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Wochenblatt für Ar Fernsprecher: Amt Siegmar Nr. 244. Neichenbmnd, Siegmar, Neustadt, Rabenstein und Rottluff. 31 Sonnabend, den 5. August 1811. Erscheint jeden Sonnabend nachmittags. Anzeigen werden in der Expedition Meichenbrand, Nevoigtstraße 11), sowie von den Herren Friseur Weber in Reichenbrand, Kaufmann Emil Winter in Rabenstein und Friseur Thiem in Rottluff entgegen genommen und pro Ispaltige Petitzeile mit 15 Pfg. berechnet. Für Inserate größeren Umfangs und bei öfteren Wiederholungen wird entsprechender Rabatt, jedoch nur nach vorheriger Vereinbarung, bewilligt. Anzeigen-Annahme in der Expedition bis spätestens Freitags nachmittags 8 Uhr, bei de« Annahmestelle» bis nachmittags Ä Uhr. BereiuSiuferate müssen bis Freitags nachmittags S Uhr eingegangen sein und können nicht durch Telephon aufgegeben werden. Bekanntmachung. Der vom Kirchenvorstand zu Reichenbrand aufgestellte I. Nachtrag zum Regulativ über die kirchlichen Amtshandlungen in der Kirchgemeinde Reichenbrand ist von der Kgl. Kircheninspektion der üblichen Geschäftsstunden zur Einsichtnahme öffentlich aus. Reichenbrand, am 1. August 1911. Der Gemcindevorstaust. Bekanntmachung. Am 1. August dss. Js. wird der 2. Termin der diesjährigen Grundsteuer fällig und ist spätestens bis zum ro. August d. I. bei Vermeidung des Mahn- b^. Zwangsvollstreckungsverfahrens an die hiesige Ortssteuereinnahme zu bezahlen. Reichenbrand, am 28. Juli 1911. Der Gcmeindcvorstand. Bekanntmachung. Es wird hiermit zur allgemeinen Kenntnis gebracht, daß das Reinigen der Schornsteine in der Gemeinde Rabenstein in der Zeit vom 8. bis 30. August ISN stattfindet. Ravenstein, am 4. August 1911. Der Gcmcindevorstand. Meldungen im Fundamt Rabenstein. Gefunden: 1 Rolle Sackleinwand. Verloren: 1 Portemonnaie mit Inhalt. Der Gemeindevorstand zu Ravenstein, am 4. August 1911. Iugendfreundschaft. Roman von G. v. Schlippenbach. „Ja, daheim," dachte Frau Haideck, „hier ist Karlas Heimat, die Fremde dort, wo ihres Mannes Haus steht; diese Zeilen verraten es mir." — Es fiel Frau Haideck sehr schwer, sich Latour gegenüber zu beherrschen; sie ver hinderte so viel sie konnte das Alleinsein des Brautpaares, arrangierte Ausflüge und Bootpartien mit Oldens, die anderen Gäste hatten Strandhof bereits verlassen. Eva war oft über das veränderte Wesen Latours erstaunt; nach den ersten Wochen stürmischer Zärtlichkeit war er jetzt oft sehr verstimmt und wurde ungeduldig, wenn sie ihn um den Gründ fragte. Es lag etwas Lauerndes in seinem Gesicht, wenn er die häufigen Gespräche Oldens und Frau Haidccks beobachtete, die bei verschlossenen Türen stattfandcn. Nach einer Woche ersuchte Olden Latour im Namen Frau Haidccks um eine Unterredung. Nichts Gutes ahnend, folgte der Franzose dem alten Herrn. „Sie sind als Betrüger und Hochstablcr entlarvt, mein Herr," sagte der Rechtsanwalt trocken. „Sie beleidigen mich!" rief Latour, über dessen Gesicht sich fahle Blässe breitete. „Bitte, lesen Sie diesen Brief!" Und Latour las: „Paris, Rue du Lac. „Sie haben recht, sich an mich zu wenden, nachdem Ihr erster Brief von Robert unterschlagen wurde." „Das ist eine Lüge!" rief Latour und das Briefblatt fiel aus seinen zitternden Händen zu Boden. „So," versetzte Olden, „hier dieses Kuvert rechtfertigt Ihres Vetters Behauptung; das Stubenmädchen im Strand- hötcl sand den Zeugen Ihrer Schuld beim Putzen Ihres Rockes in der Tasche und übergab das wichtige Papier dem Gastwirt: der Gärtnerbursche, den Sie bestachen, ist außer dem geständig. Erlauben Sie, daß ich Ihnen jetzt den Brief weiter vorlese." „Robert, der leider mein Verwandter ist, hat hier ein leichtsinniges Leben geführt und sein großes Vermögen ver geudet; er hat seiner Mutter Herz gebrochen und geht jetzt darauf aus, eine reiche Partie zu machen; ich bedaure jedes Mädchen, das seine Frau wird. Hüten Sie sich vor ihm, gnädige Frau. Sic schreiben mir, daß Latour die Verlobung mit Ihrer Pflegetochter erzwungen hat. Lösen Sie diese Verlobung so schnell als möglich, ein Mensch wie