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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.05.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-05-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960519027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896051902
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896051902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-05
- Tag 1896-05-19
-
Monat
1896-05
-
Jahr
1896
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Die Morgen-AuSgabe erscheint nm '/,7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Redaktion und Expedition: IohanneSgaffe 8. Die Expeoition ist Wochentags ununterbrochea geöffnet von stich 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: ktt» Klemm's Sortim. (Alfred Hahn). Universitätsstraße 3 (Paulinum), LouiS Lösche. Katharineustr. (4, pari, und Königsplatz 7. BezugS-PretS in der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen ab geholt: vierteljährlich ^4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau« 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertehährlich ^l 6.—. Directe tägliche Kreuzbandseudung iuS Ausland: monatlich X 7.S0. Abend-Ausgabe. WpMr Tagchlatt Anzeiger. Ämtsölatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. AnzeigeN'PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamen unter dem RedactionSstrich ^ge spalten) 50A, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40/^. Größere Schriften laut unserem PreiS- verzeichniß. Tabellarischer und Zisfernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung X 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 252. Dienstag den 19. Mai 1896. SV. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, IS. Mai. In einer Sitzung hat der Reichstag die erste Lesung der Borlage über die vierten Bataillone erledigt; daß das möglich war, ist in erster Linie dem Reichskanzler zu danken, der auf den Vorhalt des Abg. Or. Lieber, es würden immer neue Heeresforderungeu an den Reichstag gestellt, während die Heeresverwaltung die ältesten und berechtigtsten Forderungen deS Reichstages in den Wind schlage und speciell die längst zugesagte Reform des Militair- strafprvcesses wieder und wieder auf die lange Bank schiebe, die Erklärung abgab, der Entwurf der neuen Militairstrasproeeßordnung sei nunmehr so weit vor bereitet, daß mit Bestimnitheit seine Einbringung bei den gesetzgebenden Körperschaften des Reiches im Herbste zu erwarte» sei. Diese Erklärung und der Zusatz, daß der Entwurf — vorbehaltlich der Besonderheiten, welche die militairischen Einrichtungen erheischen — auf den Grundsätzen der modernen Rechtsanschauungen auf gebaut sein werde, machte auf allen Seiten des Hauses den günstigsten Eindruck, der auch durch die Zweifelsucht des Abg. Richter nicht vermindert wurde, denn die Erklärung beweist, daß die Krisengerüchte, die jüngst verbreitet wurden, gegen standslos waren oder wenigstens mittlerweile geworden sind. Fürst Hohenlohe hätte eine solche Erklärung nicht ab geben tonnen, wenn der im October vorigen Jahres im preußischen Staatsministerium ausgearbeitete Entwurf nicht der Billigung Les Kaisers sicher wäre. Fürst Hohenlohe, unter dessen Ministerium Ende ter 60er Jahre die Reform des Militairstrafverfahrens in Bayern cingeführt worden ist, wird nun auch den Ruhm haben, als Reichskanzler diese Reform zur parlamentarischen Erledigung zu bringen, und der preußische Kriegsminister von Bronsart wird an diesem Ruhme seinen vvllgemessenen Antheil haben. Mir der Be- sorgniß, daß beide Männer infolge einer Krisis wegen der Frage der