Volltext Seite (XML)
Robert Schumann selbst nannte seine Dresdner Jahre von 1844 bis 1850 seine „fruchtbarste" Zeit. Nahezu ein Drittel seines gesamten Werkes entstand hier. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß Schumann vom Dresdner Bürgertum und einem Kreis von bildenden Künstlern, Schriftstellern und Thea terleuten hohe Achtung entgegengebracht wurde. Hinzu kam sicherlich die wohltuende Wirkung der Barockbauten und reizvollen Um gebung auf das Befinden des Komponisten. Nachdem Schumann 1848 die Musik zu By rons dramatischem Gedicht „Manfred" been den konnte, widmete er sich 1849 hauptsäch lich der Kammermusik und Klavierkompositio nen. Neben den „Waldszenen" op. 82, den „Bunten Blättern" op. 99, den „Bildern aus dem Osten" op. 66 und den „Zwölf Klavier stücken für große und kleine Kinder" op. 85 entstand auch das Konzertstück für Klavier und Orchester „Intro duktion und Allegro appassio- nato “ G-Dur op. 9 2. Dieses Werk, das vom a-Moll-Klavierkonzert leider etwas in den Hintergrund gedrängt wurde und viel zu selten im Konzertsaal er klingt, besticht durch seine ausgewogene Be handlung von Solo und Tutti, durch ein phan tasiereiches und reizvolles gemeinschaftliches Konzertieren. Zu Beginn der Introduktion übernimmt die Klarinette mit einer innigen Melodie die Führung. Wogende Arppeggien des Klaviers umspielen und begleiten auch das sich anschließende, vom Horn getragene Thema. Beide Motive treten abwechselnd in den Vordergrund, werden von Flöten, Oboen und Violinen übernommen und dann auch vom Klavier aufgegriffen. Diese anmutige und friedvolle Stimmung wird zum Schluß hin durch die schneller und dramatischer wer fenden Klavierarppeggien aufgegeben und liündet in einen herabstürzenden Lauf, auf den das ganze Orchester mit dem Klarinetten motiv antwortet. Das Klavier führt pianissimo zum Allegro appassionato, an dessen Beginn ein leidenschaftlich aufbegehrendes Thema steht. Im stürmischen Fortissimo wechseln so- listisches Spiel und Orchestereinsatz, bis sich das Klavier mit einem markanten, zweiten Thema durchsetzt. Die Durchführung führt das Wechselspiel der Themen zwischen den In strumenten bis zu einem dramatischen Höhe punkt, der mit einem Fortissimoeinsatz des Orchesters die Reprise einleitet. Hier bringen virtuose Passagen und energische Akkordfol gen dem Pianisten dankbare Entfaltungs möglichkeiten. Mit einer viermaligen Fanfare und kraftvollen Schlußakkorden findet das freudig-erregte Vorwärtsstreben der Themen und Melodien ein glanzvolles Ende. Paul Hindemith (1895—1963) gehört neben Arnold Schönberg, Charles ives, Bela 3artök und Igor Strawinsky zu den führenden Komponisten der bürgerlichen Musikkultur im 20. Jh. Sein umfangreiches kompositorisches Schaffen umfaßt nahezu alle Gattungen und Gebiete der Musik: Lied, Kinder- und Schul musik, Kammermusik, sinfonische Musik, Ora torium, Ballett und Oper. Zugleich war Hinde mith Mitglied des Amar-Quartetts, berühmter Solist auf der Bratsche und vor allem in sei nen späten Lebensjahren ein erfahrener Diri gent. Auch als Pädagoge vermittelte er viel fältige Anregungen auf praktischem und theo retischem Gebiet, besonders durch sein Un terrichtswerk „Unterweisung im Tonsatz". In nerhalb dieses vielfältigen Schaffens verlief Hindemiths Weg aber durchaus wiedersprüch- lich. Kennzeichnend für Hindemiths Persönlichkeit waren seine lebensbejahende Haltung und musikantische Unmittelbarkeit, die ihn die Verbindung zum volkstümlichen Musizieren suchen ließen. Auf diese Weise versuchte er den Krisen der bürgerlichen Musik, dem Klangrausch der Wagner-Epigonen entgegen zuwirken. Eine kritische Einstellung zur bürger lichen Welt führte Hindemith in den zwanziger Jahren für einige Zeit zur Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht („Das Lehrstück"), doch fand er nicht wie Hanns Eisler den konsequenten Weg auf die Seite der progressivsten Kräfte. Hindemiths musikalischer Stil ist wesentlich geprägt von polyphonen und konzertanten Traditionen der deutschen Musik. So kommt der Melodik eine bestimmte Rolle zu, ebenso der Eigenwertigkeit der Stimmen im polypho nen Satz. Ab 1935 gelangte der Komponist von dem erweiterten tonalen Gefüge dann immer mehr zu einem harmonisch bestimmten und tonal gefestigten Stil („Mathis der Ma ler") und bezog auch spätromantische Ele mente mit ein. Obwohl in einigen vokalsinfo nischen