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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeraiions- PreiS 22 i Sgr. s^ Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für da« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt aus diese» Literatur-Blatt in Berken in der Expedition der Mg. Pr. StaatS-Zeitung sFriedrichestr. Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohllöbl. Poff-Aemtern. Literatur des Auslandes. 23. Berlin, Freitag den 26. Februar 1841. Dänemark. Alte Erinnerungen, von Carl Bernhard. Einer der Vorhänge der Zeit zerriß vor den Augen der Dänen, als Friedrich VI. zu seinen Königlichen Vätern versammelt ward. Manches, was bisher sorgfältig verhüllt worden war, wurde dem Blick der Menge entschleiert, und Ideen, die wie noch ungereifte Geburten dem Herzen des Volkes lange nahe gelegen hatten, erhiel ten plötzlich eine Stimme. Doch waren cs nicht allein die Geheim nisse seiner Regierungszeit, welche offenbar wurden. Es giebt auch eine entfernte Vorzeit in Friedrich's VI. Leben, die mit ihren inter essanten, aber ungewissen Umrissen bisher noch so gut wie unbekannt war und fast ausschließlich in mündlichen Traditionen lebte. Noch vor einem Jahre mußte man in Kopenhagen zu verwunden befürch ten, wenn man die Struenseesche Periode berührte, oder den Schleier zu heben suchte, der Friedrich's VI. düstere Kindheit einhüllte. Was diesseits von 1768 lag, wurde fast wie Politik — das heißt als Verbotene Frucht betrachtet. Der geniale Schriftsteller, der unter dem Namen Carl Bernhard schreibt, ist der Erste, der von dieser Periode eine recht lebendige Schilderung zu geben gewußt hat; und in seinem Gemälde findet sich kein Stachel, welcher verwunden, kein Wermuth, welcher das Gefühl verbittern könnte. Als wahrer Künstler hat er seinen Gegen stand in seiner ganzen Eigenthümlichkeit, aber auch im schönsten Lichte aufgefaßt. Mit kühner Hand, doch ohne Jndiscretion, hat er den Schleier gehoben und mit festem Fuß ein bisher noch wenig angebautcS, aber sehr fruchtbares Gebiet der Dänischen Geschichte betreten. ES ist indcß kein historischer Roman, den der Verfasser geliefert hat, auch keine Alltagsgeschichte; cs ist eine Reihe von Lebensbildern, von wahrheitstreuen Schilderungen der echt mensch lichen, ewig wicderkehrenden Gefühle und Vorstellungen, die jedem Zeitalter angehören, und die der Verfasser mit dem ganzen Ge schmack neuerer Nvvellistik in eine Zeit verschmolzen hat, die unS jetzt eben so veraltet vorkommt, als die Portraits unserer Groß mutter mit ihren hohen ToupeeS und ihren Pochen; es ist eine Reihe von Zeitbildcrn und lebensvollen Darstellungen von der Großväter «igenthümlichen und spießbürgerlichen Sitten, — von Kopenhagen, wie es ausgesehcn hat, als die alte Christiansburg noch mit ihrem hohen Thurm prangte und die Bürger, ehe Struensee die-Straßen beleuchtung verbesserte, des Abends mit der Laterne nach Hause gingen, während der Adel mit Fackeln vor sich her leuchten ließ. Man bewundert das prachtvolle Hirschholm, welches jetzt nicht mehr ist, und Frevcnsborg mit seinen weitläuftigen Gärten von steifen Alleen und geschorenen Hecken; man wohnt des Gauklers und Aben teurers Sieur Gabel Vorstellungen im Roscnborg-Garten bei, in welchen Struensee dem Publikum zuerst Zugang verschaffte; man sieht diesen merkwürdigen Mann als den allmächtigen Minister des Zwillingsreichcs, mit seinen Schwachheiten bei persönlicher Gefahr, aber in seiner vollen Kraft, wenn es galt, die Aristokratie zu de- müthigen; man sieht grandiose Hof-Jntriguen, wie sie hier wenigstens heutiges TageS nicht mehr Vorkommen, sich entwickeln und große Resultate mit sich führen. Man sieht einen glänzenden wollüstigen Hof, ein treues Abbild von dem Ludwig's XV., und die Dänische Konigswohnung zu einem Tempel der Freude umgewandelt, in wel chem die Königin die Hohepriesterin ist — die schöne gute Caroline Mathilde, deren Fehler so viel Entschuldigung in den Umständen finden.^ Und bist du jung, lieber Leser oder Leserin, ist dein Herz offen sür des Lebens schönste Gefühle, oder wandelst du bereits unter Amors Scepter, so findest du hier dein eigenes Bild unter den alten Portraits. Bereits hat der Verfasser selbst eine Deutsche Uebcrsctzung seines Buches angekündigt, und um auf diese die Aufmerksamkeit hinzulen- ken, glaube ich mit cm paar Worten den Nahmen andcuten zu müssen, in welchem das schone Gemälde eingefaßt ist. Ein alter Hofmann, ein Kammcrhcrr, und zwar einer von der Gattung, die nie eine andere Stellung als bei Hofe bekleidet haben, der nicht wenig stolz darauf ist, von der Zeit sprechen zu können, wo ein Kammerjunkcr eben nichts Anderes war, als ein Kammcr- junker, der noch beständig den Zopf im Nacken trägt und übrigens gutmüthig und liebenswürdig ist, — theilt dem Verfasser thcils münd lich, theils schriftlich seine