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SOS Beauftragt mit der Herausgabe RegierungSrat Brauße in Dresden- Landtagsverhandlungen. (Kortsetz»»g der 5» Titzung von Diendtag, den 2». Deptember LSS1) Abg Siegert (Dnat. — Fortsetzung): Man wendet hier vielleicht ein, die letzte Notverord nung gibt ja ihren Ländern ihre volle Selbständigkeit, gibt ihnen ja die größten Vollmachten, ihre Finanzen aus eigenen Kräften in Ordnung zu bringen. Das ist Schein und Trug. Die Wirtschaft der 17 deutschen Länder und ihrer 65000 Gemeinden ist durch das System der Reichssteuerüberweisung, das ist das System Erz bergers, derart mit dem Reichshaushalt, der jetzt in allen Fugen kracht, verbunden, daß die Erschütterungen des Reichshaushaltes auch die Einzelhaushalte der Länder und Gemeinden ins Wanken bringen müssen. Das ist uns ja heut» durch die Ausführungen des Herrn Minister präsidenten Schieck selbst bestätigt worden. Die sächsische Regierung hat aus eigener Vollmacht, ohne den Landtag um seine Zustimmung zu fragen, ja sogar ohne den Zwischenausschuß zu hören, wie es die Verfassung will, ihre Notverordnung herausgebracht. Die Fraktwnsvorsitzenden hatten lediglich die Ehre, von der Notverordnung im Dienstzimmer des Herrn Minister präsidenten Kenntnis zu erhalten an demselben Tage, wo die Veröffentlichung bereits in vollem Gange war. Die sächsische Regierung hat, trotzdem ihr viel Gelegen heit geboten war, überhaupt bisher vermieden, klare Stellung zu nehmen zu der grundsätzlichen Frage: Bundesstaat oder Einheitsstaat, Föderalismus oder Unitarismus? Sie hat diese Stellungnahme vermieden, obwohl doch die Unitarisierung teils offen, teils geheim schon längst vorwärts getrieben und in vollstem Gange ist. Es wäre schon längst Recht und Pflicht der Landes regierungen gewesen, solcher Regierungen, die noch etwas auf die Staatshoheit ihrer Länder geben, einen geschlossenen Widerstand gegen diese kalte Unitarisierung des Reiches zu setzen, zumal da sich gezeigt hat, daß diese Eingriffe der Reichsregierung in die innere Ver waltung der Länder offenkundig versagt haben, daß sie ganz offenkundige Mißerfolge dabei erlitten hat und daß dieses ganze System vor allen Dingen der finanziellen Abhängigkeit von der Reichsfinanzverwaltung einen vollen Bankrott erlebt hat. (Sehr richtig! rechts.) Es ist aber, abgesehen von einigen leeren Protesten, die wahrscheinlich in den großen Berliner Papierkorb ge wandert sind, in dieser Hinsicht nichts geschehen. Ich meine, wenn dieser Widerspruch rechtzeitig und zwar vor Jahren schon eingesetzt hätte, dann wären die Länder und ihre Gemeinden vor der Gefahr geschützt worden, in die Katastrophe des Reiches mit hereingezogen zu werden. So aber hat sich nun zwangläufig die Ent wicklung vollzogen, wie ich sie eben geschildert habe. Unser Antrag ist ein zweifacher. Was den Punkt 2 desselben anlangt, so ist es auf die Dauer nicht erträglich, daß unsere Regierung nichts weiß von so einschneidenden Maßnahmen, wie sie eine Reichsregierung jetzt vor zubereiten pflegt. Was in dieser Beziehung Preußen zugestanden ist, das möchte auch den übrigen Länder regierungen zugestanden werden. Und was den ersten Punkt unseres Antrags anlangt, so ist die Position der Reichsregierung, die nun schon seit Jahresfrist mit so diktatorischen Vollmachten regiert, im Laufe dieser Zeit immer schwächer geworden, sie ist jetzt eine Minderheits- regierung. Tas hat sich durch den Volksentscheid in Preußen und durch die letzten Wahlen gezeigt. Hinter dieser Brüning-Regierung steht keine Mehrheit mehr. Nun meinen wir, diese schwache Position der Brüning- Regierung würde noch weiter geschwächt werden können, wenn sich die Länderregierungen, die sich eben auf ihre Staatshoheit und Selbstänbigkeit be sinnen, in ihrem Widerstand gegen diese Erdrosselungs versuche der staatlichen Selbständigkeit zusammen schlössen. Es scheint ja dieser erste Punkt unseres An trages sich erfüllt zu haben. Aber tue Zusammenkunft mit Vertretern süddeutscher Regierungen in Stuttgart hat die