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Nummer 108 — 25. Jahrgang ömal wöch. Bezugspreis für Mai 3.— Mk. einschl. Bestellgelo. «nzrigenpreife: Die Igesp. Pslilzeile 89L, Stellengesuche 29 Di« Petitteklamezeile. 89 Milli. Meter breit, 1 Offertengebühren für Selbstabholer 29 L, bei Uedersenbung durch die Post außeröem Portotuschlag, Einzel-Rr. 19 Son»1ags-Nr 15 GeschLftl. Teilt I. Htllebrand in Dresden. SittklMe Dienstag, 18, Mai 192, Alil« höherer Bemalt erlisch! jede Verpflichtung auf Lieferung sowie Erfüllung v. Anzeigenaufträge!! u. Leistung v. Sckaoenersatz Für undeutl. u, d. Fern ruf übermitt, An,zeigen übernehmen wir keine Ver anlwortung Unverlangt etngesandt« u, m, RUckpor^ nicht versehene Manuskript« wert, nicht aufbemohrt, Sprechstunde der Redaktion 2—3 Uhr nachmitta HauptschrifUeit.: Dr. Joseph Albert. Dre« 1) a VZtuuuü »»-«ichattoftell«, Leu» »ud Verla« > «axuiua- Buchdruikerei GmbH.. Dre4t>e»-Si. I, Pollcrslrafi« 17. Ferimn 21012. Poll-checNonio Dresden >47»? e-onNonto: Bakkcxae Si 7-ri«<>1>c. Dresden. Für christliche Politik und Kultur Redaktion der Gachiinlieu Oolkszeituna Dresden-AUsiadt I. Polierstras'.e 17 .^ernru' «71t und _'10l2. Dr. Marx als Reichskanzler Das Wechselspiel -er Deutschen Volksparlei bei -er Kandidatur A-enauer Erste Sitzung -es neuen Kabinelts Berlin, 17. Mai. (Drahtbcricht.) Der 3i e i ch s p r ä s i de n t von Hindenburg Hot den bisl>crigcn Reichsjustizminister Dr. Marx zum Neichs- kouzker ernannt und ihn glcichzeitiq mit der einstweiligen Wahrnehmung der Geschäfte des Reichsministers der Justiz und des Reichsnniiisters für die befehlen Gebiete beauftragt. Ferner hat der Reichspräsident aus Vorschlag des Reichskanzlers Marx die Mitglieder der bisherige,, 'Reichsregierung in ihren Acmter» bestätigt. Berlin, 17. Mai. Das neue Neichsknbinctt ist der „B. Z." zufolge heute vormittag um 11)4 Uhr zu seiner Sitzung zusam- mengelreten, um die Konstituierung der Reichsregierung in der veränderten Fassung vorzunchmen- Die Sitzung fand unter Vor sitz des neuen 'Reichskanzlers Dr. Marx statt. Die Regie rungserklärung dürste, wie das Blatt wissen will, zum Ausdruck dringen, daß die Regierung bemüht sein werde, der Aufforderung des Reichspräsidenten, eine Einheitsflagge für das Deutsche Reich zu schassen, schnellstens Folge zu leisien. Die vorbereitenden Arbeiten würden mit grösster Be schleunigung betrieben werde», so daß die versassungsniässtge Erledigung der Flaggensrage noch vor dem Sommer möglich sein werde. Die Regierungserklärung werde ferner betonen, das; die bisherige Politik des Kabinetts, deren gleichmäßige Fort setzung einen feststehenden Programmpunkt bilden werde. Die Entwickelung -er Krise Nachdem am Sonnabend der Kölner Oberbürgermeister Tr. Adenauer von der Zentrumssraktion »ach Berlin berufen war, um die Verhandlungen zur Bildung eines neuen Kabinetts zu übernehmen, war man in weiten parlamentarischen Kreisen der Auffassung, daß milder Berufung Adenauers die Beendigung der Krise gegeben sein müsse. Das Zentrum Halle vorher bereits mit den Sozialdemokraten und der Deutschen Volkspartei Ver handlungen gepflogen, wobei die Volkspariei einer Erweiterung der Regierungsbasis grundsätzlich nicht alMncigt gewesen war. So glaubte inan, daß Adenauer im Augenblick der Mann sei, der nicht nur eine sogenannte Gegenwartskrise zu läsen imstande wäre, sondern gleichzeitig auch einq, Stabilisierung der Reichs- rcgierung überhaupt und zwar aus der Grundlage der großen Koalition anbahnen werde. Auch die Sozialdemokraten waren der unbedingten Auffassung, daß dieses Ziel