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87. Jahrgang, 187. Vriugt-Sebühr v>Vle>I1»>rI. I«» Lr«,. »«« d,t lckgilch ,w«t- m»Ugkr Zulragung (an Sonn, und Montagen nur einmal) 2. bk» M , durchau«ll>Lrtiae Koin- milltoniire dt»»,»« M. »ei einmaliger Z«> Itellnng durch die Polt »M.<oi>Nt»cIiellgeldj. Auoiand: Oelter- retch-Ungar» Nr., Schwei, L,8l> Fkt».. Italien 7,l7 Lire. — Nachdruck nur mit Veutiithrr OueNen- ongab« („Dresdner No4r."jp>l»i»g. -Un> oeriangi» Manultrtple werd.nichlausbewahrl. Telegramm-Adresse: Nachrichten Dresden. Fernsprecher: II . 20V« « »««I. Mittwoch. ». Juli IMS. Druck und Verlag von Liepsch öc Reichardt in Dresden. ü.ieünck.t ISS2 Sruno llrilll»-!.. ii»lii«ii»i'Ile»»« : 2 »Ml»»-».. 1l»»,II0>1>tl UM lioiliMitt. »tu. »aet»n,«n. Anzeigen-Tarif. Annahme von Nniün- diaungen di» nachm, d Uhr, Sonntag» nur MartenIUahe »« »°n ll dt» >/,I Uhr. Die einioaiitge Zeile (etwa « Lilbrn» »ü Pf., die »weiioailige Zeile auf leitfeite 70 Pf., die zweilgatt. »Irkiamezell« >,ku M., Familien. Nachrichten au» Dre»< den die etnloa». Zeile 2» Pf. — In Num mern nach Sonn- und Feiertagen erhdhler Tarif. — Auswärtige Slufiräge nur gegen Vorausbezahlung. — 2ed«»BelegdI°„laPf. HauptgrschSftSstelle: Marienstraße 8K 40. Zetiwämme, Lebwsmmnslrs f-Lkfümskis 8eIl>^AI'2lvS6, ^ erkrgs Lesern. Mutmaßliche Witterung: Wolkig, kühl, kein erheb licher Niederschlag. Die sächsischen Konservativen sprachen sich aus Anlas, einer Aussprache über die Präsidenten frage i in k v m in enden V a n d t a g sür eine Wiederannähe rung der bürgerlichen Parteien aus. Der Hanshaltplan der Stadt Dresden sür 1!tt:k schlief,t in Einnahme und Ausgabe mit 7 2 Millio- n c n Mark ab. In Dresden nimmt morgen, Donnerstag, die seit dem 6. Dezember v. I. bestehende Hundespcrrc ihr E n d e. Der „Imperator" mit dem Kaiser an Bord ging gestern mittag von Cuxhaven in See und passierte gegen 4 Mir Helgoland. Die französische Kammer nahm den grund legenden Artikel des Gesetzes Uber die Einführung der dreijährige» Dienstzeit im ganzen mit 844 gegen 2LU Stimmen an. Das englische Unterhaus nahm die Home- rule-Bill in dritter Lesung an: diese Bill wurde damit vom Unterhnnse schon zum zweiten Male ange nommen. Das serbische Amtsblatt veröffentlichte gestern nach mittag die Kriegsproklamation. Die serbische Stadt K u j a z e v a tz wurde von den Bulgaren eingenommen: die Serben mutzten sich, nach serbischen Meldungen, z n r li ck z i e h c n. Die Armee dcS bulgarischen Generals K o w a t s ch c w ist, nach einer Wiener Meldung aus Sofia, in erfolg reichem Vordringen zwischen Köprülü und Uesküb begriffen. Der bulgarische Gesandte in Ectinjc, Kvluschew, wurde von seiner Negierung ab berufen. Ein Mitglied der rumänischen Regierung er klärte, das, ein kriegerischer Z u s a m m c n st o f, mit Bul garien infolge der bulgarischen Siege immer wahrschein licher werde: Deutschland und Oesterreich rieten Bulgarien zu einer gütlichen Verständigung. Liberalismus und Einheitsstaat. Schlecht angebracht ist der Jubel, womit der Liberalis mus „seinen" Sieg in Sachen der Reichsvcrniögenszuwachs- stcner feiert: denn drohend hängt düsteres Gewölk über unserer innerpvlitischcn Zukunft, und der Ausblick er scheint so trübe, das, es wohl angebracht ist. angesichts des verhängnisvollen Wendepunktes, den die liberal-ultramon- tau-sozialdemokratische Finanzkunst der verslossenen Reichs tagssession aus dem Gebiete unserer bundesstaatlichen Einrichtungen hcrbcigcführt hat, nochmals bestimmt und klar die