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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 28.05.1911
- Erscheinungsdatum
- 1911-05-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191105282
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19110528
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19110528
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-05
- Tag 1911-05-28
-
Monat
1911-05
-
Jahr
1911
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Bezugs-Preis »M» — «»,, vmrrtzald D«Nchla»d» »nd d«, »r»ych«n Koloni-a »««rrrltährl. ».« Ml-. U2> Ml. «»schl. P»iU><ft«ag«ld S«r»« t» Da-rinarl. den Do«a»iwaten. 2U»li«». L««d«rL. Xte»«la»d«. U»r» ««a«n, Offterrrtch-Un««». U»tzUmd. SmwedeTt. SchwrU ». Spante» I» alle» adrigen Staaten «n direkt dar» dt» <irI»Ltt»!r«lle de» Blatte» erdälut». Da» Leipiig« ragedtaa «t»et»« >»at tLglt». Senn» » K«t«ta«» « «argen». >bo«»«»e»t»-vnnLhm» S»tM»«t»«aIl, det anteren Träger». FtUalen. kv«dite»rr» od Uanadmeltelle». lowi» Boftüattera »ad Briefträger». »t»I»t»«rr»»r»»r»»» »Bt. KipMerTaMM Handelszeitung. Amtsblatt des Aates und des Nolizeiamtcs der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis LWSKÄrAKWKT «tleiML:»»» »»»»Sri» N Pt. Reklamen Ul> Mk.. I«te«t, »«» BehSrde» tm amt. UN», leit dl» Bettt,«U, bv P». »^<dofr»a»,»t««n a« «ladnort-dnst», «. »n^r ktb«»»a»»a«d« linPret), erhöht. Rabatt nach TiuU. BetlagegedUdr Sesamt. «fla,« S «k. » T««I«nd «rkl. Poftgebühr. Teilbetrag« höher. 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R.) * Der Reichstag beendete am Sonnabend die Generaldebatte in der dritten Lesung der Reicherversicherungsardnung. (S. Reichstagsbericht.) * Der Bundesrat stimmte in seiner Sonn- adenositzung den vom Reichstag angenommenen Ent würfen des Verfassung»- und Wahl gesetzes für Elsaß-Lothringen und des Gesetzes betreffend den Patentausführungs- zwang zu.« * In Posen tagte am Sonnabend der Ge ¬ samtausschutz des O st m a r ke n nc re i n s. (S. d. bes. Art.) _____ * Aus Frankfurt a. M. werden 23Lrkrankun- gen an Genickstarre im 81. Infanterie regiment gemeldet. (S. Tageschronil.) * Bei einem B r a nde auf Coney Island wurden sechs Kinder getötet. sS. Tageschronil.) Srhrenthsls Rückkehr. Gras Aehrenthal ist auf seinen Posten zurück gekehrt, und an der blauen Donau wie im Reich tönen ihm herzliche Willkommengrügc entgegen. Man sagt ihm, man hätte ihn ver mißt und freue sich, ihn wieder am Ruder zu sehen. Und fast scheint es, als hätte der Graf selber solche Urteile auslösen wollen, da er aus gerechnet den Markgrafen Pallavacini mit seiner Vertretung betraute. Denn die Stel lung des Leiters der österreichischen auswärtigen Geschäfte war nachgerade ein wenig schwierig geworden. Die öffentliche Meinung für die österreichische Reichshälfte wird ja, soweit sie die große Politik angeht, in Wien gemacht. Es gibt aber kein undank bareres, unzufriedeneres Geschlecht als die heutigen Wiener. Sie gleichen in ihrer ewigen reraw oovarum eupickit«? etwa den Athenern der Verfallzeit. Sie sind zu Anbeginn allemal „enchantiert", aber über ein kleines besinnen sie sich regelmäßig, daß außer dem etwas obsolet gewordenen goldenen Herzen zur angestammten wienerischen Eigenschaft das „Raunzen" gehört. Das Kritteln, Nörgeln, Sticheln, das nicht früher ein Ende hat, als das anfängliche Objekt