Militairstrasproeeßordnung aus ihren Aemtern scheiden würden, vermindert sich nun aber auch die Besorgniß, daß durch die Bewilligung der Vorlage über die vierten Bataillone der Reichstag einen Schritt tbun werde, der von unbekannten Nachfolgern beider Männer gegen die provisorische Einrichtung der zweijährigen Dienst zeit und zur Ausfüllung der ans zwei Bataillonen gebildeten Regimenter mit einem dritten Bataillon auLgebeutet werden könnte. Die Erklärung, die Herr von Bronsart über die Vorlage abgab, waren geeignet, diese Besorgniß noch mehr zu vermindern. Er stellte auf das Be stimmteste in Abrede, daß die Beseitigung der unglücklichen Halbbataillvne ein Vorspiel znr Beseitigung der zweijährigen Dienstzeit sein solle, und wies daraufhin, daß ein abschließen des Urtheil über die Zweckmäßigkeit dieser Einrichtung noch gar nicht gefällt werden könne, ja wahrscheinlich sogar im Jahre 1899 noch nicht möglich sein werde. WaS die Regimenter zu zwei Bataillonen betreffe, so sei er ein persönlicher Freund derselben und könne sich übrigens nicht verstellen, woher die Mannschaften für dritte Bataillone genommen werden sollten. Besonders interessant und bedeutsam war seine Mit- theilung, daß er mit der Vorlage eigentlich keine neuen Vor schläge mache, sondern daß diese im Wesentlichen bereits in einem Gesetzentwürfe enthalten gewesen seien, der im Jahre 1891 vom Kaiser selbst bis in alle Einzelheiten ausgearbeitet worden sei. Dieser Gesetzentwurf ging auch auf den Grundsatz zurück, daß das einzige Mittel zur Verstärkung des Feldheeres die Verstärkung der Friedensverbände sei; zu diesem Zwecke verlangte er außer einer Verstärkung der vorhandenen Bataillone die Errichtung von 66 neuen Bataillonen. Von den Boll bataillonen ging man 1893 nur deshalb zu den Halb bataillonen über, weil man glaubte, durch diese Halb bataillone die vermeintlichen Nachtheile der kürzeren Dienstzeit abwenden und auf sie als „Aschenbrödel" abwälzen zu können, was der Truppe unbequem und lästig war. Aus dieser Mittheilung geht erstens hervor, daß der Kaiser selbst in militairischen Fragen trotz seiner gründlichen Einsicht nachzugeben versteht und zweitens, daß er die Zahl der in der Vorlage vorgesehenen Vollbataillone für vollständig ausreichend hält, um die bei Ausbruch eines Krieges nöthige Anzahl voll- werthiger Kriegsverbände zu sichern. Hatte die Erklärung deS Reichskanzlers die allgemeine politische Situation in erfreulicher Weise geklärt, so bildeten die Ausführungen des preußischen Kriegsministers eine so ausreichende sachliche Begründung der Vorlage, wiesle im Plenum überhaupt ge geben werden konnte. Weitere Aufklärungen werden die Be- rathung in der Budgetcommission bringen, an welche die Vorlage verwiesen wurde. In ihr wird besonders auch erwogen werden müssen, ob nicht noch festere Garantien für eine weitere wohlwollende und möglichsten Erfolg versprechende Prüfung der provisorischen Einrichtung der zweijährigen Dienstzeit verlangt und gegeben werden können. Schon nach der ersten Lesung ist aber die Erwartung gerechtfertigt, daß die Vorlage ohne wesentliche Acnderung eine Mehrheit findet. In Württemberg, bat, wie schon kürzlich gemeldet wurde, die Negierung den Gesetzentwurf betreffs der „Religions- reversalieu" zurückgezogen, nachdem die Zweite Kammer nach dreitägiger Debatte den Entwurf abgelehnt und statt seiner einen Commissionsantrag angenommen halte, der dem Zusammenwirken deS Centrums mit der ihm dienstpflichtigen Volkspartei seine Entstehung verdankt. Bekanntlich droht der evangelische Mannesstamm der württembergischen Regenten aus zusterben. Bei Zeiten