parteipolitischen Verantwortlichkeiten abzugrenzen. Der schwerwiegende Eingriff des Reiches in das ur eigene direkte Steucrgebict der Einzelstaaten mit allen leinen unabsehbaren zerstörenden Folgen für das bundes staatliche Gefüge unseres nationalen Gemeinwesens steht fest. Er ist nicht mehr abzuwcndcn, und die Liberalen suchen eS nun so darzustellcn, als hätten sie sich in einer Zwangslage befunden, als sei von ihnen lediglich das kleinere von zwei Nebeln gewählt worden, sür deren eines man sich notwendig habe entscheiden müssen. Wie lag aber die Lache in Wirklichkeit? Die Regierungsvorlage, die nach liberaler Behauptung das grötzere Nebel dar- stcllcn sollte, wollte die Deckung für die dauernden neuen Hcercsausgaben unter möglichster Schonung der finan ziellen Selbständigkeit der Einzelstaaten vollziehen, so zwar, daß der Betrag durch eine Erhöhung der Matrikular- beiträge aufgebracht werden sollte, indem es den einzel staatlichen Finanzvcrwaltungen überlassen blieb, ihrerseits den Besitz in Gestalt von Einkommen und Vermögen heran zuziehen. Nur für den Fall, daß bis zum Jahre 10t7 der eine oder der andere Bundesstaat mit einer derartigen steuerlichen Neuordnung noch nicht fertig geworden wäre, sollte dort von Reichs wegen eine Vermögenszuwachs- stencr in Kraft treten. Letztere war also seitens der Regie rung nur subsidiär in Aussicht genommen, und cS be stand die größte Wahrscheinlichkeit, daß sic überhaupt nicht in Kraft getreten wäre, da auzuuchmcn war. das, alle Bundesstaaten ohne Ausnahme bis zu dem gedachten Ter mine — nämlich innerhalb vier Jahren! — derartige Bcsitz- steuer» von sich aus im Wege der Landesgcsetzgebung ein- gcführt haben würden. Was tat nun demgegenüber der Libera lismus? Er zog mit dem Zentrum, dem Radikalismus und der Sozialdemokratie an einem Strange und entschied sich sür die allgemeine Einführung der Reichsvermügenszumachs- st c u e r, wodurch die Einzelstaaten der selbständigen EntschließungSsrcihcit in diesem Punkte beraubt wur den und sich nunmehr der weiteren Gefahr ausgcsetzt sehen, daß früher oder später das Reich immer weiter in ihr bisheriges ausschließliches direktes Steuer- privilcg eingreift. Das heißt mit anderen Worten, wie wiederholt an dieser Stelle ausgcsiihrt wurde, das, die Einzelstaaten schließlich mit dem Verluste ihrer Finanzhoheit auch ihre politische Selbständigkeit cin- büßcn und zu bloßen VerwaltungSzwcigeu des Reiches degradiert, mcdiatisicrt werden. Das ist kein Hirn gespinst, keine Schwarzmalerei, sondern Radikale und Sozialdemokraten haben übereinstimmend erklärt, daß die Neichsvermögcnszuivachsstcucr nur den Anfang aus der Bahn bedeutet, die zu dem Ziele der direkten Rcichsein- kommen- und -Vermögenssteuer führt. Mit dem „ruhigen Lächeln der Gewißheit", daß cs so kommen werde, hat das sozialdemokratische Zcntralorgan die ucugcschasfene Lage begrüßt. Damit wären alle die schweren Nachteile für unsere vaterländische Gcsamtcntivictliing verbunden, die von jeder Regierung des geschichtlich Gewordenen und so organisch Notwendigen unzertrennlich sind. Die Abwehr solcher unheilvollen Bestrebungen als Pnrtikularismnö zu verdächtigen, lst entweder bewußte Bosheit oder völliger Unverstand. Dann wäre Bismarck, der klassische Alt meister des bundesstaatlichen Prinzips, selbst der größte Partikularist. Nein, P a r t i k u l a r i s m u s ist das nun und nimmermehr, sondern im Gegenteil ge rade treue und verständnisvolle Reichslicbc, die in der natürlichen Anhänglichkeit an die engere Heimat