zärtlicher Schwärmerei — gleichviel, ob es sich um einen Burgdirektor, einen Star oder einen Staatsmann handelt — erledigt ist. Auch „den" Aehrenthal wollten sie nachgerade erledigen, und es traf sich für sie nicht ungünstig, daß mittlerweile auch auf dem internationalen Terrain ihm zu den alten noch neue Gegner erwachsen waren. Selbst in Deutschland, erzählt man sich, hätte man diesen Mehrer der habsburgischen Monarchie neuerdings ein wenig argwöhnisch anzusehen begonnen. Er hätte, gestützt auf seine frühere Stellung an der Newa, auf eigene Hand mit Rußland anzuknüpfen versucht, sei aber damit beim Zaren, der ihm nicht gerade wohlwolle, abgefallen. Im übrigen hielte man hier darauf, daß der Draht von Wien nach Petersburg über Berlin gehen müsse. Diese Verstimmungen sind, wofern sie überhaupt bestanden, in den langen Wochen, die Graf Aehrenthal in Abbazia zubrachte, wohl aus geräumt worden. Dafür sind freilich vorübergehend andere entstanden. Dieselben, die mit dem ordinären Artikel des „Wiener Montagsblattes" zusammen hingen. Vielleicht hat man diese Publikation doch etwas überschätzt. In diesen österreichischen Montagsblättern, „dem Wiener wie dem in Prag erscheinenden", macht sich trotz aller offiziösen Beziehungen mehr noch vielleicht als in den Berlinischen die Sensation breit. Außerdem kokettieren sic nicht ungern und nicht selten mit jenem spezifischen Nur-Oester- reichertum, für das Hermann Bahr den Kaffeehausliteraten-Begriff der „österreichischen Nation" erfunden hat, und das neuerdings ja auch in der (freilich nur in der Idee vorhan denen) sogenannten österreichischen Reichspartei seine gewissermaßen parteimäßige Ausprägung erfahren hat. Daneben mögen ja auch noch gut und gerne andere Einflüsse wirksam ge wesen sein. Oesterreich ist ein Nationali tätenstaat, und in seine Staatskanzleien dringen — ganz abgesehen von dem böhmischen Feudaladcl, der, selbst wenn er ein unverfälsch tes Fiakerdeutsch spricht, io pottticis tschechisch klerikal fühlt — seit 40 Jahre in steigendem Maße Angehörige jener mehr interessanten als sympathischen Völkerstämmc ein, denen alles Deutschtum, das heimische wie das auswärtige, in den Tod verhaßt ist. Hinter dem Montags blatt hätte also ruhig irgendein tschechischer oder slowenischer Hof- oder Sektionsrat und selbst eine polnische Exzellenz stehen können, ohne daß damit für die Empfindungen, mit denen Oesterreich und seine verantwortlichen Leiter das Deutschtum betrachten, etwas be wiesen wäre. Bedeutsamer war ohne Frage die be denklich kühle Art, mit der das Marokko problem hinterher in einem vornehmlich der Zurückweisung jenes Montagsentwurfs gewid meten Artikel des „Wiener Fremdenblattes" behandelt wurde. Aus ihm wehte es uns wie Eiskühle an, und was dazu die „Frankfurter Zeitung" — wie es heißt, nicht ohne stillen Rapport mit Kissingen, wo gegenwärtig Herr von Kiderlen-Wächter weilt — ebenso kühl, nur vielleicht noch um einige Nuancen ironischer an den Rand schrieb, war nur zu berechtigt. Nur sollte man derlei freundnachbarliche Aus einandersetzungen auch nicht überschätzen. Wer daraus den Anlaß zu wuchtigen Ka nonaden ableitet, beweist nur, daß er im besten Falle verkümmerter Eroßpreuße ist, daß ihm das Verständnis für die wirklich großen nationalen Probleme, die nicht an die zufälligen Landesgrenzen gebunden sind und über die