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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration»- Preis 22j Sgr. (> Thir.) vierteljährlich, Z Thir. für das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilaei dsr PreuSiseKcn Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt auf dieses Beiblatt der AUg. Pr. Staats- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren-Straße Nr. Z4); in der Provinz so wie im AuSlande bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 103. Berlin, Freitag den 1. September 1837. Frankreich. Der Salon der Gräfin von Gcnlis. Bon Ler Herzogin von Abrante«. Ich habe Fran von GenliS persönlich wenig gekannt und brsnchte sie im Ganzen nur zweimal mit dem Kardinal von Maurv, der gern ein näheres FreundschastS-Berhällniß zwischen uns herbeisühren wollte; aber das war unmöglich, denn leidenschaftlich verehrte ich das Hobe Talent und den Charakter der Fran von Stael, deren erklärte Feindin Lie Gräfin von GeniiS war. Indessen habe ich doch mit Personen zu sammen gelebt, die mich leicht mit ihren Eigenschaften und Fehlern be kannt machen konnten: es waren dies Frau von Montcffon, die Tante unserer Schriftstellerin, und dann mehrere genaue Bekannte des Herzogs von Orleans, dessen Gesellschaften auch sie oft besuchte. Frau von GenliS kam, als ich mich eben verheiralhet hatte, nach Frankreich zurück. Ihre Schriften gefielen mir; „Adele und Theodor", jenes damals so hoch gefeierte Meisterwerk, das selbst in unseren Tagen noch immer für vortrefflich gilt, schien mir wirklich erhaben; auch meine Mutter, die die Lektüre durchaus nicht lieble, die bis jetzt sogar nur an Fenelon's „Telemaque" Geschmack gefunden hatte, ließ sich jenen Roma» vorlesen und sand darin mit vielem Vergnügen einige ihrer Bekannten wieder, die von dec Schriftstellerin vortrefflich geschildert waren. Der alte Graf von Pörigord, ein Onkel Tallevrand's, dem ich auch zuweilen aus jenem Werke vorlas, erkannte ebenfalls viele seiner Freunde in den darin aus- rretenden Personen und bewundcrle die Geschicklichkeit, mit der ihre Portraits entworfen waren. So hatte ich also viele Gründe, für Frau von GenliS eingenommen zu sehn; aber das war kcincSwegcS der Fall; ste forderte Bewunderung und verlangte, daß man ihr huldige; die größte Eigenliebe blickte in den meisten ihrer Schriften durch den leichten Mantel der Bescheidenheit, mit dem sic dieselbe künstlich zu umhüllet wußte; deshalb eben sagte mir ihr ganzes Wesen durchaus nicht zu, ;a sic flößte mir sogar eben so viel Widerwillen, wie Frau von Staöl Verehrung und Liebe ein: sie suchte mit einer solchen Autorität zu imvoniren, daß sie dadurch eben die Lust, Opposition gegen sie zu machen, erregte; denn der Geist des Widerspruchs liegt einmal in uns, und niemals zeigt er sich thätiger, als in solchen Fällen. Ich kannte viele Freunde der Frau von GenliS, die sie zu vcrtheidige» suchten, wenn man von jf,rer großen Eigenliebe und Eitelkeit sprach; aber sie selbst liefert in ihren Memoiren den schlagendsten Beweis dafür und zeigt, wie wenig man ihr mit jene» Vorwürfen Unrecht lhut. Dit gesellschaftliche Existenz der Frau Gräfin von GenliS ist eine Art von Problem, dessen Lösung nicht ganz leicht ist; denn sie zeigt uns eine Reibesolgc der seltsamsten Widersprüche. Einer der ersten Familien Frankreichs entsprossen, deren Namen und hohe Verbindungen ihr schon zu acht Jahren das Recht gaben, den Titel eines SlislS- Zräulei» vom