen Rückwirkungen dieser Gärung auf die Litteratur und das poetische Schaffen unterschiedslos als vorübergehende Irrungen kurzweg beiseite zu schieben. Auch Stürme, die keinen Lenz im Gefolge haben, aber die Seele eines Volkes durchrütteln und verwüsten, können nicht völlig ungeschildert bleiben." In diesem Sinne muß ich eine soeben hervorgetretene „litterarhistori'che Studie" von Adolf Bartels unter dem Doppcltitel „Die deutsche Dichtung der Gegen wart. Die Alten und die Jungen" (Leipzig, Eduard Avenarius, 1897) mit entschiedener Teilnahme begrüßen. Nicht bloß um der mutigen Entschlossenheit willen, mit der der Verfasser aus einem noch viel um strittenen, höchst unsicheren Gebiete sich zu behaupten, feste Grenzen zu ziehen, weithinragende Zeichen aufzurichten trachtet Ad. Bartels ist Dithmarse, ein spezieller Lands mann Friedrich Hebbels. Etwas von dem überlieferten Brauch seiner LandeSgenoffen: hinter kaum aufgeworfenen Dämmen, in einem dem Meere eben abgetrotzten Neuland zu säen und zu ernten, steckt in dieser kritischen Arbeit Aber sie zeichnet sich durch mehr, al« durch beherzte Inangriffnahme einer schwierigen Aufgabe au« Wenn Bartels in seiner Einleitung sagt: „Ich nehme an, daß eine bedeutendere Persönlichkeit auch über die vorherrschende Strömung der Zeit, selbst über die Nebenströmungen eine au« der genauen Kenntnis der Vergangenheit und eigener Anschauungekraft (Intuition) genommene verhältnismäßig richtige Anschauung haben kann, die der, die Späterlcbendc gewinnen können, min desten? gleichwertig ist Sind die Litteraturwerke zum Teil Nieoerschlag der Zeitströmungen, so ermöglichen sie eben dem scharfen, klaren, vor allem dem intuitiven Geiste auch das Verständnis seiner Zeit, und die Vergleichung einer größeren Anzahl von Werken wird dann bald klar Herausstellen, wa« persönliches, was Zeitgut ist. Die Frage endlich, wie die Wirkung der Erscheinungen auf die Nachwelt ist, scheint mir keineswegs die wichtigste zu sein Zunächst hat, wie jeder Mensch, auch der Dichter und Schriftsteller seiner Zeit zu leben, und die Wirkung, die er auf seine Zeit übt und die sich im allgemeinen fest- stcllen läßt, ist für den Geschichtsschreiber unmittelbar maßgebend; nur wenige Persönlichkeiten wirken ja auch über ihre Zeit hinaus Ich halte cs aber auch nicht für unmöglich, daß der Litteraturgeschichtschreiber seiner Zeit diese Persönlichkeiten und die wahrhaft bedeutenden Werke erkennt und ihre Wirkung auf die Nachwelt richtig be mißt. Ganz zweifellos hat eü zn jeder Zeit Menschen gegeben, die sich durch den Erfolg nicht blenden ließen, das Echte und Bleibende erkannten, und zu diesen muß freilich der Litteraturgeschichtschreiber gehören", so wird jeder unbefangen Urteilende in der „Dichtung der Gegen wart" den klaren, scharfen und intuitiven Geist bereitwillig anerkennen Die Kenntnis des Verfassers von den Leist ungen und Versuchen der deutschen Litteratur des letzt vergangenen Menschenalters und des Tages ist umfaßend, sein Urteil in den meisten Fällen zutreffend und nur in einigen unbillig oder einseitig, ein Hauch mannhafter Frische, der unerschrocken nach allen Seiten hin die persönliche Überzeugung ausspricht, weht uns au« den Blättern de« nicht umfangreichen aber inhaltreichen Buches ent gegen Endlich, oder vielmehr vor allen Dingen, bewährt Bartels einen sicheren Blick für die unterscheidenden Merk male der einzelnen Bildung«perioden, für den Allgemein geist bestimmter Poctengruppen und für die Unterschiede zwischen den eigentlich schöpferischen und den bloß nach- empfindcndcn und nachahmenden Talenten. Seine Charak teristik der Jahrzehnte zwischen 1850 und heute, seine Gruppierungen sind scharfsinnig und meist überzcuaend, kein Litterarhistoriker der Zukunft wird sie ungestraft außer acht lassen können. Schon aus den Überschriften der Abschnitte in der „Dichtung der Gegenwart" ergiebt sich bis zu einem ge wissen Punkte der Gedankcngang des Verfassers „Das silberne Zeitalter der deutschen Dichtung", „Friedrich Hebbel und Otto Ludwig", „Die großen Talente der fünfziger und sechziger Jahre", „Die Münchner", „Die Frühdccadence", „Der Krieg von 1870 und die großen Talente der siebziger und achtziger Jahre", „Der Feuille- tonismuS und die archäologische Dichtung", „Richard Wagner und die Hochdecadence", „Die Herrschaft des Auslandes", „Der Sturm und Drang des jüngsten Deutschlands", „Der konsequente Naturalismus", „Ter Symbolismus und die Spätdecadence" behandeln die innere Entwickelung der deutschen Litteratur seit der Zeit, die der Revolution von 1848 folgte, bis zur unmittel baren Gegenwart. Die kräftigsten und eindringlichsten Urteile spricht Bartels, und dies ist bezeichnend für die positive und aufbauendc Anschauung des Verfassers, meist da aus, wo er anerkennt, wo er einer beliebten Unter schätzung der schlichten Größe und de« ehrlichen Künstler sinns entgegentritt Tie Charakteristiken der genialen Naturen und Bestrebungen Hebbels und Otto Ludwigs, in zweiter Linie der sieben Dichter aus den fünfziger Jahren, die er al« die selbständigsten, keiner „Schule" an gehörigen ansieht und beurteilt: Gustav Freytag, Fritz Reuter, Wilhelm Raabe, Klaus Groth, Theodor Storm, Gottfried Keller, I. D Scheffel, wirkt durchaus klärend Don großer Feinheit, scharfer Erkenntnis und Abwägung der Licht- und Schattenseiten zeugt auch Bartel»' Behandlung der Mün chener Schule und sein Nachwei« de« allmählichen Herab- und Hinübergleitens de« Künstlertum« der Münchner
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