Robert Latour ist nicht wert, ein reines, junges Mädchen zu heiraten, er würde sie grenzenlos unglücklich machen. Ich bekräftige als Ehrenmann meine Worte, sie beruhen auf Wahrheit. Mit der vollkommensten Hochachtung, gnädige Frau.s Ihr ergebenster Gaston^Lajtour." „So, ich denke, das ist genug," sagte Olden, „es bleibt mir nur noch übrig, Ihnen im Namen Frau Haidecks zu sagen, daß Fräulein Grotenbach arm ist und keinerlei Hoffnung aus den Reichtum ihrer Pflegemutter erheben kann, da die selbe eine Tochter hat, die die alleinige Erbin ist." „Ich habe mein Spiel verloren," murmelte Latour fassungslos, „ich denke, es ist bester, ich empfehle mich." „Ja, und zwar so bald als möglich!" rief Olden heftig, „bitte!" Er öffnete die Tür und Latour ließ es sich nicht zweimal sagen; er verschwand schleunigst und reiste, ohne Eva vorher noch einmal gesehen zu Hohen, per Schiff ab. An demselben Morgen kan, Frau Grotenbach unerwartet in Strandhof an. Anna Haideck unterrichtete sie von dem Vorgefallenen. „Das Schwerste liegt uns noch ob, wir müssen Eva die Augen öffnen," sagte ihre Mutter weinend, ich fürchte, es wird sic hart treffen, daß sie ihre erste, junge Liebe einem Unwürdigen schenkte." Die beiden Mütter, die eigene und die, die jahrelang Mutterstelle an ihr vertreten hatte, sie sagten ihr alles in schoncnher Weise. Eva war wie gelähmt. Sie hörte schweigend zu. Ihr Glaube an die Menschen war verloren, das Ideal, das ihr reines Herz hoch gehalten, stürzte zertrümmert in den Staub. 7. Kapitel.- In Petersburg. „Welch ein schönes Gesicht, aber wie traurig." Der Sprecher ist ein stattlicher Mann gegen Ende der Zwanziger. Den Arm leicht auf die Logenbiüstung gestützt, blickt er durch sein Glas zu einer Dame hinüber, die, in weiße Seide gekleidet, unverwandt auf die Bühne blickt. Das berühmte böhmische Streichquartett gibt heute im Marientheater eines seiner Konzerte; die vornehme Welt Petersburgs vergißt für kurze Zeit ihre rauschenden Ver gnügungen, um den edlen Melodien großer Meister zu lauschen. Es liegt etwas Märchenhaftes im Zusammenspiel dieser Künstler, die Menschcnscelc fühlt sich gepackt, vom süßen Zauher der Musik hingerissen. Bei dem Ausruf des jungen Rachbarn erhebt der neben ihm sitzende Bekannte sein Glas und sieht nun auch zur gegenüberliegenden Loge hin. „Ja, Grotenbach, Sie haben recht," versetzte der schon ältere Advokat Reinhard, „Frau llchatscheff ist bildschön." „Uchatscheff!" ruft Alfred Grotenbach, „heißt ihr Mann Konstantin und dient er bei den Gardculanen?" „Jawohl." „Und seine Frau ist eine Deutsche?" „Wie? Das wissen Sie auch?" fragte Reinhard erstaunt. In kurzen Worten gab Oe. Grotenbach die Erklärung. Dann verstummt er und scheint nur noch auf die herrliche Musik zu hören. Hin und wieder schweifen seine Augen zu Karla hinüber. So steht also jetzt der muntere Backfisch aus, den er auf Rügen ncckre und der oft so schnippisch gegen ihn war. Eine ernste Frau ist daraus geworden; auf dem schönen, blaffen Gesicht, in den großen, braunen Augen fehlt der Frohsinn und ein trauriger Zug ist an seine Stelle getreten. Abweichend von den meist dekolletierten russischen Damen, ist das weißseidene Kleid Karlas bis hoch am Halse geschloffen, nur ein in rot und grünem Feuer sprühender Stein schließt den Kragen. Ter auffallenden Mode zuwider, trägt die junge Frau des Rittmeisters Uchatscheff ihr reiches, dunkles Haar sehr schlicht, die Weiße Stirn frei, der matte Ton der Haut ist farhlos. Dagegen find die zartgeformten Lippen von lebhaftem Kolorit; der Mund ist herb geschloffen. Hat er das Lächeln verlernt, so früh schon? Oder bleibt er so fest geschloffen, um nicht aufzuschreien in leidenschaftlicher Qual? In der Haltung des schlanken Fraucnkörpers liegt etwas Müdes, in den großen dunklen Augen ein geheimes etwas, das von schweren Seelenkämpfcn spricht, aber der Stolz steht daneben und will nicht, daß es verraten wird. — „Diese Frau ist ein sam, fie trägt ein tiefes Leid," das ist die Schlußfolgerung von Alfred Grotcnbachs Beobachtung. Bet der großen Hitze empfehle ich