Volltext Seite (XML)
Wöchentlich »scheinen drei Nummern. Pränumeeation»- PreiS 22^ Sgr. (j ^ble.) vierteljädrliM, 3 Tdtr. sür do- ganze Jadr, ahne Er- döbung, in allen üdeilen der Prenkiseden Monarchie. Maga für die Lit crntur dcs Man »ränum»irt auf dieses Literatur.Blatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. SiaatS-Aeitung (Friedrichsgr. Nr. 72); in der Provinz so wie im Autlande bei den WolMbl. Post - Acmiern. 113 Berlin, Montag den 20. September . 1841. Rußland. Die Universitätsstadt Dorpat.') Die meisten der Kurischen Städte haben einen doppelten Namen, einen Deutschen und einen Lettischen. So heißt das Deutsche Mitau auf Lettisch Jelgawa, so Libau Lcepaja, so Memel Klaipeda n. s. w. Bei vielen Livländischen Städten komnit Vann zu dem Deutschen und Lettischen Namen noch ein dritter Russischer hinzu, weil Livland von jeher mit Rußland in weit lebhafteren Verbindungen stand als Kur land. So ist der alte Russische Name für Wenden Keß, für Wolmar Wladimiretz. So heißt das Deutsche Dorpat oder Derpt bei den Eingeborenen des Landes Therpata, bei den Russen Juriesf. Ja in Rcwal sogar haben wir eine Stadt mit einem vierfachen noch jetzt gebräuchlichen Namen, einem Deutschen oder Dänischen, „Rcwal", einem Russischen, „Kolpwan", einem Lettischen, „Danepills", und einem Esthnischen, „Talline". Der offizielle Name dieser Städte ist aber immer der Deutsche, und so wird denn Dorpat auch in den Gcographieen und öffentlichen Schriften der Russen nicht mit dem alten Russischen Namen Juricff, sondern mit dem Deutschen Derpt genannt. Die Geschichte DorpatS ist, wie die Geschichte des Landes, in dem es liegt, eine der bewegtesten und stürmischsten, die man lesen kann. Die Kämpfe der von Osten eindringenden Russen und der von Westen her um sich greifenden Schwertritter, so wie die Streitig keiten beider mit den umwohnenden eingeborenen Esthen, später die blutigen Kriege der Schweben, Polen und Russen haben die Stadt mehr als einmal in Asche gelegt, ja sie völlig vom Erdboden ver schwinden lassen. Und noch täglich giebt in Dorpat, wo man bei jedem Häuserbau ein mehrfaches Straßenpflaster in einer zehn Fuß dicken Schichtung aufgräbt, die Bodcnstruktur von den traurigen Vorgängen auf der Oberfläche Kunde. Der Russische Fürst Jaroslaw soll ums Jahr 1000 der Begrün der von Dorpat gewesen sepn. Zweihundert Jahre später verloren die Russen ihre Kolonie an die Schwertritter, welche alles Russische hier völlig auSrottcten und die Stadt in eine Deutsche verwandelten. Im I4ten und laten Jahrhunderte hatte sie ihre größte Blüthezeit, zählte 40,000 Einwohner, gehörte zu den hanseatischen Städten und rivalisirte in Reichihum und Macht bann und wann gar mit Riga. Im leiten und I7tcn Jahrhunderte wurde Dorpat mehr als einmal rasirt und seine ganze Bevölkerung zuweilen in' Gefangenschaft ab- gcführt, das letzte Mal noch von Peter dem Großen. Dennoch erhob es sich immer wieder von neuem zu frischer Blüthe unv zu frischem Ansehen. Seit Petcr's des Großen Zeit, besonders aber erst seit Katharina ll. und ganz neuerlich seit Alexander hat sich Dorpat be deutend gehoben und zu einer entschieden hübschen, eleganten und fast ganz neuen Stadt ausgebildet. Es ist in Dorpat, mit fast einziger Ausnahme des alten DomS, kein Stumpf und Stiel von dem alt- Gothischen Kerne, wie bei Riga, Rewal und Narwa, übriggebliebcn, sondern Alles von Grund aus neu geschaffen worden. Kaum ver folgt man noch hier und da in einigen Gehöften und Gärten die alten Stadtmauern. Die nächste Veranlassung zur Anlage der Stadt gab offenbar die große Bequemlichkeit, welche hier die Art der Gestaltung des hohen Embach-UfcrS für Befestigung darbot. Die Embach, ein bis Dorpat schiffbarer Fluß, der aus dem Inneren LivlandS kommt und sich in den Peipussee ergießt, hat sich ein sehr tiefes Thal in das über der See erhabene Plateau Livlands eingeschnitten. Der rechte oder südliche Abhang dieses Thales ist höher (etwa 100 bis 130 Fuß' hoch) als der nördliche und tritt gerade an diesem Punkte sehr mar- kirt und von mehreren Seiten abgetrennt hervor. Die Kunst hat die Herauslösung der schroffen Stelle mit tiefen Gräben vollendet und so einen festen Anhaltepunkt für die Stadt gebildet. Der da durch entstandene Berg trug früher die Citadclle der Stabt unb die bedeutendsten und angesehensten Gebäude derselben, die Domkirchc, peS Bischoss Palast, Wohnhäuser deS Adels, Klöster u. s. w. Von diesem Allen ist nichts geblieben als die schöne Ruine dcs Doms Sie, so wie der ganze Domberg, wurde später vom Kaiser Alexander an die Universität geschenkt, und jetzt befinden sich aus letzterem die Bibliothek, die Sternwarte, das Klinikum, das anato mische Theater, mehrere Kabinette und Wohnungen der Professoren. '> Wir tbeilen