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Nr. 81 Schrlsllrituag u»d S«schLst»ft,ll«. Zohaanttgafi« Nr. 8 Sonnabend, den 2S. Januar F«rnspr«ch-An,chlub Ar. 148S2. l46i» und 14«g4 1916 Ers»lgreilhe Stnmiigrisse in Westen Der deutsche Tagesbericht Das Motfffche Büro meldet amtlich: Großes Hauptquartier, 2S. Januar. Westlicher Kriegsschauplatz Nordwestlich des Gehöfts La Folie (nordöstlich von Neuville) stürmten unsere Truppen die feindlichen Gräben in 1500 m Ausdehnung, brachten 227 Gefangene, darunter einen Offizier, und neun Maschinengewehre ein. Bor der kürzlich genommenen Stellung bei Neuville brachen wiederholte französische Angriffe zusammen, jedoch gelang es dem Feinde, einen zweiten Sprengtrichter zu be setzen. 3m Westtell von St. Laurent (bei Arras) wurde den Franzosen eine Häusergruppe im Sturm entrissen. Südlich der Somme eroberten wir das Dorf Frise und etwa 1000 m der südlich anschließenden Stellung. Die Franzosen ließen unverwundet 12 Offiziere, 927 Mann sowie dreizehn Maschinengewehre und vier Minenwerfer in unserer Hand. Weiler südlich bei Lihons drang eine Erkundungs abteilung bis in die zweite feindliche Linie vor, machte einige Gefangene und kehrte ohne Verluste in ihre Stellung zurück. Ja der Champagne lebhafte Artillerie- und Minen kämpfe. Auf der Co mb res-Höhe richtete eine französische Sprengung nur geringen Schaden an unserem vordersten Graben an. Anter beträchtlichen Verlusten mußte sich -er Feind nach einem Versuch, den Trichter zu besehen, zurück ziehen. Bei Apremont (östlich der Maas) wurde ein feind liches Flugzeug durch unsere Abwehrgeschütze herunter geholt; der Führer ist tot, der Beobachter schwer verletzt. Der Luftangriff auf Freiburg in der Nacht zum 28. Jannar hat nur geringen Schaden verursacht. Gin Soldat und zwei Zivilisten sind verletzt. Oestticher Kriegsschauplatz Die Lage ist im allgemeinen unverändert. Bei Berestiany wiesen österreichisch-ungarische Vor truppen mehrfache russische Angriffe ab. BalLanLriegsschauplatz Nichts Neues. Italien und das albanische Problem Eigener Drahtbericht (r.) Lugano, 29. Januar. Aus Mailand wird gemeldet: Die diplomatischen Vertreter-er Entente in Albanien sind nach zuver lässigen Berichten in Brindisi eingelroffen. Nur der italie nische Gesandle ist in Dalona geblieben, wohin die Gesandten vor fünf Tagen aus Durazzo übergesiedelt waren. (r.) Zürich, 29. Januar. Der italienischen Proklamierung des Ober- befehlsinAlbanien wird in der ganzen schweizerischen Presse nur dekorative Bedeutung beigelegt. Nach zuverlässigen Berichten werden weder in Bari noch in Brindisi Vorbereitungen zu neuen italienischen Trup pentransporten nach Albanien getroffen. ^t>. Bern, 29. Januar. In einer römischen Korrespondenz der Mailänder .Italia" wird gesagt, die Verteidigung von Durazzo sei nicht angezeigt, man tue besser, sich auf die Verteidigung vonValonazu beschränken. Die Zenkralmächte wollten offen bar vor dem Angriff auf Saloniki Albanien säubern. Man dürfe annehmen, daß alle Verbandsmächke für Albanien eintreten wür den. Diese Anschauung wird von der ganzen italienischen Presse rertreken. — Nur .Corriere della Sera" deutet die Möglich keit einer Preisgabe Valonas an. Der Seist des Aufruhrs in Indien Telegraphischer Bericht b-. Köln, 29. Januar. Gegenüber den fortdauernd vom britischen Auswärtigen Amt verbreiteten beschwichtigenden Nachrichten aus Indien berichtet ein kalifornischer Mitarbeiter der .Köln. Volksztg.": Nach den Berichten des Photographen der Coockschen Expedition herrscht überallin