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Sir. 11»Ä Mittwoch den «. Mai 7. Jahrgang. ichslsche DMsmtum I rv»»» ft, ».»>»«, M I IgcieüvLen leint ru rrverden Irt kickt mit Hille ö«5 reitlokr- reknten bevSkrten, glSnrenä begutacht. k^rei» je 1 M. unä 4 /Hß. Deuizciien leintwarciissulvei-z uncj -—- flüssig-leililpkäs-akates ^kemisckes l.sborstorlum 0i». >. N»N»«»0»I, Dresöen-3. koorg llükne Iteokk., Augsburger 5trstze -1. Depots In Dresden : tierm.llock, llitmsrkt. lleorgeksumsnn, ?rsgrr5tr.40. tEtü-lohsmLL ^orrellan ^sjoüks leri-scolts ^kiris» u. /^etal! Die soziale Befähigung des Christentums wird von der „Arbeitgeberzeitg." (Nr. 17 vom 26. April 1908) direkt verneint. Dos ist nicht befremdend. In man- chen Arbeitgeberkreisen empfindet man es recht unbequem, daß eine christliche Arbeiterbewegung sich gebildet hat und Laß deren Wortführer und Freunde den Ruf erheben nach der Verwirklichung einer Gesellschaftsordnung, die sich an den ewigen Gesehen des Christentums orientiert. Dieser unbequemen Forderung sucht man dann zu begegnen, in dem man kurzerhand das Christentum ausweist aus dem Gebiete der sozialen Fragen und Kämpfe. So verneint denn auch der Artikel der „Arbeitgeberzeitg.": „Kann die soziale Frage auf religiösem Wege gelöst werden?" die Frage nach irgendwelcher sozialen Leistungsfähigkeit des Christentums. Unbrauchbar erscheint dem Verfasser das Christentum — denn nur um dieses kann es sich bei der Religion der Gegenwart handeln — wogen der (intellektuellen) Bildungs- Höhe der Zeit. Mit vollem Beifall zitiert er aus der „Münchener Allgem. Zeitg.": „Unserer Zeit ist die Kirch lichkeit und Naivität völlig abhanden gekommen, die für die Schaffung einer neuen Religion eine unentbehrliche Vor aussetzung bildet. Dazu kommt, daß eine nicht auf der Höhe der intellektuellen Bildung stützende Religion den Keim zu einem Kulturkämpfe in sich birgt und somit der Weg zur Bildung vollendeter Charaktere, die eine einheit liche Weltanschauung heischt, auch fürderhin verrammelt bleiben wird." Zunächst "bemerken wir: Der Schaffung einer neuen Religion bedarf es nicht erst-, denn diese ist mit dem Christentume ein für allemal gegeben. Will der Verfasser gegen dieses den versteckten Vorwurf erheben, daß es „nicht auf der Höhe der intellektuellen Bildung" stehe, so kann gegen diese liberale Weisheit nicht scharf genug protestiert werden. Mas soll damit überhaupt gesagt sein? Daß ge bildete Leute die christliche Religion nicht hinnehmen könn ten? Je nun: dann liegt die Schuld nicht auf seiten des Christentums, sondern auf seiten der Mangelhaftigkeit jener „Bildung", die im wegwerfendsten Hochmut auf dasselbe herabsehen will, dessen Lehrgehalt ihm noch gar nicht auf gegangen. Indes, wir können hier mal die Glaubenswahrheiten des Christentunis beiseite lassen. Was die christliche Reli gion für die Beilegung der sozialen Kämpfe geltend macht, das ist seine Forderung der Gerechtigkeit und der Liebe. Wodurch sind denn die scharfen sozialen Gegensätze her vorgerufen worden? wenn nicht durch die Selbstsucht der Menschen, jene Selbstsucht, die nur «Profit ans Profit häufte ohne jeden moralischen Skrupel, ob alles mit „rechten Din gen" zuging, jene Selbstsucht, die nichts wissen will von einem Rechte anderer, das respektiert werden muß, noch we niger von einer Gleichberechtigung, jene Selbstsucht, welche vollends nichts wissen will von der Solidarität aller Teile einer Volksgemeinschaft, vielmehr dem Jrrwahne fröhnt, es könne und diirfe auf sozialem Gebiete nichts geben als die natürlichen Interessengegensätze, deren Ausgleich oder Bei legung nach dein Rechte des Stärkeren erfolge. Aus diesem von der Selbstsucht geleiteten Ringen werde sich dann von selbst die „Lösung der sozialen Fragen" ergeben. Das ist das Evangelium vom alleinseligmachenden Egoismus,dem man so lange zugejubelt hat, bis man das Unheil, das daraus erwachsen ist, nicht mehr übersehen konnte. Wir wollen uns das bestätigen lassen von einem Manne, der