Zeit räume des eigenen Erlebens hinausreichen, völlig abgeht. Vergeßen wir doch nicht, daß dergleichen „Vruderküffe" auch unter hen im Reich zusammengeschlossenen deutschen Stämmen zeitweilig zwischen Nord und Süd ausgetauscht werden. Aehnlich — gewiß nicht ganz so — ist auch das Verhältnis zu Oesterreich zu beurteilen. Da» Land, mit dem wir bis vor 45 Jahren in demselben staatsrechtlichen Verband lebten, in dem seit grauer Vorzeit ein gut Teil deutscher Geschichte sich abspielte, kann uns nimmer zum Ausland werden, wie etwa Rußland oder Frankreich und England. Es trifft auch gar nicht zu, wenn die „Rheinisch-Westfälische Zeitung" in holder Unkenntnis Oesterreich schlechthin einen „verslawten" Staat nennt. Gewiß: seine alte beherrschende Stellung hat das Deutschtum in der habsburgischen Monarchie nicht mehr. Noch immer aber wohnen vom Böhmerwald bis zu den Tiroler Höhen und steirischen Tälern 11 Millionen Deutsche dort, und allem überheblichen Slawentum zum Trotz wird unter dem schwarz-gelben Banner noch germanische Kolonisationsarbeit geleistet. Jeder österreichische Offizier, der in entsagungsvollem Dienst nach Bosnien und der Herzegowina vordringt, ist, was man gemein hin übersieht, ein Pionier deutscher Kultur. Und daß dieser kulturelle Zusammen hang nicht gestört werde, darüber zu wachen haben auch wir im Reich ein politisches und ein eminent nationales Interesse. Staats rechtlich werden wir wohl niemals wieder zusammenkommen. Darauf haben selbst die tapferen Männer, die sich allenthalben in der österreichischen Monarchie unter der alten schwarz-rot-goldenen Kampfesfahne zu sammeln pflegen, zu hoffen aufgehört. Aber sind nicht auch die Angelsachsen in zwei verschiedenen Staaten organisiert? Jedenfalls: in dem Augenblick, wo Oesterreich wirklich verjlawt würde, verlören wir mehr, als wir auch durch die rücksichtsloseste „Eindeutschung" von Polen und Dänen je gewinnen könnten. In Fe;. General Moinier ist in der marokkanischen Hauptstadl eingezogen: Muley Hafid, der nicht mehr allein zu „gouvernieren" vermochte, hat seinen Gouverneur erhalten. Nachdem die Kugeln der auf ständischen Stämme dis in die Freudengemächcr seines Harems eingejchlagen waren und ihm die rühmlose Entthronung Licht beoorstand, kann man cs ihm nicht verübeln, wenn er es persönlich vorziehen sollt«, demnächst eine so ruhige und souveräne Rentnerexistenz führen zu können wie sein Nachbar, der Bei von Tunis. Mit dem Geldmangel wird es aufhören: denn wenn die Franzosen es verstehe», ihren Untertanen in den Protektoraisländern (siehe Indochina!) die schärfste Steuerschraube anzusetzen, geizen sic wenigstcns nicht mit den Apanagen ihrer Vizekönige und Sultane. Der Bei von Tunis fährt in europäischen Equipagen und Automobilen mit einer goldverbrämten Uniform und mit dem Groß kordon der Ehrenlegion spaziere»: Abd-el-Aziz wurde wegen seines Autos und seiner Phonographen aus Fez verjagt, und seinem Bruder, Muley Hasid, dem ursprünglichen Feind der „Numis", wäre es bei nahe ebenso ergangen, nachdem er an den Freuden pariserischer Zivilisation ein wenig geleckt hatte. Aus Selbsterhaltungsgründen wird Hafid den General Moinier nicht auffordern, adzumarjchieren, er wird ihn sogar bitten und anflehe», seine Truppen in Fez zu belassen. Der Vormarsch war wirklich nicht das schwerste Stück Arbeit: der A b m a r