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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration?- Preis 22^ Sgr. THIr.) oierteljäkrlich, Z THIr. iür daS ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. M ratur a g a z i n für die. Man pränumeriri auf diese« Literatur - Blatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. StaatS-Zeitung (FriedrichSstr. Ne. 72); in der Provinz so wie im AuSlande bei den Wohllöbl. Poss - Armier». des Auslandes. Berlin, Mittwoch den 25. März 1840 Rußland. Ein Besuch bei Alexander von Humboldt. Bon N. Mclgnnoff.") Eines Morgens erhielt ich von Herrn Bornhagen von Ense folgendes BiUet: „Da es nur sehr leiv thäte, wenn Sie in Berlin nicht auch Herrn v. Humboldt sahen, so mache ich, auf die Gefahr hin, Sic zu belästigen, den Versuch, durch das anliegende Billet Ihre schwankende Absicht zur Entscheidung zu bringen, indem ich Sic zcdoch keinesfalls zur Ausführung verpflichte. Man darf nie mals versäumen, einen so ausgezeichneten Mann zu sehen, und Ihnen besonders möchte ich von ganzer Seele diese Gelegenheit ver schaffen. Erkennen Sic wenigstens die aufrichtige Bereitwilligkeit, Ihnen angenehm zu sepn." Diesem Billette lag, wie schon erwähnt, ein anderes bei „An Herrn Baron Aleranvcr von Humboldt." Schon früher und oster hatte Herr v. Barnhagcn mich ausgefordert, dem berühmten Reisenden meine Aufwartung zu machen; ich batte mich jedoch bisher nicht dazu entschließen können, da ich einen besonderen Anspruch auf dcffen Auf merksamkeit nicht machen konnte. Einige Abende, welche ich mit Herrn v. Humboldt in Moskau verlebt hgttc, wo stets ein Hause von Neugierigen den früher nie gesehenen Gast umlagerte und er nicht wußte, nach welcher Seite hin er zuerst Rede stehen, mit wem er das Gespräch eigentlich führen sollte; ferner eine außerordentliche Sitzung in der Gesellschaft der Naturforscher, zu welcher er mit den ihn auf seiner Reise begleitenden beiden Berliner Professoren Ehren berg und Rose cingcladen war und der ich als Mitglied beiwohnte; endlich ein großes Diner, welches ihm von den Bcrehrcrn seines Namens, zu denen ich mich ebenfalls zu zählen wagte, im Sgale dcS Adligen-Klubs gegeben worden war — dics Alles konnte mir noch nicht das Reckt geben, mich ihm vorzustcllcn. Wie hätte cr mich in dein zahlreichen Hausen der Moskauer Verehrer, wenn nickt der Wissenschaft und des Genies, wenigstens doch der Berühmtheit, wohl bemerken könnens Da waren so viele Sterne, gestickte Uni formen und Ercellcnzcn: da waren, wenngleich nur in geringer An zahl, aus dem Gebiete der Wissenschaften geachtete Namen; wie hätte ich, der Unbekannte, der Laie, in Humboldt's Gedächtnis« Raum finden sollens — Barnhagcu's Billet hob jedoch meine Zweifel; ich be schloß, dasselbe zu benutzen, in der Hoffnung, daß ich jetzt cinc freund liche Aufnahme nicht bloß der gefälligen Zuvorkommenheit des Herrn von Humboldt zu verdanken haben würde. Sollte es iwthig sepn, dem Russischen Leser zu sagen, wer Alexander v. Humboldt fev s — Sein in Europa oder vielmehr in der ganzen Welt — sowohl in der neneu als m der alten — bc rühmtcr Name ist auch bei uns, und besonders seit der Zeit, wo Alexander v. Humboldt seine Reise nach Sibirien und dem