kein Freund des Christentums ist. Soeben hat der Wiener Professor Jodl seinen 1893 gehaltenen Dortrag über „Wesen und Ziele der ethischen Beivegung in Deutsch land" in neuer Auflage erscheinen lassen und da schreibt er: „Die ganze Generation, welcher ich angehöre, ist unter der Predigt des Evangeliums vom alleinseligmachenden Egoismus und vom Rechte des Stärkeren aufgewachsen. Blicken wir heut« zurück, so können wir nur sagen, die ganze Anschauung hat sich als ein wissenschaftlicher Aberglaube erwiesen. Aus dem Egoismus und seinen wechselseitigen Ausgleichungen innerhalb der Gesellschaft allein erwächst weder Wohlfahrt noch Fortschritt, sondern nur eine in raschem Verhältnis ansteigende Ungleichheit zwischen den verschiedenen Klassen, eine rücksichtslose Ausbeutung der wirtschaftlich Schwächeren, rasch vorschreitende Konzentrie rung deS Nationalreichtums in einer immer kleineren An zahl von Händen, riesiges Anschwellen proletarischer Massen, welche auf die tiefste Stufe der Lebenshaltung herabgedrückt sind und am Marke des Volkes zehren, während sie gleich zeitig in steigendem Maße die öffentliche Sicherheit be- drohen. DaS unvermeidliche Ergebnis solcher Zustände aber ist eine gleichmäßige Verschlechterung des persönlichen Charakters, oben wie unten: dort Verkommenheit in Ge nußsucht, Ausschweifung, Geldgier, Gleichgültigkeit gegen andere, schwelgerischem Nichtstun: hier Verkommenheit in zerreibender Arbeit, Stumpfsinn, Brutalität und Alkoholis mus." (S. 6 bis 7.) Soll aber bei solcher Lage der Dinge Abhilfe geschaffen, eine Besserung angebahnt werden, so ist das nur möglich durch eine Macht, welch' die Menschen an ihrem Charakter angreift und ihre Willensrichtung in ganz andere Wege leitet, kurz durch eine Macht, ivelche die Selbstsucht be kämpft und ausrottet und an deren Stelle das lebendige Bewußtsein sozialer Verpflichtung setzt. Es bedarf in aller erster Linie einer Umbildung, einer sittlichen Erneuerung der Menschen selbst, sollen die sozialen Gegensätze gemildert und überbrllckt werden. Eine solch sittlich Umwandlung der Menschen, eine solch beständige sittlich Erziehung der Menschen kann aber nur die Religion bewirken, und eine solch sittlich Er ziehung der Menschen erstrebt gerade das Christentum. Dem Evangelium der Selbstsucht setzt es das Evange lium der Liebe und Gerechigkeit entgegen. Wer sein Herz an dem Mammon hängen und im Mammonismus aufgehen will, dem ruft es zu: „Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber Schaden leidet an seiner Seele!" Und wer in schnödester Genußsucht sein Geld ver prassen will, weil er doch mit seinem Gelde machen könne, was er wolle, dem ruft es zu, daß er nur Lehcnsträger sei nes Besitzes ist und soziale Pflichten an die Gesamtheit zu erfüllen hat. „Wehe euch, ihr Reichen": — dieser viermal wiederholte Weheruf gilt eben dem Mammonismus, der über jede soziale Pflicht sich schnöde hinwegsetzt. ' Ebenso verurteilt das Christentum auf der anderen Seite den Klassenhaß und alles, was damit zusammvnhängt. Um es kurz zu sagen: an die Stelle des Menschen» reiches der Selbstsucht soll das Gottesreich der Liebe gesetzt werden, an dessen Verwirklichung jedweder Mitarbeiten soll. Das ist die große soziale Friedensbotschaft des Christentums, die immer wieder verkündet wird auch ohne Plazetgewährung der „Arbeitgeberzeitg.". Daß das Christentum sozial leistungsfähig ist, das liat es bewiesen in seiner Geschichte, von welcher die „Arbeit geberzeitg." sehr sonderbare Vorstellungen haben muß, wenn sie mit einem Hinweis auf die Geschichte die Bedeutungs losigkeit des Christentums für Zeiten sozialer Wirren be hauptet. Sie schreibt höhnisch: „Die Lehre Christi liat in der Römerzeit Hunderten, Tausenden, Zehntausenden die Erlösung gebracht. Aber liat sie auch nur im entferntesten eine allgemeine Erlösung oder eine Lösung der sozialen Frage bewirken können? Hat sie der Sklaverei Abbruch getan, hat sie verhütet, daß gerade auf ihrem Boden die schwersten sozialen