s ch i st beinahe eine Unmöglichkeit. Man braucht die loyalen Ver sicherungen oer französische» Regierung nicht in Zweifel zu ziehen: sie kann jetzt die feste Absicht haben, ihr« Truppen aus dem Innern Marokkos zu rückzuberufen, sobald ihr Verbleiben dort nicht mehr nötig ist. Das ist nur ein amüsantes Wortspiel. Den» das Verbleiben wird dauernd nötig sei», was Frankreich stets mit gleicher Loyalität wird be haupten können. Sich darauf zu beschränken, das Eingeborenenheer des Sultans durch Instruktoren heranbilden zu lasse», geht nicht an: das hat man jetzt feststellen können, da.der Kommandant Mangin mit mehreren Offizieren und einem Hausen Unteroffi zieren und Sergeanten Fez nicht von der Belagerung zu befreien vermocht«. Eine schwache französisch« Garnison würde ebenfalls im Innern dieses von stän digen Kämpfen der Stämme beunruhigten Landes nichts ausrichten können. Es müssen auf den Wegen nach der Küste befestigt« Stationen errichtet werden, damit die Verbindungen nicht mehr unter brochen werden. Anderseits wäre der Sultan nicht im vollen Machtbesitz, wenn man ihm nicht Maratesch, El-Ksar und Melines zurückgeben würde: Streif züge des Generals Moinier sind bereits vorgesehen. Was Frankreich imSchaujaland tat, wo es mit denselben loyale» Versicherungen nur „provisorisch" einzuziehen vorgab, wird es auch mit dem Rest desSultanats machen; es wird Wege und sogenannte Feldbahnen anlegen, Blockhäuser bauen, die sich zu Forts ausgestalten, Handelsmärkte eröffnen und von den einzelnen Kom mandanten der besetzte» Plätze den „Anian", Unter- würfigkcitsakt der benachbarten Kaids, entgegen nehmen laßen. Es fehlt nur noch sehr wenig, und die Republik wird praktisch drei Viertel von Marokko ihrem nordafrikanischen Kolonialreich ein - verleibt haben, wenn auch die Diplomaten dies theoretisch bestreiten sollten. In Madrid, wo man mit dem mühsam errungenen und knapp bemeßenen marokkanischen Viertel sehr unzufrieden ist, nemrt man die Dinge schon beim richtigen "Namen. Unumwunden muß gesagt werde», daß Frankreich mit bewundernswerter Leichtigkeit und billig seine Pläne von 1904 durchgeführt hat. Zwar wird jedermann froh sein, daß der Vormarsch der Franzosen nach Fez zu nur geringem Blutvergießen geführt hat; das End resultat für das Ausland wird aber gleich bleiben. Schließlich wird die gan.ze Operation für Frankreich nur auf ein hohes Geldopfer hinauslaufen, das reiche Früchte tragen wird. Nachdem Exminister Pichon erst versichert hatte, das Schaujaland werde geräumt werden, wenn dort die Ruhe wiederhergestellt sei, erklärte er zuletzt, man werde es räumen, wenn der Sultan die Kosten zurückerstattet haben werde! Wieviel teurer kommt jetzt noch der Marsch nach Fez zu stehen! Das ist die letzte Hypothek, die dem Sultanat auserlegt werde» konnte. Man kann heute ruhig von seinem finanziellen Bankerott sprechen. Frankreich als der Hauptgläubiger, ja fast als der einzige Gläubiger, wird die Verwaltung der „Maße" übernehmen. Man hat ihm freie Hand gelaßen, es so weit zu bringen: man wird es weiter wirtschaften laßen. Im Grunde darf man wohl auch zugeben, daß es an, befähigtsten war. das Zivilisationswerk vor- zunehmen, da es aus Algier und Tunis die nötigen Erfahrungen und auch mohammedanische Hilfstruppen mitbringt. Was aber sind die Kompensationen, di« Deutschland fordern kann? Man