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Polnische Aufständische foltern Deutsche Das Rci» am EM seiner Sedal» Vraktmvlcknvg novvrvr vorUnvr Sebriltleltang Berlin, 22. Nov. Wegen des unerhörten Wahlterrors haben heute die deutschen Minderheiten in Schlesien beim Vorsitzenden der Gemischten Kommission, Cal ander» Be schwerde erhoben. Nachdem sich nun in der gestrigen Nacht ein furchtbarer Zwischenfall ereignet hat, ist diese Beschwerde auch aus diesen neuen Umstand ausgedehnt worden. Im Hohenbirkcn unmittelbar an der deutschen Grenze bei Natibor brach nämlich gestern nacht ein Trupp schwerbewaffneter polnischer Allsständischer ein und zerstörte sieben Wohnungen von deutschen Nertrauensleuten. In zwei Wohnungen ist nicht ein einziges Möbelstück heil gebliebeir. Die gesamte Einrichtung des Hauses und das Geschirr der Familien wurde zertrümmert. In einem Hause sind 7l) Fensterscheiben, in einem anderen .",tl eingcschlagen morden. Die -Hausbewohner, Frauen und Kinder, wurden, nur mit dem -Hemd bekleidet, auf die Strafte ge trieben. Die männlichen -Hausbewohner wurden aufs schwerste m i ft h a n d c l t. Zwei Vertrauensleute der deutschen Organisationen wurden halb zu Tode geprügelt. In Wilcza ist ein Vertrauensmann der deutschen Liste l« geradezu unmenschlicher Weise gefoltert worden, weil er nämlich Waffen versteckt haben sollte, die man nicht fand. Man fuhr ihn mit einem Auto aus die Chaussee, lieft thn 15 Schritt vorwärtsgehen und erklärte, man werde ihn jetzt von hinten erschtcften. Nach fünf Minuten dieser Quälerei legte man ihn quer Uber die Strafte, fuhr mit dem Auto dicht an ihn heran und fragte ihn, ob man ihn nicht lieber überfahren solle. Die furchtbare Szene endete damit, daß man ihn auss Feld schleifte, ihm Schuhe und Strümpfe ausziehen lieft und seine Fuftsohlen mit Hieben bearbeitete, bis er bewutztlos wurde. Dieser Terror wurde ergänzt durch polizeiliche Maftnahmcn. In Tarnowitz wurde heute der deutsche Scjmkandidat und ehemalige Warschauer Abgeordnete Nowak zusammen mit den drei örtlichen Geschästsbcaustragten des Deutschen Volksbundes verhaftet. Infolge dieser unerhörten Grausamkeiten hat sich der Präsi dent der Gemischten Kommission, Calonder, veranlaftt gesehen, sich sofort nach Hohenbirkcn zu begeben, um dort alle Einzel heiten nochmals genancstens sestzustellen. Schon gestern ist der deutsche Generalkonsul Ilgen als Reichs- und Staats- vcrtrctcr Deutschlands und als solcher der Gemischten Kom mission zngehörend, an dem Schauplatz dieser furchtbaren Terrvrmaftnahmcn gewesen. Calonder hat gleichzeitig den Vorsitzenden des Deutschen Nolkstumsbundes, Fürst Pleft, und einem polnischen Staatsvertreter nach Hoycnbirken ge beten, wo heute die authentischen Feststellungen über diese un menschlichen Grausamkeiten der Aufständischen erfolgen wer den. In der Wilhclmstrafte wird angenommen, daft diese neuen Zwischenfälle das Faß zum Uebcrlausen bringen wer den und daft zweifellos daraus ein neuer sehr ernster Kon flikt mit Polen entstehen kann. Sächsische Trays-ie In den trüben Teich der sächsischen Politik, der seit dem letzten vergeblichen Versuch einer Regierungsbildung langsam zu versumpfen schien, ist nun doch wieder Bewegung gekom men. Ein Stein ist ins Wasser gefallen, die Tiefe ans wühlend und an der Oberfläche Wellenkreise ziehend. Denn cs ist nicht so, daft einer geht und ein anderer nachrückt, wenn der Mann, der seit elf Jahren die sächsische Lanbcs- politik maßgebend beeinflußt hat, sozusagen über Nacht von der politischen Bühne verschwindet. Nach Dr. Dehne in kur zem Abstand Dr. Blühcr. Parlamentarische Götterdämme