Konflikte neu ent standen sind?" Welch törichte Fragen! Ja, gewiß eine „allgemeine Erlösung von sozialen Fragen", die Lösung der sozialen Frage hat das Christentum nicht gebracht, weil es dieselbe nicht bringen konnte und wollte! So kann nur der fragen, welcher meint, die Lehre Christi hätte eine Art tausendjähri ges Reich, einen fertigen „Zukunftsstvat" schaffen sollen, in welchem jedwede Entwickelung der Menschheit geschlossen und vollendet war. Nein, das wollte die Lehre Christi nicht, konnte sie auch nicht wollen, weil die Entwickelung der Menschheit noch gar nicht abgeschlossen ist. Aber für alle Zeitfolgen, für alle wirtschaftlichen Entwickelungen, für alle Wirtschafts komplikationen Lehren und Ideen an die Hand geben, aus denen heraus und durch deren Befolgung die Menschen selbst den sozialen Ausgleich finden konnten, das wollte die Lehm Christi und darin hat sie sich bewährt gerade in der Beseiti gung der Sklaverei. Freilich, wer meint, Christus und die Apostel hätten auftreten müssen mit der Parole, von heute an ist die Skla verei abgeschafft, der hat recht, wenn er sagt, das habe das Christentum nicht getan. Gewiß ja, das hat das Christen tum nickst getan, weil das wiederum die denkbar größte Torheit gewesen wäre. Dafür hat es mehr getan: Es hat Menschenliebe und allgemeine Brüderlichkeit gepredigt und in seinen Gemeinschaften praktisch geübt und damit den Boden weggespült, auf dem die Sklaverei begründet war. Also die Aufhebung der Sklaverei bleibt die Ruhmestat des Christentums. Wenn vollends die „Arbeitgebergeitg." fragt: „Daß die Menschheit als Ganzes seit Christus besser geworden wäre, wer wollte es behaupten?", nun, so empfehlen wir ihr, statt Schopenhauer nachzureden, etwas mehr Studium der Kulturgeschichte, zumal darüber, ob die Menschheit als Ganzes auf vor- und außerchristlichem Gebiete dasselbe sittliche Niveau einninmit, als dort, wo der Pulsschlag des Christentums fühlbar ist. Wir kennen die Gefühle der „Arbeitgeberzeitg.". Das Wort „die christlichen Gewerkschaften sind gefährlicher als die freien" hat einen tiefen Blick in die Gedankenwelt jener Kreise gestattet. Man möchte des unbequemen Mahners ledig sein. Darum soll die Religion nicht mit den sozialen Fragen sich befassen, am allerwenigsten vom sozialen Frie« den predigen. Indes es bleibt bei dem Worte Christi, daS alle aufruft zur sozialen Friedensarbeit: Routi paeikid, quoulain kilii Vei voeubuutur. Selig sind die Friedens stifter, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden. Deutscher Reichstag. Der Reichstag erledigte am Montag die 1. Lesung der Ostmarkenvorlage. welche die 1.1 Millionen Mark für die Beamten der Heeres und der Postverwaltung in Post n und in den gemischten Bezirken WestpreußenS fordert. Der einzelne Beamte soll 10 Prozent seines Gehaltes als Zu lage erhalten, sofern er in der Ostmark 6 Jahre angestellt ist und sich dienstlich und außerdienstlich gut hält. Der Abg. Gröber wies mit Recht darauf hin, wie solche Zulagen die politische Korruption förderten und das Denunziantentum groß ziehen. Die Mehrheit des RetchtageS habe unwider rufliche Zulagen verlangt, nach der Vorlage seien die Zu- lagen aber immer nur auf ein Jahr gewährt. Mit scharfem Spott geißelte er dann den Umfall des Freisinns auf diesem Gebiete, der früher sich prinzipiell gegen die Ostmarkenvor» läge ausgesprochen hätte. Ec bewies daS durch eine Reihe Aussprüche freisinniger Abgeordneter. Ganz verlegen saß die linksliberale Fraktionsgemetnschaft auf ihren Plätzen und der zuckersüße Pachnicke. der den Umfall zu rechtfertigen suchte, wurde im Hause einfach auSgelacht. Die 2. und 3. Lesung werden wohl nicht mehr viel Debatten bringen. ' Nachdem der tz 7 im VereinSgcsetz angenommen worden ist. hält nun auch die verfehlte Polenpolitik in den Reichsetat ihren Einzug, so geht es weiter auf der schiefen Bahn. Die 2. Lesung der Maß- und GewichtSoronung hielt ziemlich lange auf. obwohl die Vorlage unverändert angenommen wurde. Die