sollten nun die Functionen des evangelischen LandeSbischoss einer Kirchenbehörde übertragen werden, die wenigstens einigermaßen die Autorität und Würde repräsen- tiren sollte, wie sie die evangelische Kirche bisher in ihrem Landesbischvf besaß. Nichts Neues sollte also geschaffen werden; nur die alte Würde sollte erhalten werden, wenn auch in ge schwächtem Maße. Im Anschluß an unsere sächsische Gesetz gebung suchte die Regierung dies im Einverständniß mit der evangelischen Landessynode durch Aufnahme von drei Staatsministern oder Mitgliedern des Geheimen Raths in die sechsköpfige evangelische Oberkirchenbehörde zu er reichen. Dem Centrum aber war diese feste und sichere Ordnung der evangelischen Kirche, unerträglich und die Volks partei, die einen so mächtigen Bundesgenossen bei den Wahlurnen nicht entbehren kann, stellte sich auf die Seite des Centrums. Beide Parteien machten geltend, daß in einem paritätischen Staate die Minister nicht für eine einzige der zwei vorhandenen christlichen Kirchen verpflichtet werden dürften, wenn nicht die andere sich benachtheiligt fühlen solle; daß die Vorlage das StaatSkirchenthum, das vom Zeitgeist verworfen werde, für alle Zeit befestige; daß jede Krisis im Ministe rium auch eine Krisis in der evangelischen Kirchenregierung veranlassen würde. Die Vertheidiger des Entwurfs oagegen beriefen sich auf das Beispiel Sachsens, wo die drei Minister sogar ganz allein die Kirchenregierung bilden; auf den An spruch der evangelischen Kirche, anstatt des Königs eine an Einfluß und Ansehen ihm möglichst nahekommende Oberbehörde zu erhalten; auf die historische Ueberlieferung, die seit der Reformation evangelische Kirche und Staat in enger Ver bindung zeigt; auf den ß 76 der Landesverfassung, der auf die im Gesetzentwurf eingeschlagene Bahn Hinweise. In der Com mission machte das Centrum den Versuch, ein förmliches Verbot des Eintritts der Minister in die evangelische Kirchen regierung durchzusetzen. Da das aber selbst der Volkspartei zu stark war, so einigte sie sich mit dem Centrum dahin, den Ministern den Eintritt freizustellen — in der Hoffnung, die Rücksicht auf einen katholischen König werde die Minister von dem freiwilligen Eintritt in die evangelische Kirchenregierung abhalten. Es konnte daher auch nicht überraschen, daß die Negierung das Gesetz zurückzog, nachdem die ursprüngliche Vorlage mit 46 gegen 37 Stimmen abgelehnt, der Commissions antrag aber mit 55 gegen 28 Stimmen angenommen worden war. Ueber das weitere Schicksal der „Religions reversalien" hört die „Köln. Ztg.", daß nunmehr die evan gelische Landessynode wieder berufen und ihre Ansicht gehört werden soll. Die Regierung wird ihr Vorschlägen, sie soll sich mit dem Kammerbeschluß und einer königlichen Verord nung begnügen, wodurch den evangelischen Ministern ein für allemal die Erlaubniß zum Eintritt in die Kirchenregierung ertheilt würde. Eine solche Verordnung würde der katholische König sicher nicht umstoßen wollen und können, und im Wesent lichen wäre dasselbe erreicht, was die Vorlage wollte. Der Consistorialpräsident v. Gemmingen, der ritterschaftlicher Ab geordneter zu der Zweiten Kammer ist, hat schließlich für den Commissionsantrag gestimmt, nachdem der Entwurf ab gelehnt war, und ihn als „immerhin werthvolles Angebot" bezeichnet. Es bleibt abzuwarten, ob die Synode diese An sicht theilt; bis jetzt liegt nur eine Gesammterklärung ihrer Mitglieder vor, wonach sie den Entwurf ohne den Pflicht eintritt der Minister nicht mehr als den mit ihr vereinbarten Gesetzesentwurf anerkennt. Seitdem eS in der französischen Republik kriselt und nicht nur