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Erscheint wöchentlich zwei Mal und zwar Mittwoch und Sonn abend. — Der Abonnementspreis beträgt vierteljährlich 1 Mark prwnumsranclo. AllMM Inserate werden bis spätestens Mittags des vorhergehenden Tages des Erscheinens erbeten und die Corpusspaltenzeile.mit 10 Pf. berechnet. für Zwönitz und Umnegcnd. Nedacteur und Verleger: C. Bernhard Ott in Zwönitz. 6. Mittwoch, dkl! 7. Juni 1876. 1. Jahrg. Alle Postanftalten des deutsche» Reiches nehme» Bestellungen ans den Anzeiger für Zwönitz und Umgegend an. Bekanntmachung. Die hiesige Rathskellerwirthschnft soll auf 6 hintereinander folgende Jahre, vom 1. Juli d. I. ab, auf dem Wege des Meist- gebvtes, jedoch mit Vorbehalt der Auswahl unter den Licitanten, anderweit verpachtet werden. Zum Bietungstermin ist der 14. Juni l. I. anberaumt worden. Pachtlustige werden daher eingeladen an diesem Tage Vormittags 11 Uhr an hiesiger Nathsstells sich einzufinden nnd ihre Gebote zu eröffne». Die Pachtbedingungen liegen an Rathsstelle zur Einsichtnahme bereit und können gegen Erstattung der Schreiblöhne abschriftlich erlangt werden. Zwönitz, am 2. Juni 1876. Der Stadtgemeinderat h. Schönherr. modernen Oontrut oooial hat auch das Theater Ferien, die Kritik hat Ferien, die Gerichte haben Ferien, die Aerzte und Prediger machen sich Ferien, Gesandte und Minister haben Ferien, die ganze Weltgeschichte — hat Ferien. Was aber heißt Ferien? Die wörtliche Übersetzung von „Ferien" ist: ein Bad besuchen, oder — zwei oder mehrere Bäder. So übersetzt das Wort der Engländer und der Nüsse, der Franzose und — der Deutsche. Der balneologischen Völkerwanderung gehen mancherlei charak teristische Symptome voraus. Um zu reisen, braucht man Geld, und der Iiorvus rosrum liegt oft so versteckt, daß er erst durch die nöthigen Instrumente bloßzulegen ist. Darum werden von allen Seiten Staatspapiere, Eisenbahnaktien, Banknoten sür's Bad ver breitet, d.h. flüssig gemacht, und an den Börsen drückt sich der Cours, weil wir — uns drücken. Die Papiere verändern nur ihren Aggragatzustand. Sie werden erst zu Geld und dann im Wasser — zu Wasser gemacht. Viele benutzen die Pumpwerke, ehe sie in's Wasser gehen; Nadeln, Uhren, Brillanten, Gold und Silber werden wie Pflanzen versetzt, an einen Ort, wo ihnen eine Num mer aufgepfropft wird, und ihre rechtlichen Besitzer haben nach ihrer Rückkehr nur ein kleines Pfropfengeld zu zahlen, um die exotisch gewordenen Pflanzen wieder auf den heimischen Boden zurückzubringen. Wer irgend Anspruch darauf macht, zur sashionablen Welt zu gehören, der mich in's Bad. Denn für die moderne Weltanschauung zerfällt das Jahr nicht in Jahreszeiten, sondern in Saisons. Es giebt eine Theatersaison, eine Concertsaison, eine Ballsaison eine Carneval-, eine Jagd- und Badesaison und was jede Saison für Gesetze vorschreibt, denen muß der bommo cka monde sich noth- wendig unterwerfen. Ja, wer nur eine Seele sein nennt und drei hundert Mark oder einen Hundertthalerschein, und wäre es selbst einer von der Meininger Bank, er muß seine wasserdichten Sieben meilenstiefeln anziehen und in's Wasser gehen. Es ist dies auch in der Ordnung. Die abgelaufenen Räder der Maschine müssen wieder einmal geschmiert, die welk gewordenen Bäume begossen, das staubig gewordene Temparament frisch aufgespritzt, die unreinen Bedenken gewaschen und das versandete Schiff der Lebenslust im Bade- und Brunnenwasser wieder flott gemacht werden. So will es die Diä tetik des neunzehnten Jahrhunderts, das -- seine große Majo rität hinter sich hat. Wohin aber? das ist eine höchst kritische Frage. Von allen Bädern, die ihren Beruf