erreicht würde. Als Adenauer nun nach Berlin kam, nahm er zunächst Fühlung mit dem stellvertretenden Reichskanzler, dem Neichs- wehrminister Ge hier. Diese Unterredung verlief reibungslos. Daraufhin fand eine Besprechung mit dem Führer der Deutschen Volkspartei, Scholz, statt Und nun zeigte es sich plötzlich, daß Scholz einen vollständig anderen Standpunkt Adenauer gegenüber einnahm, als es bei den vorangegangenen Besprechun gen zwischen Zentrum und den übrigen Parteien der Fall ge wesen ivar. Die große Koalition wurde einfach von ihm abge lehnt, Und zwar nicht nur für jetzt, soiidern auch nach einer etwaigen zufriedenstellenden Erledigung des Fürstenabfindungs- Kompromisses. nws ja den Haupistreitpunkt zwischen der Sozial demokratie und der Deutschen Volkspartei bildete. Scholz' Standpunkt kam so deutlich zuin Ausdruck, daß cs nicht schwer nwr, klar zu erkennen, wie für ihn nur als einzige Möglichkeit die Bildung einer Rechlsregierung in Frage käme. Dieser Standpunkt war für Adenauer, der nur eine feste, dauernde Grundlage für die zukünftige Regierung habe» wollte, nicht tragbar. Und da Scholz auf seiner Meinung, lrot; der unübersehbaren politischen und wirtschaftlichen Folge», die durch die fortwährende Zerklüftung der deutschen Parteien entstehen, verharrte, sah sich Adenauer genötigt, von den Verhandlungen mit der Deutschen Volkspartei Abstand zu nehmen Er gab daraufhin folgende die Lage kennzeichnende Erklärung an die Presse ab: „Wie die Presse bereits gemeldet hat. bin ich auf Wunsch der Zentrumssraktion des Reichstages in Berlin eingetrofscn zu Verhandlungen mit den Fraktionen zur Lösung der Regierungs krise. Ich habe mich sofort dahin ausgesprochen, daß eine wirk lich ersprießliche Regierung bei den außerordentlich schwierigen innen- und außenpolitischen Verkältnissen nur aus Grund einer festen Mehrheit im Reichstag möglich ist. Unter dieser Voraussetzung und zu dem Zweck eine Beseitigung der politischen Verhältnisse zu schassen, würde ich einem etwaigen Ruse des Reichspräsidenten Folge geben, und meine Person dem Vaterland zur Verfügung stellen. Aus Wunsch der Vertreter der Zentrumspartci nahm ich »ilt dem Geschäftsführenden Reichs« Kanzler Herrn Rcichswehrminister Dr. ltzeßler. der von dem Reichspräsidenten mit der Führung der Verhandlungen beauf tragt ist, sowie mit dem Führer der Deutschen Volkspartei und der Sozialdemokratischen Partei Fliklung. Dis Fühlungnahme ergab, daß die Deutsche Volkspartei weder für jetzt »och auch nach Erledigung der schwebenden Streitpunkte für absck bare Zeit der Herbei» sührungder Großen Koalition, der zurzeit allein möglichen M e h r h e i t s b i l d u n g geneigt ist. Unter diesen Umständen erklärte ich bei einer zweiten Unter« rcdung mit dem stellvertretenden Reichskanzler, daß ich die Zen- trumsfraktion des Reichstages gebeten habe, von dem Vorschlag meiner Person gegenüber dem Rcichspräsidenden Abstand zu nehmen." Darauf trat der Reichspräsident an den Reichsjustizminister Tr. Ma r x zur Uebernohme der Kabinettsbildung heran. Hin denburg richtete folgenden Brief an Marx: „Sehr verehrter Herr Reichsjustizminister. Aus den Berichten, die der von mir mit der Klärung der politischen Lage betraute Reichswehrmiiilstcr Dr. Geßler mir erstattet hat. habe ich ersehen müssen, daß eine Aenderung der parteipolitischen Verhältnisse und Zusammensetzung entweder iiberkaupt nicht oder nur nach langwierigen, im Erfolge zweifelhaften Verhandlungen erreicht iverden könnte. Eine solche lange Regierungskrise verträgt aber die gegcnwärtigS Lage des Reiches nicht. Es erscheint mir daher zur Ueberivin- dung der gegebene» Schwierigkeiten und zur Lösung der vor uns liegenden Aufgaben notivendig, daß die bis >>r->-><> Reichsregierung ihre Tätigkeit unter neuer Fllh» rung sortsetzt, und ich bitte Sie daher, Herr Reichs:». >.