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ÄckaKilM M ZiWti AMtzeit»- zu Nr. 279 des Hauptblattes. 1926. Beauftragt mit der Herausgabe Regierungsrat Brau he in Dresden. LandtaMtrhandlungen. 2. Sitzung. Dienstag, den S». November 1926. Prüfident Schwarz eröffnet die Sitzung 1 Uhr 59 Minuten nachmittags. Am Regierungstische einige Regierungsvertreter. Bor Eintritt in die Tagesordnung erhält Herr Abg. vr. Wilhelm das Wort zu einer Erklärung. Abg. vr. Wilhelm (Wirtsch.): Jin Namen der Reichs. Partei des Deutschen Mittelstandes (Wirtschaftspakte,) gebe ich folgende Erklärung ab: Die Reichspartei des Deutschen Mittelstandes (Wirtschaftspartei) erklärt, daß sie die Wahl der beiden Schriftführer Licberasch und Mucker für nicht rechts» gültig hält, weil die Wahl entgegen den Vorschriften der Geschäftsordnung erfolgt ist. (Zuruf b. d. Komm.: So sehen Sie aus!) Sie hält den Wahlgang für noch nicht abgeschlossen- Tie Feststellung des Präsidiums, das; angesichts der Tatsache, daß drei Abgeordnete vorgeschricbcnc Mehr heilen erhalten hätten, nur zwei davon als gewählt zu betrachten sind, sindet keine rechtliche Stütze in den Wahlvvrschristcn der 88 6, 71 und 72 der Geschäfts ordnuug. (Zuruf links: Ter Landtag hat zugestimmt!) Sie ist deshalb ein Irrtum des Präsidiums. Präfideut: Das Haus nimmt die Erklärung zur Kenntnis. Abg. Kunath (Wirtsch. — zu einer persönlichen Bemerkung): In der ersten Sitzung ist bei der Wahl des Präsidenten ein Stimmzettel abgegeben worden, der die Unterschrift „vr. Kunath" getragen haben soll. Ich Habe zu erklären, das; der Stimmzettel nicht von mir unterschrieben worden ist, daß es auch weder in meiner Partei, noch überhaupt in diesem Hause einen Abgeordneten „vr." Kunath gibt. Es ist also ent-- weder mein Name mißbraucht worden, oder er ist bei der Wiedergabe nicht richtig gelesen worden. Stellv. Präsident Dr. Eckardt: Was Herr Abg. Kunath gesagt hat, ist richtig, auf dein Stimmzettel befand sich ein anderer Name wie der des Herrn Abg. Kunath. ES ist ein Irrtum des Schriftführers Lieberasch gewcien. (Hört, hört! rechts.) Ich habe bereits am Freitag unter Bezugnahme darauf, daß ich den Vorsitz hatte, die „Leipziger Neuesten Nachrichten" gebeten, diese Sache zu berichtigen (Bravo! b. d. Wirtsch.), es ist aber leider nicht geschehen. (Bedauerlich.' b. d. Wirtsch.) Schriftf. Abg. Lieberafch (Komin.): Der Name war so zusammengedrängt geschrieben, daß es für den ersten Augenblickbei der Eile des Lesens aussah wie „Dr. Kunath". Ich habe mich aber davon überzeugt, daß es Dr. v. Fumetti hieß. Hierauf werden die Abgg. Großmann (Wirtsch.), Wirth (Altsoz.), Göttling (Aufwert.) und Claus (Dem.) einstimmig durch Zuruf zu stellvertretenden Schriftführern gewählt. Punkt 1 und 2 der Tagesordnung: Wahl der ordentlichen Ausschüsse (8 15 der Geschäftsordnung) und des Büchcreiausschusses (§76 der Geschäftsordnung). Tas Haus beschließt zuuächst einstimmig, die Zahl der Mitglieder sür den Prüfungsausschuß aus 15, für den Haushaltausschuß auf 21, für den Haushaltausschuß L auf 19 und sür den Rechtsausschuß auf 21 Mitglieder festzulegen. Es werden sodann einstimmig durch Zuruf gewählt: iu den Prüfungsausschuß die Abgg.Menke, Wilde, Bogel, Ebert, Dennhardt (Soz.), Siegel, Bleier (Komm.), Bauer, vr. Kretschmar (Dnat.), König, Schmidt (D. Vp), Frau Dr. Mich Beil (Tein ), Hagen (Altsoz.), Lauterbach (Wirtsch.) und Göttling (Aufwert.); in den Haushaltausschuß die Abgg. Liebmaun, Frau Schilling, Weckel, Frau Thümmel, Dobbert, Müller- Planitz, MüllerMittiveida (Soz.), Böttcher, Dr.Schmincke, Nötzscher (Komm), Kuntzsch, Siegert, Schladebach (Dnat.), De. Blüher, Voigt, De. Gelfert (D. Vp), ve. Dumsahn, Weber (Wirtsch.), Claus (Dem.), Mack (Aufwert.) und Müller-Chemnitz (Altsoz); in den Hanshaltausschuß v die Abgg. Graupe, Herrmann, Geiser, Siegnoth, Ferkel, Gerlach (Soz.), Licberasch, Opitz, Schreibcr-Oberwürschuitz (Komm.), Berg, ve. Eckardt, Grellmann (Dnat.), Lippe, Beck (D. Vp.), Aßmann, Hentschel (Wirtsch.), ve. Kastner (Dein), Härtel (Aufwert.) und Wirth (Altsoz ); in den Rechtsausschlrß die Abgg. Arzt, Edel, Nebrig, Neu, Hartsch, Schulze, Frau Schlag (Soz), Siewert, Renner, Roscher (Komm.), ve. Eberle, ve. Wagner, Pagenstecher (Dnat.), Röllig, v. Hickmann, ve. Frucht (D. Vp ), ve. Wilhelm, Großmann (Wirtsch ), Bethke (Altsoz.),vr. Seyfert (Dem.) undvr.v.Fumetti (Aufwcrt.); kn den Büchereiausschuß die Abgg. Böchel (Soz.), Böttcher (Komm.), Siegert (Dnat.) und Lippe (D.Vp)- Die Gewählten nehmen die Wahl an. Hierauf tritt eine kurze Panse ein zur Konstituierung der Ausschüsse. Nach Wiederaufnahme der Sitzung beantragt Abg. v. Mücke (Natsoz.) namens seiner Fraktion zur Geschäftsordnung, die Punkte 3, 4 und 5 von der heutigen Tagesordnung abzusetzen und dafür auf die Tagesordnung zu setzeu: 3. Der Landtag wolle beschließen, ungesäumt die not wendigen Schritte zur sofortigen Haftentlassung des Abg. Ewert zu ergreifen und die Wahl des Ministerpräsidenten erst dann auf die Tages ordnung zu setzen, wenn der Landtag vollständig ist. 4. Der Landtag wolle beschließen, ein vielleicht ein gehendes Ersuchen um Aufhebung der Immunität des Abg. Böttcher erst dann auf die Tagesordnung zu setzen, wenn die mit größter Beschleunigung zu bildende neue Negierling das Vertrauen des Land tages erhalten hat. 5. Der Landtag wolle beschließen: Die Interims regierung besitzt nicht das Vertrauen des Land tages. Die Notwendigkeit der Annahme der beiden ersten Anträge ergibt sich aus den jetzigen Mehrheitsverhält nissen, wo es wesentlich ist, daß jede einzelne Stimme zur Geltung kommt. Was den dritten Punkt bctrisst, so hat der Herr Ministerpräsident nach Art. 20 der Verfassung die Ämter des gesamten Ministeriums in die Hände des Landtags zurückgegeben. Die Interimsregierung hat aber tat sächlich in gewisser Beziehung mehr Rechte als eine zu Recht bestehende Regierung: sie kann unabhängig vom Landtag auf dein Verordnungswege alle möglichen Be stimmungen treffen. Deshalb ist es notwendig, daß mindestens festgestellt wird, ob diese Interimsregierung das Vertrauen des Landtages hat oder nicht. (Zuruf: Braucht sie nicht!) Abg. Böttcher (Komm.): Wenn heute der Antrag auf Haftentlassung des Abg. Ewert in Schlußberatung die wir beantragen, angenommen und der Abg. Ewert frcigegeben wird, haben wir nichts dagegen, wenn die Wahl des Ministerpräsidenten aus die nächste Sitzung ani Donnerstag verschoben wird, wo der Herr Abg. Ewert anwesend sein kann und die Wahl von sämtlichen Ab geordneten durchgesührt werden kann. Der Absetzung des Punktes 3 können wir nicht zustimmcn. Ter Antrag der natsoz. Fraktion wird abgelehnt. Hierauf wird die Konstituierung der einzelnen Ausschüsse bekanntgegebcn. Rechtsausschuß: Vorsitzender Abg. Renner, 2. Vorsitzender Abg. vr Eberle, Schriftführer Abg. Hartsch, 2. Schriftführer Abg. vr. Frucht, 3. Schriftführer Abg. Großmann, 4. Schriftführer Abg. Roscher, 5. Schriftführer Abg. Pagcnstechcr. Hanshaltausschuß L: Vorsiücnder Abg. Berg, stellv. Vorsitzender Abg. Graupe, 1. Schriftführer Abg. Opitz, 2. Schriftführer Abg. Hentschel. Hanshaltausschuß^: 1. Vorsitzender Abg. Weckel, 2. Vorsitzender Abg. Weber, Schriftführer die Abgg. Siegert, vr. Gelfert, Dobbert und Rötscher. Prüfungsausschuß: 1. Vorsitzender Abg. Schmidt, 2. Vorsitzender Abg. Siegel, 