Ministerportefeuilles, sondern ganz andere Dinge aus dem Spiele stehen, rühren sich die Prätendenten. Prinz Victor Napoleon arbeitet noch incognito. Er wünscht, seinen Namen erst im entscheidenden Augenblicke auftauchen zu lassen. Der Herzog von Orleans hingegen, der als Urenkel deS Königs LouiS Philipp Anrecht auf den Thron hat, sorgt dafür, daß die Zeitungen sich schon viel mit seiner Person befassen. Allerdings läßt sich nicht sagen, daß ihm dies bis jetzt zum Vortheil gereiche. Gleich zum An fang der royalistischen Agitation scheint es eine Spaltung der Partei zu geben. Im royalistischen Comitö, das am Donnerstag seine Sitzung hielt, soll eS in Folge eines Schreibens des Herzogs zu stürmischen Auftritten und zu einem Zerwürf- n iß gekommen sein. ES heißt, daß der Herzog von Audiffret- PaSquier, der bisherige Vorsitzende deS Comites, sein Amt niedergelegt und den Herzog von Orleans, der zur Zeit auf den Gütern seines Großonkels, deS Herzogs von Aumale, in Sicilien verweilt, brieflich von seinem Entschluß benachrichtigt habe. Ueber den Inhalt des herzoglichen Schreibens liefen die widersprechendsten Nachrichten um, von welchen besonders die Version Aufsehen erregte, der Herzog habe sich bitter gegen seinen Vetter, den Prinzen Heinrich, ausgesprochen, der von Bourgeois das Kreuz der Ehrenlegion angenommen habe und von welchem sich daher der Ausschuß öffentlich lossagen müsse. Um diesem Gerüchte entgegenzutreten, läßt der Herzog jetzt den vielbesprochenen Bries veröffentlichen. In demselben spricht der Prätendent seine Verwunderung über die schlechte Aufnahme aus, welche der Plan der Arbeiter, die Anhänger des Prinzen sind, bei dem Comitö gefunden hat, der Plan nämlich, auf den Namen des Prinzen eine Wahlkundgebung in Cholet zu veranstalten. Man müsse wählen zwischen einer bloßen Andeutung der Monarchie und der Bethätigung derselben. Der Prinz spricht sich in dem Briefe gegen eine abwartende Haltung aus und erklärt, er wäre glücklich gewesen, die Wahlstimmen auf seinen Namen abgeben zu lassen und dadurch die Nichtigkeit der thörichten Legende von der Unvereinbar keit des monarchistischen Rechtes mit dem Wahlrechte darzu- thun. Es würde ihm nicht mißfallen, selbst ein Beispiel von Annäherung zu geben und mit seiner Person den Beschuldigungen, welche gegen die Monarchie ausgenüpt würden, den ersten Schlag zu versetzen. Der Herzog billigt ec-, daß Prinz Heinrich von Orleans den Orden der Ehren- legion angenommen hat, denn er selbst möchte nicht, daß, falls er zur Herrschaft gelangen sollte, gute Bürger sich weigerten, wegen ihrer republikanischen Gesinnungen diese Auszeichnung aus seiner Hand anzunehmen. Demnach hatten Diejenigen Recht, welche behaupteten, der He»og habe dem Comits vorgeworfen, daß es bei der letzten Ministerkrise sich zu lau, zu zurückhaltend gezeigt habe und nichts von dem Eintritt in eine Agitation, etwa nach der geräuschvollen Art des Boulangismus, habe wissen wollen. Ueber die Aufnahme, welche der Brief in Paris gesunden hat, liegt uns folgende Meldung vor: * Paris, 19. Mai. (Telegramm.) Die konservativen Blätter billigen einstimmig den Brief des Herzogs von Orleanc- und stellen fest, daß der Brief ein bemerkenswerther Act sei, durch welchen der Herzog nachdrücklich gegenüber der öffentlichen Meinung Stellung nimmt. Die republikanischen Zeitungen glauben, dec Bries könne nicht die geringste Beunruhigung für die Zukunft der demokratischen Institutionen einflößen. Offenbar reflectirt der Herzog auf den vermehrten Ein fluß, welchen die Monarchisten im Parlament dadurch ge wonnen haben, daß sie es waren, welche das