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Wehrmann. der nachstehenden Standesamtsbezirke: Altstadt-Waldenburg, Braunsdorf, Callenberg, St. Egidien, Ehrenhain, Frohnsdorf, Gieba, Grumbach, Hohenkirchen, Kaufungen, Langenchurs dorf, Langenleuba-Niederhain, Langenleuba-Oberhain, Niederwiera, Obergrüfenhain, Oberwiera, Oberwinkel, Oelsnitz i. E., Reichenbach, Remse, Rochsburg, Rußdorf, Schlagwitz, Schwaben, Steinbach, Wechselburg, Wiederau, Wolkenburg und Ziegelheim. -N 72. Bismarck im Reichstage. ^Waldenburg, 27. März 1886. Emen sehr beherzigenswerthen Artikel, der bei der herannahcndeu Osterzeit überaus zeitgemäß ist, bringt die treffliche Wochenschrift „Fürs Haus" in ihrer neuesten Nummer über die Frage: „Soll mein Sohn Kaufmann werden?" Die guten Rathschläge, die darin enthalten sind, rechtfertigen zur Genüge eine Wieder gabe. Der Artikel lautet: „Es ist am besten, der Junge wird Kaufmann", spricht so mancher Vater, der sich für den Berns des Sohnes entscheiden muß; „eine Lehre ist schnell gefunden und drei Jahre später gewiß auch eine Stellung. Den Lebensunterhalt und etwas Unterricht will ich bestreiten, daun aber muß sich der Junge selbst durchschlagen." Guter Vater, hast Du Dir schon einmal die Frage vorgelegt, was eigentlich ein Kaufmann ist, und ob Dein Sohn die Fähigkeiten für diesen Beruf wirklich in sich trägt? Du deukst, es sei mit einer dreijährigen Lehrzeit in einem Colonialwaarengeschäft, verbunden mit dem Besuche der Handelsschule, abgemacht? Dein Nachbar, der reiche Eicrhändlcr, war früher nur ein facher Hausknecht und hat es vom Büdchenbesitzer bis zuni Großhändler gebracht, ohne daß er seinen Namen schreiben konnte. Jetzt hat der Mann drei Häuser in der Stadt! Warum sollte es Deinem Jungen nicht auch glücken? Er hat eine so gute Schulbildung ge nossen, und das Reifezeugniß zum Freiwilligen trägt er in der Tasche. So denkst Du. — Wohl kanu es ihm glücken, wenn er das „Reifezeugniß zum Kauf mann" in der anderen Tasche, richtiger gesagt, in sich trägt. Als ein guter Kaufmann wird gewöhnlich der an gesehen, dessen Unternehmungen von Erfolg begleitet sind. Im Volksmunde heißt es dann: der hat Glück, oder jener hat Pech gehabt! Glück haben bedeutet je doch in den meisten Fällen weiter nichts, als ein rich tiges Erfassen und schnelles Ausnutzen des Augenblickes. Jedem Menschen werden in seinem Leben solche Augen blicke geboten, dem Einen häufiger, dem Anderen sel tener, aber nur derjenige zieht Vortheil davon, der ge nügend praktischen Blick besitzt, um sie zu erkennen. Mir den Kaufmann, welcher mehr als jeder Andere von dem sogenannten „Glück" abhängt, ist der prak tische Blick ein Haupterforderniß. Bildet sich derselbe zwar erst im Kampfe ums Dasein zu seiner ganzen Vollkommenheit aus, so läßt er sich nichtsdestoweniger schon beim Kinde erkennen. Wenn Dein Sohn während der Schuljahre bei seinen Liebhabereien: Marken-, Siegel-, Stahlfeder sammlungen und dergleichen nicht eine gewisse Fertig keit in den damit eng zusammenhängenden Tauschereien und Kaupeleien an den Tag legte, wenn er immer der „Gemachte" statt der „Helle" war, so würde ich ihn nicht zum Kaufmann bestimmen, denn „tiefer Sinn liegt schon im kindlichen Spiele!" Die Befähigung für diesen Beruf zeigt sich firner in der frühzeitigen Entwickelung des Erwerbssinnes bei Anwendung des Taschengeldes, in guter Besorgung von kleinen häuslichen Einkäufen, im schnellen Begrei fen des damit verbundenen Geldwcchselns. Der Junge muß schon in der Schule ein guter Rechner sein. Ist er, anstatt zn sammeln oder zu sparen, nachlässig, leichtsinnig oder