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Wöchentlich erscheine» drei Nmmntrn. PrSnnmcrniions-Preis 22j SUdkrar. <j -kklr.) vikkteljäkrlich, Z Hd». sur das ganze Iadr, ohne ErtzSk » ng, in allen Tkeiien der Preußischen Monarchie. Magazin für die M.»i» pränumcrirt ö»us dieses ^itercuur- Bl.ut in Berlin in der Expedition der AUg. Pr. Staats ZeiuniH s^riedri^s» Straße Nr. 72); in der Propin» so wie in» Allölande dei den Wohllodl. Post - Aemtern. Litcrntur dcs Auslandes. Berlin, Mittwoch den 14. Dezember 1842. England. Zur neuesten Literatur Englands. Dritlcr Beitrag.') Das politisch-staatliche Element dcs Englischen Nationallebcns. Sie haben bereits aus der Vorlesung über das religiös-moralische und kirchliche Leben Englands gesehen, daß ich mir die Aufgabe gestellt habe, ein treues Spiegelbild des gelammten organischen Einheitslcbcns der Englischen Nation, wie cs sich seit einem halben Jahrhunderte bis heute gestaltet hat, im Fokus meiner Betrachtung zusammengefaßt, Ihnen vorzuführcn. Es ist nicht bloß die Literatur der Gegenwart Englands (denn sie ist ja nur eine Ausstrahlung, obschon vielleicht die höchste des Englischen Nationallebcns, wie jede zeitige Literatur immer der treueste Rester dcs zeitigen National lebens ist), tue wir in allen ihren Verzweigungen, ihren Einflüssen auf die Civilisation und die Kultur der Menschheit überhaupt betrachten wollen: cs ist das Englische Nationallebcn in seiner Einheit, weshalb Religion und Kirche, Politik, Wissenschaft und Kunst unter einer höheren Einheit für unü in diesen Betrachtungen zusammenfallen. Ich habe mir die Literatur zur Folie meiner Betrachtung gemacht, weil ich zunächst von ihrem Studium aus mehrere Jahre hindurch in dem Lande selbst, also an der Quelle, auf die anderen Erscheinungen dcs Englischen Na- tionallcbens meine geistigen Lichtfäden ausdchncn zu können so glücklich war. Halten Sie die lebhaftere Ausdrucksweise, mit der ich meine Betrachtungen cinlcitete, meiner gerechten Bewunderung und meinem Enthusiasmus für jenes Land zu Gute, wo ich Alles fand, was Deutschland noch vermißt; wo ich aber dennoch bei der Alles überwältigenden Betrachtung der Größe dieser Nation und dieses Landes nur den Wunsch hegen konnte, nur dann ein Engländer zu scyn, wenn ich nicht das Glück gehabt Härte, als Deutscher geboren zu werden. Fürchten Sie nicht, daß dieser Enlhusiasmuü die Ruhe und Schärfe unserer wissenschaftlichen Betrachtung beeinträchtigen wird. England, wie es begeistert, kühlt auch den historischen Forscher ab und fordert eben so mächtig den Ver stand auf, sich nicht von der Synthesis der Erscheinung blenden zu lassen, sondern einer umsichtigen Analyse Alles zu unterwerfen. Das Material ist zwar für Sic meistens neu und schon an und für sich interessant, weshalb ich Ihrer Nachsicht gewisser bin; die Engländer") aber, welche meine Vorlesungen bechren, mögen cs mit mir halten, wie wir in Deutschland mit Englischen Kritikern, welche über unsere wissenschaftlichen und schöngeistigen Werke ihre Stimmen abgcbcn. Ich kann ihnen sicherlich in materieller Beziehung nichts bieten, was ihnen neu ist, sie haben das all an der Quelle studirt; aber der Deutsche Standpunkt, von welchem aus ich die Literatur ihrer Nation be trachte, flößt ihnen gewiß einiges Interesse ein, da der zwar frenide, aber doch die Verwandtschaft der beiden Nationen erkennende