Memoiren mit, und aus diesen ist die Erzählung geschöpft. Der alte Herr heißt SophuS Norden. AlS Page an Chri- stian's VII. Hof begleitet er die Königin Caroline Mathilde auf einem Spaziergang bei FrederikSbera, und ist hier dazu bchülflich, daß die Königin in ihrem menschenfreundlichen Gefühl eine Familie vom Untergang rettet. Bei dieser Gelegenheit sieht er Lisette Calais, damals noch ein Kind. Die Bekanntschaft wird in Kopenhagen fort gesetzt, wo der Vater, ein vom Hofe beschäftigter Goldschmidt, an sässig ist. Norden wird Hofjunker bei der Königin, und die kleine Lisette hört auf, ein Kind zu seyn. Zu dieser Zeit erscheint eine Jugendfreundin von Sophus, Elisabeth Helt, nach mehrjähriger Tren nung in Kopenhagen. Beide junge Mädchen, die höchst liebenswür dig sind, setzen zu gleicher Zeit sein Herz in Bewegung, und die Un beständigkeit, mit der die Männer so reich ausgestattet sind, wird hier in einer Reihe gut ausgeführter Scenen recht sichtbar. Es ist merkwürdig genug, daß jene Schwachheit im Grunde dem günstigen Total-Eindruck vom Charakter der Hauptperson nicht schadet. So parteiisch sind die Männer in dem, was mit ihrer Leidenschaft über einstimmt, so ungerecht sind sie in der Vertheilung der Pflichten zwischen den Geschlechtern, daß die zwiefache Leidenschaft, von wel cher er flammt, uns als ein Ausdruck von Liebenswürdigkeit vor kommt, während dieselbe Doppelneigung in e/ncm weiblichen Herzen dieses absolut in unseren Augen herabsetzen würde! Unter der Schilderung dieser Verhältnisse, des Lebens am Hofe, in den Salons und im Hause eines Bürgers — so wie einzelner Personen, unter welchen ein Oberst Helt und Tante Cordia beson ders hervorgehoben zu werden verdienen, ahnt man, daß größere Begebenheiten vorbereitet werden, wie der verborgene Meeresstrudel unter der ruhigen Oberfläche, und man entdeckt deutliche Merkmale zweier Parteien, von welchen die Königin mit Struensee und Brandt auf der einen Seite stehen, während die Königin Witwe, an deren Partei unter Anderen sich der Russische Gesandte anschließt, die zweite einnimmt. Eine Hofdame der Königin Witwe, Comtesse Breitenstein, macht dem jungen Hofjunkcr Annäherungen, die nicht erwiedcrt wer den; in einem unbesonnenen Augenblick verräth er die ganze Ge schichte, wodurch die Dame dem Gelächter des Hofes preisgegeben wird. Sic sinnt auf Rache und wird eine Haupttrtebfeder in der ganzen Jntrigue gegen die Königin und ihre Anhänger. 'Am Ende des ersten Theils kommt ein Brief vor, der ein wahres diplomatisches Meisterstück ist. Die Comtesse wird durch denselben von der Lage der Dinge am Hofe, während dessen Aufenthalt in Holstein, unter richtet; unter Mehrerem ist darin das Bcrhältniß der Königin zu Struensee nicht erzählt, aber auf eine unendlich feine und zarte Weise angcdeutct, immer jedoch so deutlich, daß die Comtesse gleich einsieht, wie sie es zum Vortheil ihrer Pläne benutzen kann. Mit dem zweiten Theil beginnt die Nemesis rhr Haupt zu er heben, und das tragische Schicksal, welches sich aus dem Charakter der Hauptpersonen selbst und aus den Verhältnissen des Augenblicks cutwickelt hat, bahnt sich vor unseren Augen den Weg zu seinem Ziel. Der Verfasser hat hier lebensvolle Schilderungen von einzelnen hcrvortretenden Begebenheiten aus dem denkwürdige» Jahr »771 ge liefert, mit welchem dieser Theil anfängt. Der Zug der Matrosen nach Hirschholm, die Emeute der Garde auf dem Schloßplatz und jene unvergeßliche Maskerade-Nacht auf dem Hof-Theater, welche die regierende Königin Caroline Mathilde mit der trübseligen Fahrt nach der Festung Kronborg in der kalten winterlichen Morgenstunde beschließen inußtc, — dies sind die großen interessanten Haupt-Ab schnitte, an die noch eine Menge kleinerer Bilder aus dem Leben der in der Erzählung mitspielenden Personen sich anschließcn. Die eigentliche Katastrophe geht hinter der Scene vor; man sieht sie nicht, empfindet aber ihre Wirkungen. Unbeschadet des Anziehenden dieser Begebenheiten, hat der Verfasser gewußt, das Interesse des Lesers sür die Hauptpersonen in seiner Erzählung zu bewahren. Ich will indeß den Genuß für diejenigen nicht verringern, die das Buch nächstens Deutsch lesen werden, indem ich den ganzen Gang der Be gebenheiten hier erzähle, doch darf ich dreist die Vcrmuthung aus- sprechcn, daß cs mit Begierde gelesen werden wird, und daß der Einwand, welcher mit mehr oder weniger Grund einigen früheren Novellen dieses Schriftstellers gemacht worden ist, die Erfindung sey nämlich trotz ihrer glänzenden Malerei und ihres Gedankcnreich- thumS arm und die Auslosung unbefriedigend, die vorliegende nicht mehr trifft. ' „ . . Daß der Verfasser die Geschichte, die Sitten und Gebrauche der damaligen Zeit fleißig studirt hat, ist oben angedcutet. Das Eigcn- thümlichc einer bestimmten Zeit zeigt sich fast am meisten in Klcinig-