vielleicht auch nur großmüthig mit seinen „Groschen", bringt er der Muster von dem Mitgcgebcnen oft zu wenig nach Hause, hat er schlechte Zeugnisse im Rechnen, dann paßt er nicht zum Kaufmann. Nimmst Du wahr, daß er im Spiel mit seinen Sonntag, den 28. März 1886. Geschwistern und Genossen immer nachgebend, ost ge kränkt, hänfig zaghaft anstatt keck und muthig ist, sich gegen andere weder gefällig, noch gegen Erwachsene dienstbeflissen benimmt, sich nicht iin Mindesten berech nend zeigt, so sei Dir das Kind der Spiegel, in wel chem Du den Mann schaust. Ein Kaufmann muß unverdrossen, thätig, unternehmend, entgegenkommend sein und immer an dem Grundsätze festhalten: „Du giebst, damit Du nimmst". Fehlen solche Kenntnisse, so sollte er nicht Kaufmann werden. Eine solche Prüfung der Fähigkeiten seines Sohnes sollte der gewissenhafte Vater vornehmen. In keinem Stande rächt sich die falsche Wahl so, wie im Kauf mannsstande, denn der Kaufmann setzt bei mangelnder Lust und Liebe zur Sache sein ganzes Dasein aufs Spiel; er ist mehr als jeder Andere seines eigenes Glückes und Unglückes Schmied. In Berlin allein kommen auf den Tag mehr als 1000 stellenlose Commis. Viele davon müssen zur Karre, zum Spaten und zur Hacke greifen, um nur ihr Leben zu fristen; noch Andere werden wohl gar von der Landstraße aufgegriffen, und in die Arbeits häuser gesteckt. Nach einem Ausweise der Arbeitercolonie Wilhelmsdorf waren dort unter 1187 Untergebrachten 102 Kaufleute, also etwa 10"/v. Und welchen trau rigen Ausblick eröffnet der Besuch von Strafanstalten und Irrenhäusern! Willst Du nach sorgfältiger Erwägung Deinen Sohn zum Kaufmann bestimmen, so achte darauf, daß er seine Ausbildung nicht nach der gewöhnlichen Schablone — Ladentisch, Buchhaltung, Sprachen — erhält, sondern lasse ihn lieber praktisch den kaufmännischen Betrieb in irgend einer Fabrik, z. B. in einer Spinnerei oder Weberei erlernen. Dazu gehören allerdings nicht nur kaufmännische Kenntnisse, sondern auch technische; der Lehrling muß sowohl die Arbeit des Comptoirs, als auch die Fabrikation kennen lernen. Fast jedes Ladenfräulein leistet jetzt das, was man sonst von einem gebildeten jungen Kaufmann verlangte, um die Hälfte des Gehaltes; außerdem hat der er leichterte Güteraustausch, der Wegfall der Handarbeit einen Umschwung in allen Handelsverhältnisfin hervor gebracht. Handelsplätze, wie z. B. Leipzig mit seinen Messen, Hamburg und Bremen vor dem Zollanschluß mit ihrein zwischen Meer und Binnenland vermitteln den Handelsverkehr haben ihre Rollen nach dieser Nich- tung zum Theil eingebüßt und sind mehr und mehr zu großen Erzeugnngs-(Produktions)plätzen geworden. Frankreich mit seinen Kurzwaaren, seinen Garnen, Stoffen und Halbfabrikaten in Wolle sieht sich von Deutschland überflügelt, oder hat sich durch den sich selbst aufgelegten Zoll die Ausfuhr unmöglich gemacht; England weist gegen früher, besonders in Maschinen und verschiedenen Garnnummern, eine weit niedrigere Ausfuhr auf, kurz der vermittelnde Handel hat seine Rolle der Selbsterzeugung im Jnlande abgetreten, und Deutschland selbst sieht seine einst so starke Ausfuhr nach Amerika z. B. von Jahr zu Jahr sich vermindern, weil auch dort die eigene Erzeugung dm Bedarf im eigenen Lande deckt und zusehends erstarkt. Hatte die eigentliche Handelswissenschaft in den Au gen des praktischen Kaufmannes schon von jeher lange nicht den Werth, den ihr das Publikum beilegte, so schätzt er sie heutzutage erst recht gering. Der Ver käufer, Buchhalter, Korrespondenten in den verschiedensten Sprachen bedarf man zwar heute noch überall; allein