Cabinet Meline vor einer Niederlage gleich am Tage seines erste» Auftretens vor der Kammer gerettet haben. ES ist ihm nicht entgangen, daß in Frankreich eine Verfaffungsrevision in der Luft liegt, und für diesen Fall will er auf dem Plan sein, weil bei dieser Ge lcgenheit, und nur bei dieser, mit der Aufwühlung aller Leiden schaften, welche sie mit sich bringt, ein Coup noch möglich ist. Der Herzog hofft auch aus stärkeren Rückhalt im Senat, und es läßt sich nicht leugnen, daß sich im Lande cin konservativer Rück schlag gegen die radikalen Experimente der letzten Jahre und die Haltlosigkeit der Opportunisten bemerklich macht. Aber die Wogen der royalistischen Bewegung kräuseln eben nur, cs muß noch sehr viel Wasser zufließen, ehe sie so hoch gehen, um den Herzog zu tragen. Daß er die feste Hand besitzen wird, das Steuer zu ergreifen und zu halten, wird freilich allgemein bezweifelt. Die Unterrichtsvorlage der englischen Regierung ist in zweiter Lesung mit 423 gegen 156, d. b. mit der bedeutenden Mehrheit von 267 Stimmen angenommen worden. Ihren außerordentlichen Erfolg hat die Regierung jedenfalls den Iren zu danken, die, soweit sie im Parlamente anwesend waren, geschlossen für die Vorlage stimmten und so die Niederlage ihrer Bundesgenossen, der Liberalen, um so ärger machten. Die irischen Nationalisten haben sich dabei wesent lich von dem Umstande leiten lassen, daß die Unterrichte Vorlage dem confessionslosen Charakter der englischen Volkv schulen ein Ende machen will und den Grundsatz ausstelli, daß alle Kinder, je nach ihrem Bekenntniß, getrennten Religionsunterricht empfangen sollen. Die katholischen Iren erblicken hierin für ihre in England an sässigen zwei Millionen Glaubensgenossen einen weseni- Die Tochter des Millionärs. 15j Roman aus dem Englischen von L. Bernfeld. (Nachdruck verboten.) „Kein Wunder", sagte Miß Harnaß. „Auch ich fürchte mich entsetzlich, wenn ich an diese schrecklichen Räuber denke. Ich wage mich gar nicht auS dem Hause." „Still", sagte MrS. Larcvmbe, „sie kommt zu sich. Sie muß mehr Luft haben. Hier, liebes Kind, trinken Sie dieö, eS wird Ihnen gut thun. So, daS ist schön. Ihre Lippen färben sich schon wieder ein wenig. Können Sie sich auf richten? Nein — versuchen Sie nicht, zu gehen! Sir Viktor, geleiten Sie Helene nach ihrem Zimmer, ich werde ihr be hilflich sein, sich niederzulegen, sie muß vor allen Dingen Ruhe haben!" Ralph Vyner fühlte sich außerordentlich glücklich, daß ihm gestattet wurde, Viktor bei seinen Bemühungen um seine Schwester zu unterstützen. Beide geleiteten Helene nach oben, MrS. Larcombe folgte ihnen, während Beatrix, Miß Harnaß und der Graf sich nach dem Wohnzimmer begaben. Fünf Minuten spater trat ein Diener ein und näherte sich dem Stuhle Miß Hopley'S: „Der Herr Colonel läßt Sie ersuchen, sich für einen Augenblick in die Bibliothek zu be mühen, gnädiges Fräulein. Beatrix stand sogleich auf und folgte ihm. Als sie in die Bibliothek eintrat, bemerkte sie sofort, daß irgend etwas sehr Ernstes vor sich ging. DaS geräumige Zimmer, dessen Wände große eichene Büchergestelle bedeckten und dessen Fenster und Thüren schwere, dunkle Vorhänge zierten, war nur matt von einer roth beschatteten Lampe erleuchtet. Die Gesichter der vier Männer waren von dem röthlichen Schein, her nur einen kleinen Kreis erhellte, scharf beleuchtet, während »er übrige Theil des Zimmer« iW Dinkeln blieb. Hinter »cm Tisch, der Thür, durch welche Beatrix eintrat, gerade gegenüber, saß der Herr veS Hause« und Mr. Donald, Philipp Seudamore saß ein wenig seitwärts, und vor dem Tische stand der Criminalbeamte. Alle Bier waren