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Stk. L81- — LO. Jahrgang Tonnran den iiO. Angust LVLR MchslscheMks^Üung Erschein« täglich nach«, mit vuSnahm» der Sonn- und Festtage, «»«gab» L mt« .Dt» Zelt tn Wort und Bild- dtertelsLHUtch 0,10 ^ In Dresden durch Bote» »,40 ^ In oai«, Deutschland sret Hau» »,S» t» Oesterreich 4,4» IO «uSgade « ohne Mullrterte Beilage vierteliiihrlich I.iso Sn Dresden durch Boten 0,10 In ganz Deutschland sret Hau» 0,00 in Oesterreich 4,07 X — Einzei-Rr. 10 4, Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht unb Freiheit Inserat« werden die »gespaltene PetitM« oder derenRnummit is'l RcNamrn mit 80 4 die Zeile berechnet, de, Ätederholun-en entsprechenden Rabatt, vnchdraikerei, Redaktion und «eschitst-stellei Dresden, Ptllutqer Strahe 4». — F-n,spreche! 180« Für Rätkgabe nnverlangt. echrtftftlltke »eine «erdtudUchketl Redaktions-Sprechstunde: II btA Lit Uhr. Die Revolution in England. Dresden, den IS August 1911, Staunend sieht Europa nach dein Jnselreiche. Stets gepriesen als Heimstätte des sozialen Friedens trotz der ge waltigen Gegensätze von Kapital und Arbeit, ist cs ans einmal ein soziales Schlachtfeld geworden. Alle Maßregeln, welche anscheinend den Frieden zwischen beiden zu garan- tieren schienen, sind umsonst gewesen. Das System der Tarifverträge hat versagt und das Schiedsgerichtowesen hat den sozialen Kampf nicht aufhalten können. Denn selbst die „höheren", qualifizierten Arbeiter erklärten sich mit ihren schlechter gestellten Brüdern solidarisch, als diese in den Kampf eintraten, und schlossen sich der Bewegung an. Schließlich charakterisiert die neuen Kämpfe die Tat! he. daß sie nicht, wie es in England bisher fast immer ist sich war, auf einzelne Teilgewcrbe und deren Organisationen beschränkt blieben, sondern sich auf alle Kategorien eines Gewerbes erstreckten und zumeist von einem gemeinsamen Komitee geleitet wurde». Tie überraschende» Erfolge dieser neuen Taktik dürften eine Wendung in allen wirtschaft lichen Kämpfen in England herbeiführen, die weitgehende Wirkungen auf den ganzen künftigen Gang der englischen Arbeiterbewegung ausüben wird. Wenn wir nach den Ursachen dieser plötzlichen durch daS ganze Jnselreich gehenden sozialen Bewegung forschen so tritt uns die Tatsache entgegen, daß der englische Arbeiter in den Jndustriebezirken viel schlechter gestellt ist, als der deutsche. Der Abgeordnete Heckscher, der einmal eine Reise in diese Städte unternahm, schrieb damals: „Außer in London und Neuyork habe ich nirgends ein derartiges Massenelend gefunden, nirgends so viele ver hungerte Gestalten in den Straßen hernmlungern sehen, irgends die Straßenkinder in solch trostloser Verfassung er blickt, niemals die grausigste Not in so tausendfacher Ge stalt geschaut, wie in Liverpool. Wenn einer durch die Straßen von Berlin oder Hamburg, dort im Norden oder Osten, hier in der Hafcngegend schreitet, so mag er immer hin einmal einen Straßenbengel erblicken, der verwahrlost, ein Bummler, der verschmutzt oder verkommen ist, er wird auch hier und da der Not in die Augen sehen. Aber er wird nichts von dem großen Zuge der Armut entdecken, wie er in Liverpool durch die Straßen schleicht. Als ich eines Abends von einem der größeren Hotels Liverpools aus auf die Straße blickte und die Menge, die vorüberflutete, be trachtete, hatte ich den Eindruck, als ob die Armut hier ihre Heerschau hielt. Am ergreifendsten wirkt der Anblick jenes jammervollen Kindervolkcs mit den müden, vo» Ent- behrung bleichen Gesichtern, in denen es nur anfleuchtet, wenn es etwas zu ergaunern oder zu erbetteln gibt, jenes Nekrntenheeres für Bettler und Verbrecher. Wie ich mit dem Leiter der städtischen Arbeiterwohnungen die Slums von Liverpool ansah, jene Stätten, wo alle guten