Geist sowohl die ge sunden wie die krankhaften Seiten der anderen Nation ost schärfer wahrnimmt als die der einheimischen, und weil cs zugleich anziehend ist, sein Bild in einem Spiegel wieder zu erkennen. In diesem Glauben bitte ich nun auch um ihre Nachsicht und Theilnahme. Und so beginne ich denn die nachfolgen den Betrachtungen mit den Worten des cdcln Wordsworth: „I «peak ok nlmb 1 auü xvi'üt I teel >viliüu!" Wir können hier, wo wir das politisch-staatliche Element zu betrachten haben, insofern es einen intcgrirenden Theil dcö Englischen Nationallebcns bildet, nur Umrisse und Andeutungen mittheilcn, wie wir cs auch bei dem religiös-kirchlichen gethan haben. Nur die Haupt- Momente des politischen Lebens stellen wir in den Vordergrund; vieles In teressante müssen wir unbesprochen lassen, da wir keine Vorlesungen über Englische Constitution, sondern nur über die Englische Literatur angekündigt haben; aber es würde uns bei der nachfolgenden Betrachtung der Literatur ein Theil unseres Fundamentes fehlen, wollte/, wir das politisch-staatliche Element in dieser Einleitung ganz ansschlicßen. Zwei Eigenschaften zeichnen die Englische Nation vor allen anderen der Erde aus: FrcihcitSliebe und Gehorsam vor dem Gesetz, Eigen- ') Fragmente aus vr. Künzel'« Vorlesungen. Bgl. Nr. IN de« Magazin« „über da« religio« - moralische und kirchliche Element des Englischen Nationallcbens". ") sinter Anderen Mr. Halkett, jetzt curat« lu I.»nxß.imz>!uc« cüurcü am Ende der Ncgentstreet in London, der sich, wie auch mein Schüler Charle» Ironie, jetzt Student in Cambridge, wegen Le« Studium« der Deutschen Sprache und Literatur in Darmstadt aushielt. schäften, welche sich nach unseren Kontinental-Begriffen geradezu wider sprechen, sich aber im Englischen National-Charakter aufs innigste zu einer Einheit verschmolzen haben. Englische Staatsmänner und Philosophen haben sich von jeher wenig um Aufstellung theoretischer Begriffe von Freiheit und um eine Definition von Staat und Recht bekümmert. Dieses Loos der Speculation ist wiederum uns Deutschen zugefallen; was wir von Freiheit wirklich weniger als die Engländer besitzen, das nennen wir mehr ideel in Büchern und Kompendien unser. Die größten Staatsmänner in England haben in Gemeinschaft mit der Nation von jeher für die Freiheit gehandelt; nicht abstrakt bildete sich diese dort aus. Die Institutionen und Rechte, welche das Maß der drei Staatsgewalten in Eng land bestimmen, sind nicht Produkte eines plötzlich auflovcrnden Volkswillcns, sondern durch Jahrhunderte hindurch gereifte Früchte dcs StaatSlcbens, wo durch zugleich die Solidität, die Eigenthümlichkcit, das Praktische und Halt bare, mit einem Worte das nationale Gepräge der Englischen Constitution hervorgcbracht worden ist. Nicht das Werk eines Jahrhunderts ist dw Eng^ lische Freiheit, welcher die durch die Französische Revolution so anrüchig ge wordenen sogenannten Menschenrechte zu Grunde liegen. Sie ist die kostbare Frucht einer geläuterten Vernunft und einer tiefen Einsicht in die Rechte der Menschheit, durch welche die persönliche Knechtschaft, die Leibeigenschaft, am frühsten von allen Staaten Europa's in England aufgehoben und jedem Bürger und Einwohner die Vorzüge und die nothwcndigen Gerechtsame seines Standes gesichert wurden. Durch alle Jahrhunderte, seitdem die Sachsen die Freihcitsliebe des Germanischen Stammes und