St. Alix-Kapitel zu sichren, nannte sic sich bis zu ihrer Hciralh Gräfin von Lancy; Herr von Geulis war ebensalls von hohem Range und ausgezeichneter Geburt, aber dennoch nahm seine Frau in der großen Well niemals die Stellung einer vornehmen Dame ei». Fortwährend von Frömmigkeit, treuer Pflichterfüllung und christlicher Demuth sprechend, dachte sie selbst nicht im geringsten daran, auf eine dieser Tugenden Rücksicht zu nehmen; sie donnerte öffentlich gegen alle Frauen, die Liebhaber halten, publizirte fast täglich lange Abhandlungen über Freundschaft, kindliche Liebe und Empfindungen aller Art, Halle eine ganze Sammlung von kleinen Souvenirs für jeden Tag des Jahres, und dennoch besaß diese Frau keinen einzigen wahren Freund; sie stand isotirl j» der Welt da und starb von Niemanden belrauert. — Ist die Moral aller dieser Thalsachen nichl cine sehr traurige? — Wie dem aber auch übrigens sehn mag, Frau von GenliS balle ciiieii viel zu bedeutenden Einfluß aus ihre Zeil und auf die polilischen Begebenheiten in Frankreich, um ihr nicht wenigsten« aus einige Augen blicke unsere ganze Ausmerksamkeit zu widmen. Sie halte durch mancherlei Inlrignen und Verbindungen mit Personen, deren Bekannlschaft sie später mit der naivesten Unbefangenheit ganz leugnet, schon lange vor dem AuSbruch der Revolution den großen Einfluß vorbereitet, den sic auf alle ihre Umgebungen auSübcn wollte, und der Thalsachen hcrbei- führen mußte, die auch seihst für sie verderbliche Folgen hallen. Frau von Gcnlis h«, in ihrer Jugend ein seltsam bizarres Noma denleben geführt, das wobt z« jeder Zeit ausfallend sevn würde, vor züglich aber in jener Epoche allgemeine« Aufsehen erregte. Sie verließ oft nach kurzem Aufenthalte schon ein Schloß, um in das andere zu ziehen, ging als Bäuerin verkleidet in die Dörfer und mischte sich in Lie Spiele der Landleute, ritt mit hohen Stieseln und Sporen von GenliS nach Paris und von dort wieder zurück, mystifizirte schonungs los Alles, was ihr unter die Hände kam, aß in ihrem I8ten Jahre mit dem größte» Appetit rohe Zische, spielte die Harfe wie Apollo, focht mit der gewa»diesten Geschicklichkeit gleich einer jugendlichen Bellona und war dabei klug wie die Göttin Minerva — sind da« nicht Eigen schaften genug, um die Blicke Aller aus sich zu ziehen? — So war Frau von GenliS, als sie zur Ehrcndame der Herzogin von Chartres ernannt wurde. — Ebe sie aber das Palais-Rohal bezog, batte sie während eines ganzen Winters einen Salon eröffnet, dec höchst merk würdig und ausgezeichnet war und dem nur wenige später gleichkamen- Jenes Verlangen »ach fortwährender Abwechselung, das ihre Reiselust stets aufs neue erweckte, äußerte sich auch in dem Innern ihres Hauses und brachte Mannigfaltigkeit, Bewegung und Leben in ihre Gesellschaf ten. Obgleich sic damals noch eine sehr junge Frau war, zeigte sie doch schon jenen seltenen Geschmack und Sinn für Wissenschaft und Kunst, der sie später so auSzeichneie; aber sie sah cs auch gern, wenn ihre Talente nicht unbekannt bliebe». Ihr Gesellschafts-Saal war der Sammelplatz für die berühmteste» Gelehrte» und Künstler, etwa«, das damals in den höheren Zirkeln von Pari« noch ganz ungewöhnlich war und deshalb viel Aussehen erregte. Sic veranstaltete zuweilen Kon zerte, in denen der berühmte Violinist Kramer, die Violoncellspielcr Iannowitz und Duport und die ausgezeichnete Pianistin Mlle. Baillo» milwirkten. Oft auch ließen sich die Italiänischen