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Nr. 10. XXXIII. Jahrgang. LEIPZIGER Leipzig, 15. Oktober 1918. JKonatschrift für Mil-l^ustrie Illustrierte Fachzeitschrift für die Woll-, Baumwoll-, Seiden*, Leinen-, Hanf- und Jute-Industrie sowie für den Textil-Maschmenbau; Spinnerei, Weberei, Wirkerei, Stickerei, Färberei, Druckerei, Bleicherei und Appretur. L El 1 ’/ IO**' °Bron*mestr. V erlag: | Herausgegeben von Theodor Martins Textilverlag in Leipzig. | Telegramm-Adresse: Textilschrift Leipzig. Organ der Sächsischen Organ der Vereinigung Organ der Norddeutschen Textil-Berufsgenossenschaft. Sächsischer Spinnerei-Besitzer. Textil-Berufsgenossenschaft. Jährlich 16 Hefte (einschließl. 4 Sondernummern). Bezugspreis bei den Post ämtern und Buchhandlungen pro Halbjahr (einschl. 2 Beiblättern): für Deutsch land und Österreich-Ungarn 8 •//, für alle übrigen Länder 12,50 Jt. Bei di rekter Zusendung unter Streifband erhöht sich der Preis um die Portospesen. Anzeigenpreise: ’/, Seite 150 Seite 75 A */, Seite 50 Jf, ’/ t Seite 40 Jt, Seite 30 Jl, *| 8 Seite 22,50 Jt, 1 /, 2 Seite 15 1 ie Seite 12 Jt. Bei Jahres ¬ aufträgen (16 Einschaltungen) werden 20°/., Rabatt gewährt. Nachdruck, soweit nicht untersagt, nur mit genauer Quellenangabe gestattet. Adresse für sämtliche Zuschriften und Geldsendungen: Lsipzitjer MOHdtSClirift für Textil-IndUStrle, Leipzig. BfOIliniestr. 9. Wirtschaftsfragen der Textilindustrie. Von Dr.-fng. W. Frenzei. (Schluß.) ■ [Nachdruck verboten.] Wir haben im Kriege mit den im Lande erzeugten Rohstoffen, mit beschränkten Vorräten zu wirtschaften gelernt. Mehr und mehr nähern wir uns einem „geschlossenen Handelsstaat“, wie ihn Fichte schon vor mehr als 100 Jahren in seinem philosophischen Entwurf zeichnete. Wenn wir diese Darstellung auch als idealisierten Grenz begriff auffassen, der aus den bereits angeführten Gründen von der Wirklichkeit weit entfernt bleibt, so erkennen wir doch mit Er staunen, wie beute Maßnahmen und Einrichtungen getroffen werden, welche sich mit den von Fichte aufgestellten idealen Zielen decken. Fichte forderte einen in sich geschlossenen Handelsstaat, welcher von allem Handel mit dem Auslande abgetrennt ist; er verlangt, daß jedes Produkt, dessen vorteilhafter Anbau, jede Tierart, deren Erziehung im Lande wahrscheinlich ist, hereingezogen werden möge. Die Regierung solle keinen Versuch mit ihnen, sowie mit der Ver edelung der alten einheimischen Produkte, selbst im Großen, un angestellt lassen. Fast jedes Klima habe für jedes ausländische Produkt seine eigenen Stellvertreter, nur daß der erste Anbau die Mühe nicht lohnt. Alles, was im Lande gebraucht und verkauft wird, soll im Lande erbaut und gearbeitet sein. Es sollen erst alle bequem und warm gekleidet sein, ehe einer sich prächtig kleidet. In einer Anmerkung erwähnt Fichte auch die Baumwoller zeugnisse als schwer entbehrliche Produkte und weist auf die Mög lichkeit hin, gewisse Pflanzen unseres Klimas durch Kultur so zu veredeln, daß sie eine wohl ebensofeine Wolle geben. Wie auch die Getreidearten ursprünglich Gras waren, so müßten auch die wollreichen Gräser solcher Veredelung fähig sein, wenn ausgedehnte Kultur-Versuche, Zeit und Mühe nicht gescheut würden. Vielleicht hätten wir heute Faserpflanzenkulturen, Wollgrasfelder, wenn wir vor 100 Jahren auf Fichtes Vorschlag eingegangen wären. Das Gegenteil trat ein. Infolge der bequemen Einfuhr von amerika nischer Baumwolle, Auslandswolle, Seide, Jute usw. gingen auch die Anbauflächen für unsere Faserstoff liefernden Pflanzen Flachs, Nessel und Hanf und die Pflege der Schafzucht zurück. Auch das Anwachsen der Bevölkerungsdichte, die Einführung des Zuckerrüben baues und die schwierigere Aufbereitung, ungenügender Zollschutz und Gewöhnung trugen zum Zurückgehen dieser Kulturen bei. Heute schöpft Deutschland nur wenig