Genien der Menschheit ihr Haupt verhüllt haben, da fragte ich mich immer aufs neue, ob es denn wirtlich ein Naturgesetz sei, daß dieses Menschenvolk — das auch im Grunde ge nommen unter dem Tier steht, mag es auch eine mensch liche Sprache reden — immer dicht am Verhungern, blöde, stumpf, kraftlos, jeder feineren menschlichen Regung bar, hinsiechen muß, während gleichzeitig einige hundert Schritte davon eine Klasse lebt, die den Hunger nicht kennt, die an allem Schönen menschlicher Kultur und Gesittung Anteil nehmen darf, die in gesunden Wohnungen lebt, die ihre Kinder zu körperlicher und sittlicher Gesundheit führen kann und die jene in der Menschennatur so tief wurzelnde Sehnsucht zum Schönen und Erhabenen zu pflegen und anszubilden vermag. Wenngleich ich nicht zu den Phan tasten gehöre, die meinen, durch irgend eine neue Gesell schaftsform die Gegensätze zwischen arm und reich ganz aus der Welt schaffen zu können, so glaube ich doch unerschütter lich, daß einem Menschencleiid, wie es Liverpool in seinen Mauern birgt, gesteuert werden könnte, wenn nur die glücklichere Klasse die ganze Not der anderen kennen würde und wenn in jener nur der eiserne Wille lebte, mit Staats- 11 »d Gemeindemacht »ach Kräfte» z» reformieren." Diesem Bilde des Elends kann niemand widersprechen und darum wird man auch verstehen, warum der General streik mit solcher Wucht ausbrach und man vielfach gegen die Parole ihrer Führer in den Kampf cintrat. Wer hätte geglaubt, daß so rasch auf die politische Revolution die wirtschaftliche folgen würde. Die Liberalen haben dem konservativen Oberhaus nach schweren Kämpfen nur den Schein einer Machtvollkommenheit gelassen: in der Wirklichkeit ist das Einkammersystem erreicht. Dieser scharfe Kampf hat zweifelsohne dazu beigetragen, daß die lange ausgestreute Saat der Sozialdemokratie zur Reife gelangte. Gegen die Neutralität der Gewerkschaften kämpfte sie stets an, nun ist die Müsse der Arbeiter in das Lager der Politischen Sozialdemokrat!c abgeschwenkt. Lloyd George hat Wind gesäet und err st heute Sturm. Alle scharfen Reden, die der Kanzler a 'geu das konservative Oberhaus gebrauchte, benutzen die Arbeiter gegen die Geldaristokratie und die liberalen Vertrete, des Kapitals. Die liberale Re gierung aber steht mit gebundenen Händen da, sie kann mit Entschlossenheit nichts gegen den Generalstreik unter nehmen, weil sie sonst im Unterhaus ihre Mehrheit verliert. Für Deutschland sind iste Wirkungen des Generalstreiks von großer politischer Bedeutung. Sie zeigen, wie machtlos im Falle eines Krieges das Jnselreich ist, falls es der feind- liehe» Flotte gelingt, auch nur ans kurze Zeit die Zufuhr anziischneiden. England ist völlig .nißerstande, auch nur für kurze Zeit aus dem eigenen Lande die Lebensmittel aufzn- bringen, die zur Ernährung der Bevölkerung notwendig sind. Diese erneute Erkenntnis einer alten Wahrheit wird die Theorie derjenigen in Großbritannien stützen, die die unbedingte Anfrechterhaltiing der englischen Oberherrschaft zur Sec für eine Lebensnotwendigkcit des britischen Reiches erklären. Man wird sich darauf gefaßt machen müssen, daß die in dieser Richtung liegenden politische» Schlußfolge rungen aus der Lehre der augenblicklichen Streikbewegung in der nächsten Zeit gezogen werden. Die völlige Hilflosigkeit Englands in solctter Situatioir zeigt aber auch, welch große Gefahr ei» Krieg für England in jedem Falle in sich birgt, mag er schließlich »och so sieg reich für die englische Flotte enden. Ein Krieg würde für) ,cden Fall für längere Zeit die Nahriingsmittelzufuhr nach England beeinträchtigen und die ernstesten Gefahren für die Volkseriiährnng heranfbeschwören. Von diesem Gesichts punkte ans hat man sich in England auch vielerseits gegen die Anerkennung der Londoner