begründet ist und das Reich davor bewahren will, daß ihm der lebenspendende Nährboden verloren geht, in dem die festen Wurzeln seiner Kraft ruhen. Wie können die Liberalen demgegenüber die Fiktion aufrechterhalten, sie hätten sich in einer „Zwangslage" be funden? Das unendlich viel größere Ucbcl, das die Axt an die Wurzel des Bundesstaates legte, war die allgemeine primäre Reichs ver- m ö g c n s z u w a ch ö st c u c r der durch die libcral-ultra- montan - sozialdemokratische Mehrheit verballhornten Re gierungsvorlage, und gerade diesem größeren Ucbcl haben die Liberalen mit den Lcbensodem cingchaucht, ohne daß sie im geringsten dazu gezwungen gewesen wären. Sic brauchten bloß für den Regiernngsentmurf Seite an Seite mit den Konservativen cinzutrctcn, und sic hätten ihre nationale und wahrhaft gemäßigt liberale Schuldigkeit aus dem Boden der bundesstaatlichen Grundlage des Reiches erfüllt. Die Verantwortung dafür, daß sic anders ge handelt haben, kann ihnen nicht durch die Berufung aus eine angebliche, in Wirklichkeit gar nicht vorhanden ge wesene Zwangslage abgcnommcn werden. Auch gegenüber den Kreisen dcrJndustric und des H a n d c l S, aus denen scharfe Proteste gegen die allgemeine Rcichsver- mögcnsziiwachSsteucr laut geworden sind, kommen die Libe ralen mit einer solchen Ausrede nicht durch. Läßt sich ferner eine sachlich vernichtendere Kritik denken, als sic der Gc- hcimrat Witting, dem doch gewiß niemand eine streng liberale Gesinnung absprechen kann, gerade auch vom bundesstaatlichen Standpunkte ans an den neuen Stcucr- gcsctzcn geübt hat, ohne die geringste Rücksicht auf die an gebliche liberale „Zwangslage"? Der „Zwang" für den Liberalismus kann höchstens in der aschgrauen Man datsfurcht bestanden haben tn dem krampfhaften Be streben. cs um der künftigen Wahlhtlfc willen auf keinen Fall mit dem Radikalismus, dem Zentrum und der Sozialdemokratie zu verderben. In dieser Ansicht mutz man bestärkt werden, wenn man liest, wie Herr Basser mann jetzt förmlichen Kotau vor demselben Zentrum macht, gegen das er bisher wegen dessen Hinneigung zur Rechten in allen Tonarten gewettert hat. Jetzt erklärt Herr Bassermann mit einem Male, cs sei „töricht", dem Zentrum aus seinem früheren Ver halten einen Vorwurf zu machen: die Zcntrumspolitil sei jederzeit frei von Voreingenommenheit für eine be stimmte Partei gewesen. T*aut man da seinen Augen? Von einer „Zwangslage" sür den Liberalis mus im nationalen und ethischen Sinne kann also keinesfallssie Rede sein. Im Gegenteil, die vater ländische Notwendigkeit wies ihn mit allem Nachdruck aus die Verteidigung der bundesstaatlichen Interessen, in denen unsere nationale Lebenskraft wurzelt, und damit auf den Negierungsentwurf hin. Wie konnten, wie durf ten die Liberalen hier versagen? Wie mar es ins besondere den sächsischen N a t i o u a l l i b e r a l e n möglich, ihre eigene Negierung im Stiche zu lassen, die mittig bis zum letzten Augenblicke die Fahne ihrer mohlabgewogencn Ueberzeugung aufrecht trug und in dem Kampfe sür das bundesstaatliche Prinzip, sür die Erhaltung der einzelstaatlichen Kulturzentren mit ihrer segensreichen Einwirkung aus das gesamte össentliche Leben in Deutschland, auch in dem Augenblick der entscheidenden Abstimmung nicht versagte? Da drängt sich dem ehrlichen bundesstaatlichen Politiker doch unwillkürlich die Frage an die Herren H c t t u e r und Iunck auf die Lippen: „Wie sieht es in Ihrem Innern mit der Anhänglichkeit an den bundesstaatlichen Gedanken ans? Wollen