rung über Sachseir. In einem verbitterten Schmanengesoug hatte der Demokratenführer sein Leid verkündet, angcekeU. wie er sagte, vom falschen Spiel in diesem Landtag. Mit einer trockenen Geste, die ganz seinem Auftreten entsprach, hat sich der Führer der Volkspartei zurückgezogen, aber die Vorgänge um seinen Sturz gaben Knalleffekte genug, um die Aufmerksamkeit weit über die sächsischen Grenzen hinaus auf das Ereignis zu ziehen. Nicht nur in Dresden, auch in Berlin und Frankfurt treffen sich nun die Barden der Linken an der Klagemauer und weinen leise über volkspartciliche Bos heit und Tücke. Und der „Vorwärts", mit seinem robusteren Ton, beschimpft die Parteifreunde Stresemanns als Knechte der -Hakenkreuzler. Warum aber nach Intrigen schnüffeln und persönliche Motive ausgraben, wenn der Fall so klar ist? Mit der von Dr. Bltihcr geleiteten Regie der Laudtags- präsidentenwghl, die dem Bürgertum eine Schlappe und der Sozialdemokratie einen Erfolg brachte, war einfach der Bogen überspannt. Und er tat nur, was überspannte Vogen zu tun pflege», indem er zerbrach. Nach der klaren Parole der Bolkspartei in Sachsen, die in dem Ruse: „Los von der Sozialdemokratie!" gipfelte, und nach den Wahlniederlagen, die jedes Abmeichcn von dieser Generallinie verursacht hatte, war der letzte taktische Scitensprung der LandtagSfraktio» für die Polkspartet nicht mehr tragbar. Sie hat nur der Stimmung ihrer Wähler Rechnung getragen, wenn sie schnell und rücksichtslos die Grundlage ihrer Politik wiederhcr- gestellt und den Kampfruf gegen de» Marxismus erneuert hat. Daft es ihr damit ernst ist, beweist der Umstand, daft die Landesinstanzen auch vor dem großen persönlichen Ansehen Dr. Blühers nicht Halt gemacht und mit seiner Desavouierung ein Opfer im Parteisinn gebracht haben. Auch die Gegner des Dresdner Oberbürger meisters können ja in den politischen Nekrologen, die ihm gewidmet werden, nicht leugnen, daft er eine Führer- persönlichkcit von mehr als gewöhnlichem Ausmaß ist. Nicht umsonst hat ihm seine geschickte, vermittelnde und überall einfluftnehmendc Tätigkeit bei jeder Regierungsbildung und bei der Beilegung vieler Krisen die Bezeichnung als „un gekrönter König von Sachsen" eingetragen. Die schwierigen Parteiverhältnisse im Landtag waren für einen solchen, mehr im Hintergrund als in der Oeffentlichkeit wirkenden Politiker ein günstiger Boden zur Entfaltung seines Könnens, und er hätte noch größere Dienste leisten können, wenn ihn die Stimme des Herzens nicht immer wieder zur Zusammen arbeit mit der Linken gezogen hätte. Den entschiedenen Rechtsruck seiner Partei konnte er nicht mitmachen: die Hemmungen von der Dresdner Gemcindepolitik her, das Be dürfnis. mit den Sozialdemokraten in Tuchfühlung zu blei ben, sie nicht zu verärgern, ihnen Brücken zu bauen, alle diese Rücksichten der sogenannten „Obcrbürgcrmcisterpolitik" waren zu groß, und daran ist er schließlich gescheitert. Sein Sturz ist darum eine deutliche Absage der Volkspartei au diejenigen Ltnkskretse, die in den Zwischenfällen der Land tagspräsidentenwahl ein Vorspiel zur Anbahnung der Gro ßen Koalition im gegenwärtigen Landtage erblicken zu dürfen glaubten. Damit ist es nun endgültig aus. Die Blüherschen Brücken sind abgebrochen und die Schisse, die zum marxistischen User führen könnten, verbrannt. Aber was soll nun weiter werden? Haben sich mit dem Operationsschnttt der Bolkspartei die Aussichten für das Zu standekommen der bürgerlichen Ncchtsregicrung, die einzig sonst noch in Frage kommt, verbessert? Auch der kühnste Optimist dürste das nicht zu behaupten wagen. Solange die angesichts der letzten