kann es nicht ver. stehen, daß einzelne Reichstagsabgeordnet« dem „Matin"-Korrespondenten erlauben, nach Paris zu drahten, daß ihnen und der überwiegenden Mehrheit ihrer Landsleute Marokko vollkommen gleichgültig sei. Di« abwartende Haltung der deutschen Regierung ist natürlich einzig richtig. Frankreich versicherte offiziell, daß es in Fez nur die Europäer befreien und die Ordnung wiederherstellen will. In einem Jahr wird man ihm zeigen, daß es sich — selbstverständlich ganz wider seinen Willen — dort häuslich eingerichtet hat. Man braucht ihm daraus kein Verbrechen zu machen. Aber man darf sich dann seine Entschädigungen nehmen, ohne als Friedensstörer bezeichnet zu werden. Welcher Art werden diese Entschädigungen für Deutschland sein? Die Bagdadbahn kann nicht mehr in Frage kommen; das wäre ein zu winziges Geschenk der Franzosen. Mit ein paar Börsenzuqeständnißen zweifelhaften Werts kann auch nicht eine der größten und letzten diplomatischen Inrereßenfehden, bei denen es sich um eine ungeheure Lünderaufteilung handelte, definitiv beigelegt werde». Man muß heute die triumphieren den Aeußerungen der Preße Delcassi's über das „im Wind verflogene marokkanische Wespennest" lesen. Ohne Kriegsdrohung, ja ohne jeden ernsten Wider spruch Frankreichs oder anderer Staaten glauben wir an die Möglichkeit einer deutschen Interessensphäre auf marokkanischen, Boden. In einem der Häsen, um die sich gegenwärtig Franzosen und Spanier noch nicht streiten, und wo schon Deutsche ansässiq sind, ivürde die Berliner Regierung offiziell die Ueber- wachung des Zollamts übernehmen, mit einer kleinen angeworbencii Polizcitruppe die Ordnung aufrecht erhalten, für Kais und später für eine Bahn nach dem Innern sorgen: Das wäre die offene Eingangspforte ins Sultanat, die einzige Garantie, daß auf die Dauer volle Handelsfreiheit bestehen bleibt, und ein würdiges Ende für den Einspruch, den Deutschland 190.') erhob, der beinahe zu einem Kriege geführt hätte und deßen Erinnerung sich nicht aus den Ge- schichtsbücs;ern wird streichen lassen. Gewiß wird sich die Verwirklichung eines solchen Planes nicht so einfach bewerkstelligen lassen wie hier auf dem Papier — aber die Verwirklichung wird möglich sein, zumal wenn es sich weder um ein mili tärisches Stationieren im Mittelmeer und überhaupt um seine Gebietseroberunq hairdelt. Der Sultan hat ein Interesse an einem solche» deutschen Keil in die französisch-spanische Küstenmauer: die Signatarmächtc von Algeciras. Holland usw.. haben es nicht minder. Sobald Deutschland festen Willen bekundet, wird es sich zeigen, daß in Paris nur wenig, in Madrid gar kein Widerstand vorhanden ist. Die deutsche Diplo matie steht vor einer wichtigen Aufgabe. Man sage nicht, daß die materiellen Opfer, die Deutschland seinerseits bringen müßte und die natürlich in gar keinen, Verhältnis zu den französische» und spanischen stehen würde», nicht der Mühe verlohnten: die Bodenschätze Marokkos werden der deutschen Industrie unentbehrlich sein; das deutsche Volk wird sich der Segnungen der afri kanischen Landwirtschaft ebenso freuen wollen, wie es das französische schon lange darf, wie cs das englische in imm^r größere». Umfange dürfen wird dank ter Zollftelheit. Noch ist es Zeit, sich eine Pforte zu den nordafrikanischen Gärten osfenzuhalten — es sind keine Friedensstörer die das deutsch« Volk gemabnen, zu fordern, was es fordern kann! Schluß üer Generslüedatte. (Stimmungsbild aus dem Reichstage.) Z Berlin, 27. Mai. (Priv.