>.er, als das älteste Mitglied der Reichsreaierung und als Vertreter der größten in ihr enthaltenen Partei, das Amt des Reichskanzlers zu übernehmen. Mit der Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung bin ich Ihr ergebener gez. v. Hi n d e n b u r g." Bevor das Zentrum ihre» Führer Marx diesem Antrag Folge leisten ließ, mußte jedoch die eigenartige zwiespältige Hal tung des Führers der Deutschen Volkszwrlei Scholz gekiärt werden. Es hat eine eingehende Aussprache zwischen Vertretern der Deutschen Bolbspartei und des Zenirums gestern nachmittag stattgcsnnden. Die Besprechung wurde non Geßler als stell vertretenden Reichskanzler geleitet. Es waren zugegen die Minister Marx. Streseniann und E u r t i n s. Außerdem wardieVolhszwrtei vertreten durch S ch o l z.das Zentrum durch Gucrard, Esser, Stegerwaid, Ulitzka und Koos. Die Aussprache war sehr eingehend und drehte sich um die Ein Musterbeispiel Was sich in den letzten Tagen in Berlin abspielte, ist wieder einmal ein Musterbeispiel für eine politische Intrigenwirtschaft. Die Deutsche Volkspartei hat erneut ein Spiel getrieben, das nicht scharf genug vor der Oefsentlichkeit festgestellt werden kann. Sie hat damit nichts geringeres erreicht, als die vom Zentrum unternommenen Bemühungen zur raschen ausgleichcnden Lösung der Regierungskrise zunächst zu vereiteln. Sie hat die auf Schaffung der großen Koalition gerichtete Kandidatur des Kölner Oberbürgermeisters Dr. Adenauer unter Rücksichtnahme ans verantwortungs loseste Parteitendenzen zunichte gemacht. Nachdem die Negierung gestürzt war, trat, wie sich aus den Parteiverhandlungen ergab, an das Zentrum die Aufgabe heran, den Kanzler zu stellen. Nach reiflicher ileberlegung glaubte der Vorstand der Fraktion, in dem Kölner Oberbürgermeister Dr. Adenauer den Mann zu sehen, der befähigt und geeignet wäre, wenn auch nicbt sofort, so doch in weiterer Entwicklung der Dinge eine möglichst breite Zusammenfassung der politischen Kräfte auf dem Boden der großen Koalition zum Zwecke der Stabilisierung der Regierung zu vollziehen. Sofort als diese Absicht — die Berufung Adenauers — im volksparteilichen Lager bekannt wurde, begannen dort die Intrigen, und zwar setzten sie zuerst aus der Strese mann-Ecke ein. Man hat es nach träglich erfahren, daß in privaten Zirkeln der Volks partei sofort davon gesprochen worden ist, daß eine Kan didatur Adenauer unter allen Umständen zu nichte gemacht werden müßte. Schon frühere Reichskanzler waren ja einem bestimmten, und zwar aus schlaggebendem Teile der Deutschen Volkspartei und nicht zuletzt dem Stresemann-Kreis unbequem: vor Adenauer aber fürchteten sich diese Kreise geradezu. Adenauer ist als eine entschiedene Persönlichkeit bekannt, die ihre eigenen großen Ideen hat und die schon oft ge nug zum Schutze der gegenwärtigen Staats form aus seiner demokratischen Auffassung kein Hehl gemacht hat. Eine Persönlichkeit aber, die einen geraden Weg geht, und sich bei gewissen Gelegenheiten auch nicht scheut, diesen oder jenen, der aus dem Hinter halt den gegenwärtigen Staat unterminiert, zu entlarven, ist manchem nicht gerade angenehm. Wenn man die Dinge, die sich jetzt abspielten, rich tig werten will, dann muß man mit aller Entschiedenheit darauf aufmerksam machen, daß es sich nicht etwa um einen Partei st reit Zwischen Deutscher