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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«-Pni« 22j Stlbergr. (t Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für ha« ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., ISgerflraße Nr. 28), so wie von allen König!. Bost-Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 22. Berlin, Dienstag den 20. Februar 1844. England. Der Londoner Banquier. °) Die Londoner BanquierS lassen sich in zwei Hauptklaffen eintheilcn: in die altfränkischen und die modernen. Von den mannigfachen Eigenschaften, die den gcldbesitzendcn und den geldlosen Menschen charakterisircn, ist das Beiwort, welches einem Damenpferde als Lobspruch ertheilt wird, auch auf den Banquier anzuwenden. Ein Mann, der „sicher" ist, wird auch rin guter Banquier sepn. Was aber diese Haupt-Tugend anlangt, ist sie weder dem Altfränkischen noch dem Modernen unbedingt eigen. Unter den Chefs der vielen unsicheren Firma'S, die seit zehn Jahren als insolvent in der 6-rerce figurirt haben "), waren einige besonders durch ihre alterthümliche Nüchtern heit und ihr groteskes Acußere, andere dagegen durch ihre moderne, windige Eleganz ausgezeichnet. Die Gesetztheit der Ersteren wie die Flüchtigkeit der Letzteren war nur erkünstelt, um die Zahl der Kunden ihres Etablissements zu vermehren. Jener nüchterne cic^-banker ist ein Mann, der in seinem Comtoir und seinem Aeußeren das zu haben affektirt, was keines erborgten Scheins be darf. Seine Kleider und Sitten sind schlicht, seine Equipage einfach, sein Stadt- und Landhaus nett, aber prunklos — mit allen wahren Comforts versehen, aber jeden Anspruch auf verschwenderische Pracht zurückweisend. Josiah Grubbinson (wie wir ihn nennen wollen) wünscht «S bemerklich zu machen, daß er sein Geld in Acht zu nehmen weiß, um dadurch zu zeigen, daß auch daS Geld anderer Leute bei ihm wohl aufgehoben ist. In seiner ge furchten Stirn, in seinem ernsten Wesen liegt Nichts, das seine Klienten zu Eingriffen in sein« Kasse ermuthigen könnte. Der säumige Zahler, auf dessen Conto die Debet. Seite die überwiegende ist, darf dem zurückschreckenden Blick eines Mannes nicht begegnen, der „kaum gesteht, Sein Appetit sey mehr für Brod al« Stein;" der jeden Sonntag dreimal zur Kirche geht und seinen Namen durch die Kraft reichlicher Spenden in die Herzen der Kirchenvorsteher seiner Parochie und die Bücher der religiösen und wohlthätigen Anstalten dieser großen Hauptstadt eingetragen hat. Ein so gewissenhafter Mann darf nicht so leicht mit Ge ständnissen von Geldmangel oder der Unbedachtsamkeit, welche diesen Mangel hervorrief, belästigt werden. Er ist mit einer Dornenhecke seiner eigenen Tugenden umgeben — unverletzbar wie das hölzerne Heiligenbild in seinem krpstallenen Schrein. Nachdenkend, ernsthaft, unbeweglich wie er ist, scheint eS beinahe ein Verbrechen, den Gleichmut- eines solchen Naturells zu trüben. Der Versuch schon wäre dem Muthwillen ungezogener Kinder zu vergleichen, welche Steine in einen spiegelglatten Teich werfen, um dessen klare Oberfläche mit kräuselnden Wogen zu bedecken. So lange der ernste Banquier „ruhig wie eine Nonne In athemloser Andacht" versunken scheint, vergessen wir, daß seine Anbetung nur die des goldenen Kalbes ist — die allerärgste Abgötterei, die eS auf der Welt geben kann. ') Um diese launige, au« N-ntI-7', dlagarln- entlehnte