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Dienstag, 28. April 1SV8. vilt EGWlkVID avntt - Sttr MMiiiil Rr. S7. Dritter Jahrgang. Ku er Tageblatt und Anzeiger Mr das Erzgebirge verantwortlicher Redakteur: Fritz Arnhold. Für die Inserat« verantwortlich: 10 alter Kraus beide in Aue. mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Sonntagsblatt. Sprechstunde der Redaktion mit Ausnahme der Sonntage nachmittags von p—5 Uhr. — Telegramm-Adreffe: Tageblatt Aue. — Fernsprechel KN. Für unverlangt eingesandte Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. Druck und Verlag Gebrüder Beuthner (Inh: Paul Beuthner) in Aue. Bezugspreis: Durch unsere Boten frei in, Haus monatlich so Pfg. Bei der Geschäftsstelle abgeholt monatlich <0 Psg. und wöchentlich <o pfg. — Bei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljLhrlich l.so Mk. — Durch den Briefträger frei ins Daus vierteliährlich i.-r Mk. — Einzelne Nummer >o psg. — Deutscher postzeitungr- katalog. — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. Annahme von Anzeigen bis spätestens -'/, Uhr vorniittags. Für Aufnahme von größeren Anzeigen an bestimmten Stellen kann nur dann gebürgt werde», wenn sie am Tage vorher bei uns eingehcn. Jnsertisnspreis: Die stebengespaltene Korpuszeile oder deren Raum »o psg., Reklamen r» Psg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Dies* rruinnrev uiirf<»tzt (> -eiten Das Wichtigste vom Tage. Die sächsische Zweite Kammer hielt gestern ihre hundertste Sitzung in dieser Session ab. (S. Parl.-Brch. Hptbl.) In dieser Woche tritt die sächsische Wahlrechts- Depntation zum erstenmal n a ch den Osterferien zusammen. (S. Kgrch. Schs.) Der Reichsbankdiskont ist gestern aus 5 Prozent herabgesetzt worden, der L o m b a r d z i n S s u ß auf 6 Prozent. Der Reichstag nimmt heute nach den Osterferien seine Sitzungen wiede r^a u f, am 8. M a i beginnen die S o m m e r f e r i e n. Wegen der A u s l a n d s i n s e l n soll zwischen England. Frankreich und den skandinavischen Ländern ein G e h e i m a b . o in m e n getroffen worden sein. « Die T r a u c r f e i e r l i ch k e i t e n für Campbell- Bannerman haben gestern stattgefunden. (S. R. a. a. W.) Behörden und Amtspreste. i-. Glücklicherweise fängt man in unserem Sachsen endlich einmal damit an, mit den reaktionären Ueberliesungen vom Zeitgeist längst überholter Jahrzehnte reinen Tisch zu machen. Aber wie der Vurcaukratismus im allgemeinen, so arbeitet unser sächsischer im besonderen recht langsam, womit allerdings beileibe nicht gesagt werden soll, dast er ebenso sicher seinem Ziele zustrebt, wie Gottes Mühlen mahlen. Ganz im Gegenteil haben wir schon oft genug erleben müssen, dast der Vollendung nahe Schöpfungen fortschrittlichen Geistes ini letzten Augenblick noch unter den Tisch sielen, jedenfalls deshalb, um das so schön einheitlich reaktionäre Regicrungssystem in Sachsen nicht zu durchbrechen. So ist es zu erklären, dast in unsere heutige Zeit hinein noch immer ein Denkmal politischer Erniedrigung des Volkes hineinragt, ein Denkmal aus den volksentwürdigenden Zeiten des „unvergestlichen" Staatsmannes Ferdinand Friedrich v. Veust: Die Amt s b l a t t s p r e s s e. Wie unter einer Geiste! leidet der grösste Teil des in seinem besten Kerne fortschrittlich gesinnten sächsischen Volkes unter dem Drucke dieser reaktionärsten der gesamten reaktionären Presse. Denn w i d e r s e i n e n W i l l e n must das Volk diese Amtsblätter unterstützen, cs must dem politischen Gegner gezwungenermasten sein gutes Geld hiugebcn, um dafür zu erleben, dast das hochvermögende Amtsblatt als Organ der „herrschenden Klaffe", das heiht der am Regierungsruder sitzen den Herren, über die politische Freiheit und Meinung des Vol kes herfällt, wie der Wolf über seine Beute. Ihm gleich tun cs nur noch die freiwillig zum Amtsorgan sich herabwürdigen den Blätter — meist unbedeutende, an chronischem Abonnenten schwund leidende Zeitungen, die damit