Eichämter werden verstaatlicht, sofern die Etnzelstaaten die Eichungsämter bei den Gemeinden belassen. In der Debatte zeigte sich besonders der Abg. Lngelen als ein guter Kenner der Vorlage, der die verwickelte Materie beherrschte und sie durch alle Fährnisse hindurch zum Ziele führt» Drinn wnrk» dt» p. Lesung d»r T»»»r,,ngLK»,l«,ap vorgenommen. Die Kommission beantragte unveränderte Annahme. Der Abg. Erzberger bedauerte es lebhaft, datz die Bemühungen der Zentrumsfraktion aus Ausdehnung der Teuerungszulage auf alle mittleren Beamten in der Kommission nicht gelungen sei, und daß besonders sein Antrag, diese Zulage auch den Unterzahlmeistern zu geben, abgelehnt worden sei, und doch hätten gerade diese die Zulage am notwendigsten. Er begründete sodann die Resolution des Z.ntrums. wonach im Lause des Jahres für die Arbeiter und Handwerker in Reichsbetrieben eine Erhöhung des Lohnes einzutreten habe. Die Abg. Will und Becker sprachen sich hierauf für eine Besserstellung der Arbeiter in den Militär- und Reichseisenbahnbetrieben aus. Die Vorlage wird unverändert angenommen. Am Dienstag findet die 2. Lesung der Kolonialeisenbahnen und der Dampfersubvention statt. k. Berit«. 14V. Sitzung vom 4. Mai 1908. Es folgt die erste Lesung der Ost Markenzulage von 1 100 000 Mk. für Heere»« und Postbeamte. Lbg. Schulz (ReichSp.) begrüßt die Vorlage, da sie seiner Resolution entspreche. Abg. Gröber (Zrntr.): Der Entwurf bringt angeblich un widerrufliche Zulagen, aber in den Erläuterungen ist gesagt, datz die Zulage jede» Jahr gegeben und entzogen werden könne. E» handelt sich eben um eine politischc Vorlage. Die Zulage soll nur! gegeben werden bet gutem dienstlichen Verhalten; aber auch da» autzerdienstliche Verhalten zieht man herein. Der Freisinn ist auch in dieser Frage total umgefallen; früher sprach er sich ganz ander» au». (Hört!) Der Abg. Dove erklärte, daß der Freisinn gegen die Zulage sei, gleichviel ob sie widerruflich sei oder »ichl. (Hört!) Der Abgeordnete Gerlach sprach sich grundsätzlich ab lehnend gegen diese Zulage au». Die Gründe für den Umfall de» Freisinns sind un» nicht milgetrilt worden; vielleicht erfahren wir sie noch. (Heiterkeit.) DaS Zentrum aber hat von Anfang an sich gegen die Ostmarkenzulage erklärt, und zwar au» prinzi piellen und praktischen Gründen. Die Bezüge der Beamten und Unteroffiziere wollen wir stets gemäß den LcbcnSverhältniffen ein- richten; aber unmittelbar vor einer allgemeinen GehaltSaufbeffe- rnng sollte man nicht solche Vorlagen einbringcn. Nur wer au» anttpolnischer Tendenz die Vorlage genehmigt, kann die» heute schon tun. Wir wollen keine Bezahlung der Beamten für ihr poli tisches Verhalten. (Sehr richtig!) Diese Zulagen befördern nur die Korruption und das Strebertum: sie fordern die Denunziation. Durch diese Zulagen wird auch nicht ein Pole für das Reich ge wonnen; sie wirken nur zerklüftend und wir lehnen sie ab. (Beifall.) Staatssekretär Sydow: Der Zusatz unwiderruflich könnte nur so aufgefaßt werden, daß die Zulage von Jahr zu Jahr neu bewilligt werden müsse und dem haben wir zugMmmt. Abg. Orte! (ReichSp.) erklärt sich mit der Verlage einver standen. Abg. Pachnicke (Freis. Vera.) stimmt für die Vorlage; st« stehe nicht in Widerspruch mit der Resolution deS Reichstags. Abg. Bruhn (Antis.) ist erfreut von dem Einbringen der Vorlage. Abg. KulerSky (Pole) bekämpft die Ostmarkenzulage. Staatssekretär Krätke tritt den Ausführungen des letzteren Redners entgegen und weist die Beschuldigung, als ob die Post beamten in Polen lediglich im Sinne der Hakatisten arbeiten und ihre Zulagen zum kneipen verwenden. Abg. Ledebour (Soz.) befürchtet, daß die Zulagen einen nachteiligen Einfluß ausüben auf da» Verhalten der Beamten gegen die Polen; die Beamten seien der Meinung, durch «in freundliches Verhalten gegen die Polen verlieren zu können. Nach einer kurzen Bemerkung des Abg. Frhrn.,. Gam, ist die erste Lesung beendigt. ES folgt Pie zweite Lesung der Maß. o r d n « n g. und Gewicht».