besondere Notlage Sachsens und daß Sachsen zuerst geholfen werden müsse, nur anerkannt unter der Voraussetzung, daß wir in Sachsen uns nicht Dinge leisten, die die anderen Länder sich versagen müßten. Wenn dos etwa das ganze Ergebnis dieser Stuttgarter Verhandlungen gewesen ist, dann muß ich es für sehr problematisch hatten (Sehr gut! b. d. Dnat ), denn dann sind unserer Regierung offenbar, um das mal mit klaren Worten auszusprechen, dort Anweisungen gegeben wor den, wie sie ihre sächsiscke Notverordnung einzurichten habe (Sehr gut! b. d. Natfoz»), um sich die Reichshilfe von Berlin zu sichern, sich auch die Zustimmung der anderen Länder zu sichern, daß Sachsen bevorzugt be rücksichtigt werden soll. Aber das Ergebnis dieser Stutt garter Konferenz ist nicht gewesen, daß diese Länder regierungen beschlo sen haben, wie man der verderblichen Reichspolitik entgegenwrrken kann. Dann wäre es also gerade das Gegenteil von dem, was wir in unserem Antrag bezweckt hatten. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit wird von dem Herrn Ministerpräsidenten nicht bezweifelt. Ich muß wiederum erklären, daß wir uns nickt irremachen lassen in der Meinung, daß es doch versucht werden sollte, durch den StaatSgerichtShof feststellen zu lassen, ob tatsächlich diese Notverordnungen und vor allen Dingen die letzte, die da empfiehlt, keine Rücksicht auf Landesrechte zu nehmen, überhaupt noch vor der Ver fassung bestehen können. Die ganze Sache ist um so ungeheuerlicher, wenn man bedenkt, daß die sächsische Ich begnüge mich mit diesen Andeutungen in der Krmk deS Inhalts der Notverordnung. Die volle Ver antwortung, hat Herr Präsident Schieck gesagt, über nimmt die Regierung. Wir lehnen sie ab und müssen sie ablehnen. Wenn er freilich die Bemerkung gemacht hat, wir. die Kritiker, die Opposition, hätten ihm noch keine Ersatzmaßnahme vorgeschlagen (Zuruf b. d Natsoz.: Das machen wir nicht vorher, das machen wir fchon nachher!), dann muß ich schon sagen, das ist niemals die Aufgabe der Opposition gewesen. Wir haben uns nicht den Kopf zu zerbrechen, wie nun die Regierung, die ja ihren Etat vor allen Dingen durch Zustimmung der Sozialdemokratie sich hat genehmigen lassen, au» ihrer Fmanzmisere herauskommt. Im übrigen sind wir sonst gern zu positiven Vorschlägen bereit gewesen, und wir haben durch unsere Anträge schon früher auf die Wege hingewiesen, die hätten gegangen werden können, um der jetzigen Misere aus dem Wege zu gehen. Ich glaube, das waren positive Vorschläge genug. Aber die sächsische Regierung hat es abgelehnt, auf diese Vorschläge emzugehen. (Zurufe b. d Komm.) Und ich glaube, es ist noch nicht zu spät dazu, daß die Regierung auf unseren Antrag Nr. 627 eingeht, sich mit anderen Länderregierungen zusammenzusetzen und mit ihnen zu beraten, wie wir den verderblichen Zentralisierungsbestrebungen der Reichsregierung am besten steuern. (Lebhafter Beifall b. d. Dnat.) Punkt 6: Beratung des Antrages de» Abg. Kaiser u. Gen. gegen die Unterbindung des -teuwohnung»- baue». (Drucksache -tr. V2S.) Ter Antrag Nr. 620 lautet: Tas sächsische Arbeits- und Wohlfahrtsministerium hat mit Verordnung vom 22. August 1931 — nicht gedruckt — die für den Wohnungsbau zur Verfügung stehenden Mietzinssteuermittel gesperrt und die Fort führung begonnener Bauten entweder nur bis zur Kellergleiche oder bis zur Dacheindeckung gestattet. Damit unterbindet die sächsische Regierung den in Sachsen geplanten Reuwohnungsbau, obwohl die Mittel aus der Mietzinssteuer weiter vom Hausbesitz in voller Höhe erhoben werden. Haben schon bisher Gemeinden sür den Wohnungsbau Mietzinssteuer mittel und vom Staate überwiesene Baugelder wider rechtlich dem Wohnungsbmr entzogen, so bedeutet diese Maßnabme der Regierung die vollständige Lahmlegung der sächsischen Bauwirtschaft. Tie Regierung betreibt damit eine Politik zur Förderung der Arbeitslosigkeit, anstatt Arbeitsmöglichkeiten für Arbeitslose zu schaffen. Tie Betriebe des Baugewerbes und des Bauhand werks werden durch die Unterbindung der