Britisch-Indien, wo sich die geheime Revolu tionsgesellschaft «Iung-Indien" eifrig an der Arbeit befindet, ein krisenhafter Z'ustand. Nach neuesten Berichten wurde in Lahore eine zweite Verschwörung entdeckt, wobei über 100 Verhaftungen vorgenommen wurden, was wieder weitverzweigte Aufstände in mehreren Staaten des Reiches zur Folge hatte. Der GeistdesAufruhrshatalleTetle Indiens umfaßt. Millionen von Hindus haben sich der gewaltigen Bewegung angeschlossen, um Indien vom britischen Joche zu befreien. Der Gewährsmann der .Köln. Volksztg." ver sichert, die um ihre Zukunft in Indien besorgten Engländer würden sehr bald finden, daß sie auch dort sich sehr verrechnet haben. Die Stunde der Abrechnung breche an. Karaburun von den Enlentetrnppen besetzt Eigener Drahtbericht (r.) Frankfurk a. M., 29. Januar. Die «Franks. Ztg." meldet aus Lugano: Das Fort Kar - - burun, das die Einfahrt in den Salonikier Hafen beherrscht, wurde gestern von je einem englischen, französischen, italienischen und russischen Detachement beseht, die von den Kreuzern «Plemonke'' und «Askold" gelandet wurden. Der Jeppelinangriff auf Epernay Telegraphischer Bericht tu. Gens, 29. Januar. Der .Matin" berichtet über den im amtlichen französischen Bericht erwähnten Zeppelinangrlss im Gebiete von Epernay: Am Dienstag abend wurde in der Richtung Epernay «in Zeppelin signali siert. Gegen 11 Uhr hörte man deutlich das Geräusch des mächtigen Motors. Der Nebel verhinderte jedoch, daß der Zeppelin ge sichtet werden konnte. Das Luftschiff warf darauf Bomben ab, die Sachschaden anrlchtelen. Einer der Explofionstrichker hatte eine Tiefe von 2 Meter und 6 Meter im Durchschnitt. Aufgefundene Sprengstücke liehen erkennen, daß die Geschosse von sehr großem Kaliber waren. 510 englische Schiffe in den ersten 15 Kriegs monaten versenkt Eigener Drahkberlcht (r.) Haag, 29. Januar. «Central News" melden aus London: Das englische Handels ministerium gibt heule bekannt, daß vom 4. August 1914 bis 31. Oktober 1915 510 englische Schiffe vom Feinde ver senkt wurden, nämlich 274 Dampfer mit insgesamt 524048 Tonnengehalt, 227 Fischerfahrzeuge mit 14104 Tonnen und 19 Segelschiffe mit 15 542 Tonnen. Der Verzicht auf die Blockade Telegraphischer Bericht bk. Haag, 28. Januar. In der englischen Blockadcpolitik bleibt vor erst alles beim alten, obgleich man in Holland nicht be zweifelt, daß die englische Regierung unter der Hand alles auf bieten wird, die Neutralen schließlich zur völligen Absperrung ihrer Grenzen gegen Deutschland zu bringen. Das englische Kabinett schwankte, wie man hier weiß, zunächst zwischen den Forderungen der Admiralität und denen des Ministeriums des Aeußern, bis dieses dadurch siegte, daß Grey und Cecil Asquith ihren Rücktritt anzeigten, falls es auch diesmal den Scharfmachern nachgebe. Sie wurden zu ihrer festen Haltung besonders durch die Befürchtung bestimmt, daß die von den Scharfmachern befür wortete Politik von Deutschland sofort mit der Er klärung der regulären Blockade der britischen Inseln beantwortet werden würde. Das hätte aber die deutschen Tauchboote den bestehenden Beschränkungen ihrer Tätigkeit enthoben und bei dem Mangel an Frachtraum für England eine Katastrophe bedeutet. Der Ton ihrer Presse zeigt indes an, daß die Scharfmacher ihr Spiel keineswegs verloren geben. Die Neutralen zwischen Hammer und Ambos Telegraphischer Bericht vtb. Stockholm, 28. Januar. Zu Greys Rede über die englische Blockade- Politik schreibt .Stockholms Tidnlngen": Das Bedenk lichste war die Erklärung, daß er es als ein Abgehen