Wahle» als Anachronismus wirkenden Splitter der Demokraten und Volksnationalen noch ilj,r Machtwort im Landtage spreche» dürfen, ist daran nicht /zu denke». Sic treiben jetzt mit den Nationalsozialisten das gleiche falsche Spiel, das sic vor drei Jahren mit den Deutschnattonalcn getrieben haben, indem sie ihnen die Regierungssähigkeit absprcchen, die sic den Marxisten unbedenklich bescheinigen. Mit solcher Gound satzsestigkeit plustern sie sich aus, solange sie noch auf zwei Beinen stehen können. Das Land könnte auch diesen Un sinn einer Handvoll Ouerköpfe noch ertragen, weil es trotz der parlamentarischen Unfähigkeit eine Beamtenregierung am Ruder weiß, die zwar nur geschäftsführend ist, aber trotzdem saubere, einwandfreie Verwaltungsarbcit leistet. Der Not gehorchend, hat sich das Kabinett Schieck trotz seines ge- schästsftthrenden Charakters auch nicht davon abhaltcn lassen, Schritte von erheblicher politischer Tragweite zu tun. Es hat einen Vorstoß für Avungplanrcvisivn bet der Reichs regierung unternommen und ist bei den Verhandlungen im ReichSrat nicht passiv beiseite gestanden, wie das unpolitische Regierungen sonst tun zu müssen glaubten, sonder» es hat SIMMS MnislemrtWml l« BerNn Graf Dethlens Ankunft Berlin, 22. Nov. Der ungarische Ministerpräsident Gras Bethlen und Gemahlin trafen heute vormittag mit dem fahrplanmäßigen Zuge, 8,54 Uhr, in Berlin ein. Zu ihrem Empfang hatten sich am Anhalter Bahnhof Reichs kanzler Dr. Brüning, Rcichsaußcnminister Dr. Curtius, die Staatssekretäre Dr. Plinder und von Btt low, der deutsche Gesandte in Budapest, Dr. von Schoen und seine Gattin, Ministerialdirektor Dr. Köpke, der Chcs des Pro tokolls. Gras Tattcnbach, und eine Anzahl anderer Herren des Auswärtigen Amtes cingcsundcn. Reichspräsident von Hindcnburg empfing sodann den Besuch des ungarischen Ministerpräsidenten» der von dem Berliner ungarischen Gesandten von Kanya begleitet war. Mittags gab der Reichspräsident zu Ehren des Grasen und der Gräfin Bethlen ein Frühstück, an dem außer den unga rischen Gästen nnd ihrer Begleitung unter anderem die Mit glieder der ungarischen Gesandtschaft, der Reichskanzler, Neichsminister Dr. Curtius sowie der Chef der Heeres leitung, General Freihcr von Hammerstein, mit ihren Damen tcilnahmen. Fehn Fahre Regierungschef vrabtmolcknng nnsoror Sorllnor Svkrtltloltung Berlin, 22. Nov. Von allen großen politischen Zeitungen, mit Ausnahme des sozialdemokratischen „Vorwärts" und der ltnksdemokratischen „Vossischen Zeitung", wird der ungarische Ministerpräsident wärmstens begrüßt. Die Blätter erinnern in ihren ausschließlich freundlich gehaltenen Arti keln durchweg daran, daft Deutschland und Ungarn treue Waffenbrüderschaft im großen Weltkrieg gehalten habe» und nach dem Kriege eine S ch i ck s a l s g e m e i n- schast bilden, die ganz naturgemäß sich gegen die ehemaligen Fcindbnndmüchtc richte, soweit sic ihre Zerstörungöpvlitik weiter betrieben. Graf Bethlen erklärte vor seiner Abreise nach Berlin, er ergreife mit größter Freude die Gelegenheit, die ihm durch die Einladung des Reichs- mtnisters des Acußercn Dr. Curtius geboten worden sei. um sich nach der Hauptstadt des Deutschen Reiches zu begeben, das jahrhundertelang durch kulturelle und politische Be ziehungen mit Ungarn verknüpft sei. Ich stelle, so erklärte Gras Bethlen, ans Grund der Rede des Reichsauftcnministers Dr. Curtius mit Freude fest, daft die auf Erreichung paralleler Ziele zustrebcndc ungarische und deutsche Außenpolitik weder durch ihre Zielsetzung noch durch ihre Mittel der Aufrecht erhaltung des Friedens zuwtderläuft. sondern tm Gegenteil geeignet