ihrem Moniteur wieder auf die Beine zu helfen hoffen, ohne zu bemerken, dast sich ob ihrer charakterlosen Haltung Las Publikum mit Ent rüstung von ihnen abwendet. Denn — das sei wiederholt — Sachsens Volk ist alles andere, nur nicht reaktionär, und sein Anstandsgesllhl lästt es nicht zu, sich mit Zeitungen zu befreunden, deren Vertreter demütig täglich ein paar Stunden in den Vor zimmern zu den Amtsstuben antichambrieren, um auf die Wei sungen „von oben" zu warten, die ihnen als Richtschnur in poli tischen und kommunalen Dingen zu dienen haben. „Mich ekelt vor diesem tintenklecksendeu Säculum" sagte Schiller in seinen „Räubern", hätte er unser Amtsblattwesen mit all' seinem Unfug und seiner Rücksichtslosigkeit dem Publikum gagenllber gekannt, er hätte vieleicht nicht versäumt, zwischen die Skorte „tinten klecksenden" und „Seeulum" das Wort „Amtsblatt-" einzu schalten. Nun darf man aber nicht denken, dast die unabhängige Presse Sachsens, das heisst die Zeitungen, die das Glück haben, nicht Amtsblatt zu sein, etwa futterneidisch auf die Amtsblätter mären, die es so trefflich verstehen, ihr Säckel aus dem politisch- gegnerischen Lager zu füllen. Nichts läge der unabhängigen Presse ferner als das, die aus das Wort des Titus „non olvt" als Wappenspruch gern und willig verzichtet. Die unabhängige Presse hat aber die moralische Pflicht,, das Publikum vor der behördlichen Benachteiligung zu schützen, die diesem aus dem Amtsblatt u n wesen entsteht. Ein ganz einfacher Fall, der in fast allen Orten in regelmästigen Zwischenräumen sich wiederholt, möge das beweisen: Die S t e u e r t e r m i n e sind fällig, das Geld must entrichtet werden. Im charakteri sierten oder auch freiwilligen Amtsblatt, das — ange- nommenerwcise — -100 Abonnenten hat, wird vom Stadtrat eine entsprechende Bekanntmachung erlassen. Bei einer Bevölkerung von — immer beispielsweise! — 18 000 Einwohnern, erfährt natürlich nur ein verschwindend kleiner Teil des Publikums den Inhalt dieser „amtlichen Bekanntmachung". Und die Folgen davon? 1) Das Publikum in grosser Zahl muh Mahnge bühren entrichten; 2) die städtischen Beamten werden durch das Ausschreiben der Mahnzettel in ihren laufenden Arbeiten aufgchalten: !>) der Stadtrat hat eine Ausgabe gehabt, die er zu Gunsten der Steuerzahler hätte crspa.ren können, und -1) das Amtsblatt hat eine Einnahme gehabt, ohne dafür eine entsprechende Gegenleistung zu bieten. Wäre das alles nicht zu vermeiden gewesen ? Gewist! Da existiert in der fraglichen Stadt noch ein Blatt, das — nehmen wir an! — von 2800 Einwohnern am Orte gelesen wird, also wohl in allen selbständigen Familien. In diesem Blatte wäre mit aller Wahrscheinlichkeit die „amtliche Bekanntmachung" von allen Steuerpflichtigen gelesen worden. Aber — jetzt kommt das „aber", das für unsere sächsischen Verhältnisse charakteristisch ist, — jenes Blatt hat nicht den Eharakter eines Amtsblattes, folg lich ist es nicht würdig, als Verkünder einer Behörde zu die nen und folglich must die Einwohnerschaft es über sich ergehen lasten, mit Mahngebühren bedacht zu werden, aus deren Ertrag — in vielen Städten, nicht überall — auch die Jnsertionskosten im Amtsblatt gedeckt werden. Ist das eine Rechtsgleich heit den Zeitungen gegenüber und wahrt eine Behörde bei solchem Verfahren die Interessen der Einwohner schaft? Nein, und dreimal N e i n ! Der e i n fachst e Weg wäre hier gewesen, die Bekanntmachung in dem Blatte mit der gröstten Abonnentenzahl zu erlassen — unsertwegen neben- b c i auch noch im Amtsblatt«, denn die Amtsblätter sind eitel wie alte Jungfern, und sehen sich nicht gern in ihrer „Würde", die für sie allerdings keine Bürde mit sich bringt, zurückgesetzt. Der unabhängigen Presse liegt wahrhaftig nichts daran, ihre Spalten mit trockenen amtlichen Bekanntmachungen zu füllen, die ja doch so gut wie niemand liest. Wenn es sich aber darum handelt durch wichtige Bekanntmach ungen die Interessen des Publikums zu wahren, dann