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Zweites Blatt. WenM ßr Msdmff ThmM DD, Menlchn md die UMMden. Imtsölütt für die Agl. Amtshauptmannschaft Meißen, für das Agl. Tlrntsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff, sowie für das Agl. Forstrentamt zu Tharandt. Erscheint wöchentlich dreimal und zwar Dienstags, Donnerstags und Sonnabends. — Bezugspreis vierteljährlich 1 Mk. 30 Pf., durch die Post bezogen 1 M. 55 Pf. Jnferate werden Montags, Mittwochs und Freitags bis spätestens Mittags-12 Uhr angenommen. — Jnsertionspreis 10 Pfg. pro dreigespaltene Corpuszeile. Druck und Verlag von Martin Berger in Firma A. S Berner in Wilsdruff. — N->-nntw>-»tlich für die Redaktion H A. Berger daselkff No. 29 LonnabenS, den 7. März 188«. Zum Sonntage Oenli. 1. Samuelis 2, V. 30. Wer mich ehret, den will ich auch ehren; wer mich aber ver achtet, der soll wieder verachtet werden. Ein Gotteswort in tiefem Ernste an Eli, den Hohenpriester. Er ehrte seine Söhne mehr, al« seinen Gott, und Gott kündigte ihm den Untergang seines Hauses an. Denn der Allmächtige, ob Er wohl die Langmut selbst ist, läßt Sich nicht spotten. Elias Söhne fielen in der Schlacht auf einen Tag, und Eli fiel bei Empfang der Trauerkundc vom Richtcrstuhle und brach den Hals. .Mit Feuer wird gesalzen, was milde Zucht verschmäht, Und was den Tau verachtet, mit Flammen übersät." DaS gilt nicht nur für die Zustände und Zeiten des Alten Bundes, sondern genau so für unsere hochmoderne Zeit. Denn Golt der HErr ändert wohl die Zeiten und wandelt die Ver- hältnisse, aber Er selbst wandelt und ändert sich nicht. Wer Ihn verachtet, sich über Seine Gebote hinweg setzt, womöglich mit frecher Stirn Seine Existenz ableugnet, der verfällt nach einer langen Periode göttlicher Geduld unfehlbar, rettungslos dem göttlichen Gerichte. Die Zeitgcfchichte, unseres und des vorigen Jahrhunderts bietet der Beispiele genug: wo sind die Bourbonen, die Napoleonidcn? Gerichtet. Aber auch die Familiengeschichte so Manches und bekannten Haufes giebt erschütternde Epempel. Ich habe schon an manchem Grabsteine gestanden, auf den Gottes Hand geschrieben hatte: Wer mich verachtet, der soll wieder verachtet werden. Gut nur, daß mit der göttlichen Gerechtigkeit immer die göttliche Gnade zusammengcbunven ist! Selbst in der Ankündig ung des Gerichts leuchtet ein Gnodenstrahl: „Wer mich ehret, den will ich auch ehren. In der Sprache des Neuen Bundes übersetzt, he ßt das: Wer den Sohn ehret, wer ein Jünger Jesu Christi ist, der ist auch ein Liebling Gottes und bleibt unver sehrt vom Gerichte. Es kann den Kindern Gottes auf Erden äußerlich sehr kümmerlich gehen, es mögen oft wenige Röslein auf ihrem Wege wachsen, aber von den Gerichten Gottes ver bleiben sie allemal verschont. „Gott führt auf wunderliche Weise, Doch führt Er Seine Kinder gut." WaS das obige Gotteswort will? Dich zu aufrichtiger Frömmigkeit mahnen! Jeden Abend Gott danken, Gott ab- bitten und vertrauensvoll Leib und Seele in Gottes Hände geben, in Wort und Wandel deinem Heiland dich Nacharbeiten, jetzt in der Leidenszeit täglich unter Jesu Kreuz dich stellen — dazu >aß es dir gesegnet sein! Aus dem dnuklen Paris. Kriminalistische Skizzen von Paul Lindenberg. (Nachdruck verboten ) VII. Aus der Welt der Hochstapler. Der Hochstapler unterscheidet sich in vielen Beziehungen wesentlich vom Gauner, obgleich er in anderer Hinsicht völlig mit ihm übcreinstimmt; beide wollen auf bequeme und meist ""gefährliche Weise ihren lieben Mitmenschen die Taschen leeren; während es hierbei aber dem Gauner mehr auf einen „Gelegen- Heits-Coup" ankommt und er sich unter Umständen auch mit einem kleineren Fang begnügt, sucht der Hochstapler seine Netze im Großen auszuwerfen und seine Opfer nach allen Regeln seiner Kunst auszupressen, bis er ihnen, wenn irgend möglich, auch den letzten Rest ihres Vermögens abgrschwindelt hat. Auch für diese Hochstapler ist der Pariser Boden der er giebigste, der sich denken läßt. Paris ist die Stadt des Leicht sinns und der Lebenslust, hier strömen die reichen und wohl habenden Leute der ganzen Welt zusammen, hier wirbelt Alles in buntem Treiben durcheinander, auf der einen Seite die un glaublichste Verschwendungssucht, ein wahres Spielen mit Millionen, auf der anderen der heiße Drang zu Reichthum, zu Macht, zu Ansehen zu gelangen. Das ist ein prächtiges Feld für allerhand Hochstapeleien der verwegensten Art, und auch hier zeigt sich wieder, daß nichts toll und phantastisch genug ist — es findet doch seine Gläubigen und mit diesen der Hoch stapler seine Schafe, die er gehörig sichreren kann. Vor Jahr und Tag war eö, ein französischer Kollege und ich saßen nach dem Theater im Cafä Americain, es war schon spät Abends, trotzdem waren fast sämmtliche Plätze der einen Tbeil des Bürgersteige» einnehmenden Terrasse des CafsS be setzt, und das allgemeine Stimmengewirr, das Klappern der Gläser, die noch einmal die Bestellungen wiederholenden lauten Rufe der Kellner, der Lärm der Straße machten selbst in kleinem Kreise die Unterhaltung schwierig und lenkten die Aufmerksam keit nur auf die nächstliegenden Gegenstände. Trotzdem fiel es uns auf, wie sich jetzt aus der vorübelwogenden Menschenmenge zwei Herren loslösten, von denen der eine lebhaft ausrief: „Das ist er!" und zugleich mit der Hand auf einen neben uns sitzenden Herrn wies, der, von vollendetem aristokratischen Aussehen, die Rosette der Ehrenlegion im Knopfloch, die blauen Wölkchen seiner Havanna nachlässig vor sich hin Llies, während seine großen, schwarzen, von seltenem Feuer belebten Äugen achtlos über das bunte Gewühl um und vor ihm schweiften. Er mußte, wie wir, den ihm geltenden Ausruf vernommen haben, aber er kümmerte sich nicht im Geringsten darum, sondern griff nach der auf seinem Tische liegenden letzten Nummer des „Temps" und blickte verwundert empor, als jetzt die beiden Herren zu ihm herantraten und der Eine von ihnen, jener, den sein Begleiter auf ihn aufmerksam gemacht, ihm einige Worte zuflüsterte. Dieselben waren uns im Gelärm verloren gegangen, jetzt aber hörten wir nur, wie der sich weder von seinem Stuhle erhebende, noch die Zeitung aus der Hand legende Herr unwillig erwiderte: „Ich wiederhole Ihnen, mein Herr, es muß ein Mißverständniß vorliegen, ich habe nicht die Ehre, weder Sie, noch jenen Herrn zu kennen, und ich muß Sie dringend bitten, mich hier in Frieden zu lassen." — „Nein, nein, ich irre mich nicht," versetzte Jener von Beiden, welcher zuerst den Ausruf gethan, „ich schwöre, daß eö derselbe Herr ist, welcher „Mein Herr, ich bin der Marquis de Berry, hier meme Karte und Wohnung," und unser Nachbar zog ein mit einer goldenen Grafenkrone und einem großen Monogramm geschmücktes, elegantes Saffiantäschchen hervor und entnahm ihm eine Visitenkarte, „ich bitte auch um Ihren Namen, damit ich Sie zur Rechenschaft ziehen kann!" —„Nur ruhig Blut, mein werther Meunier, machen Sie keine Szene und folgen Sie mir sofort," sversetzte jetzt ironisch der dritte Herr, dem Marquis leicht die Hand auf die Schulter legend. „Sie wissen, wer ich bin, und es liegt nur in Ihrem Interesse, keinerlei Aufsehen zu erregen. Also, wenn ich bitten darf," — uud er