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für Bischofswerda, Stolpen und Umgegend. Amtoblntl -er Kgl. Amtohauplmannschaft und -er Kgl. Schulinspection zu Kauhen sowie -es Königlichen Gerichtsamtes vn- -es S°ta-trathes zu Dischofswerda. Diese Zeitschrift erscheint wöchentlich zwei Mal, Mittwochs und Sonnabend« und kostet einschließlich der Sonn abends erscheinenden „belletristischen Beilage" vierteljährlich 1 Mark 50 Pfg. (15 Ngr.). Inserate werden bis Dienstag« und Freitags früh N Uhr angenommen und kostet die gespaltene CorpuSzeile oder deren Raum 10 Pfennig«. Sonnabend, den 1«. November. I 18V7. Eine russische Verfassung. Vorige Woche ging, und zwar von Petersburg au«, das Gerücht, daß Rußland nach dem Kriege vom Czaaren mit einer auf centralistischer Basis ruhenden Verfassung beschenkt werden solle. Von der „Constitutionalisirung" Rußlands war schon so oft die Rede, wie von dem Wolf in der Fabel, dessen Kommen immer gemeldet wurde, bis er end lich kam, als Jedermann den Glauben an seine Er scheinung verloren hatte; ob aber die oft angekün digte russische Verfassung sckon zum Sprung in'S Dasein bereit ist, das können wir selbstverständlich nicht wissen, und das weiß man vielleicht auch im Cabinet des Czaaren nicht. Jndeß giebt es viele Beobachter, auf welche die Bewegung der Geister in Rußland den Eindruck gemacht hat, als ob die Auf rechthaltung des gegenwärtigen Regierungsshstems im weilen Czaarenreiche nach gerade zur Unmöglich keit geworden sei, und als ob der Revolution der Meinungen, die sich dort vollzieht, der absolutistische Staatswille in der einen oder der andern Form werde gerecht werden müssen; dieser Staatswille habe sich bereits auf der schiefen Ebene des Ver zichts auf seine Alleinherrschaft befunden, als der Kaiser Alexander den Ständen zu Moskau gestattete, sein oberstes souveräne« Recht, das Recht über Krieg und Frieden, in den Kreis ihrer Erörterungen zu ziehen, und es würde ein großer Jrrthum sein, an zunehmen, jener Revolution würden ihre besten Kräfte dadurch entzogen werden, daß man ihnen freie Entfaltung nach einer Richtung hin gewähre, ihnen gleichsam das Sicherheitsventil der auswär tigen Fragen erschlösse. Ueber die Vollberechtigung dieser Ansicht wird sich streiten, aber leugnen wird sich nicht lassen, daß im heiligen.Rußland die Zustände unheilig genug geworden sind, um der Regierung ernstliche Ver legenheiten zu bereiten und den Gedanken nahe zu legen, in einer Verfassung den Ausweg aus all' den Gefahren zu suchen, denen sie sich ausgesetzt sieht. Freilich wird eS sehr schwer sein, für eine Bevöl kerung, die vom ConservatismuS des gedankenlosen GewohnheitSdaseiu- hiS zum Nihilismus (Nichlig- Zweiunddrrißigsttr Jahrgang. keil) der radikalsten und zugleich an sich selbst ver zweifelnden Tendenzen alle politischen Schattirungen repräsendirt, die befriedigende Staatsform zu finden aber nehmen wir an, das Eingangs erwähnte Ge rücht habe Recht, wenn es den centralistischen Ge-' danken als denjenigen bezeichnet, der der künftigen Verfassung zu Grunde liegen solle, so wird damit wohl gemeint sein, daß das neue Rußland sich auf einer engeren nationalen Basis gestallen und damit einen förmlichen Bruch mit allen über die Reichs grenze gehenden panslawistischen Tendenzen vollziehen soll, und es fehlt durchaus nicht an Anzeichen da für, daß in Bezug auf die Letzteren am Hof sowohl wie in der Bevölkerung eine gewisse Ernüchterung bereits sich gellend macht. Gewinnt nun diese centralistische Strömung dauernd die Oberhand und betritt Rußland infolge dessen die Bahn innerer Reformen mich ohne förm liche Constitutionalisirung, so wird eS vor allen Dingen auf jene active Politik nach Außen verzich ten müssen; die man gewöhnlich auf das „Testament Peters des Großen" zurückführt, und der auch der gegenwärtige orientalische Krieg entspringt , und Eu ropa wird von einem Alp befreit, mit dem sein Aberglaube es bisher ängstigte. Gipfeln die Re formen aber in einem BerfassungSwerk constitutis- neller oder vielmehr parlamentarischer Natur, so wird der Verzicht auf die nach Außen ihre Zielpunkte verlegende panslawistische Politik ein definitiver sein, und man kann daher im Interesse des europäischen Friedens nur wünschen, daß die Wege, welche zu einer Constitutionalisirung des großen Reiches führe», gleich nach dem Ende des Krieges betreten werden mögen. Indessen wiederholen wir ausdrücklich,, daß von der Idee zur Wirklichkeit oft ein sehr weiter Weg ist. Und vorläufig haben wir es noch mit der Idee zu thun, wenn auch nicht geleugnet werden kann, daß beispielsweise die Aufhebung der früheren Leibeigenschaft sich ebenfalls aus der Idee heraus zur Thatsache entwickelt hat.