hat sie in i t sa m t ihren ganzen Abonnenten wohlberechtigten, moralischen wie realen Anspruch darauf, von den Behörden benutzt zu werden. Nur um dem Publikum unnütze Kosten zu ersparen, und nur aus diesem Grunde! Denn die paar Mark Insertionsgebühren würden die unabhängige Presse auch nicht reich machen, die glücklicherweise auch pekuniär nicht von den Behörden abhängig ist. Darum überlästt sie der Amtsblattpresse gern und willig die imaginäre Ehre, Amtsblatt zu sein — denn zum großen Teile verdankt sie ja eben der Ab hängigkeit der Amtsprestc ihr solides Aufblühen und ihre Be liebtheit — verlangt aber Rechtsgleichheit, wenn es sich um die Interessen des Publikums handelt. Und das ist ihr gutes Recht! Aehnlich verhält es sich mit den redaktionellen Beiträgen der Behörden. Auch hier dieselbe Rechts ungleichheit. Lieber verzichten viele Behörden darauf, ihre Mitteilungen bekannt werden zu lasten, als Last sie zur N i ch tamtspreste herabsteigen. Ein anständiges unab hängiges Blatt wird aber die Weisheit der Amtsblätter und ihrer freiwillig mit in die Verbannung der Selbständigkeit ge gangenen Geschwister nicht nachdrucken, wenn anders auch um gekehrt- diese Blätter mitunter ihr Dasein nur durch Nachdruck aus der unabhängigen Presse fristen. Das unter scheidet eben auch die beiden Arten der Presse wesentlich von ein ander: Hier ehrliches, offenes Bestreben und mühsame Arbeit, Gutes schaffen zu Helsen, dort lediglich das Bewußtsein, ein Diener der Behörden zu sein, ohne eigenes Denken und ohne Rücksicht auf das Publikum und besten Interessen. Friedrich der Trotze sagte einmal: „Ich bin der erste Diener meines Staates." Dieses Wort sollten alle Behörden berück sichtigen und sich zu eigen machen, das heistt, sie sollten sich nicht souverän über die Bedürfnisse des Publikums hinwegsetzen, sondern mit diese» rechnen. Und dazu gehört auch in erster Linie, dast dem Publikum durch gelegentliche Insertion in Nicht amtsblättern Geld erspart wird, das indirekt dazu ver wendet wird, die gegnerische Presse zu unterstützen .... Im wnnderschönen Monat Mai. Novellette von A. Hinze. „Ah — da sind sie ja Doktor! Gratulieren, gratulieren! Sie Schwerennötcr! Gehen von uns fort mit dem lakonischen Bescheid, Sie wollten sich von dem Staatsexamen ein paar Tage in der Natur erhole» und — kommen als Bräutigam wieder! Wir ahnten faktisch nicht!" „Ich auch nicht, meine Herren!" „Wie — was? Beichten Sie, Doktor, wie das so rasch gekom men ist, mit der Ankündigung allein lasten wir uns nicht ab speisen!" Der junge Arzt liest sich lachend in dem Kreise der Herren nieder. Durch die offen stehenden Fenster des Restaurants drang die Mailuft und gedämpft der Lärm der Groststadt. Langsam sein Glas Bowle schlürfend, das der Kellner ihm gebracht hatte, sprudelte der Ankömmling alsdann: „Eine Indiskretion, meine Herren, verlangen Sie, eine Indiskretion, begangen gegen mich selbst, vor allem gegen meine Braut und — meinen erst-n Patienten." „Wie — eine» Patienten haben Sie auch dabei gefunden? Donnerwetter, Doktor, seien Sie nicht ungemütlich "zählen — Sie!" „Also — ich wollte ein paar Tage nur für Ngtur schwärmen, in dem reizend gelegenen Rosenhagen und in ) Linde absteigen. Es war «in herrlicher Tag, die Maisonne chte herab, als wollte sie auch den ärgsten Hypochonder heraus- »ocken. Jedenfalls war der alte, vornehm aussehende Herr einer, der auf dem Perron der letzten Haltestation mit einem wütenden Fuststampfen seine Vogleiterin ansuhr: Bilette 1. Klasse, aber rasch — rasch! Im offenen Kupeefenster lehnend sah ich mir das junge Wesen, das diese Behandlung erfuhr, genauer an. Es war jung, meine Herren, sehr jung, sehr reizend und sehr schüchtern. Her- ausspringen meinerseits und der schüchternen jungen Dame meine Hilfe anbieten, war das Werk des nächsten Augenblicks. Ein dankbarer Blick aus zwei wundervollen Augen, Billetlösen am Schalter, den alten Brummbären und seine Pflegerin ins Kupce erster Klaffe