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WSchknUich erscheinen drei Nummern. Pränumcratinn«- Prei« 22j Sgr. THIr.) vierttljädrlich, Z Thlx. sür da- ganze Jahr, ohne Er- ßShung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man prünumerirt aus diese« Lilcraiur-BIatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. Staat«-Zeitung (Friedrichsstr. Rr. 72); in der Provinz so wie im Audlande bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. Berlin, Mittwoch den IN. Februar L84I. Frankreich. Berryer. Daß Herr Berryer die Zierde des Französischen Advokatcn- standes, der Adler der Rednerbühne und der Fahnenträger der Legi timität ist, darf als weltbekannt vorausgesetzt werden. Aber es dürfte interessant scyn, zu erfahren, wie sich diese mächtige Dreiheit gebildet hat, wie er von der «chulbank in den Gerichtspalast, aus dem Gerichtspalast auf die Nedncrbühne gelangt ist, und wie dieser Bürgerliche als Verfechter der Abkömmlinge Ludwig'S deö Heiligen Gehör und Beifall errungen hat, er, der Vertheivigcr einer besieg ten Partei, der ohne anvere Waffe als die des Worts unter die feindlichen Phanlaugen geworfen wurde. Pierre Antoine Betrper wurde am 4. Januar 1790 zu Paris geboren; sein Vater, der noch lebt, nahm schon vor der Revolution eine ziemlich bedeutende Stellung im Gerichtsstände ein. Da er be redt und geschickt war, so hätte er, wie so viele auvere Advokaten der damaligen Zeit, seine Stimme in der konstituircnden Versamm lung, der gesetzgebenden Versammlung oder des Konvents ertönen lassen können, wie so viele andere hätte er dem Wohkfahrts-AuSschuß seinen Kopf hintragcn können; aber er hielt sich zurückgezogen und betrauerte den Untergang der Gerechtsame seines Standes. Als der revolutionairc Sturm sich etwas auSgctobt hatte, vertraute er seinen Sohn den Oratorianern von Juilly. Der junge Bprryer gab schon in frühester Jugend Proben seiner Fassungskraft, aber auch seiner Faulheit; er war im Ganzen ein ziemlich mittelmäßiger Schüler, der nur in Absätzen arbeitete, der im Griechischen sehr verrufen war, aber zuweilen vortreffliche Französische Ausarbeitungen lieferte. Hin gegen zeichnete er sich wieder durch seine Frömmigkeit aus, und als er seine philosophischen Studien beendet, wollte er mit aller Gewalt zum Priestcrstande übergehen. Wie ließe sich wohl ermessen, welche Rolle dieser neue Boffuet gespielt haben würde, den das Schicksal jetzt zum monarchischen Mirabeau gemacht hat? Man denke sich ihn auf der Kanzel, einem Volke gegenüber, das für den Glauben erstor ben ist, das aber dennoch nach dem Glauben schmachtet; mau denke ihn sich, erfüllt von heiliger Begeisterung, die Völker zu Gott rufen, mit der gewaltigen Stimme, die jetzt nur Minister stürzt. Wer möchte die Gränzen des Möglichen bestimmens - Jedenfalls ließ diese religiöse Erziehung in dem jungen Mann eineu unauslöschlichen Eindruck zurück. Als Berryer sich in das Ge triebe der Welt stürzte, als er bis an den Hals in den Materialis mus der praktischen Geschäfte und in die Zerstreuungen der Welt versank, blieb er immer katholisch, immer gläubig gesinnt. Sein Glaube ist, nach Versicherung seiner Freunde, wahrhaft Jtaliänischer oder Spanischer Ratur; er ist wahr und aufrichtig, aber sehr bieg sam und dehnbar. Die Natur schien Berryer ausdrücklich zum Redner geweiht zu haben. Eine klare und mächtige Stimme, eine schöne und ausdrucks volle Gestalt, weite Lunge», die leidenschaftliche Organisation eines Volks-Tribun-, überhaupt alle Rednergaben waren ihm zu Theil geworden. Nachdem er einige Jahre dem theoretischen Studium des Rechts gewidmet, nachdem er einige Monate bei einem Advokaten zugebracht, um sich in der gerichtlichen Zechtkunst zu üben, nachdem er im Alter von 2t Jahren ein schönes junges Mädchen geheiratbet, trat er in der letzten Zeit deS Kaisertums hervor. Sein erstes Auftreten war ein Triumph; der junge Advokat schien die Aktenstöße weniger zu studircn als ihren Inhalt zu errathen. Als Mensch der Leidenschaft und zugleich der Zahlen, brachte er Leidenschaft in Lie Zahlen und Zahlen in die Leidenschaft. Zu dieser Zeit, d. h. im Jahre l8I4, hatte Berryer noch keine politische Ansichten. Er liebte weder den Krieg noch den Despotismus und theilte dennoch bis zu einem gewissen Punkte den Napoleonischen Enthusiasmus der da maligen Jugend. Sein Vater verdankte übrigens die Wiederkehr seines Vermögens dem Kaiserlichen System. Als indcß die erste Restauration eintrat, fand sie in Berryer einen eifrigen Royalisten, und seit dieser Zeit haben seine politischen Ansichten im Ganzen nicht geschwankt. Einige schreiben die Ehre seiner Bekehrung einem Mailändischen Flüchtlinge zu, von dem er erfahren hätte, daß jenseits deS Meeres noch einige Abkömmlinge des Stammes der BourbonS lebten. Wenn diese Thatsache wahr ist, so erscheint es als eine sonderbare Laune des Schicksals, daß gerade derjenige sich zum Vertheidiger der