1. Schriftführer Abg. Vogel, 2. Schriftführer Abg. Lauterbach. Punkt 3 der Tagesordnung: Erste Beratung über den Antrag des Abg. Böttcher u. Gen., die Ent- Haftung des Abg. Ewert bctr. (Drucksache Nr. 1). Ter Antrag Drucksache Nr. 1 lautet: Der Landtag wolle beschließen: Der Abg. Ewert ist sofort sreizulassen. Abg. Böttcher (Komm. — zur Begründung): Tie Per- hastung des Abg. Ewert haben wir bereits in der letzten Sitzung als einen willkürlichen Eingriff des Lberreuhs- anwalts in die Mehrheitsverhältnisse dieses Landtags charakterisiert. Ewert, bereits 1 Jahr in Berlin ossiziell tätig, konnte vom Lbcrreichsanwalt längst festgesetzt werden, was aber ausgerechnet erst 2 Tage vor der Wahl des Sächsifck en Landtages geschehen ist. Und das sächsische Justizministerium hat nun bei diesem Falle der Oberrcichsauwalts hast sekundiert. Als Grund für die Inhaftierung des Abg. Ewert wird angegeben, daß derselbe dringend verdächtig sei, im Julande in den Jahren 1923 und 1924 fortgesetzt gemeinschaftlich mit anderen das hochverräterische Unter nehmen, die Verfassung des Reiches unb der Länder gewaltsam zu ändern, durch Handlungen vorbereitet zu haben. Es ist al o eine der üblichen Anklagen auf Grund der 88 86, 81, 47 des Strafgesetzbuches. Als Ursache für die Inhaftierung und zur Begründung ihrer Not- Wendigkeit gibt der Untersuchungsrichter beim verflossenen Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik an, daß der Abg. Ewert, wenn er außer Haft sei. die Spuren seiner Tat vernichten, Zeugen oder Mitschuldige zu einer falschen Aussage verleiten oder sich der Zeugnis- zwangspflicht entziehen könne. Ewert müsse vor das Reichsgericht gestellt werden. Das uns vorliegende Material über die tatsäch ¬ lichen Vorgänge im Jahre 1923 auf feiten der Re aktion charakterisiert noch viel mehr als alle bisherigen Veröffentlichungen die Rolle des Staatsgerichtshofes zum Schutze der Republik als eines Staatsgerichts- Hofes zum Kampf gegen die kommunistische Partei. Der Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik hat gegen das Treiben der völkischen, dentschnationalen und reaktionären Seite die Augen geschlossen und stets nur die Maßnahmen der Kommunistischen Partei oder ihrer Mitglieder gesehen. Es ist heute festgestellt, daß der Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik gegen die schwarze Reichswehr nichts unternommen hat. Offen kundig beleuchtet wird dieser Skandal insbesondere durch den Landberger Prozeß, wo zum erste» Male gerichts notorisch die Tatsache der Existenz der schwarzen Reichs wehr festgestellt wurde, woüber alle Leugnungen des Reichswehrministers Geßler nicht hinweghelfen können. Die Kommunistische Partei hat aus ihren: Ziele nie ein Hehl gemacht: Beseitigung der bürgerlichen Ge sellschaftsordnung, Sturz des kapitalistischen Staates und Aufbau des Sozialismus mit den Mitteln der proletarischen Diktatur. Nun hat der Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik konstruiert, daß jedes Mitglied der Kommunistischen Partei, das sich zu diesen Grund sätzen und Zielen bekennt, von vornherein strafbar sei. Darauf basieren ja alle Strafprozesse gegen die Kommu nisten, die vonGStaatsgerichtshof durchgeführt wordensind. Auf was stützt sich den» nun die Verhaftung des Abg. Ewert und die Anklage gegen ihn? Er sott im Jahre 1923 an zwei Sitzungen teilgenommen haben, in denen angeblich hochverräterische Pläne besprochen worden seien. Eine solche angebliche Sitzung soll bei dem Vr. Klauber in Berlin gewesen sein. Die Stütze für diese Behauptung sindet der Oberreichsanwalt einzig und allein in den Aussagen seines Kronzeugen Felix Reumann. Und zum anderen sott der