ernst und schweigsam. Al« Beatrix eintrat, erhob sich der Colonel und ging ihr entgegen. Er führte sie zu einem Lehnstuhl, der neben fernem Platz« stand. „Meine liebe junge Dame", sagte er gütig zu ihr, „es thut mir unendlich leid, Sie heute Abend noch stören zu müssen, aber unsere Freunde sind ausdrücklich von Arvath Vale herübergekommen, um Mr. Betlow eine Mittbeilung zu machen, welche uns die Sache in einem neuen Lichte erscheinen läßt. Wir bedürfen jedoch vor allen Dingen Ihres Bei standes." „Es bedrückt mich in hohem Grade, Herr Colonel, daß ich eine solche Unruhe und Aufregung über Ihr Haus ge bracht habe, und ich werde selbstverständlich Alles thun, was in meiner Macht steht, um Ihnen zu helfen." Sie suchte ihre Aufregung zu unterdrücken und sprach tapfer, indem sie ihre Augen auf Philipp richtete, doch dieser sah nicht zu ihr hinüber. „Capitain Seudamore sagt uns," fing der Colonel an, und wieder suchten Beatrix' Augen daS Gesicht Philipp's, und wieder fühlte sie sich enttäuscht — sie wunderte sich, was er ihnen gesagt haben könne und schauderte zusammen, sie wußte kaum, warum — „Capitain Seudamore sagt uns, daß er gestern Nacht, während unten getanzt wurde, Jemand aus Ihrem Zimmer habe herauskommen sehen. „Wie konnten Sie Jemand sehen? Wie kam eö, daß Sie selbst dort oben waren?" fragte Beatrix, sich eifrig zu ihm wendend. War eS möglich, daß er ihnen gesagt hatte, er sei mit ihr zusammen dort oben gewesen? Philipp, noch immer sein Antlitz von ihr abgewendet, er widerte: „Die Blume war aus meinem Knopfloch gefallen und ich ging nach dem Ankleidezimmer des Herrn Colonel, in der Absicht, mir eine Nadel zu sucken, um die Blume wieder zu befestigen. Auf dem Rückwege kam ich an einec. Thür vorüber, welche, wie ich jetzt erfahren habe, diejenige Ihres Zimmers ist. Irgend Jemand kam, als ich vorbei war, aus derselben heraus, ich wandte mich um, und er kannte Ihr Mädchen!" „Mein Mädchen, Karoline, meinen Sic?" rief Beatrix in höchstem Erstaunen. „Woher kannten Sie das Mädchen, Herr Capitain?" fragte Mr. Donald. „Ich bin in London häufig im Hause Mr. Hopley'S ge wesen, und dort habe ich daS Mädchen gesehen. Ich erkannte dasselbe sofort." „ES wird nöthig sein, Miß Hopley, daß ich daS Mädchen verhöre. Ich möchte Sie bitten, mir einige Auskunft über di« Vergangenheit desselben zu geben", sagt« Mr. Betlov». Beatrix erhob sich lebhaft. „Herr Colonel", rief sie aus, sich an ihren freundlichen Wirth wenvend, „das muß cin Mißverständniß sein. Karoline ist ein ehrliches, anständiges Mädchen, die schon mehrere Jahre bei uns im Hause ist. Wenn sie unehrlich wäre, so hätte sie häufig genug Gelegen heit gehabt, dies darzutbun. Ich muß leider gestehen, daß ich ost Gelv und Gegenstände von Werth unverschlossen habe liegen lassen, aber noch niemals das Geringste vermißt, im Uebrigen habe ich sie selbst gefragt, ob sie gestern während der Dauer des Tanzes in meinem Zimmer gewesen sei, und als sie meine Frage verneinend beantwortete, war auch nicht der leiseste Anflug von Verlegenheit oder gar Schuldbewußt sein auf ihrem Antlitz zu lesen. Ich bin überzeugt" — sie wandte sich bei diesen Worten an Philipp — „daß der Herr Capitain sich irrt. Es ist unmöglich, daß er Karoline aus meinem Zimmer kommen sah." Sie blickte ihn fest, fast flehend an. Er warf nur einen raschen Blick auf sie, dann zuckte er die Achseln und sah wieder fort. „Ich kann es beschwören, daß sie es war", erwiderte er ruhig, und Beatrix fühlte instinctiv, daß er eine Lüge sagte. Ihre ganze Natur bäumte sich dagegen auf und erschrocken zog sie sich vor ihm zurück. Warum sagte er die