vertriebenen Dynastie er hoben hat, dem vor zwanzig Jahren nicht einmal ihre Ertstcnz be kannt war. Als Napoleon von Elba zurückkehrte, trat Berryer in die Reihen der Königlichen Freiwilligen. Nach den hundert Tagen weihte er sich der Bertheidigung der Opfer der Reaction, „in der Ueber- zeugung, daß eS nicht Sache deS KönigthumS scy, die Verwundeten vom Schlachtfelde aufzuheben, um sie dem Schaffst zu übergeben." In dem Prozesse des Marschalls Ney unterstützte er seinen Vater und Herrn Dupin; nicht minder führte er vor einem Kriegsgerichte das Wort für den General Debelle, und wenn er ihn auch nicht der Verurtheilung entreißen konnte, so bewirkte er doch wenigstens eine Milderung seiner Strafe. Einige Tage später, den 26. April I81S, trug er einen vollständigen Sieg davon: der junge Freiwillige der Königlichen Armee schirmte mit der Aegide seiner Beredsamkeit einen der ruhmvollsten Veteranen der Kaiserlichen Armee; er trotzte allen Rücksichten und wurde fast als Aufrührer behandelt, aber er rettete den General Cambronne. In dem Prozeß der Generale Canucl und Donnadieu, welche eines Komplotts gegen das Leben des Königs beschuldigt wurden, zeichnete sich Herr Berryer durch heftige Ausfälle gegen das Ministerium Dccazes aus, welches er beschuldigte, daß es die Aufstände in Lyon und Grenoble veranlaßt habe. Eine Broschüre, die er über diesen Gegenstand veröffentlichte, machte Aussehen, und Berryer wurde so zu der Schattirung der reinen Royalisten hingc- triebcn, die sich um Chateaubriand, Bonald, LamennaiS, Corbiöre, Villöle gruppirtcn und deren Organ der „Oemxei-vatenr" war. Die politischen Prozesse entzogen Berryer nicht den Civil-Pro- zeffen. Begünstigt durch einen außerordentlichen Scharfblick, genügte er allen Ansprüchen. Die Erbfolge deS Marquis von Vörac, die Liquidations-Prozesse, welche durch die Rückkehr der Emigranten veranlaßt wurden, die Streitigkeiten zwischen den BanquierS Seguin und Ouvrard, des Letzteren Lieferungen sür die Spanische Armee machten ihn berühmt und bereicherten ihn. Als das Ministerium Billele ans Ruder gelangte, sah sich Berryer gcnöthigt, für die Frei heit der Presse zu kämpfen; er lieh dem ...lournai Ue« vebst»", dem „Dramen» - ülanc", der „ltuoliUiexme" den Beistand seines Worts. In derselben Zeit nahm er an der Gründung der „8oeictv Sen bannen k.etlres" und der ,j8ociete ües bonnen ktuäe.>>" Theil; zum erstenmale machte er sich an Fragen der höheren Politik; er fand Beifall, und vielleicht bestärkte ihn dieser Vorschmack der parlamen tarischen Triumphe in der Neigung für eine politische Wirksamkeit. Schon Villöle versuchte, dieses jugendliche Talent an sich »u fesseln, aber Berryer mochte seine unabhängige, einträgliche und so vielfach bewegte Thätigkeit nicht gegen den Titel eines General-ProkuratvrS aufgeben; er blieb Advokat, obschon er an den verschiedenen poli tischen Schwankungen lebhaften Antheil nahm. Als er endlich das erforderliche Alter erreicht hatte, um die Tribüne zu betreten, ließ das Ministerium Polignac nichts unversucht, um ihn für sich zu gewinnen. Um wahlfähig zu werden, hatte Berryer das Landgut Augerville gekauft und sich dadurch in bedeutende Schulden gestürzt. Er wurde nun dem Wahl-Kollegium von Puy zum Ersatz für Herrn von Ladourdvnnaye, der in die PairS-Kammer trat, als ministerieller Kandidat vorgeschlagen und mit bedeutender Majorität gewählt. Er erschien zum erstenmal aus der Tribüne in der bekannten Adresse der 221, die er aus allen Kräften als unconstitutioncll und aufrührerisch bekämpfte. „Was liegt daran", sagte er, „daß Eure Adresse von Bethcurungen der Ergebenheit, der Ehrfurcht und der Liebe erfüllt ist, wenn die Rechte des Königs verletzt werden, wenn die Krone beschimpft wird? Was liegt daran, daß Ihr sagt, die Rechte des Königs sind heilig, wenn Ihr ihn zugleich in der Ausübung derselben beschränkt?" Da ihn sein Talent von vornherein an die Spitze der ministe riellen Phalanx stellte, so mochte er sich wohl mit einer baldigen Erhebung ins Ministerium schmeicheln; in der That wurde ihm ein Portefeuille angeboten, aber er hätte sich den Ansichten Herrn von Polignac'S unterwerfen müssen. Berryer, dem eine untergeordnete Rolle nicht znsagte, vertagte seine Hoffnungen. Die Juli-Revolution vernichtete sie plötzlich. Er protestirte gegen die konstituircnde Macht, welche sich die Kammer beilegte, und bestritt ihr das Recht, über die Erledigung des Throns und die Wahl eines Königs zu berathcn. Das Juli-Königthum wurde nichtsdestoweniger proklamirt. Die mei sten Legitimisten verließen nun die Kammer, und Berryer blieb so gut wie allein. Dazu kam noch die Verlegenheit, in welche ihn die Eidesleistung brachte. Viele seiner politischen Freunde wollten ihn auf seiner Bank zuräckhalten; andere dagegen ermahnten ihn, sein Leben nicht für eine verlorene Sache zu opfern. Von diesen beiden Vorschlägen wählte Berryer den mühseligsten und unkxuchtbarsten,