Seerechtsdcklaration ge* wandt, die im Kriege auch die Kaperung neutraler Schiffe erlaubt, wenn sie Konterbande für den Gegner an Bord! führen. Dem Deutschen Reiche dagegen wird man auch im Kriege nie die Zufuhr von außen abschneidcn können, uns werde» immer »och Wege offen stehen, und zudem sind wir nicht in so hohem Maße nur auf die Zufuhr von außen an gewiesen. Man sieht daraus, wie der Schutz unserer hei mischen Landwirtsckxift eine wahrhaft nationale Aufgabe ist und wie eiiw starke Landwirtschaft für den Ernstfall unent behrlich ist. Mag das Jnselreich den Generalstreik schnell oder lang sam überwinde»: die Vorkommnisse der letzten Tage haben den Glauben an seine Kraft stark erschüttert und Dinge ge- offenbart, die man ans dem alten Rom kennt: große Armut und stete Gefahr der Hungersnot. England ist ein Koloß, aber er ruht mindestens auf zwei tönernen Füßen, und das wissen die Engländer selbst, darum machen sie derzeit so! viel Lärm im Auslände »nd diktieren die Konzepte für dis französischen Noten nach Berlin. Politische Rundschau Dresden, den 19. August >S1l. Ter Grvßhcrzvg Friedrich Georg von Mecklenburg- Strelitz empfing am Sonnabend im Beisein des Ministers Bossard eine ritterschaftliche Abordnung der beiden Groß- lierzogtümer Mecklenburg, die beauftragt war, dem Groß herzog die auf dem allgemeinen Nitterschastskonvent iil Rostock am 13. Juli in bezug auf ihre Form der Landes verfassung angenommene Resolution zu unterbreiten. Dev Großherzog gab in seiner Erwiderung offen die „Betrübnis und aufrichtige Sorge" kund, die ihn über die ablehnende! Haltung der Ritterscliaft nach einer konstitutionellen Ver fassung erfüllt: er sagt, daß er überzeugt sei, „daß das Be dürfnis nach einer Aendernng der bestehenden Landesver fassung vor allem aus der Notwendigkeit entspringt, weiterg Kreise der Bevölkerung zur Beratung und Beschlußfassung über die wichtigsten Landesangelegcnheiteii heranzuziehen", lieber den Beschluß der Ritterschaft, das volle BudgetrechL ans den »enen Landtag zu übertragen, sagte der Groß herzog klipp und klar, daß seine Bereitwilligkeit, auf ein Kunst und Volkserziehung. Bon Scminarlehrer Hermann Rolle. (Schlutz.) Manche Zweige der Kunst, wie vor allem die für das Theater arbeitenden Künste, zeigen heute geradez » eine erotische Durchseuchung. ,Hn weitestem Umfange ist das Theater gegenwärtig eine Anstalt für Unmoral. Dies gilt nicht etwa nur im Hinblick aist Posse, Operette und Schaustück, sondern mich das Drama zeigt gegenwärtig ein von »»gesunder Erotik zerfressenes Antlitz. Selbst unsere vornehmen Dichter setze» häufig etwas darein, ihrem Drama eine noch nicht da- gewesene erotische Verblüffung ich erinnere an Maeter lincks Monna Vanna, an Hardts Tantris, an daS Myste rium „Gawan" von Eduard Stucken — einzufllgen. Und nun gar der große Hanfe gewöhnlicher »nd minderlvcrtiger Theaterliteratur! Welche Masse erotischer Ware der ver derbtesten Art werfen sie Jahr um Jahr auf den Markt!" Ebenso hat die erzählende Literatur, ganz abgesehen von der eigentlichen Schundliteratur, massenhafte Erzeug nisse aufzuweisen, die „die Phantasie nötigen, sich in die Kloaken geschlechtlichen Lebens zu vertiefen". Alles übersehen, ist es ein ganzes Heer von K ünstlern, daS gegenwärtig Tag für Tag daran arbei tet, den erotischen Kitzel des Publikums zu befriedigen. Man denke an die Witzblätter, von denen die meisten Woche uin Woche „mit neu gewürzten Entblößungen und Verrenkun gen" erotisch zu reizen suchen. Man erinnere sich weiter an Kinematograph, Vari6t6, Kabarett und wie sonst die Stätten deS feineren GauklertumS und Sinnenkitzels alle beißen mögen. Aber nicht nur die Zahl der dem Aufreizcii des Ge- schlechtSlebenS dienenden Künstler und künstlerischen Er zeugnisse ist i» de» letzten