Textilrohstoffe aus dem eigenen Lande. Für den Anbau von Baumwolle und Jute fehlen die klimatischen Voraussetzungen. Tobler*) weist gegenüber der Baumwollzufuhr von Amerika und Indien auf die Möglichkeit des Rückgreifens auf die vorläufig geringwertige und in ihren Be dingungen meist überschätzte Baumwolle der Levante, Persiens und angrenzender Teile Russlands bei Förderung ihres Anbaues und Vor aussetzung einer wirtschaftlichen Verständigung mit Russland hin. Für Jute werden wir auch weiterhin die Ersatzstoffe Papier-, Zell stoffgarn, „Stranfa“ (Strohfaser) usw. beibehalten. Ein Anbau in erreichbaren Gebieten ist aussichtslos. Erst durch die kurz vor und später in verschärftem Maße im Kriege eingetretenen Rohstoffschwierigkeiten setzten Bestrebungen *) Tobler, Textilersatzstoffe 1917. ein, welche für den Wiederanbau und die Pflege der heimischen Gespinstpflanzen Flachs, Hanf, Nessel, der Wolle, Seide usw. und für Schaffung von Textil-Ersatzstoffen eintraten. Bezeichnend ist, daß in Amerika z. B. Flachs nur zum Zwecke der Leinölgewinnung angebaut wird; eine Leinengarn-Industrie hat sich dort gar nicht entwickelt. Flachs ist jahrhundertelang in Deutschland in großem Maß stabe angebaut worden. 1878 gab es noch rund 135000 ha Flachs, 1910 nur noch 10 bis 20000 ha.*) Vor dem Kriege waren Russ land und Österreich unsere Hauptlieferanten. Rund 75 Millionen Mark gingen jährlich für Flachs ins Ausland. Unser Klima ist nach Ansicht von Sachverständigen geeignet, den Flachsbau bei entsprechender Anbauweise, verbesserten Aufbereitungsverfahren und unter angemessenem Schutze gegen Auslandserzeugnisse erfolg reich zu betreiben. Die deutsche Flachsbau-Gesellschaft hat sich zur Wiederbelebung des Flachsbaues in Deutschland aufgetan. Auch wegen der Gewinnung wertvoller Futtermittel, Leinsaat und Spreu ist der vermehrte Flachsanbau wirtschaftlich von Bedeutung. Mit der Flachskultur ist zugleich die Gewinnung des ölreichen Samens zu verbinden, welcher auf dem Wege der Öl- und Seifengewinnung schließlich der Textilindustrie zugeführt wird. Bis zur Einführung der Baumwolle und Jute war neben Flachs der Hanf die wichtigste Faserpflanze in Deutschland. Später be zogen wir ihn in der Hauptsache ans Russland, Italien und zum kleineren Teile aus Österreich für rund 45 Millionen Mark jährlich. 1878 betrug die Anbaufläche noch rund 21200 ha, 1900 nur 3500 ha. Die Wiederaufnahme des Hanfbaues ist durch die Bildung der deutschen Hanfbau-Gesellschaft gesichert, welcher besondere Er fahrungen im Anbau und im Rösten zur Verfügung stehen. Wie beim Flachs ist auch der Hanfsamen für die Ölgewinnnng von Wert. Die Nesselfaser dürfte mit ihrer weichen, im gebleichten Zu stande rein weißen Faser als Baumwollersatz in Betracht kommen. Eine Neuheit ist die Nesselfaser nicht. Die Kunst des Nessel spinnens war im Mittelalter bekannt, Nesselzwirn und -Garn wurden im 18. Jahrhundert in Leipzig hergestellt. In den letzten beiden Jahren wurde die jetzt geschätzte Faserpflanze gesammelt. Von den Aufschliesungsverfahren ist dasjenige von F. Pick und O. Richter (Wien) als aussichtsreich in den letzten Jahren am meisten besprochen worden. Das Stengelholz wird der Papierfabrikation zugeführt, die Blätter werden als Viehfutter verwertet. Zur quantitativen Ver drängung der Baumwolle sind aber auch hier Veredelungsversuche und Anlagen von Großkulturen nötig. Seide ist seit einem Jahrhundert nicht mehr in Deutschland gebaut worden. Bekannt sind die Pläne Friedrichs des Großen, der die Zucht der Seidenraupe in der Mark einführen wollte. Die Versuche schlugen trotz großer Aufwendungen fehl; heute sind wir auf den Bezug von auswärtigen Märkten angewiesen. Die Einfuhr, meist aus Italien, China und Japan, betrug 1913 rund 4 Millionen kg *) E. Müller, Vorlesungen über Textil-Industrie an der Techn. Hoch ¬ schule zu Dresden.