Kaspischen Meere machte, noch bekannter geworden; denn diesem Umstande ver danken wir ^s, daß sogar die Zsprawniks (d. h. Kreis-Hauptleute — Landräthc) und Assessoren der entferntesten Provinzen Humbolvt's Namen erfahren haben. Bei dieser unter uns allgemein verbreiteten Kenntnis« von Humboldt's Namen und seinen Verdiensten dürfte cS aber wohl überflüssig sepn, dem Leser noch zu erzählen, daß ich cinc gewisse unwillkürliche Zaghaftigkeit empfand, als ich Barnhagcu's Billet zu Humboldt hintrng. Bis dahin batte ich Humboldt stets nur in' verschiedene» Salons, in Siner gelehrten Gesellschaft, bei einem großen Diner gesehen — Hnmboldt, den offiziellen, welcher eme «hm bekannte, durch die Umstände ibm aufcrlegtc Rolle spielte; jetzt sollte ich Humboldt, den scklichtcn 'Privatmann im Hauskleide, sehen, Humbolvt, wie er ist, und nicht, wie cr sich vicllcicht gerade zeigen muß. Jedermann wird mir aber bcipflichtcn, daß cs ein weit größeres Bedenke» hm, einem hochbcrühmte» Manne Äug' in Auge gegenüber zu stehe», als vcmsclbcn im Salon, in der Mcuschemnasse zu begegnen. Hierzu kommt noch, vaß Humboldt cinc literarische Eelebrität ist, und logar die bedeutendste. Jede andere macht weniger Anforderungen an den Geist, besonders an dessen Forni und Ge wandtheit, bei allen denen, welche sich ibr nahen. Der Gelehrte . ') Nach der Ruglichen Zeitschrift Sapi-»!.! (Valcrläu- dische Denkwürdigteiien«. Wir Haden in unserem „Magazin" so ost schon Zranzögsche und Englische Stimmen »der Deut,che wissemwafmwe und tite rarische Interessen vernommen, daß es gewu, einen willkommenen Perglei- chungSvuntt dardictek, auch einmal wahrzunehmen, wie in Rußland «der dieienigen Manner geurlheilt wird, um die wir von Franzose» und Eng ländern beneidet zu werden pflegen. D- N. oder dcr Literat begnügt sich keiucswcgcs mit dem natürlichen Ver stände bei dem, ver sich mit ihm unterhält — nein, er fordert einen gebildeten, durch Lektüre, Lebenserfahrung und Nachdenken entwickel ten Geist; außerdem aber verlangt cr, nächst dem Schwung und der Originalität der Gedanken, auch Eigenthümlichkeit und Klarheit dcS AuSoruckS. Alles dies wußte ich und konnte daher meine Schüchtern heit nicht gänzlich überwinden. AlSdann wußte ich auch, daß nächst der Schüchternheit nichts lächerlicher ist, als eine auswendig gelernte Rolle, und nichts seltsamer erscheint, ass Affectation, welcher Art sie auch scy. Da ich nun Humboldt kennen zu lernen wünschte, wie cr lst, so beschloß ich, auch mich ihm zu zeigen, wie ich wirklich bin, ohne auswendig gelernte Phrasen und Gedanken. Ich war indessen doch sehr froh, als mau mir auf meine Frage: „Ob der Herr Baron zu Hause scp?" antwortete, daß cr sich im Königl. PalaiS bcfindc. Ich ließ daher Barnhagcu's Billct nebst meiner Karte zurück und erkundigte mich, zu welcher Zeit dcr Herr Baron wohl am leichtesten zu sprechen sey. Dcr mir entgegenge- kommenc Jäger, so wic eine altc Köchin, erwicdertcn mir jedoch: „Daß der Herr Baron nur den frühen Morgen zu Hause zubringe, dann aber gewöhnlich Niemand annehmc, hieraus ausgchc und zu weilen gegen Mittag, indessen nie zu einer bestimmtcn Zeit, nach Hause zurückkchrc, eine bestimmte Empfangs-Stunde aber nicht habe, ttebrigcns", fügten