Skizze ganz zu verstehen, muß man sich erinnern, daß die Londoner Lauter« in vielen Punkten von den Banquier« in Deutschland und anderen Theilen de« Kontinent« verschieden sind. E« herrscht nämlich in England der Gebrauch, daß Kaufleute, Fabrikanten und alle andere Mitglieder der ge- iverbtreibenden Klassen da« Geld, welche« sie in ihrem Geschäft cinnehmen, bei einem Laulror dcponircn, den sik für sicher halten twie Sir William Curti« X- Oo., Ione«, Loyd ed ko., Sir R. C. Glyn u. a. m>), und nachher, so wie sie e« nöthig haben, ihre Zahlungen durch klw-k, (Anweisungen> auf denselben machen. Dieser vergütet keine Zinsen und rechnet auch darauf, daß jeder seiner Kunden einen Saldo bei ihm stehen läßt, der sich nach dem Betrag seiner Geschäfte richtet. Auch werden die Wechsel bei dem Lanller zahlbar gemacht. Ferner lassen die reichen Edkllcule, Grundbesiher, Kapitalisten °st bedeutende Summen bei ihrem 8»ut--r stehen — besonder« wenn sich unter den stillen "der öffentlichen Thcilnchmcrn de« Hause« rin Mitglied der Aristokratie befindet. — Die Londoner Sanker» zahlen in Noten der Bank von England, deren kliarter sich aus einen Rayon von bä engl. Meilen von der Hauptstadt erstreckt, we«halb sie keine eigene Bank noten augzeben dürfen; sie flehen jedoch mit den Sanlrer, im Innern England« in Ver bindung, welche mebrcntheil« ihre eigenen Noten au«geben und bei ihren Londoner Ge schäftsfreunden zahlbar machen. Mit den Banquier« de« Kontinent« haben sie nur die Aehnlichkei,, daß sie Wechsel diSkontiren und sich mit Fonds- und anderen Speeulationen abgeben. --) Bekanntlich enthält da« offizielle Blatt tbe Larette neben den Ernennungen, Be förderungen, Parlamen««wahlcn u. s. w. auch die Insolvenz-Erklärungen. de gaietteck ist eine Ehre — t» b- in da« Gegenthcil. Die Nüchternheit dieses Eeld-Tartüffe'S ist ein Kapital, das seiner Firma zwanzig Prozent einträgt. „Hui se ressemble s'sssemble", oder „Gleich und gleich gesellt sich gern", sagt das Sprüchwort, und dieses bringt zum Zahltisch des nüchternen BanquicrS den nüchternen Bürger — den Mann des Mittelstandes, der einen mäßigen, aber sicheren Verdienst hat, und der sich nach einem sicheren Hause umsicht, um ihn diesem anzuvertrauen. Dort hin rollt also die dunkle, wappenlose Kutsche, die mit ihren beiden fetten, wohlgenährten Pferden von Edmonton hcreingerumpclt ist, um den wöchcnt- lichen vbeclc für die wöchentlichen Haushaltskosten in Geld zu verwandeln. Dort erscheint der krüppelhafte Olx, mit rothbäckigcn Individuen, deren oberer Mensch mit Stroh gedeckt ist, während ihre unteren Regionen in gesteiften Lcderhosen stecken. Dorthin raffelt auch am Sonnabend der Markt-Karren, dem der Muth fehlt, mit geldbeschwertem Beutel nach Ealing oder Battcrsea zurückzufahren. Die Schenkwirthe, die, mit alleiniger Ausnahme ihrer Kunden, die Nüchternheit in allen menschlichen Wesen lieben, sind überzeugt, daß er der Mann für ihr Geld sep. Und das ist er auch wirklich, da er cs als sein eigen betrachtet! Die sorgsame Miene des gesetzten BanquierS flößt seinen getäuschten Klienten die selige Zuversicht ein, daß er den Betrag ihres Guthabens genau berechnet in der Tasche bei sich herumführt und eS nicht ein mal seinen eisernen Geldkasten anvertrauen mag! Auch thut er das nicht; er weiß eS besser anzuwenden. Der altfränkische Banquier zeigt, wie sehr er den Werth des