erkennen, ergeht der Hülferuf an alle Leiden, die von Hypokrates von der Insel Kos, geb. 456 ror Chr. bis gegenwärtig zum Barbier Zell aus Aue, dem armen Menschen geschlecht als Erbtheil der Erbsünde zuzufallen. Wie es Mädchen für Alles, Schirme für Alles giebt, so giebt es auch Ln tout oas von Bädern, die auf das Verdienst eifersüchtig sind, den Menschen die verlorene Gesundheit wieder zu geben. Die schmeichelndsten süßesten Reden brechen sich Bahn zu Brust und Unterleib, die heiligsten Ver sicherungen und Zusicherungen appelliren an den deutschen Magen; die Quellen der Hoffnung halten Zwiesprache mit der habituellen Badekuren. Eine Schwalbe macht keinen Sommer, der Kalender auch nicht. Aber wenn der Mai und dieses Jahr der Juni seine Visiten karte abgegeben, mit den vom Potsdamer Verein bis jetzt noch nicht angegriffenen Fremdwörtern „p. x. o."; wenn die Tage immer länger; die Kleider immer kürzer werden, wenn Pankratius u. Comp., mit Zurücklassung diverser Schnupfen und Hexenschüsse, sich auf die Socken gemacht; wenn an der Börse des Fensters der Cours des Quecksilbers immer höher steigt, von 10 auf 15, von 15 auf 20, als ob eine Quecksilber-Contremine und ein Fixar-Regen gar nicht existirten, wenn die Vossische laut und vernehmlich es ausposaunt, daß die Perser das Pulver erfunden, — für Alles was kriecht, von Stuttgart bis Paris und von Petersburg nach Frankfurt; dann ist es Zeit, an die Existenz des Sommers zu glauben. Fürwahr, Sokrates war ein weiser Mann, nicht weil er mit Würde (wie alle Xan-Tippvgraphen versichern) sein Kreuz, nicht weil er mit Ergebung die Schläge des Schicksals, sondern weil er — kein Hemde getragen. Uns, die wir von der Sokratischen Geschichte nichts wissen wollen, uns hält dafür der Kalender eine ganz gehörige Straf predigt. „Im Schweiße Eures Angesichts sollt Ihr Euer Brod essen; Ihr sollt von Euch abthun allen Ueberfluß an Nachtjacken und Chignons, und kein Deutscher resp. Berliner wird ein solches Schaf sein, jetzt noch Wolle auf dem Leibe zu haben. Seht, die Sommersaison ist in ihrer Blüthe; An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen, die Blüthe nämlich, aber auch an den Staubfäden, die die Luft erfüllen. Wisset, Staub ist Alles um Euch her, und wehe Euch, wenn Ihr Euch nichts aus dem Staube macht, aber wohl Euch, wenn Ihr Euch rechtzeitig oder recht z eitig aus dem Staube macht, wenn Ihr geht den Weg alles Fleisches —nach den Bädern." Die Wirkung einer solchen Predigt bleibt nicht aus, wie kurz sie auch ist. Der Mann muß hinaus in's Badeleben, die Frau aber auch. Eine Badereise ist kein Luxusartikel mehr, seitdem der Luxus selbst eine Nothwendigkeit geworden. Der Luxus treibt in die Bäder, weil die Bäder Luxus treiben. Baden ist ein Natur gesetz. Trotz aller Wuchergesetze schießen alljährlich neue Bäder wie Pilze aus der Erde, um der Trockenheit des Sommerlebens die Spitze abzubrechen. Was ist einfacher, als die Logik, die sich sagt: Die Bäder sind nicht umsonst da, und mit dieser schlagenden Lo gik geht ein allgemeines Jucken durch die große gute Haut des skrophulosen Menschengeschlechts. O, daß sie ewig grünend bliebe, die schöne Zeit der — sauren Gurken. Ja, es ist eine schöne Zeit, die saure Gurken zeit, oder, wie der Italiener sagt, das ckolcw tar ui «uw, oder, wie der selige Bundestag sagte, die Ferien. Der Sommer wäre wahr haftig nicht halb so schön, wenn es keine Ferien gäbe. Es war eine Zeit, wo nur die Schulkinder und der Bundestag Ferien hatten. Das ist nunmehr ein überwundener Standpunkt. Ferien sind kein Monopol mehr. Wir dürfen Alle Kinder oder Bundes tag sein. Nach einem stillschweigenden Uebereinkommen, nach dem