Spätwerken sein Hang zur Abstraktion und zum Mystizismus z. T. erkennbar wird, bleibt Hindemiths Bemühen um die Gestal tung grundsätzlicher ethisch-moralischer The men („Requiem" nach W. Withman) die bestimmende humanistische Grundtendenz seines Schaffens. Die Sinfonie in Es entstand 1940. Es existieren allerdings verschiedene Auffassun gen, ob sie kurz vor oder kurz nach Hindemiths Emigration in die USA geschaffen wurde. Die Uraufführung aber fand auf jeden Fall schon in den USA statt, am 21. November 1941 in Minneapolis. Mit dieser Sinfonie tritt uns Hindemith hauptsächlich als Bewahrer des klas sischen Erbes, vor allem Beethovens, Brahms' und Bruckners, entgegen und weit weniger in der Rolle des schöpferischen „Weiterent wicklers" dieser Tradition. Das Werk ist vier- sätzig und verbindet das Prinzip der Sinfonie mit dem der Fuge. Hindemith hat an Stelle der klassischen sinfonischen Durchführung mit kontrapunktischen Praktiken wie Engfüh- rungen, kanonischen Verknüpfungen und Fu- gato-Passagen gearbeitet. Der groß angelegte erste Satz (Sehr lebhaft) beginnt mit einer appellhaften Fanfare, die von den bestimmenden Klanggruppen des Orchesters (Holzbläser, stark besetztes Blech, großer Streicherapparat) gegeneinandergeführt und sequenzartig gesteigert wird. Dabei verweist vor allem die Behandlung der Blechbläser, ihre gewaltigen dynamischen Steigerungen, auf Bruckner. Uber weite Strecken beherrscht eine machtvolle Zweistimmigkeit diesen Satz, wobei die melodische Fortspinnung der The men von Hindemith primär polyphon gedacht wurde. Durch die Vergrößerung des Anfangs themas und eine Beschleunigung des Tempos findet der Satz zu einer pathetischen Schluß wendung. Im zweiten Satz (Sehr langsam) verarbeitet Hindemith drei thematische Gedanken, deren erster eine aus der chromatischen Leiter ge formte und entwickelte Melodie ist. Das zweite, in seiner Klangentfaltung sehr ähnlich verlaufende Thema wird von der Oboe vorge stellt. Die Soloflöte übernimmt den dritten Gedanken und leitet aus der verhaltenen Stimmung wieder zu machtvollem Pathos, mit dem der Satz schließt. Spielfiguren in rasendem Tempo bestimmen den dritten Satz (Lebhaft), der das sonst üb liche Scherzo vertritt. Zwei Themen in den Holzbläsern und Violoncelli treten in mannig fach veränderter Form auf und werden nach einander polyphon aufgereiht. Abwechslung in den ungestümen Ablauf des Satzes bringt eine ruhige Episode mit Oboensolo im Trio. Das Scherzo hält auf einer Fermate inne schließt das Finale gleich an. Für den Schlußsatz der Sinfonie greift Hincf^ mith thematische Gedanken des ersten Satzes wieder auf. Gleich das erste Thema zeigt enge Beziehungen zur Eröffnungsfanfare. Auch ein zweites Thema verweist auf einheitliches Material der Ecksätze. So ist auch die inhalt liche Aussage beider Sätze ähnlich und ver leiht dem ganzen Werk Geschlossenheit. Verdichtete Wiederholung, Vergrößerung und gleichzeitige Engführung des Hauptthemas führen wiederum zu einer großartigen Schluß steigerung. Die letzten Takte bestehen aus einem „mit höchster Kraft" musizierten, in verschiedene Figuren zerlegten Es-Dur-Akkord, Hindemiths Bekenntnis zur Tonalität. Hindemiths Sinfonie in Es, die die Dresdner Philharmoniker unter Herbert Kegel soeben für die Schallplatte einspielten, wurde übrigens bereits am 30. Oktober 1946 in einem Konzert im Rahmen des Sächsischen Künstlerkongres ses von der Philharmonie unter GMD Gerhard Pflüger für Dresden erstaufgeführt. VORANKÜNDIGUNG: Achtung! Terminverlegung: Das 10. Zyklus-Konzert findet nicht am 12. und 13. Juni, sondern am 13. und 14. Juni 1981 statt. Sonnabend, den 13. Juni 1981, 20.00 Uhr (An rech t^^ Sonntag, den 14. Juni 1981, 20.00 Uhr (Anrecht C Festsaal des Kulturpalastes Dresden Einführungsvorträge jeweils 19.00 Uhr, Dr. habil. Dietei Hartwig 10. ZYKLUS-KONZERT Dirigent: Johannes Winkler Solist: Jürnjakob Timm, Leipzig, Violoncello Werke von Mozart, Schönberg und Schumann Programmblätter der Dresdner Philharmonie Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Die Einführungen in Schumanns Konzertstück op. 92 und in Hindemiths Sinfonie in Es schrieb unsere Praktikantin Danuta Schmidt vom Fachbereich Musik wissenschaft der Humboldt-Universität Berlin Spielzeit 1980/81 — Chefdirigent: Prof. Herbert Kegel Druck: GGV, Prod.-Stätte Pirna 111-25-12 ItG 009-16-81 EVP: 0,25 M 9. ZYKLUS-KONZERT 1980/81