ihre freien Rechte und Gesetze nach England verpflanzten, zieht sich der rothe Faden der Ausbildung der Englischen Freiheit, von der Max»» Skarrn an bis zum letzten Akte der Re- formbill. Man kann also im buchstäblichen Sinne des Worts dchaupicn, daß die Rechte und Freiheiten, welche die Englische Nation genießt, nach und nach Einem Keime entwachsen sinv. Dadurch gerade wurde die Freiheit national und praktisch, daß die Anordnungen nur durch die jedesmaligen Bedürfnisse, durch den jedesmaligen Kulturzustand der ganzen Nation hervorgerufen und eingeführt wurden, daß keine fremden Einflüsse cinwirkten, daß man nicht fremde Verfassungen aus die heimische zu pfropfen suchte, wie es während der Revolution in Frankreich geschah, wo die drei Englischen Staatsgewalten der Französischen Nation aufgenöthigt wurden, eine Regicrungsform, die sich noch bis heute in Frankreich unpraktisch gezeigt hat, weil die Leidenschaften der dortigen Regierer das richtige Maß nicht einzuhaltcn wissen, wie der praktische Sinn der Engländer. Sollten nicht gerade aus der Bildungsgcschichte der Englischen Freiheit, wie sic uns von De Lolme in seiner eon^kitukion os b'.nx- lanü, von Blackstone, von Henry Hallam in seiner cnn.utirmjniml ki^wr^ ok b'.nxlaml, und von Palgrave in seinem ritt! xj«« ans groxr««« uf tl>e bmglj.Ai commonevcallk so meisterhaft geschildert worden ist, die Politiker in allen Ländern das wichtige Ariom aller praktischen Staatsweisheit sich entnehmen: daß nur diejenige Constitution das Glück der Völker wahrhaft begründe» und auch von bleibender Dauer scyn könne, welche, den Bedürfnissen des Volks entsprungen, sich nach und nach naturgemäß entwickelt hatk! Macht nicht die historische Entwickelung der Englischen Freiheit, welche doch anerkanntermaßen politisch mehr ausgebildet ist als eine, deren sich je eine Nation erfreut, alle die heutzutage so gepriesenen Lehren unserer Politiker und philosophischen Ncchtslehrer zu Schanden? Wie bestehen alle Philosophen, von Leibnitz bis Hegel und GanS, mit ihren Abstractionen von politischer Freiheit und Con- structionen vom Staat gegen Englands historisches Recht und historisch ent wickelte Freiheit! Wahrlich, ihre Philosophemc sind politische Kartenhäuser, welche der erste beste Windstoß der Wirklichkeit »mwerfen würde, während das historische Staatsgebäude Englands durch alle Läuterungsfeucr der Revolution und Jahrhunderte siegreich hindurchgcschrittcn und sich nur von den Schlacken gereinigt hat. Ein geistvoller Staatsmann macht irgendwo die Bemerkung, daß bei wahrhaft großen Völkern politische und nationale Gesinnung sich am treusten in Volksliedern abspiegle. England ist ein schlagender Beweis für die Wahr heit dieser Behauptung. Die Englische Nation besitzt eigentlich nur zwei Volkslieder, in welchen gerade jene beiden entgegengesetzten Gesinnungen der Nation, Freihcitsliebe und Gehorsam vor dem Gesetze und der Monarchie ver herrlicht werden, die als der treuste Ausdruck des nationalen Gefühls betrachtet werden müssen. Das erste dieser Lieder gilt der Freiheit und ist das be rühmte „liule llriemuü«", worin sich nicht das Gejauchze einer bloß von Frei heit und Kampfgier berauschten Nation, wie in der I>l»r«eiIIsi«e, kuudgiebt, sondern das ruhige, aber stolze Gefühl, welches den Menschen adelt: „Briten werden nicnuD Knechte!" (kricons never «Kall Ke slaves!). Dieses Lied