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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumerationS- Prei, Sgr. (j Thlr.) oierteüihrlich, Z Ti)ir. für das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man »ränumerirt aus dieses Beiblatt der Allg. Pr. Staats- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren-Straße Nr. 34); in der Provinz so wie im Auslände bei den Wohllöbl. Posl-Acmtcrn. Literatur des Auslandes. 38. Berlin, Mittwoch den 28. März 1838. Frankreich. Der Historiker Michelet. Das heutige Publikum hat selten Lust, sich mit ernsten Ge genständen zu beschäftigen; auch geht es mit Gleichgültigkeit an denen vorüber, die seine Leidenschaften nicht anzuregcn verstehen: man muß also das Verdienst solcher Schriftsteller hoch anschlagen, bei deren Lesung die denkenden Geister und diejenigen, weichen es um bloße Unterhaltung zu <hun ist, gleiche Befriedigung finden. Zu dieser Klaffe gehört der Französische Historiker Michelet: ohne seinen streng gelehrten Beruf jemals zu verleugnen, ver steht er doch auch die Kunst, ein allgemeineres Interesse zu er regen, und seit seinem ersten Auftreten als Schriftsteller hat ein großes Publikum seinen Schriften die verdiente Anerkennung zu Theil werden lassen. Wir können hier nicht in das Detail der Biographie des Herrn Michelet eingehen; wir bemerken nur, daß er, nach treff lichen Vorstudien, in die Normal-Schule ausgenommen wurde und bald zum Grade eines ma,rre ä« ««»köreoces im historischen und philosophischen Fache gelangte. Spater übertrug man ihm das Amt eines Professors der Geschichte am College Rollin, und bald nach der Juli-Revolution wurde er mit demselben Charakter an der Sorbonne angefiellt. Hier begann er eine Reihe Vor lesungen über Neuere Geschichte, die das gebildete Publikum viel besuchte und deren Inhalt durch Tiefe und gründliche Gelehrsam keit sich empfahl. Aber das Wort des Lehrers hielt nicht immer mit seinen Gedanken gleichen Schritt, vcrmuthlich, weil die Ge wohnheit des rednerischen Vortrags ihm mangelte; und bald er laubte Herrn Michelet seine geschwächte Gesundheit nicht mehr, seinen Kursus fortzusetzen. Seit jener Zeit ist der junge Historiker hauptsächlich als Schriftsteller thätig gewesen. Zweierlei Richtungen begegnen sich in Herrn Michelet, eine philosophische und eine historische. Als Philosoph hat er seine Einleitung in die Allgemeine Geschichte und seine Rö mische Geschichte geschrieben, auch Vico's Werke ins Fran zösische übersetzt. Als Historiker schrieb er seinen Abriß der Neueren Geschichte und der Geschichte Frankreichs, seine Geschichte Frankreichs und die Memoiren über Luther. Wir beschränken uns in vorliegendem Artikel auf eine Beurtheilung der drei erstgenannten Werke.') , Der Einleitung in die Allgemeine Geschichte mässen wir den ersten Rang einräumen, weil das System des Verfassers darin enthalten und entwickelt ist. Herr Michelet unterscheidet zwei Prinzipien, welche mit einander um die Oberherrschaft ringen — Freiheit und Rothwendigkeit (kawliiö) Das eine wird durch die Intelligenz, das andere durch die Namr- kräfle repräsentier. Die Geschichte ist die Erzählung dieses langen Kampfes, in welchem der Mensch obsiegen soll, weil er die An lage zu beständiger Fortentwickelung in sich tragt, während die Natur ewig unveränderlichen Gesetzen gehorcht. Im Anfang der Geschichte ist der Mensch ein Sklav aller Elemente, die sich gegen seine Schwache zu verschwören scheinen: der Morgenländer unter liegt einer entnervenden Natur, einer Religion, die seine Ent wickelung hemmt; je weiter aber die Civilisation gegen Westen vorrückt, desto erfreulicher entwickelt sich die Intelligenz, die Frei heit. Der Einfluß des Klima'S auf die Schicksale der Völker, ben bereits Herder in seinen „Ideen" entwickelt, spielt auch in der Michclelschen Darstellung eine Hauptrolle; hören wir ihn selbst, wie er sich darüver im Allgemeinen ausdrückt. „Wenn im Gebiete der beseelten Natur die Geschöpfe von höherem Range, der Mensch und die Säugeihiere — körperlich am besten befähigt sind, die verschiedenen Bewegungen auszu führen, zu denen ihre Lebenskraft sie auffordert — wenn unter den Sprachen diejenigen den Vorzug verdienen, welche durch *) Folgende ßnd die bis jetzt erschienenen Werke des Herrn Michelet in chronologischer Ordnung- u o« m»n-ru° lrsrs), erschien zuerst als Anhang zu DesmichelS' prö-j« ge rumtoste a» m«?-» Eine umgearbcitete neue Auflage ist oon 1833. 2) l'riuoipe« a« i^ lnnio-ivpkne ao ru^taie« Mach Vico), gedruckt 1827 in einem Bande, spater aber <1835) stark vermebrk in zwei Banden 3) 1'aklroux cMvnoiuxim,--' s- i'iii^toleo mnllerne, unbearbeitet NN I. 1835. 4) INztoiro ilomoine. 2 Bande. 1831. 