Svllsr», I.l2»ou»a«o, Lriu»d»vl»vr Spruael, r»odtuxor, Lurrvr u. LUtuvr SLuordruuuvu, ^poMuurl«. Feiner halte ich großes Lager in »»tArllvLou Lltuvr»1vL»»vru, wie Lm»or, L»r1»dLüvr, Lumaodvtüor.Saxlsduvr LtttvrvL»»or, Lhpvnl» und viele andere in frischer Füllung; garantert reinen <-ivd1rx»d1rudovr»»tt, nach Vorschrift des deutschen Arznei buches, I-tmvtt», vorzügl. alkoholfreies Erfrischungsgetränk. vi'oAei'Le 8ieKnrsi'. Fernsprecher 325. Hofer Strotze 2V. Er ist erst kurze Zeit in Petersburg, nachdem er in Wien und Paris sich als Nervenarzt weiter ausgebildel hatte. Jetzt wollte Grotenbach auch in der Newastadt seine Kenntnisse erweitern und selbst praktizieren, er hatte gute Empfehlungen mitgebrocht, und seine Tüchtigkeit sicherte ihm ein glänzendes Vorwärtskommen in seinem Beruf. War es nicht ein günstiger Zufall, daß er Karla schon heute sah? Er war entschlossen, ihr seinen Besuch zu machen. Ob Frau Uchatscheff den Blick Alfreds fühlte? Ihre Augen trafen die seinen nur während einer Sekunde, dann sah sie wieder aus die Bühne. Er glaubte kaum, daß sie ihn erkannt hatte; viele Jahre lagen ja zwischen dem Einst und Jetzt. Alfred dachte an ihren kleinen Streit am Tage vor seiner Abreise. „Dein Bruder ist ein recht unangenehmer Mensch," hatte sie zu Eva gesagt. Grotenbach mußte lächeln, so deutlich sah er Karla vor sich, den hübschen, trotzigen Mädchenkopf mit dem langen Zopf, die ganze zierliche, anmutige Erscheinung. Wie wenig war davon übrig geblieben! Das Konzert war zu Ende, das Haus leerte sich, Groten bach stand am Ausgang des Theaters, da schritt Karla, in ihren prächtigen Fuchspelz gehüllt, an ihm vorbei, sie schien viel größer zu sein als das Kind, an das er eben dachte. „Der Schlitten für Frau Uchatscheff," rief der sie be gleitende Diener. Ein feuriges Dreigespann brauste heran, im nächsten Augenblick eilten die Rappen schellenklingend über den Schnee. „Seltsam," dachte Grotenbach, „warum ist ihr Mann nicht bei ihr, um mit ihr heim zu fahren?" Eine halbe Stunde später saßen der Advokat und Reinhard, ein Balte, und Alfred Grotenbach an einem Tischchen in einem feinen Restaurant; die Rede kam wieder auf Uchatscheffs. Was der junge Arzt hörte, bestätigte seine Vermutung, daß Karla in ihrer Ehe eine Niete ge zogen hatte. „Haben Uchatscheffs Familie?" fragte Grotenbach. „Ja, ein zweijähriges Kind, ein kränklicher Knabe; seine Mutter ist sehr häuslich und verläßt den Kleinen nur un gern, sie ist in der russischen Gesellschaft beinahe fremd geblieben, ihre Interessen gehen auch zu weit auseinander. Wissen Sie übrigens, daß Frau Uchatscheff sehr schön die Geige spielt?" Alfred bejahte. Er sah im Geist den Mufiksaal im Strandhof, Eva saß am Klavier und Klara steht daneben, den Kopf zur geliebten Geige geneigt, der sie eine süße Melodie entlockte. Frau Uchatscheff ist schon lange zu Hause angekommen in dem groben, schönen Palast am Newaquai; fie hat im Vorzimmer schnell die warmen Hüllen abgelegt und fragt den herbcieilenden Diener: „Wie geht es Nicolai?" „Er schläft, gnädige Frau," lautete die Antwort. Nicolai heißt Karlas Söhnchen. Sie eilt durch die vielen Zimmer, die so luxuriös eingerichtet sind, und in denen sie doch friert, wie sie ihrer Mutter im ersten Jahr ihrer Ehe schriest. Nun steht sie am Gittcrbettchen ihres Knaben; sie steugt sich über ihn und legt die Hand auf seine wachsbleiche Stirn. „Er scheint nicht mehr zu fiebern," sagte sie leise. Sie ist am Bett des Kindes nledcrgcsunken und hat den Kops an den Rand gelegt; eine Weiche Stimmung hält sie umfange». Ist es die Nachwirkung stes Konzertes? Jeder Puls in ihr vibriert, ihre stolzen Schultern zucken, sie weint, hoffnungslos, unhörbar, wie Menschen weinen, die ihr Leid verbergen, weil sie nicht bemitleidet sein wollen. „Ich weißt nicht, was mir heute ist," denkt sie auf stehend und die blauscistene Steppdecke höher über den kleinen Schläfer ziehend. Eine alte Wärterin kommt auS dem Nebenraum, Frau Uchatscheff wechselt einige Worte mit ihr und geht in ihr Zimmer, das neben der Kinderstube liegt; dort erwartet ihre