von der Neu tralität betrachte, wenn ein neutraler Staat nicht Englands Recht an erkennt, alle Warenausfuhr zu Englands Feinden über neutrale Länder zu verhindern. Wir können zugeben, daß England in der Tat die Macht hat, den Import von dem neutralen Amerika nach dem neu- tralen Schweden zu verhindern. Wr können auch praktisch gezwungen werden, uns in gewissem Grade nach dieser übermächtigen Tatsache zu richten, aber keine Ilebermacht der Welt kann uns dazu zwingen, dieser Tatsache den Namen Recht zu geben. .Stockholms Dagblad" sagt: Um in London weiterhin als ehrlich neutral angesehen zu werden, müssen die Neutralen in der Tat im Handelskriege auf die Seite der Alliierten übergehen. Tun sie das, so kommt vermutlich von deutscher Seite eine kräftige Gegen maßregel, weil man dort der Meinung ist, daß ein solcher Schritt das Aufgeben der Neutralität bedeutet. Sie sind somit, wie ein« französische Zeitung dieser Tage schrieb, zwischen Hammer und Ambos verseht. Es wird schwer sein, nach dem Rat dieser Zeitung eine lächelnde Miene zu bewahren, wenn der Hammer aus den Ambos niederfällt. Bismarck und Nutzland Von Universitäksprofessor Dr. Johannes Haller-Tübingen Es ist eine verbreitete Meinung: der Eckstein von Bismarcks auswärtiger Politik sei die Freundschaft mit Rußland gewesen. Gelegentlich kann man auch hören, Bismarck sei grund sätzlich mit Rußland gegen England gegangen. Daraus wird dann wohl gar der Schluß gezogen, die Schwierigkeiten, mit denen das Deutsche Reich seit 1890 immer mehr zu Kämpfen gehabt, in letzter Linie sogar der gegenwärtige Krieg, seien daraus entstanden, daß Bismarcks Nachfolger den altbewährten Kurs verlassen hätte. In Wirklichkeit ist dies nur ein eingewurzeltes Vorurteil, das zwar durch manche Aeuherungen des ersten Reichskanzlers, ins besondere aus der Zeit nach seinem Sturz, einen Schein von Be rechtigung erhält, das aber mit den Tatsachen in Widerspruch steht. Richtig ist, daß Bismarck von jeher von der russischen Freund schaft sehr viel gesprochen, sie als etwas Natürliches hingestellt und betont hak, cs gebe zwischen Deutschland und Rußland keine streitigen Interessen. Indessen über die Grundsätze des handeln den Staatsmannes geben in der Regel seine Taten besseren Auf schluß, als seine Worte. Nun kann man aber beim besten Willen nicht behaupten, daß Bismarcks Russenfrcundschaft, die mit Wor ten so freigebig war, sich auch immer in Taten bewährt habe. Nur zweimal hat seine Politik den Russen wirkliche Dienste geleistet: 1870, als er ihnen half, die Beschränkungen abzuschütteln, die der Pariser Friede von 1856 ihnen auferlegt hatte, und 1863, als er ihnen die preußische Hilfe zur Unterdrückung des polnischen Auf standes zusagte. Den Abschluß des Dreikaiserbündnisses 1872 und seine Erneuerung 1882 darf man nicht als Freundschaftsdienste ausfassen. Sie waren nicht dazu bestimmt, die russische Politik zu unterstützen, sondern sie im europäischen Orient zu binden und da durch ihr Vordringen nach Zentralasien abzulenken. So lange Rußland der Verbündete Oesterreichs war, mußte es seine Balkan pläne vertagen. So wurde es in Rußland auch aufgcfaht. Als das Dreikaiserbündnis 1887 nicht erneuert wurde, jubelte Katkows «Moskauer Zeitung", von der man damals sagte, sie enthalte das, was der Zar am nächsten Tage denken werde: «Gott sei Dank, daß «der unglückselige Vertrags zu Ende geht, der Rußland seiner Selbständigkeit beraubte!" Bismarck selbst liebte es, auf die Verdienste hinzuweisen, die er sich auf dem Berliner Kongreß um Rußland erworben