man nimmt sie meist auf 14tägige, ja 8- und sogar nur 1 tägige Kündigung bei einem Gehalt von 50 bis l 70 Mk. monatlich, so daß sich ein Maurer nicht nur j finanziell, sondern auch physisch in Berlin bei 50 Pf. die Stunde weit besser steht, da letzterer wenigstens in der Woche seinen Abend und Sonntags den ganzen Tag für sich hat. Der Gang des Handels ist ein ganz anderer geworden als früher; dem muß Rechnung ge tragen werden. Lasse Deinen Sohn zunächst irgend welche Thätig- keit praktisch erlernen und sie dann kaufmännisch ver- werthen. Das bischen Theorie erlernt er ganz von selbst. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Freitag empfing der Kaiser den Chef des Inge nieur-Corps von Stichle, den commandirenden General von Alvensleben, sowie verschiedene Officiere und ar beitete dann mit dem Civilkabinet. Nachmittags ver abschiedeten sich der Erbgroßherzog von Weimar und seine Gemahlin im Palais, worauf der Kaiser noch eine Spazierfahrt unternahm. Die Majestäten speisten beide allein. Zur Errichtung eines Grabdenkmals für Or. Gustav Nachtigal auf seiner Ruhestätte in Kap Palmas hat der Kaiser 1000 Mark gespendet. Ueber den Gesundheitszustand des Kaisers läßt sich erfreulicherweise nur recht Gutes sagen. Der Kaiser ist sehr an frische Luft gewöhnt, und ein mehrwöchent licher Aufenthalt im Zimmer, wie er durch das letzte Unwohlsein geboten war, sagt ihm deshalb wenig zu. Nachdem die Acrzte bei dem jetzigen prächtigen Früh- jahrswcttcr die Ausfahrten wieder gestattet haben, be müht sich der Kaiser das Versäumte eifrig nachzuholen und die Bewegung in freier Lust bekommt dem greisen Herrscher vorzüglich. Ueber die Frühjahrsreisen, die im vorigen Jahre ausfielen, ist bisher noch nichts Definitives bestimmt, indessen ist der Besuch von Wies baden wahrscheinlich. Montag 12 Uhr tritt der preußische Staats- rath in Berlin zusammen. Das Benuö-Unternehmen des deutschen Colonial vereins ist gescheitert. Der Afrikareisende Flegel sollte bekanntlich im Benno-Gebiet und im Hinterlands von Kamerun Verträge mit den eingeborenen Häupt lingen abschließen; aber eine englische Gesellschaft hat ihm durch List, Gewalt und ihre sehr reichen Mittel den Rang abgelaufen. Vor längerer Zeit wurde schon gemeldet, daß der Wasserweg in das Benue-Gebiet Flegel versperrt gewesen sei, aber auch zu Lande hat er nicht vordringen können. Die „Nordd. Allg. Ztg." bleibt dabei, es sei nicht wahr, daß der Reichskanzler von Rechtsgelehrten Gut achten über die Abänderungen des Reichstags wahlrechtes erbeten habe, und die „Freis. Ztg." bleibt ihrerseits dabei, daß der Reichskanzler sich mit bezüglichen Plänen trage. Das letztgenannte Blatt schreibt jetzt: Die Absicht des Reichskanzlers geht dahin, an Stelle des Reichstages, als einer directen Vertretung des deutschen Volkes, im Sinne der Beschlüsse des von Oesterreich geleiteten deutschen Fürstentages vom August 1863 eine von den deutschen Einzellandtagen gewählte Versammlung zu setzen. Nach den Beschlüssen jenes, unter dem Vorsitz des Kaisers von Oesterreich ver sammelten Fürstcntages sollten bekanntlich die Vertre tungskörper der einzelnen deutschen Staaten aus ihrer Mitte eine verfassungsmäßig bestimmte Anzahl von Vertretern in die Versammlung der Bundesabgeord neten entsenden. Wo das Zweikammersystem besteht, sollte die erste Kammer ein Drittel, die zweite Kammer zwei Drittel dieser Abgeordneten wählen. Im preußischen Abgeordnetenhaus wurde am Freitag der Gesetzentwurf betr. die Erweiterung des I Staatsschuldbuches definitiv angenommen und sodann j die Canalvorlage (Dortmund-Ems, Oder-Berlin) be-