Sie den Einheitsstaat oder wollen Tie ihn nicht?" Um eine ganz klare, ganz unverklausulicrtc, ganz zweifels freie Antwort wird gebeten! Wenn die Liberalen sür den Bundesstaat und seine durchdringende nationale Bedeutung für die gesamte deutsche Entwicklung wirklich ein Herz, ein warmes, auf richtiges Empfinden hätten, dann müßten sic aus alle Fülle davon abstehen, einen parlamentarischen Sieg, der aus Kosten dieses Prinzips errungen ist, mit Iubelhi,innen zu begrüßen. Uebcrdics aber handelt cs sich gar nicht einmal um einen spezifisch liberalen Sieg, sondern vielmehr um einen solchen der Sozialdemokratie aus der gan zen Linie. Die Partei des Umsturzes hat mit wahrhaft dämonischem Raffinement allc'Fädeii so gesponnen, daß das fertige Gewebe ihren Zwecken entsprechen mußte. Tic Vertreter der sozialen Revolution sind Gegner des Bundesstaats, weil in den Ministerien und Volksvertre tungen der Einzelstaaten durchweg die ziclbcwußtesten Kämpen wider den Umsturz fitzen, während im Reichs tage der eigentliche Mnchtfaktor der Sozial- dcmokraticzu erblicken ist. Je strasser daher die Zügel des Einheitsstaates angezogen, je mehr die Rechte der Bundesstaaten beschnitten werden, desto höher steigen die Aussichten der Sozialdemokratie, da sic dann ihre ganze Macht gegen einen gemeinsamen Mittelpunkt richten kann. Und in dieser Gemeinschaft befinden sich jubelnd die Nationallibcralcn, deren Stolz es immer mar, dem Fürsten Bismarck bet der Schaffung des Reiches aus bundesstaatlicher Grundlage mitgeholfen zu haben! Außerdem aber kommt in Betracht, daß die Sozialdemo kratie mit aller Gewalt sür die immer schärfere Anziehung der direkten Steuerschraube ein- tritt in der von ihrem Standpunkte aus richtigen Erkennt nis, daß es kein besseres Mittel gibt, nm die allgemeine Unzufriedenheit zu schüren und die Zufriedenheit, die ja nach sozialistischer Auffassung das „größte Laster" ist, zu untergraben. Beides hat die Sozialdemokratie durch die Ncichsvcrmögcusznwachssicucr und die in ihrem Gefolge nm Horizonte erscheinende künftige Steuerpolitik nur zu gut erreicht. Sic hat zwei Fliegen mit einer Klappe ge schlagen, indem sie dem bundesstaatlichen Prinzip einen Stoß ins Herz versetzte und gleichzeitig ihr die Geister revolutionierendes Idol, die direkte Besteuerung, um einen wesentlichen Schritt vorwärts brachte. Für einen so hohen Preis konnte die Sozialdemokratie sogar ihrem Prinzip der bedingungslosen Bekämpfung des Militarismus ein mal untreu werden und diesem durch die Bewilli gung einer ihr io günstig in den Kram paffenden, ganz von ihrem Geiste erfüllten Deckungsvorlagc Vor schub leisten. Wenn die L i b c r a l c n trotzdem Hand in Hand mit der Sozialdemokratie gingen, so setzen sie sich dem schweren Vorwürfe aus, daß mit ihrer Hilfe die notwendige, im Interesse der Sicherheit deS Reiches unerläßliche Stärkung unserer Heeresmacht zugleich zu einem Mittel gewor den ist, um die bundesstaatliche Grundlage des Reiches zu untergraben. Dies muß zur Steuer der Wahrheit gegenüber den verschleiernden libe ralen Darstellungen ausdrücklich betont werden. Die jetzige Freude der Liberalen über ihre äußeren Erfolge im Bunde mit Zentrum und Sozialdemokratie muß bald bei den nationallibcralcn Führern einem großen Katzenjammer Platz machen, denn so vcrbasser mannt sind ihre sächsischen Wähler noch nicht, als daß ihnen bei solcher „Führung" nicht bange würde. Die ganze Frage ist z u wichtig, als daß man dabei aus Partei, erörter ungen zukominen darf. Aber niemals darf