die Dienstboten hinzu, „werden wir dem Herrn Daron Alles melden." Noch an demselben Tage erhielt ich von Herrn v. Humboldt eine Einladung, ihn am folgenden Tage um 8 Uhr Morgens zu be suchen. Diese mir bestimmte Zeit mag vielleicht Manchem zu früh erscheinen: man must jedoch wissen, vast Humboldt im Sommer um ä Uhr aufstcht und 8 Uhr daber für ihn schon spät am Morgen ist. Nächstdcm fangen im Sommer-Halbjahr die Vorlesungen auf dcr Berlincr Universität schon uni e> Uhr des Morgens an, so daß um Uhr sie ganze gelehrte und literarische Welt Bcrlin's längst auf den Beinen ist. Als ick abcr zur festgesetzte» Stunde zu Humbolvt kam, war er so ebc» von seinem Morgen-Spaziergange zurückgc- kehrt. Die Wohnung, welche cr innc hat, liegt hinter dem Museum in einer außerordentlich cinsamcii, stillen Straße, in welcher fast nie geritten oder gefahren wird. Schon die Wahl dieser Straße be zeichnete den Mann: indem man daraus schließen konnte, daß.Hum bolvt als Kammcrherr dem Palais des Königs und dem Schlosse des Kronprinzen nahe sepn, als Weltmann sich von dcr berühmten Straße „Unter den Linden", wo die Berliner vornehmen Leute wohnen, nicht entfernen, als Gelehrter abcr endlich in einem ein- samcn, stillen Asyl sich befinden wollte. Dcr Diener meldete mich sogleich an, und nicht lange ließ Herr v. Humboldt auf sich warten. Während dcr Diener mich anmeldetc, warf ich einen Blick um mich her. Sowohl in dein kleinen Saale oder Entrcc, als in dem Empfangs-Zimmer, welches mir geöffnet wurde, deutete nicht das Geringste auf die Wohnung eines Gelehr ten bin. Zwei oder drei Französische Bücher gelehrten Jnhälts lagen zufällig auf dem Tische; dieselben waren aber noch nicht einmal aus geschnitten und wahrscheinlich so eben erst auS dem Buchladen ge bracht worden. Im Empfangs-Zimmcr standen ein Sopha, zwei Tische und einigt Sessel ganz nach dcr klassischen Ordnung der Moskauer Gastzimmer. Nirgends war hier Anspruch aus Mode oder Prunk bemerkbar, noch weniger abcr gelehrte Unordnung. Humbolvt trat endlich ans einem Hintcrzimmer; er war im Frack, im weißen Halstuchc und wahrscheinlich bereit, an den Hos zu gehen. „Es ist mir sehr angenehm, meine Bekanntschaft mit Ihnen zu erneuern", sagte cr mir; „ich erinnere mick Ihrer sehr wohl." Er ersuchte mich hierauf, Platz zu nehmen. Da ich sah, daß er sich auf einen Sessel ziemlich entfernt vom Sopha nicderlicß, so wollte ich mich auf einen anderen Sessel neben ihn setzen, dock wiederholte cr seine Bitte, auf dem Sopha Platz zu nehmen. Da ich nur ungern darein willigte und ihm durch eine besondere Be wegung andcutcte, daß ich ihm diesen Platz zu überlassen wünschte, sagte er mir: „Ich bitte Sic, setzcn Sic sich; ich stche von hier nicht auf, vaS ist so mcinc Gewohnheit." Ich erinnere mich nun nickt mehr, wie und worüber unser Ge spräch begann, nur so viel weiß ich, daß es über eine Stunde währte, daß ich Picht so viel sprach als hörte, und daß, als ich mich meinem liebenswürdigen Wirthe empfahl, dieser mich bis in das Vorzimmer begleitete und mich dort noch wohl eine halbe Stunde stehend durch seine hinreißende Beredtsamkeit unterhielt. In dieser ganzen Zeit hatten wir von Allem, außer von den Naturwissenschaften, gesprochen,