habe, wo er aufgetreten sei, als wäre er der dritte russische Bevoll mächtigte. Die Russen haben das bekanntlich niemals zugegeben, sondern ihn geradezu für die Niederlage verantwortlich gemacht, die der Kongreß für sie bedeutete. .Der ehrliche Makler hat uns betrogen", sagte man dort. Beide Teile aber haben unrecht. Bis marck hat die Russen weder betrogen, noch hat er ihnen Dienste geleistet. Was der Kongreß beschließen werde, war vorher zwi schen Rußland und England insgeheim festgesetzt worden. Diese englisch-russischen Abmachungen, die er kannte, hat Bismarck ver treten. Er hätte also mit demselben Recht seine Verdienste um England rühmen können. Sind die Freundschaftsdienste, die er den Aussen geleistet, spär lich, so hat er sie um so stärker seine Feindschaft fühlen lassen. Was war denn der Abschluß des deutsch-österreichischen Bündnisses 1879 anderes, als eine schroffe Frontwendung gegen Rußland? Kaiser Wilhelm, der sich dagegen sträubte, emp fand das ganz richtig. In Verträgen dieser Art ist es im all gemeinen nicht üblich, den Staat, gegen den sie sich richten, zu nennen. Hier geschah es; das Bündnis von 1879 ist ausdrücklich und ausschließlich gegen Rußland geschlossen worden. Man wird vielleicht einwendcn, seine Wirkung sei durch den «Rückversicherungsvertrag" von 1887 wieder auf gehoben worden, der den Russen ausdrücklich in Bulgarien freie Hand ließ. Die Russen haben auch darüber anders gedacht, und nicht ganz mit Unrecht. Der Geheimvertrag war im Juni ge schlossen worden, im Juli ließ Ferdinand von Koburg sich zum Fürsten von Bulgarien wählen, gegen den Widerspruch Rußlands, das ihn dennoch nicht zu beseitigen vermochte. Bismarck rührte dabei keinen Finger, er begnügte sich damit, «diplomatische Unter stützung" zu versprechen. Dagegen erfolgte im Herbst 1887 das Verbot an die Reichsbank und die Preußische Seehandlung, russische Staatspapiere zu beleihen — ein wahrer Keulenschlag für den russischen Staatskredit. Den Abschluß der Episode bildet die große Rede vom 6. Februar 1888, in der Bismarck mit Rußland ab rechnete. Sie gipfelt in der Feststellung, daß die Zeiten der alten russischen Freundschaft vorbei seien. .Die russische öffentliche Meinung hat einem alten mächtigen und zuverlässigen Freunde, der wir waren, die Türe gewiesen. Wir drängen uns nicht auf, wir laufen niemand nach!" Den Schluß kennt jedermann: «Wir Deutschen fürchten Gott, aber sonst nichts auf der Welt!" Das Wort ist gegen Rußland gerichtet. Ein Iayr sväker hat Bismarck im Reichstag auch über Eng land gesprochen. Er nennt es .den alten und traditionellen Bundesgenossen, mit dem wir keine streitigen Interessen haben". - Er wagte den Ausdruck .Bundesgenossen", obwohl ein Vertrag mit England nicht bestand. Daß es je zum Kriege zwischen Deutsch land und England kommen könne, erklärte er für schlechthin un möglich. Dagegen sprach er in derselben Zeit zu Hohenlohe von der Möglichkeit, .daß wir Rußland derartig besiegten, daß es zu einer Wiederherstellung des Königreichs Polen kommen könnte". Man erinnert,sich ferner seiner Randbemerkung zum Entwurf des »Sansibarvertrages: .Lord Salisburys Freundschaft ist uns wich tiger, als ganz Ostafrika.' Zu dem Maler Richmond sagte er 1887: .Frankreich ist unser erbitterter Feind, und Rußland traue ich nicht. Die natürliche Allianz ist die zwischen England, Deutschland und Italien. Diese drei Mächte würden bei dauernder Kriegsbereit schaft den Frieden der Welt gegen Frankreich und Rußland ver bürgen." Könnte man daraufhin nicht mit mehr Recht behaupten.