hineinhelsen, mich selbst in die zweite be fördern, das Werk des folgenden. Zwei Stunden später hatte ich die Episode vergessen bis — nun ja, bis auf die wunder schönen Augen, und fast, Uber mir slernsunkelnden Abendhimmel, säuselnde Vaumwiipsel, im Wirtshauggarten zur Linde, in Ge sellschaft ehemaliger Korpsbriider, die ich dort angetroffen hatte, der übermütigste von allen. Im wunderschönen Monat Mai, Als alle Knospen sprangen, Da ist in meinem Herzen auch Die Liebe aufgcgangen. deklamierte einer aus der Schar. Da packte es mich plötzlich. Ich sah im Geiste wieder die schönen Augen. — Ich besitze eine ganz passable Stimme, meine Herren, ich intonierte: Sah ein Knab' ei» Röslein stehen. —- Ich sang mit viel Gefühl, übermütig, begeistert, wie Jugend nun einmal leicht ist. Händeklatschen, da Capo-Rufe folgern Gesang. Unmittelbar daraus ein dröhnendes Geräusch, gerade, als schlage jemand mit der Faust auf einen Tisch. Und nun er tönt eine wutbebende Männerstimme: Unverschämtes Gelichter — auch hier hat man keine Ruhe davor!" dann gellend: Zum Arzt, — zum Arzt! Am offenen Fenster im ersten Stock taucht ein Mädchenkopf auf. Ueberrascht, entzückt — entsetzt starre ich hinauf — blitzge schwind wird das Fenster geschloffen. Gleich darauf kommt ein Kellner aus dem Hause gestürzt. Verstört, suchend blickt er um sich, dann kommt er auf unseren Tisch zu: „Meine Herren, bitt« hören Sie auf zu singen! Wir haben heute einen neuen Dast bekommen. Der alte Herr Geheimrat ist neroenleidend, ist zur Erholung hier er — er wurde- fuchswild über den Gesang — er verlangt nach einem Arzt, — auf der Stelle soll er kommen, und — und dabei ist unser Doktor Müller Uber Land. Ich bin Arzt — will das Geschehene gut machen. Damit springe ich auf, drücke dem Kellner ein Geldstück in die Hand, und be ¬ deute ihm, im übrigen zu schweigen. Eine Minute später trete ich bei meinem ersten Patienten ein. Es ist der Brummbär von der letzten Haltcstation. Allein schon bitte ich insgeheim ihm mein Urteil ab — ich sehe jetzt, Last ich einen Leidenden vor mir habe. Er liegt ausgestrcckt auf dem Sofa, die geschlossenen Lider zucken, auf der Stirn perlt der Schweist, um die Lippen lagert hochgradige nervöse Marter. Das junge Mädchen, Las vor ihm kniet und mit einer Estenz seinen Puls reibt, scheint unter ihrem Amt nicht weniger zu leiden wie der Kranke selbst. Dieser schlägt die Augen auf und sieht feindselig auf mich. „Doktor med. Werner," stellte ich mich vor, „ich wohne in der Linde und höre soeben, Last Sie, bester Herr, leider unter der Ausgelassenheit eines nichtsnutzigen Schlingels —" „Ganz recht —ganz recht —". Der feindselige Blick ist geschmolzen — dankbar sieht der Kranke den Nichtsnutz an. „Gestatten Sie, mein Fräulein, dast ich jetzt den Patienten übernehme >. Ihren Quälgeist, Herr Geheim ¬ rat, habe ich bereits zur Ruhe gebracht — wenn Sie selbst sich mir nun anvertrauen, — ich bin Nervenspezialist — unter meiner persönlichen Leitung die Natur hier geniesten wollen —" „Ich hatte das Feld gewonnen. Ob der Feldzug der schönen Mädchenaugen zu Liebe unternommen war, oder zur Sühne für das, was ich angerichtet hatte, dies zu entscheiden, meine Herren, überlaste Ich ihnen. Jedenfalls fiel das nur für Natur schwärmen anders aus, als ich es mir ausgemalt hatte — vor läufig wenigstens. Die Überwachung eines nervenkranken, eigensinnigen und eigenwilligen alten Herrn war meine Erho lung geworden. Dennoch kam ich auch dabei auf meine Rechnung, zum Beispiel, wenn das Fräulein meinte: „Ich könnte ja, um Onkels willen, — der Geheimrat ist nämlich der reiche Onkel des armen Dinges — einen Kursus in der Krankenpflege absol vieren " — und ich die Sprecherin Laufhin ansah und meinte: „Zwei Seelen und ein Gedanke, Fräulein, nämlich —" usw. Jedenfalls war es meine Schuld, daß die jung« Dame jetzt heiß «rörtete. Nun und — selbst der patientenhungrichste Jünger Aeskulaps sieht rosige Wangen lieber als blasse — ich auch, mein«