machte eine zur Straße führende Bewegung. Der Marquis murmelte einige Worte vor fich hin, warf ein Geld stück auf den Tisch, erhob sich langsam und schloß sich mit den Worten: „Die Folgen werden Sie zu tragen haben, mein Herr!" den beiden Voranschreitenden an, die mit ihm einen Wagen bestiegen, der schnell im Straßengewühl verschwand. Mein Freund, ein bekannter jüngerer französischer Jour nalist, lachte herzlich auf: „Er ist zu köstlich, dieser Marquis de Berry, alias Vicomte Chamane, alias Baron de Terrier, alias Oberst Roger de Clairmont, ureigentlich Meunier, auf gut deutsch Müller!" „Sie kennen ihn?" „Natürlich, ich bin sogar persönlich mit ihm in Berührung gekommen; ich hatte seiner in unserem Blatt gedacht, nicht ge rade in besonders lobender Weise, und er schickte mir seine Zeugen, zwei ganz honette Menschen, denen wir erst die Augen öffnen mußten, worauf sie beschämt abzogen; auch sie waren von ihm dupirt worden!" „Von diesem Marquis de Berry?" „Nun ja, wenn Sie ihn durchaus so nennen wollen — der abgefeimteste, durchtriebendste Gauner und Schwindler, den man sich denken kann!" „Was, dieser Gentleman durch urd durch — ec ein Gauner, ein Schwindler?" „Und der Gewiegtesten einer, was in Paris viel sagen will! Ich wußte übrigens garnicht, daß er schon wieder frei war, er hatte erst kürzlich eine Zuchthausstrafe zu verbüßen. Weiß der Himmel, was er von Neuem ausgeheckt hat, der zweite Herr schien das jüngste Opfer von ihm gewesen zu sein, er war auf der Suche nach ihm mit dem ihn begleitenden Polizcikommiffar und wurde hier im Boulevardtrubel seiner hab haft. Hoffentlich behält man ihn für einige Zeit in sicherer Zelle, denn sobald er die Gefängnißmauern hinter sich hat, gaunert er doch von Neuem und stiftet nur Unheil an; wie viele brave Menschen hat er schon elend für immer gemacht, und an den Bettelstab gebracht! Das letzte Mal umgarnte er einen Kasstrer und preßte ihm nicht nur sein sauer ersparte» Vermögen ab, sondern veranlaßte ihn auch zu beträchtlichen Unterschleifen — vorher hatte er sogar eine Aktiengesellschaft gegründet, natürlich auf Humbug, und dabei eine Reihe nam hafter Bankiers tüchtig gerupft!" „B.tte, erzählen Sie doch!" „Dieser sogenannte Marquis de Berry, der, wie ich schon erwähnte, eigentlich M-unier heißt und früher, wenn ich nicht irre, Kellner war, übrigens geläufig mehrere Sprachen spricht und sich der tadellosesten äußeren Manieren befleißigt, ist so recht das Beispiel dafür, daß in einer Millionenstadt, nament lich wenn sie einen derartig internationalen Charakter aufweist, wie Paris, eben Alles möglich ist, daß, wenn es nur mit dem nöthigen Chic »orgebracht wird, selbst das Verrückteste nicht auf Mißtrauen stößt und je fremdartiger, je ungewöhnlicher es sich präsentirt, desto mehr Dumme anlockt! Hatte doch dieser „Marquis" eine Aktiengesellschaft gebildet auf Grund der Mit- theilung, daß er für dreihundert Millionen Franken von der türkischen Regierung die Insel Rhodos gekauft habe und sie nun, natürlich mit gehörigem Profit, an Frankreich, England, Deutschland oder die Vereinigten Staaten verkaufen wolle; er zeigte allerlei gefälschte Depeschen und Schriftstücke vor, fand auch die verschiedentlichsten Gläubigen, darunter namhafte Per sönlichkeiten, die zu einem Komitee zusammentraten und dem Marquis bedeutende Geldsummen zu den nöthigen „politischen" Unterhandlungen vorstreckten. Damit war sein Ziel erreicht und — er verschwand von Paris, lebte und schwindelte irgend wo in Italien oder in der Schweiz, um dann, nachdem die Sache etwas IN Vergessenheit gerathen, ruhig wieder