Abg. Ewert angeblich an einer Sitzung teilgenommen Haden, die angeblich bei dem Abg. Koenen in Berlin stattgefunden haben soll. Tas sind die beiden Ursachen, weshalb der Oberreichsanwalt gegen den Abg. Ewert ein Straf verfahren eingeleitet und der Untersuchungsrichter seine Verhaftung durchgeführt hat. Sonst liegen andere bewiesene Straftaten oder strafbare Handlungen des Abg. Ewert nicht vor. Das, auf was sich der Oberrcichsanwalt stützt, bricht also völlig in sich zusammen. Es bleibt nichts weiter übrig als das außerordentlich fragwürdige Zeugnis des Kronzeugen Felix Neumann, und um deswillen ist bereits am 4. April 1924 ein Strafverfahren eingeleitet und gleichzeitig vom Untersuchungsrichter des Staats gerichtshofs zum Schutze der Republik ein Haftbefehl gegen den Abg. Ewert losgelassen worden. Dieser Haftbefehl liegt also jetzt schon 2*/, Jahre zurück. Während dieser ganzen Zeit, hat sich der Abg. Ewert in Berlin aufgehalten. Das hat die Polizei ganz genau gewußt, hat aber seine Inhaftierung nicht durchgeführt. Nun hat sich der Reichstag bekanntlich bereits mehrere Male mit der Frage der Genehmigung der Verhaftung kommunistischer Abgeordneter beschäftigen müssen, er hat sie bisher jedesmal versagt und in mehreren Fällen sogar die Enthaftung kommunistisch» r Abgeordneter beschlossen. Ter Reichstag hat weiterhin in »einer Sitzung vorn 13. November 1926 zu dein Zentrale-Prozeß des Oberleichsanwalts gegen die Kommunistische Partei beschlossen, das vor dem Reichs gericht schwebende Verfahren gegen die Abg. Stöcker und Genossen wegen Vorbereitung eines hochverräte rischen Unternehmens bis zu den im Sommer 1927 ein- tretenden Ferien des Reichstages einstcllen zu lassen. Damit hat der Reichstag in diesen, Falle den. Ober- reichsanwalt einen sehr deutlichen Wink gegeben. Tie Anklage gegen Ewert ist außerdem von einem Gerichtshof erboben worden, der durch Reichstags- beichluß bereits beseitigt worden ist. Ter StaatsgerichtS- hof zum Schutze der Republik ist im Juni dieses Jahres durch Reichstagsbeschluß aufgehoben worden Tie An klage wird aber von einem Strafienat des Reichs- gelichtes weiter geführt, der iin Widerspruch mit dem politischen Ausschuß des Reichstages heute die Tendenz- prozesse gegen die Kommunisten iveitersührt. Wir Kommunisten foroern deshalb die Aufhebung aller Ur teile lind die Niederschlagung aller Verfahren, die vom Staatsgerichtshof anhängig gemacht worden sind. Run hat das sächsische Justizministerium in einem Gutachten zum Falle Ewert die Partei des Oberreichs- anwaltcs ergriffen mrd erklärt: Ter Abg. Ewert ist zu Recht verhaftet, seine Freilassung kann nur erfolgen nach e nem Beschluß des sä.üsischcn Landtages. Wir haben bereits in der letzten Sitzung darauf hingewiesen, daß dieses Gutachten der Großen Koalition und ihrer Bünger-Justiz den klaren Bestimmungen der Verfassung wideripricht. In der Verfassung steht, daß die Immunität des Abgeordneten mit der Verkündung des Wahlresultates beginnt. Das mußte das Justiz ministerium selbst zugeben. Es gibt aber nicht zweierlei Immunität, sondern nur eine, nämlich die, daß die Abgeordneten außerhalb der Gefängnisse sind und zur Ausübung ihres Mandates die notwendige Bewegungsfreiheit haben. In diesem Falle ist also das Gutachten des sächsischen Justizministeriums durchaus im Sinne des Oberrcichsauwalts gehalten. Die national-sozialistische Fraktion hat vorhin bean tragt, die Wahl des Ministerpräsidenten solange auszu setzen, bis der Abg. Ewert enthafticrt worden ist. Wir beantragen deshalb unseren Antrag Drucksache Nr. 1 in sofortige Schlußberatung zu nehmen. Eine Überweisung des Antrages an den RechtSauSschuß