öffentlichen Bauwirtschast auf das Schwerste in ihrer Existenz be droht und es wird ihnen jede Verdienstmöglichkeil, genommen. Tie öffentliche Baufinanzierung dokumen tiert mit dieser Verordnung ihren Zusammenbruch und bestätigt damit die Richtigkeit des Kampfes gegen die öffentlich subventionierte Bauwirtschast. Ter Über gang zur privaten Bautätigkeit ist daher zu baldmög- lichstem Zeitpunkt in die Wege zu leiten. Wir beantragen daher, der Landtag wolle beschließen: 1. die Verordnung vom 22. August 1931 mit sofortiger Wirkung aufzuheben; 2. die Gemeinden, welche für den Wohnungsbau be stimmte Mietzinssteuermittel für andere Zwecke verwendet haben, anzuweisen, dieselben der Bau wirtschaft unter gleichen Bedingungen sofort zur Verfügung zu stellen; 3. die sächsischen Gemeinden anzuweisen, die Woh nungsämter sofort aufzuheben und die dafür aus gewendeten Mittel der Bauwirtfchaft zur Ver fügung zu stellen; 4. den für den Wohnungsbau bestimmten Anteil der Mietzinssteuer mit dem 1. April 1932 in Wegfall zu stellen und die Mietzinssteuer um diesen Be trag zu senken. Den Mietzinssteuerpflichtigen die Verpflichtung aufzuerlegen, diesen Betrag zum Zwecke der Arbeitsbeschaffung und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit restlos für Hausreparaturen zu verwenden; 5. alle staatlichen und gemeindlichen Stellen und Ein richtungen, welche aus Anlaß des öffentlichen Woh nungsbaues eingerichtet wurden, ab 1. April 1932 abzubauen. Punkt 10: Aufrage de» Adg. Kaiser «. Ge»., de« freiwillige» Verzicht der VSrgerweifter der Städte und leitende» Angestellte» ge«ei»dlicher »der fanstiger öffentlicher Unternehmungen auf eiueu GehaltSteil detreffeud. (Drucksache Rr. 167» Die Anfrage Nr. 167 lautet: Nachdem die Mitglieder der sächsischen Regierung freiwillig auf 20 Pro-, ihrer Gehaltsbezüge Verzicht« haben, haben sich auf Grund dieses Beispiels auch die leitenden Angestellten in den staatlichen Werken nach einer Pressenotiz einer 20 prozentigen Gehaltskürzung freiwillig unterzogen. Die sächsische Regierung hat mit diesem freiwilligen Verzicht sicher die moralische Aus wirkung erwartet, daß auch die Bürgermeister d« Städte, soweit sie ein gleich hohe» Einkommen od« gar ein noch höheres einschließlich der Nebenbezüae al» die Minister beziehen, von sich au» dem Vorbild der Regierung zu folgen. Da»selbe ist zweifello» auch von den leitenden Angestellten gemeindlicher »der Regierung, die hier mit der Diktatur arbeiten soll, eme bloß geschäftSfüyrende, eine zurückgetretene ist, die sich überhaupt auf keine parlamentarische Mehrheit stützen kann. Hier rächt sich die unverantwortliche Versäumnis des Landtags (Sehr richtig! recht»), nicht schon längst diese Regierung durch eine politisch-parlamentarische Re gierung abgelöst zu haben oder sich selbst aufgelöst zu haben, um durch Neuwahlen die Grundlage für eine politische Mehrheitsregierung zu schaffen. (Abg. Meyer: Ja, wenn die SPD. keine Angst hätte!) Tie Situation jedenfalls ist so, daß die Idee des demokratisch-parla mentarischen Systems hier in Sachsen vollständig auf den'Kopf gestellt und in ihr Gegenteil verkehrt ist Bon den Maßnahmen der Notverordnung, für die wir jede Verantwortung ablehnen, will ich im einzelnen bloß drei Punkte hervorheben. Tas ist erstens einmal die Maßnahme in bezug auf die Beamtengehälter. Hier muß ich die sächsische Beamtenregierung an die Ver sprechungen erinnern, die an dieser Stelle und in feier lichsten Stunden sowohl vom Herrn Ministerpräsidenten wie vom Herrn Finanzminister ausgesprochen worden sind. Diesen feierlichen Versprechungen den Beamten gegenüber steht nun die sächsische Notverordnung vom 21. September, die wiederum, und zwar zum vierten Male, die Beamtengehälter kürzt! Wogegen wir uns wenden, ist hier wiederum der Geist, der daraus spricht, daß man die Sache lediglich pekuniär ansieht (Lebhaftes Sehr richtig! b. d. Dnat.) und lediglich pekuniäre finan zielle Maßnahmen ergreift, also sich rein mechanisch, rein schematisch dort Geld holt, wo man den schwächsten Widerstand