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Richtig in Dvoraks Entwicklungslinie hineingestellt ist die Arbeit technisch wie in ihren Ausdrucksgehalten ein weiterer Schritt nach vorn auf dem Wege des Frei werdens von neuromantischen Einflüssen zur Abklärung im klassischen Sinne. Dvorak hat an Konzentriertheit und Übersichtlichkeit der tonsetzerischen Anlage gewonnen. Der Zuwachs an eigenständigen Eingebungen nach der Seite der musi kalisch-technischen Struktur wie der der Erfindung läßt die persönliche Handschrift — und damit die nationale Intonation — stärker als in den vorhergehenden Gattungs belegen in Erscheinung treten. Für Dresden ist in diesem Zusammenhang inter essant, wie der Kritiker Ferdinand Gleich im „Dresdner Anzeiger“ vom 13. Mai 1889 mehrfach vergebens nach der richtigen Einstellung zu diesem Werk sucht, wenn er schreibt: ,,Im sechsten und letzten Philharmonischen Concert dieses Winters stand aber mals ein namhafter Componist als Dirigent an der Spitze des Orchesters. Herr Anton Dworschak führte nicht weniger als drei eigene Werke vor, unter diesen seine neueste Sinfonie Nr. 3 in F-dur. Bisher hat er mit Werken größter Form in Dresden kein sonderliches Glück gehabt. Die Oper ,Der Bauer ein Schelm“ verschwand bald nach ihrem Erscheinen auf der Hofbühne von der Bildfläche, und eine von der Königl. Kapelle vor mehreren Jahren vorgeführte Sinfonie konnte es nicht viel weiter, als bis zu einem Achtungserfolg bringen. Besser erging es ihm diesmal wenigstens mit seiner neuen Sinfonie, auch ab gesehen von den, hauptsächlich aus den höheren Räumen des Saales kommen den, recht aufdringlichen Beifallssalven. Wir lernten in dieser Sinfonie ein im Ganzen recht freundliches Werk kennen, dessen im ersten Satze ebenmäßige Form, auch im Übrigen geschickte Harmonik und Instrumentation die geübte Hand des tüchtig durchgebildeten Musikers verräth. Anzuerkennen ist auch, daß es der Componist vorzieht, möglichst Eigenes zu geben, anstatt mit Er borgtem äußerlich zu glänzen, wenn dieses Eigene, fast durchgehend den Stem pel der Volksmusik seines Vaterlandes Böhmen tragend, auch keineswegs von tiefer gehender Bedeutung ist. Aber alles klingt hübsch und das ist doch auch nicht zu unterschätzen. Am besten hat mir der erste Satz Allegro ma non troppo gefallen. Er hebt energisch an und vermag bei der tüchtigsten Durchführung der nationalen Motive bis zu seinem Abschluß zu interessieren. In dem zweiten Satz Andante con moto ist jedoch tiefere seelische Wärme und selbst äußerlich eindringliches Cantabile zu vermissen. Es kommt nicht so recht zu einem freien melodischen Erguß. Der Componist scheint überhaupt im Erfinden von gesangs mäßigen, getragenen Melodien weniger glücklich zu sein, wie die zweiten Haupt themata selbst des ersten, noch weit mehr des vierten Satzes und auch das Tric des Allegretto scherzando beweisen dürften. Durch einige Takte, die der Componist dem bereits abgeschlossenen Andante ohne irgendwelche innere Nothwendigkeit angefügt hat, ist dasselbe mit dem ganz allerliebsten Scherzando (dritten Satz) verbunden, dem, wie gesagt, nur ein frischeres Trio zu wünschen wäre. Weit zurück steht jedoch der Schlußsatz Allegro con fuoco. Hier macht Dworschak von der dem großen Rondo zustehenden Freiheit einen viel zu weit gehenden Gebrauch, daher hinterläßt dieser Satz den Eindruck des Über stürzten, Zerfahrenen. Die hier gebotenen kleinen, um nicht zu sagen kleinlichen Motive werden durch anspruchsvolle Harmonik und besonders auch durch übermäßigen Aufwand orchestraler Mittel weit über die Gebühr auf gebauscht. Beim Anhören dieses Satzes kann man sich oft des Verdachtes nicht erwehren, als habe der Componist den Faden verloren, stehe für Augenblicke rathlos da und taste, sich einstweilen mit Phrasenwerk behelfend, nach einem Anknüpfungs punkte. Einige sonst wohlberechtigte Anklänge aus den vorhergegangenen Sätzen treten als schnell wieder verschwindende Lichtpunkte in diesem Wirrwarr her vor, können aber selbstredend die genannten Mängel nicht im Entferntesten decken.“ Nun — dem Hörer von heute wird auffallen, daß die kurze Einleitung zum dritten Satz sich direkt vom Schluß des zweiten her ableitet (Dvoraks Anweisung an dieser Stelle: „Ganz kleine Pause und gleich weiter“), daß also hier ein bewußtes Hinüber führen aus der Versonnenheit des einen in das Aufgelockert-Tänzerische des anderen Satzes vorliegt. Und die inhaltliche Fülle des Finalsatzes, sein echt sinfonisches Ge wand wie sein Aufwand an Ausdrucksmitteln, erscheinen uns heute als der gegebene Kontrast zu der die ersten drei Sätze überlagernden Zurückhaltung, die den Schluß nahelegt, daß Dvorak sie unter anderen Stimmungs- und Gefühlsgegebenheiten konzipierte als den vierten Satz. Hand in Hand damit geht auch eine Vereinfachung der instrumentalen Besetzung (z. B. keine für Dvorak vordem so wichtige Harfe mehr) nach der des Beethovenschen Orchesters hin, ohne daß der Meister dabei etwas an Farbe oder Intensität opferte. So spricht das Werk des 34jährigen wohl noch die Sprache der Jugend, aber einer Jugend, der die Überwindung von Krisen, das Fußfassen in ureigensten persönlichen Bezirken bereits eine ausgeprägte Be sonnenheit hat zuwachsen lassen, die für die Folgezeit zu Recht Werke meisterlichen Ausgereiftseins erwarten läßt. Walter Bänsch Literaturhinweise: Sourek: Antonin Dvorak, Biographie und Werkanalysen, Bd. I, Artia-Verlag Pra Vorankündigung: Nächste Konzerte im Anrecht B 25726. Februar 1961, jeweils 19.30 Uhr Einführungsvorträge jeweils 18.30 Uhr 31. Januar 1961, 19.30 Uhr — Freier Kartenverkauf! 1. b'ebruar 1961, 19.30 Uhr — Anrecht C — 7. Außerordentliches Konzert Peer Gynt Aus der dramatischen Dichtung von FI. Ibsen Musik von E. Grieg Dirigent: Siegfried Geißler Mitwirkende: Lotte Gruner, Traute Richter, Erika Schischke, Hannes Fischer, Dietrich Körner 1 I 6033 Ra III-9-5 161 1,4 It-G 009/6/61 5. Zyklus-Konzert 1960/61