Unwahrheit, aus welchem Grunde wünschte er den Verdacht auf die un schuldige Karoline zu lenken? Beatrix vermochte das Alles nicht zu begreifen. Sie stützte ihren Kopf in die Hände und bemühte sich vergeblich, seine Absicht zu errathen. Welche Beweggründe verleiteten ihn zu diesem rätselhaften Betragen ? Sie mochte grübeln, so viel sie wollte, sie konnte es nicht er gründen, denn den entsetzlichen Gedanken, der noch fast un bewußt in ihrem Innern schlummerte, ließ sie nicht auf kommen. Mr. Betlow, der während dieser Zeit verstohlen zuerst Philipp und dann Beatrix beobachtet hatte, wendete sich jetzt zu Mr. Larcombe. „Darf ich bitten, Herr Colonel, Karoline Batt sogleich hierherrufen ru lassen. Ich muß sie unverzüglich einem Ver hör unterwerfen." Der Oberst drückte auf die vor ihm stehende Glocke, doch in dem Augenblick erhob sich Beatrix erregt und legte ihre Hand auf seinen Arm. „Warten Sie!" rief sie aus, „ich möchte noch etwas sagen! Ich werde niemals in diese grausame Ungerechtigkeit willigen. Karoline ist da- einzige Kind einer betagten kränk liche» Wittpx, «ia solcher Schlag würde die Krau tödteu. Dagegen will ich mit meinem Leben für Karoline'S voll ständige Unschuld einstehen! Das Mädchen hat die beste» Eigenschaften, sie hat sich stets vertrauenswürdig bewiesen, und ich glaube, daß sie mir aufrichtig ergeben ist. Ich Wil! lieber den Verlust meiner Brillanten tragen, als daß ick einwillige, Karoline als Diebin anklagen zu lassen. Mr. Betlow", — sie wendete sich eifrig zu diesem, der seine kleinen durchdringenden grauen Augen neugierig und aus merksam auf ihr ruhen ließ — „ick wende mich an Sie! Das Halsband gehört mir! Wenn ich cs nun vorziehe, das Geheimniß, welches über dem Diebstahl schwebt, unauf geklärt zu lassen, kann dann die Untersuchung niedergeschlagen werden?" Ein Augenblick vollständigen Schweigens folgte diesen Worten Beatrix'. Colonel Larcombe zog ihre kleine Hand durch seinen Arm und streichelte dieselbe ermuthigend. Mister Donald sah bewundernd auf ihr von der Aufregung geröthctcs Antlitz; und wenn sich Jemand die Mühe genommen hätte, Philipp zu beobachten — was aber Niemand that — so würde er gesehen haben, wie derselbe erleichtert aufatbmete; Mr. Betlow blickte noch immer auf Beatrix. Jetzt räusperte er sich. „Hm, hm, Miß Hopley, Ihre edelmüthigen Empfindungen machen Ihnen alle Ehre, wie Jeder von uns gewiß zuge stehen wird. Unglücklicherweise darf man sich aber nicht einem solchen Edelmuth in Dingen wie den vorliegenden hingeben. Die Gerechtigkeit gegen jeden Einzelnen im Hause erfordert, daß die Sache sorgfältig geprüft wird und nichts ungethan bleibt, WaS auch nur das geringste Licht auf — hm, den Diebstahl — werfen kann. Es ist nickt Ihre persön liche Angelegenheit, Miß Hopley, sondern eine öffentliche; wer kann wissen, ob dieses Mädchen, welches Sie so — hm, so eifrig, so edclmlltbig vertheidigen — nicht im Bunde mit einer organisirten Diebesbande ist, die noch andere Pläne in dieser Gegend verfolgt. So sehr wir auch Alle wünschen, die Gefühle einer so liebenswürdigen Dame, wie Sie, Miß Hopley, zu schonen, so werden Sie dock selbst einsehen, daß wir jetzt die Untersuchung nicht mehr fallen lassen können; dagegen will ich au« Rücksicht auf Ihr Gesuch und auS nock anderen Gründen daS Verhör dcS Mädchens bis morgen auf schieben, zumal ich vorerst noch einige andere Sachen zu er ledigen habe." Mr. Betlow sprach diese Worte so bedeutsam, zögernd, zwischen den einzelnen Sätzen kleine Pausen machend und öfter uachdenklich mnehalteud, daß jeder der Anwesende« da«
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