diese Skizze aus dem kürzlich erwähnten Werke über die Deutsch-Russischen Ostsee-Provinzen von I. G- Kohl mit. Der Berg ist oben sehr geräumig, und zwischen allen diesen Ge- bäuben bleiben große freie Plätze, die zu sehr anmuthigen Garten- Anlagen benutzt sind. Die Bibliothek hat wohl ein so eigenthümliches Lokal, wie man es selten findet. Es ist nämlich ein Theil des Doms für sic ausge baut unb bie Büchersammlung barin in zwei über einander stehenden Sälen ausgestellt, während der größere Theil der alten Trümmer noch so zerstört unb hohläugig dasteht, wie der Krieg vor langen Jahren sie machte. Sie gehören offenbar zu den schönsten Kirchen- Ruinen, bie mau sehen kann. Es war ein Hobes und großes Kirchen- Gebäuvc in Gothischcm Gefchmacke. Die Thürcn, durch welche bie Frommen ein- und ausgingcn, find völlig zerstört und nur noch die Thorwege in der Mauer erkennbar; bie Fenster sind ausgebrannt, doch die Gothischcn Bogen noch deutlich zu erkennen; das Dach ist natürlich ebenfalls völlig ruinirt, und bie Gewölbe sind theilweise eingcstürzt, so daß Monb und Sterne in das Schiff der Kirche hinab blicken. Doch streben noch alle die Pfeiler hoch in bie Luft, als wäre hier noch viel zu tragen. Die ganze Ruine liegt von allen Seiten frei unb gewährt von überall her eine hübsche Ansicht. Auf der einen Seite fällt der Berg gleich schroff vor ihren Thüren ab. Die Mauern und Pfeiler sind so hoch, daß sie weit umher aus der Um gegend von Dorpat gesehen werden können unb dtS in große Ent fernung zum Wahrzeichen dienen. Auk der nördlichen Seite des DombcrgeS hat man die Stadt zu seinen Füßen und übersieht sie von hier aus sehr bequem. Ganz unmittelbar in der Nähe des etwas hervortretcnbcn Dombergcs — zwischen ihm und dem Flusse bleibt an der engsten Stelle eine Strecke von kaum 400 Schritt Breite — liegen bie wichtigsten Gebäude der Stadt, die Universität, der Marktplatz, die Magistrats- und Gerichts häuser, die hauptsächlichsten Kaufläden, der Gostennoi-Dwor (Basar) u. s. w. Zür Rechten und Linken, wo ein größerer Raum zwischen dem hohen Ufer unv dem Flusse bleibt, entwickelt sich die Stadt mit einer Menge hübscher Privatwohnungen, Wirthshäuscr u. s. w. in größerer AuSoehnung. Auch jenseits der Embach befindet sich noch ein nicht unbedeutender Theil der Stabt, doch liegt ihre Hauptmasse auf der rechten Seite des Flusses vereinigt. Das ganze hübsche Innere ist eingehüllt in ein weitläufiges Hakelwerk von nicht sehr freundlichen Vorstädten, die meistens von Russen und Esthen be wohnt sind. Was von der Natur für die bedeutenden Handelsverbindungen, durch welche Dorpat in früheren Zetten so bedeutend wurde und die auch noch jctzl die Eigcntbümlichkeit unb Lebhaftigkeit seines HandelS beringen, in der Umgegend vorbereitet wurde, "besteht in folgenden Umständen. Die Embach komnit aus dem Inneren des Landes, geht von Westen nach Osten unb steht durch einen See, der gegen die Regel einen doppelten verschieden gerichteten Ausfluß hat, mit der Pernau in Verbindung, an deren Mündung bie Scchafenstadt Pernau liegt. Auf viele Weise ist von Dvrpgl aus eine gerade, ununter brochene Wasserstraße zum Meere eröffnet, welche wenigstens in frühe» ren Zcitcn benutzt wurde. Die Embach fließt, in hohem Grabe schiffbar, gegen Osten in den Peipussee, aus dem, vermöge des in ihn mündenden Flusses, Dorpat sehr bequem die Produkte "des inne ren Rußlands, besonders von Pskow aus, bezog unv in seinen Ma gazinen aufstapelte, so wie es im Norden durch die aus dem PcipuS- See austretende Narowa einen Kanal zum Meere hin und an der Stadt Narwa noch einen Abnehmer seiner eigenen Produkte gewann. Dorpats fast gleiche Entfernungen von Pskow, Narwa, Rewal, Pernau und Riga mußten gewiß sehr vortheilhaft auf seinen Markt wirken und es zu einem natürlichen Stapeiplatze und Vermittler zwischen allen diesen Orten machen. Es gab Zeiten, wo Dorpat denn vieS von der Natur ihm verliehene Stapelrecht auch mit solcher Strenge übte, vaß durchaus alle Waarcn aus dem Inneren Ruß lands, die für Livland bestimmt waren, zunächst auf seinen Markt gebracht werben mußten, bevor sie ihren Weg zu den auf sie ange wiesenen Konsumenten fortsetzen konnten. Auch jetzt noch ist der Binnenhandel von Dorpat durchaus nicht unbedeutend und eine seiner vornehmsten Nahrungsquellen. Doch ist ihre Universität jedenfalls eine weit berühmtere unv ver Aufenthalt deS Livländischen Avels eine eben so wirksame. Obgleich nämlich Riga die Hauptstadt Livlands ist, so ziehen doch die meisten adeligen Familien Livlands Dorpat zur Winter. Residenz vor. Die Universität von Dorpat hat eine eben so bewegte und bunte Geschichte wie die Stadt selbst. Gegründet wurde sie von Gustav Adolph im Jahre seines Todes 1032 und bestand 24 Jahre bis zum