Depositums zu schätzen weiß, in dem er augenblicklich den Betrag zu verdoppeln sucht. In so sicheren Händen muß es reichliche Zinsen tragen; Erzeugung des Geldes ist ja Zweck und Ziel des BanquierwesenS. Das Kapital, welches die Markt-Karren und Lcder hosen dcponirt haben, kehrt, ohne daß sie eS ahnen, in ihre Nachbarschaft zurück — es entzündet die Feuer der Ziegeleien und die Oefen der Gas- Anstalten ; es füllt die Kufen der Bierbrauer und die Fässer der Branntwein brenner; eü galoppirt in Postkutschen und saust die Eisenbahnen entlang; eS durchschneidet die Landenge von Suez und wühlt mit den Rädern der Dampf böte die ruhigen Gewässer des Nigers und des Nils oder die schlammigen Kanäle von China und Batavia auf. Während der fette Butterhändler sein ruhiges NachmittagS-Schläfchcn in seiner Wohnstube zu Kennington oder auf seinem weichgepolsterten Sitz in der Methodisten. Kapelle hält und sich dem be- glückenden Wahne hingiebt, daß seine schmierigen Banknoten in der eisernen Truhe des BanquierS in gleich müßiger Behaglichkeit schlummern, läßt der gute Mann cs sich wohl nicht träumen, daß sie in kunw aus dem hohen Schornstein einer riesenhaften Dampfmaschine verfliegen, daß sie Schachte im Eingeweide der Erde graben oder die Oberfläche derselben mit feenartigcn Prachtgebäudcn bedecken. Was liegt auch daraus Seine Unwissenheit ist für ihn ein Glück. Sein Geld, d. h. das Geld eines später Betrogenen, kann er bekommen, sobald er es verlangt. Will er Fonds kaufen, so werden sie für ihn gekauft, wie die Makler-Rechnung auSweist, und er lebt und stirbt in dem seligen Traum, in den ihn sein feierlicher Banquier einwiegt — eS sey denn, daß die Gaswerke auffliegen oder die Ziegel fallen sollten (wie cs den Ziegeln mitunter begegnet) und die sichere Firma mit ihrem altfränkischen Oberbefehlshaber Niederreißen. Selbst in diesem Falle fühlt sich das Schlachtopfer kaum zur Klage berech tigt. DaS Cirkular, so plausibel wie das Gesicht des scheinheiligen Ver führers, setzt ihm aus einander: „wie eifrig Herr JosiaS Grubbinson gegen die unglücklichen Konjunkturen angestrebt und sich, zum alleinigen Nutzen seiner Kunden, mit Leib und Secle den Geschäften gewidmet habe; wie seine Be mühungen zu deren Gunsten sein Haar gebleicht und seine Stirn gefurcht hätten — und wie er, als die verhängnißvolle Krisis es dem Hause unmög lich machte, seine Verpflichtungen zu erfüllen, die Zahlungen sogleich einge stellt habe." DaS ist der gewöhnliche Styl dieser Rundschreiben. Sollte der Gläubiger mit insolenter Beharrlichkeit nach dem Bcsitztitel des Familienguts in Kent fragen, so wird man ihn auf die Ehepakten der Mistreß Josiah Grub binson verweisen, der solches als HciratSgut verschrieben wurde. Das Stadt- Haus in Bedford. Square ist Eigenthum dcS ältesten Sohnes; das Landhaus in Wandsworth wurde den jüngeren Kindern von einer Tante hinterlassen. Mr. Josiah Grubbinson'ö AmtSrock und sein ehrlicher Name ist Alles, was er dem Konkursgericht in Basinghall-Street zu übergeben hat. Dessenungeachtet wird der arglose Landmann aufgesordcrt, den wohl habenden Banquier zu bemitleiden, der sich nach einem so achtungswürdigcn Leben zu Grunde gerichtet ficht. Er müßte ja ein Barbar sepn, um einen Mann nicht zu beklagen, dessen ehrlicher Name in der Osrette zur Schau ge stellt wird, nachdem er in allen Deputationen an das Ministerium, in allen