Volkspartei und Zentrum handelt, sondern um die A u s e i n a n d e r- setzung über grundlegende politische Fra gen. Und die Hauptfrage ist nicht, wie sich ein ein zelner Mann der Deutschen Volkspartei zu der Frage der große'-. Koalition stellt, sondern es kommt darauf an. wie die gesamte Deutsche Volks partei darüber denkt. Zu dieser Frage muß endlich die Volkspartei Farbe bekennen. Es geht nicht an, daß sie fortgesetzt hin- und herschwankt, daß sie sich immer wie der den Deutschnationalen anträgt, und daß sie sogar vor einer schroffen Briiskierung des Zentrums nicht zurück schreckt, während die gegenwärtigen politischen, insbeson dere wirtschafts- und sozialpolitischen Verhältnisse eine Konsolidierung der gesamten politischen Verhältnisse nicht eher Zulassen, bis wir zu einer Zusammenfassung aller positiven Kräfte im Staat kommen. Das Zentrum war also gezwungen, nach dem Zwischenfall Adenauer-Scholz die Stellungnahme der Volkspartei schlechthin zu klären. Die Besprechung zwischen den beiden Parteien hat dann eine teilweise für den gegenwärtigen Augenblick nicht zu unterschätzende Klärung gebracht. Der Wortlaut der Vereinbarung (den wir an anderer Stelle wiedergeben) zwischen Zentrum und Volkspartei ist zwar in erster Linie auf die Außenpolitik abgestimmt. Aber es ergibt sich daraus auch die Rückwirkung auf die In nenpolitik. Also die Vereinbarung besagt, daß die Deutschnationalen, nachdem sie Locarno nicht anerken nen, und die Außenpolitik in dem bisherigen Sinne nicht mitmachen wollen, für die Regierungsbildung nicht in Frage kommen. Diese Erklärung war notwendig, weil nach der gescheiterten Kandidatur Adenauers der Reichspräsident nochmals an ein Mitglied der Zentrums partei, nämlich an den Reichsjustizminister Marx, den Auftrag zur Regierungsbildung ergehen ließ. Man kann nicht eine Regierungserklärung abgeben, die von rechts gestützt und von links abgelehnt ivird. Nachdem der Nussenvertrng abgeschlossen und dieser als eine Fort setzung der Locarnopolitik regierungsseitig bezeichnet worden ist, und nachdem auf der anderen Seite die Deutschnatianalen die Rechtsgültigkeit der Locarno-Ab machungen immer noch bestreiten, geht es nicht an, daß man sich bei dem Vertrauensvotum — ivie Scholz es wollte — auf rechts stützt. Es sind aber auch innerpoli tische Erwägungen, die es notwendig machen, daß keine Entwickelung entsteht, die eine Ausschaltung der Sozial demokratie systematisch betreibt. Die gegenwärti gen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse würden durch einen solchen Zustand unerträglich werden. Die Grundlage für die politische Willensbil- dung eines neuen Kabinetts Marx ist damit also ge geben. Wir wollen noch dazu bemerken, daß ohne die Sondierung Adenauers und die dabei gemachten Erfah rungen das jetzige Resultat überhaupt nicht möglich wäre. Nachdem Hindenburg in einem besonderen Handschreiben unter Hinweis auf die außerordentliche politische und mirtsclzastliche 'Notlage des Reiches und un ter Appell an das Pflichtgefühl von Marx die Ueber- nahme des Kanzleramtes von diesem gleichsam ver langte, war es natürlich kaum möglich, abzulehnen. Wir müssen hervorheben, daß nicht die Zentrumssrak- tion von sich aus Marx angcboten hat, sondern die Dinge liegen so. daß Hindenburg die Initiative ergriff und seinen eigenen Gegenkandidaten bei der Neichspräsidentenwahl für das höchste führende A m t anforderte. Marx bietet die Gewähr, daß die poli tische Entwicklung der nächsten Zeit in dem von der Zen trumspartei und van der übergroßen Mehrheit des deut schen Volkes gewünschten Sinne erfolgt.