ist, den Frieden zu stabilisieren. Der Minister sagte weiter, er sei darauf vorbereitet, daft tm Zusammenhang mit seinem Berliner Besuche in der Presse wieder vage Kombinationen über die Bildung eines Revisions blocks auftauchcn würden. Er betonte mit Nachdruck, daft dieser Besuch mit keinerlei neuen politischen Gruppie rungen tm Zusammenhang stehe, sondern hauptsächlich dem s««t dien«, dem vov der Welt hochgeschätzte» Prüft, deuten des Deutschen Reichs die Hochachtung der ungarischen Nation zum Ausdruck zu bringen und die warmen Freundschaftsgefühle zu bekunden, die die ungarische Nation der großen deutschen Nation gegenüber empfinde. Mit dieser Erklärung, die in ähnlicher Form auch in der Wilhelmstraftc zu vernehmen ist, beabsichtigen beide Austen- ministericn offenbar, von Frankreich und Polen bereits heute wieder ausgehenden Drohungen wegen dcs Bethlen- besuchs von vornherein die Spitze abzubrcchen. Einer Blockbildung zwischen Deutschland und Ungarn bedarf es im übrigen gar nicht, weil der Revisionsgcdankc, der sich mit der unwiderstehlichen Macht einer elementaren Notwendigkeit erhoben hat, weiter leben und weiter wachsen wird, und weil alle Völker, deren Zukunft mit der Nevisionsnotwendtgkeit verbunden ist, durch die Natur der Dinge in eine Front gestellt werden. Gras Stefan Bethlen steht bereits seit dem Jahre 192l an der Spitze des ungarischen Staates. Er ist der dienst- älteste aller Ministerpräsidenten Europas. Er gehört einem jener alten madja rische,, Magnatcngcschlcchter an, die ihre Adelswürdc bereits der ältesten Dynastie des Königsreichs Ungar», den Arpaden, verdankt. Die Grafen- würdc der Bethlen findet sich schon im 13. Jahrhun dert durch zahlreiche Lehnbesitzungen befestigt. Sämtliche Güter und Stammschlösser der Familie liegen in Siebenbürgen, gehören also heute nicht mehr zu Ungarn, sondern zu Rumänien. Bethlen wohnt auf einem be scheidenen Re st gut seines einst sehr großen Besitzes in der Nähe des Plattensees, hält sich aber zumeist in Buda pest aus. Merkwürdig ist tm übrigen, daß er nicht, wie fast das ganze ungarische Volk, der katholischen Kirche angehört. Tie Familie der Grasen Bethlen nahm nach der Reformation den cvangelisch-reformierten Glauben au. Die Bethlen haben später als cvangelisch-reformierte Kirchenpatronc schmucke Dorf- und Gutskirchcn erbauen lassen. Der Großvater mütterlicherseits des Grafen Bethlen war ein Gras Teleki, ein Gelehrter und Ehrenmitglied der Akademie der Wissenschaften zu Budapest. Den Vater verlor der 1874 Geborene schon im noch nicht schulpslichtigen Alter. Seine Ausbildung erhielt er, wie alle Knaben und Jünglinge der ungarischen Aristokratie, im Theresianum zu Wien, eine Erziehungsanstalt, deren Berühmtheit einst an das englische Eton heranreichtc. Die Rechte studierte Graf Bethlen in Pest, die Landwirtschaft in Ung arisch- Alteuburg. Schon frühzeitig unternahm er zahlreiche Auslandsreisen. Bald befindet er sich auch im Parlament, wo er 1901 zunächst als Angehöriger der Liberalen Partei cinzieht. Dann wird er mit Gras Albert Apponyi zusammen „Unab hängiger 48er", also Vertreter jener frontierenden Politik gegenüber Wien. Immer jedoch bewahrt er die Mäßigung und zieht sich dadurch Tiszas Auf merksamkeit zu. Schon im Jahre 1914 sollte er. in dessen Kvnzeiitrativnskabiiictt cintretc», lehnte es aber ab. Ebenso wenig läßt sich Bethlen im Jahre des Zusammenbruchs von den merkwürdigen pvli 'chen Plänen des Grafen Ka ro I y i einfangen. Als seme Stunde gekommen ist, tritt er im Jahre 1921 an die Spitze des ungarischen Staates. Er ist also »um bald zehn Jahre durchlaufend Ministerpräsident gewesen.