Sänger Albamzi und Zrizeri bei ihr hören; sie selbst spielte die Harfe und sang vortreff lich; man kann sich also wohl denken, daß solche musikalische Soiröen sehr unterhaltend und lebhaft waren. Zuweilen führte man Sprüch- wörter und Charaden auf, arrangirte kleine Ballete und tanzte Quadrillen. In demselben Jahre machte auch Frau von Gcnlis eine Erfindung, die in allen vornehmen Zirkeln mit großem Beifall ausgenommen und bald allgemein Mode wurde. Um gesellschaftliche Spiele mit Tanz zu ver einigen, komponirte und arrangirte sic nämlich eine Quadrille, die sie „die Sprüchwörter" nannte. Jede« Paar bildete in dem Marsche, der zur Introduktion des Haupttanzes diente, ein Sprüchwort und war der Bedeutung desselben gemäß gekleidet. Die Herzogin von Lauzun trug ein einfache« weißes Gewand mit grauem Gürtel und keinen anderen Schmuck, al« ihre große Schönheit; ihre Devise war: „Vonns re- nommss vaut mieux, <zue seinturs ckoree." — Herr von Bclzunce führte sie. — Die Herzogin von Liancourt, Lie eben so durch Grist, Liebenswürdigkeit und Grazie ausgezeichnet war, wie alle Frauen, die von jener Fett ab denselben Namen trugen, ward von Lem Grafen von BonlainvillierS geführt, und ihr Spruchwort war: „L vieux cbsd jeuns souris." Herr von St. Julien, einer Ler liebenswürdigsten und heitersten Gesellschafter, war der Kavalier der Frau von Marigny; er war als Mohr gekleidet und sein Gesicht schwarz gefärbt; die Dame hielt ein weißes Schnupftuch in der Hand, mit dem sie von Zeil zu Zeit über da« Gesicht des Herrn von St. Julien strich, ihr Sprüch wort war: „tV laver la tote cl'un fflaure 0» zmrä so lessive." — Diesem Paare folgte Frau von GenliS selbst, von dem Vicomte von Laval geführt, der prachtvoll gekleidet war, während sie da« einfache Kostüm einer Bäuerin trug; der Vicomte, der sich fast immer lang weilte, sah traurig aus und schien mit der Lust zum Schlafe zu kämpfen; sie hingegen blickte heiter und vergnügt um sich her. Ihr Motto war: „Ountentemend passe ricliesse." Auch Gardel, jener berühmte Tänzer, Ler damals eben im Glanzpunkte seines Ruhme« stand, batte, auf Fran von GenliS' Wunsch, zu dieser Quadrille noch eine be sondere Tour, nach dem Sprüchworte: „veculer pour mieux sautor", arrangirt, in deren Aussührung er sich selbst übertraf; es war cine reizend« Contreianz-Tour, nach Art der Mazurek, roller Lebe» und Be wegung, und entzückte die ganze vornehme Welt von Paris. Man kann sich wohl denken, wie sehr ein so heitere«, sorgenfreies Leben eine junge, hübsche und lebhafte Frau, wie die Gräfin GenliS war, befriedige» mußte. Auch fühlte sie sich, ihrer eigenen Versicherung nach, vollkommen glücklich; Herr von GenliS liebte sie leidcnschastlich und theille alle ihre Vergnügungen oder vielmehr ihre Tborheitcn; er war geistreich, machte bübsche Verse, spielte zum Entzücken in kleinen Vaudevilles oder Lustspielen und besaß mit einem Worte alle Eigen schaften, die man von einem feinen, vollkommen liebenswürdigen Welt- luaiine in jener Epoche verlangte. — Während desselben Winter« liess Fran von GenliS auch oft in ihrem Hause Komödie spielen, eine Unter haltung, die sonst gewöhnlich nur die Soireen auf dem Lande aussüllt; aber sic wußte nur zu gut, wie allerliebst sie auf der Bübnc sev, und es'war einmal ihr einziges Bestrebe», Effekt zu mache». — Anfänglich ward sie bei diesen dramatischen Versuchen nur von Mlle. Baillon unterstützt, denn Frauen von hohem Range wagten e« damals noch