-Tel.) Für die geschäftlick>e Erledigung der Reichs- versicherungsordilung sind von Bedeutung einige kurze Kompromißanträge, für den Fortgang oder vielmehr für den Nichtfortgang der parlamen tarischen Verhandlungen einige sehr lange Reden. Die Zugeständnisse, die gemäß dem Kompromiß der Parteien gemacht werden sotten, bestehen darin, daß die Einkommensgrenze bei der Krankenversiche rung und bei den entsprechenden Bestimmungen der Unfallversicherung (Krankenhilfe in den ersten 19 Wochen) von Ä)00 -4t auf 2500 -k erhöht und eine Anwartschaft darauf gegeben wird, früher in den Ge nuß der Altersrente zu treten. Diese Anwartschaft drückt sich darin aus, daß der Bundesrat im Jahre 1915 dem Reichstag die gesetzlichen Vorschriften über die Altersrente zur erneuten Beschlussfassung vorlegen soll. Das ist eine Gesetzgebung in die Zukunft hinein, di« sich in anderen Fällen nicht voll bewährt hat, so bei der Hinterbliebene »Versicherung. Wohl wegen der schlechten, früher gemachten Erfahrungen hat man die Herabsetzung vom 70. auf das 65. Lebens jahr gar nicht in die Verträge hineingeschrieben, son dern nur die formelle Möglichkeit eines neuen gesetz geberischen Vorgehens. Während man so aus der einen Seite etwas zulegt, nimptt man auf der andern Seite wieder etwas weg, das gehört mit zum Kom promiß. Die Wöchnerinnenfürsorg« soll nicht ver stärkt, sondern auf dem Lande noch verkürzt werden. Den Landkassen soll srefftehen, durch Satzungen das sonst obligatorisch auf acht Wochen zu leistende Wochengeld für solche Kaßenmitglieder. die nicht der Gewerbeordnung mrtcrstehen, auf vier Wochen zu ver kürzen. Daß die Kompromißanträgc angenommen werden — es sei denn, daß die Kompromißparteien selbst noch Aenderungen wünschen —, ist außer Zweifel. Frag lich ist hauptsächlich, ob noch heute die Annahme er folgt oder erst zu Anfang der nächsten Woche. Der Wille, wenn möglich heute fettig zu werden, ist zu Beginn vorhanden, erhält sich die ersten Stunden, das heißt während der Rede de» Abg. Fischer- Berlin (Soz.). Er glaubt, di« Läng« muß es bringen und legt 2sH Stunden an. Abg. Horn (Natl.) kann sich naturgemäß nun auch nicht ganz kurz faßen, und der Staatssekretär Delbrück will nicht gar zu weit dahinter zurückbleib«n. Die Parteien mache» sich Vorwürfe, und der Staatssekretär leistet sich einige Ausstellungen an dem Wette der Parteien als Ge- samtheit, natürlich in den verbindlichen Formen, wie sie ihm auch dem politischen Gegner gegenüber eigen sind. E» stehe« sich wieder die großen Anschauungs- unterschiede gegenüber: ob man dem unerreichbaren Ideal nachstreben oder ob man das Erreichbare sichern soll, wobei wieder Meinungsgegensätze vorhanden sind, was denn al» erreichbar zu betrachten ist. Den großen Abrechnungen folgen kurzatmige Reden und Gegenrede, bi, ein sozialdemokratischer D«ttagungs- antrag ein« Unterbrechung schafft. Da der Antrag keinen Erfolg verspricht, wird gleich ein zweiter Pfeil hinterhergesandt, di« Anzweiflung der Beschlußfähig- kett des Hause». Lin« Auszählung wird notig, die aber ergibt, daß der schwarze verdacht unberechtigt war: noch in der siebente« Stunde find 228 Reichs-
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