Jahrzehnten »ngehener gewachsen: sonder» es hat auch die Aufdringlichkeit und Handgreiflichkeit in der Darstellung wollüstiger Vorgänge in augenfälliger Weise zugeiloniine». Dies zu beweisen, zeigt der Verfasser entschlossen »no unbeirrt ans die Gestalt so mancher modernen literarischen Größe, mit hartem Wort den Nimbus zerstörend, den die urteilslose Menge an ihm bewundert: so auf Arthur Schnitzler, aus dessen Romanen „niedriges Behagen am Ekelhaften" zu »ns spreche, oder auf F r a n k W e d e k t n d ifür den eben jetzt eine Anzahl Literaten einen Aufruf zun, Schutze des „Dichters" bor der Polizei erläßt!!), der dem Pnblikinn „die verfaultesten und verrücktesten Lasterhaftig- testen" vorsetze, dabei „eine zynisch grinsende Freude emp findend, das Publikum mit seinen Giften aufzuwühlen." Für Zola liege so meint der Verfasser eine der artige Triebfeder zwar völlig fern, ihn tieibe ein wagender Wahrheitsmnt. die Wirklichkeit, selbst die gräßliche und ekelhafte, so zu schildern, wie sie nun einmal ist. Nichts destoweniger hat Zola mit seinen erotischen Brutalitäten auf das sittliche Gemüt weiter Kreise einen nnhei'.vollen Ein- fliiß ausgeübt." Wie abgestumpft Geschmack und Ge»iüt des heutigen Publikums gegen des erotisch Widerliche ist. zeigt sich, wenn man Dichtungen früherer Zeit, die Wege» ihrer Erotik be rüchtigt waren, neben die neue» Produkte hält. Friedrich Schlegels „Lucinde", die des Dichters Naine» für lange Zeit in üblen Ruf brachte ist in ihrer Erotik zahm im Ver gleiche etwa mit den „keuchenden Wollustkrämpfen", die Richard Dehmel in den von vielen als „Hohes Lied der Liebe" gefeierten „Zwei Menschen" schildert. Heinses „Ardinghello", der nicht nur Herder und Schiller, sondern auch Goethe als eine höchst ausschweifende, auf die sinnliche Begierde wirkende Dichtung erschien, ist „gesund und mstchuldSvoll", verglichen mit Gabriele d'Annn- zios oder Henna»,, Vahrs Romanen, öie „mit peinlicher! Genaiiigfest eine Welt ansgeklügeltster Geschlechtlichkeit! schildern und den, Leser die giftigsten Parfüms ans die Ner- nen gießen." Die Auszählung ließe sich noch lange forlsetzen, gar , klangvolle" Namen finden sich darunter und vor allem diL meistgelesensten Autoren bis herunter zu Karin Michaelis, gegen deren ekelhafte Schamlosigkeiten der Verfasser eine'! wahrhaft vernichtenden Schlag führt. Es ist tief traurig', WaS als hinimelschreiender Mißbrauch der Kunst gebrand« markt werde» sollte, wird von Unzähligen, nameiitlich von! de» sogenannte» feinen und höheren Gesellscl>aftskreisen, die gierig nach solchem erotischen Unrat verlangen, als kühne dichterische Tat gepriesen. Aus Volkelts Klagen über das Ueberhaiidnehinen deS Erotischen in der modernen Kunst klingt überall ein tiefeS Bedauern, eine heilige Entrüstung, ein lautes, eindring liches Risten zur Umkehr. Wir blicke» i» das Herz eines großen, weitschanenden Erziehers, dem es in» die sittliche Gesundheit und Reinheit seines Volkes bitter ernst ist. Zn den beherzigenswertesten Mahnungen gehören vor allem auch die ans dem Tiefsten und Innersten kommenden Worte über die sexuelle Aufklärung. „Auf Straßen »nd Märkten wird heute sexuelle Auf klärung feilgeboten. Wanderredner versorgen die Städte mit Vorträgen über Sexualleben, Ehe und Liebe. Man möchte alisrufen: Genug und übergenug! Bedenkt ihr sexuell aufklärerischen Schriftsteller und Wanderredner denn nicht, daß wenn immer »nd immer »vieder an der. Liebe ausschließlich die tierischen Grundlagen und die un sauberen Entartungen öffentlich hervorgekehrt tverden, dis zarten und edlen Liebesgefühle zu Schaden kommen müssen, daß dadurch der Duft, der Zauber, die Romantik der Liebes- gefühle, ja auch die Vertiefung ins Sittliche bedroht wird? „Allein solche llcberlegungcn liegen euch wohl gänzlich