nach dem Seinestrandc zurückzukehrm. Da cs ihm das erste Mal mit der Türkei so gut geglückt, versuchte er cs nochmals mit dem selben Lockspiegel; er hatte den Kasstrer eines großen Bank hauses kennen gelernt, dem er erzählte, daß er vom Sultan die sämmilichen Zölle, Abgaben, Steuern rc. Armenien» ge pachtet hätte, er suche nur nach tüchtigen europäischen Kräften zur Verwaltung des Landes und Regelung der Abgaben, und verspreche ihm, seinem Freunde, einen guten Posten mit einem jährlichen Einkommen von 50,000 Franken! Allerdings müßte er noch zuvor einiges Kaares Geld erhalten, seine Kaffen wären durch die Pachtsumme erschöpft und die hohen türkischen Be amten müßten noch ihyen Bakschisch bekommen; das ganze Ge schäft wäre übrigens ein glänzendes und würfe jährlich einen Reingewinn von 20—30 Millionen Franken ab. Dem guten Kasstrer schwindelte bei diesen Aussichten, er gab willig sein ganze« Vermögen her und griff dann — da es sich stets nur um kurze Zeit handeln sollte und das Geld in andern Banken sicher hinterlegt würde! — die Kaffen seines Bankhauses an; in wenigen Monaten, während derer der „Marquis" fürstlich lebte — er hielt sich Equipage und Dienerschaft, richtete sich in einem Vororte von Paris eine herrliche Villa ein, frühstückte nie unter 30 und dinirte nie unter 60 Franken, gab in acht Lagen in Trouville 20,000 Franken aus und veranstaltete die schwelgerischsten Gastmahlc — schwindelte er dem arglosen Kasstrer 300,000 Franken ab, bis die Unterschlagungen entdeckt wurden, und der Eine in das Gefängniß, der Andere in das Zuchthaus wanderte. Das Lebensglück des vertrauensseligen Kaufmanns ist für immer vernichtet, unser „Marquis" schwimmt, wie Eie sehen, wieder obenauf, wer weiß, unter welchen Titeln und Verkleidungen wir ihm noch einmal begegnen." — Man geht nicht fehl, wenn man annimmt, daß jährlich allein in Paris an 20 Millionen Franken nur durch Hoch stapeleien „erworben" werden, und daß kein Stand, keine Ge. sellschaftskaffe davon verschont bleibt, daß ferner die Masken hundertfältige sind, um den Zweck zu erreichen, und jeder Ort gut genug ist, um den Hintergrund für den Betrug abzugcbcn. Als im letzten November der Abbä de Besonies, Vikar der Kirche Notre Dame des Victories, eines Tages die Sakristei verlassen wollte, wurde ihm die Prinzessin UdLlaide de la Tour d'Auvergne gemeldet, die ihn in einer Angelegenheit sprechen wollte und die ihm, nachdem er sie vorgelaffen, eine rührende Geschichte erzählte, daß sie sich von einem Wucherer hätte 5000 Francen leihen müssen, der sie nun schändlich bedrücke und bedränge: „Retten Sie mich, Monsieur Abb^, strecken Eie mir diese Summe vor!" Das war der Schmerzensruf der elegant kostümwten vornehmen Dame. Der Abbä war gerührt, ergriffen, für die Unglückliche eingenommen, er tröstete sie, ver sprach Hilfe und gewährte sie sogar gleich, als die arme, so grausam Verfolgte allerlei Papiere herauskramte, aus denen hervorging, daß sie die Tochter des in Algier verstorbenen Prinzen de la Tour d'Auvergne wäre und binnen Kurzem die Erbschaft desselben antreten könne. Unter tausend Danksagungen entfernte sich die unglückliche Adäloide, und der edle Priester war stolz, .daß er ein gutes Werk gethan — bis ibm ein Amtsbruder, dem er unter dem Siegel der Verschwiegenheit sein kleines, romanhaftes Erlebniß mitgetheilt, die Augen öffnete, denn der unterstützungsbereite Abbä war von einer berüchtigten Gaunerin, einer einstigen Wäscherin, geprellt worden, die man bald darauf verhaftete, bei der man jedoch keinen Sou mehr von dem erschwindelten Gelbe vorfand. (Forts, folgt.)