5) Imrnchiotion -> muvrr«<rll°. 1831. 6) Nistoiro llc rrauco, Lie beiden ersten Bände 1833. 71 Mömoiro« lle linder, 2tcr und 3tcr Band. 1835. Der erste Band, welcher als Einleitung dienen sollte, ist noch nicht herausgekommen. 8) kreei» äe l'Nistoire ä- Trance. die Mannigfaltigkeit bedeutsamer Beugungen, durch den Reich- thnm ihrer Wendungen und die Geschmeidigkeit ihrer Formen den unendlichen Bedürfnissen der Intelligenz Genüge ihun: sollten wir da nicht annchmen dürfen, daß auch gewisse Länder nach einem zweckmäßigeren Plane angelegt seyen, als andere — daß die Namr sie besser befähigt habe, zu leisten, was die Freiheit von ihnen hehchie? Vergleichen wir unser kleines Europa mit dem ungeheuren und unförmlichen Asien: wie viel mehr Ge wandtheit und lebendige Regung verkündet schon die Form des ersteren! Selbst in solchen Zügen, die beiden Weltthcilen gemein sind, hat Europa den Vortheil auf seiner Seite; beide Welttheile sind im Süden init drei großen Halbinseln versehen: zuerst kom men die kompakten Vierecke Spanien und Arabien, dann Italien lind Hindostali, mit ihrem großen Flusse im Norden und ihrer Insel im Süden, und endlich jenes Gewimmel von Inseln und Halbinseln, welches hier Griechenland, dort das transgangctische Indien heißt. Aber Asien blickt traurig nach dem Ocean, dein Unendlichen; cs scheint von dem Südpolc her einen Kontinent zu erwarten, der noch nicht ins Leben getreten ist. Die Halbin seln des mittäglichen Europa'S sind gegen Afrika auegestrcckie Arme; und iin Norden gürtet unser Wclttheil wie ein starker Athlet mit England und Skandinavien seine Lenden. Sein Kopf ist Frankreich; die Beine ruhen in Asiens ergiebiger Barbarei. Beobachtet nur die mächtigen Nervenknoten dieses wunderbaren Körpers, von den Alpen bis zu den Pyrenäen, den Karpathen und dem Hämus; beobachtet Griechenland mit der gedrängten Mannigfaltigkeit seiner Berge und Ströme, seiner Vorgebirge und Golfe, mit der wunderbaren Menge seiner scharfgezeichnelen Kurven, Winkel und Einschnitte; es regt sich lebensprühend auf der Karte, das wahre Symbol der Beweglichkeit in unserem be weglichen Occideme." Das doppelte Prinzip, welches alle irdische Kämpfe erzeu gen soll, findet der Verfasser unter jeglicher Form wieder, in den Religionen, den Sitten, den Kriegen, dem Rechte und der Gesetzgebung. Freiheit und Natur-Nothwendigkeit treten uns bei allen Volkern entgegen, die jemals ein historisches Leben gehabt, und mit allen den Modificationen, die ihr respektiver National- Typus erheischt. Das Christemhum weiht den Kulms des Ge dankens, seinen Triumph über die Materie; der Katholizismus steigert diesen Kultus zur höchsten Potenz, indem er alle mensch liche Leidenschaften bezwingt. „Sv vollendet sich", sagt Herr M-, „in tausend Jahren jenes lange Wunder des Mittelalters, jene wunderbare Legende, deren Spur auf Erden jeden Tag mehr verbleicht, und deren ehemaliges Vorhandenseyn schon nach wenigen Jahrhunderten bezweifelt würde, hätte sie sich nicht in den Gothischen Ornamenten der Kathedralen von Köln und Straßburg, in den SOM Marmor-Statuen, welche den Dom von Mailand krönen, befestigt und gleichsam krystallisirt. Wer könnte wohl jenes stumme Heer von Aposteln und Propheten, von Hei ligen und Kirchenvätern ins Auge fassen, ohne die Stadt Gottes zu erkennen, welche den Gedanken des Menschen zu Ihm cmpor- hebl? Jeder dieser Spitzbögen, die gen Himmel streben, ist ein Gebel, ein ohnmächtiges Sehnen, das durch die Tyrannei der Materie auf seinem Fluge gehemmt wird. Rings umher lagert die Welt des Heidemhums, mit tausend scheuscligen Larven grin send, während an der Basis die barbarischen Krieger versteinert dastehen, dieselbe Haltung bewahrend, in welcher das Wort des Evangeliums, gleich einem Zauber, sie festgebannt Hal." „Die Freiheit har gesiegt, die Gerechtigkeit hat überwunden. Die Welt der Nalur-Rolhwendigkeit ist zertrümmert. Die gei stige Gewalt selber hatte ihren Titel abgeschworen, indem sie den Beistand der materiellen Gewalt, den fortschreitenden Triumph des Ich erborgte. Das uralte Werk der Emancipation des Men schengeschlechts, welches mit der Entweihung des Baumes der Erkennmiß begann, ist fortgesetzt worden. Das heroische Prinzip der Welt, die Freiheit, lange Zeil verflucht und unter dem Namen des Satans mit der Nolhwendigkeit (katalite) verwechselt, ist unter ihrem wahren Namen erschienen. Der Mensch hat nach und nach mit Asiens Naturwelt gebrochen und durch seine Be triebsamkeit, seinen prüfenden Geist eine Welt der Freiheit für sich geschaffen. Er ist zurückgckommen von dem materiellen Gotte des Fatalismus, einer ausschließlichen und stiefmütterlichen Gott heit, die unter ihren Kindern wählte, und hat den reinen Golt