und Widerspruch erwartet. (Lebhaftes Sehr richtig l b. d. Dnat.) Tas ist ja leider der Fall, daß sich unsere Beamtenschaft immer wieder dahin bringen lassen wird, in ihrer Berufsfreudigkeit und in ihrer Staats freudigkeit nicht zu streiken und nicht aufsässig zu werden, sondern sich eben alles gefallen zu lassen. Wir wenden uns weiter dagegen, daß man nicht be denkt, daß die Kürzung der Beamtenaehälter selbstver ständlich ein Schwinden von großer Kaufkraft in weitesten Kreisen unseres Volkes bedingt, so daß damit eine wesent liche Verminderung der Steuereinnahmen verbunden ist. Und woher sollen denn, wenn der Fehlbetrag noch viel weiter anwachsen wird, dann die Mittel genommen werden? Wiederum von der Beamtenschaft? Und die Berufsfreudigkeit? Wir wollen es damit recht ernst nehmen. ES ist den Beamten bereit» außerordentlich viel zugemutet worden. Man darf auf diese Berufsfreudig keit nicht allzustarke Belastungen legen. Es dürfte doch wohl endlich einmal die Grenze bei den Beamten erreicht sein, wo es sich wirklich um wohlerworbene Rechte handelt. Das Reichsgericht hat neulich eine Entscheidung getroffen, wo es den Begriff der „standesmäßigen Unterhaltung in sein Urteil einfügt. Wenn die Kürzung der Beamten gehälter fo weiter geht wie bisher, dann wird tatsächlich die Frage aufgeworfen werden müssen, ob es einem Beamten noch möglich ist, sich und seine Familie standes- mäßig zu unterhalten. Und ich erinnere weiter an das sehr Bedenkliche, daß hier in der Notverordnung empfohlen wird, auch in der Privatwirtschaft bestehende Verträge nickt zu berücksichtigen, sondern zu brechen in der Besoldung ihrer Angestellten. Tas zweite Stück, die Berwaltungsreform- maßnahmen, was wir da kritisieren, ist vor allen Dingen das, daß die Maßnahmen, die in der Denkschrift des Herrn Präsidenten Schieck vom Jahre 1927 vor geschlagen waren, jetzt nun auch für das Jahr 1931 noch überall Geltung haben sollen, obwohl sich die Verhält nisse tatsächlich in diesen 4 Jahren wesentlich geändert haben. Ich denke z. B. an die Beseitigung von Amts hauptmannschaften. Ich erinnere daran, daß die Auf hebung von jetzt noch gesunden Amtshauptmannschaften und ihre Angliederung an kranke Amtshauptmannschaften durchaus nicht zu empfehlen ist. (Abg. Enterlein: Sehr richtig!) Ich denke da an Werdau und Zwickau. (Abg. Enterlein: Oelsnitz!) Ja man fragt sich: Warum über haupt erst so in letzter Minute die auch so wieder rein mechanisch ausgerechneten Berwaltungsreformmaß- nahmen? Der Herr Präsident Schieck gerade als Ver fasser dieser Denkschrift, der wir in vielen Stücken zu gestimmt haben, ist nun schon seit länger als Jahresfrist in der Regierung, und kein Kabinett ist so unabhängig gewesen wie gerade das Kabinett Schieck, unabhängig von irgendwelcher Mehrheit deS Landtage». Warum erst in letzter Minute diese Notmaßnahmen ergreifen, die vielleicht vor Jahresfrist schon längst hätten glatter und reibungsloser durchgeführt werden können? (Abg. v. Kil- linger: Die sind doch abhängig von den Sozis!) Endlich ein dritter Punkt, da» ist der Schulabbau. Hier auf Einzelheiten einzugehen, ist in der Aussprache noch Gelegenheit, aber ich muß schon sagen, daß hier unter den Beamten den Lehrern noch weitere Lasten als den übrigen Beamten zugemutet und aufgebürdet werden. Und dazu ein Wort vor allen Dingen der Fürsprache für unseren Junglehrernachwuchs! Es steht traurig um diesen Junglehrernachwuchs, wenn die Maß- nahmen der Notverordnung durchgesührt werden. Ich habe eine Chemnitzer Schule im Auge, an der allein, wenn diese Notverordnung durchgesührt wird, 14 Jung lehrer auf die Straße geworfen werden. Va» sollen diese jungen Lehr« macken, die durch keine versiche- rung gegen Arbeitslosigkeit geschützt sind? Und wenn man das Schulgeld erhöht, ist da» nicht ein Rück- schritt zu dem, wa» man an der höheren Schule früher getadelt hat, daß sie nämlich bloß Stande»schule ist, nur für solche besuchbar, die eben da» Geld dasu baden? ÄMGeilU zur WWi ÄMpiW Nr. 106. zu Nr. 22S de« Hauptblatte-. 1931.